JudikaturJustiz14Os140/14s

14Os140/14s – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Januar 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Jänner 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Tischler als Schriftführerin im Verfahren zur Unterbringung der Roswitha M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 1. Oktober 2014, GZ 14 Hv 104/14s 37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die Anlasstaten 1 und 3, demzufolge auch im Ausspruch über die Anordnung der Unterbringung der Roswitha M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach §

21 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Leoben verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Betroffene auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde gemäß § 21 Abs 1 StGB die Unterbringung der Roswitha M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat sie am 1. Juli 2014 in J***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer - gegenwärtig manischen - schizoaffektiven Störung,

(1) anders als durch eine der in den §§ 169, 171 und 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen dadurch eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen herbeizuführen versucht, dass sie „zumindest von zwei auf der Fahrbahn der stark frequentierten S ***** befindlichen, 15 bis 20 cm tiefen Kanalschächten mit einer Fläche von rund 1 m², welche offen und lediglich mit Absperrgittern gesichert waren, die Absperrungen wegtrat …, wobei ihr Verhalten von den Gemeindebediensteten Marko G ***** und Erich K ***** bemerkt und rückgängig gemacht wurde, noch bevor ein Verkehrsteilnehmer konkret gefährdet wurde“;

(2) zwei im Urteil namentlich genannte Polizeibeamte der Polizeiinspektion J***** mit Gewalt und durch gefährliche Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper an einer Amtshandlung, nämlich der Sachverhaltsermittlung aufgrund der zuvor wegen der zu (1) genannten Tathandlung gegen die Genannte erstatteten Anzeige, zu hindern versucht, indem sie mit Händen und Füßen in Richtung der Beamten schlug, wobei sie auch beleidigende Wörter schrie, die Beamten bespuckte und mit Wasser aus ihrer Trinkflasche anschüttete und mehrmals schrie, dass sie ihnen einen „Eierspitz“ gemeint einen gezielten Tritt gegen die Hoden versetzen werde;

(3) den Polizeibeamten Michael P ***** während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie ihn im Zuge ihrer im Anschluss an die zu (2) gesetzte Tathandlung erfolgten Festnahme gemäß §§ 171 Abs 2 Z 1 iVm 170 Abs 1 Z 1 StPO im Bereich des linken Ring- und Mittelfingers kratzte, wodurch der Genannte blutende Wunden erlitt,

und dadurch das Verbrechen der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach §§ 15, 176 Abs 1 StGB (1) sowie die Vergehen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 StGB (2) und der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (3) begangen.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 9 lit a und 11 StPO des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen kommt teilweise Berechtigung zu.

Prozessordnungskonforme Ausführung der Rechtsrüge (Z 9 lit a) erfordert das strikte Festhalten am gesamten Urteilssachverhalt ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 584) und den ausschließlich auf dessen Basis geführten Nachweis eines Rechtsirrtums (RIS-Justiz RS0099810; Ratz , WK StPO § 281 Rz 581). Diesen Kriterien wird die Beschwerde nicht gerecht, soweit sie sich bloß gegen die rechtliche Beurteilung der in Zusammenhang mit der Anlasstat 2 inkriminierten Äußerung der Betroffenen als gefährliche Drohung im Sinn des § 74 Abs 1 Z 5 StGB und des „Herumspritzens“ mit „Wasser und Basenpulver“ als Gewalt im Sinn des § 269 Abs 1 StGB wendet, jedoch nicht darlegt, aus welchen Gründen die weiteren von der Rüge ignorierten Konstatierungen, nach denen Roswitha M***** extrem aggressiv wurde und mit den Beinen (gezielt) in Richtung der Beamten trat, wobei sie es ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, die Beamten (auch) durch diese Gewaltanwendung an der Sachverhaltsermittlung in Bezug auf die zuvor gegen sie erstattete Anzeige zu hindern (US 4 f), die vorgenommene Subsumtion nicht tragen sollten (vgl dazu RIS-Justiz RS0094001 [T7 und T8]; zur rechtlichen Gleichwertigkeit der Nötigungsmittel Gewalt und gefährliche Drohung und der Konzeption des § 269 StGB als alternatives Mischdelikt: Danek in WK² StGB § 269 Rz 52 mwN).

Indem sie das Vorliegen eines auf die Verhinderung einer Amtshandlung gerichteten Vorsatzes der Betroffenen bestreitet, nimmt sie erneut prozessordnungswidrig nicht an den gegenteiligen

Feststellungen (US 5) Maß und richtet sich gegen die den Tatrichtern vorbehaltene

Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Im Recht ist demgegenüber die die Anlasstaten 1 und 3 betreffende Rechtsrüge (Z 9 lit a).

Tatbestandsvoraussetzung des § 176 Abs 1 StGB ist (anders als bei § 89 StGB) die Herbeiführung einer Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen (die nach der Rechtsprechung ab einem Richtwert von etwa 10 Personen gegeben ist; Jerabek in WK² StGB § 69 Rz 7; Fabrizy , StGB 11 § 176 Rz 3 mwN; RIS-Justiz RS0066542) oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß. Dieses muss einen Wert darstellen, der zumindest die bei den meisten Vermögensdelikten zweite Wertgrenze von aktuell 50.000 Euro annähernd erreicht, wobei zusätzlich eine größere (nicht aber notwendigerweise unbegrenzte) Ausdehnung des Eigentums vorausgesetzt ist (vgl etwa 14 Os 87/99; Fabrizy , StGB 11 § 176 Rz 3 mwN).

Eine konkrete Gemeingefährdung von Personen setzt dabei voraus, dass die größere Zahl von Menschen gleichzeitig in den Gefahrenradius gerät, eine kumulative Verletzungsmöglichkeit vorliegt und der Vorsatz die konkrete Gemeingefährdung, das heißt die Herbeiführung eines solchen Sachverhalts, umfasst. Eine bloß sukzessive Gefährdung genügt demnach entgegen der (auf die vereinzelt gebliebene Kommentarmeinung von Mayerhofer in WK² StGB § 176 [2007] Rz 4 gestützten) Ansicht des Erstgerichts (US 8) nicht (RIS-Justiz RS0118702; Murschetz in WK² StGB § 176 Rz 3 f; Flora , SbgK § 176 Rz 16; Kienapfel Schmoller BT III §§ 176 177 Rz 5, 7, 14).

Mit Recht moniert die Beschwerde, dass die Feststellungen, nach denen die Betroffene am 1. Juli 2014 zwei auf der Fahrbahn der „stark frequentierten“ S ***** befindliche Absperrungen von 20 cm tiefen Kanalschächten mit einer Fläche von rund 1 m 2 einer davon in einer Kurve gelegen wegtrat, wodurch „für die Verkehrsteilnehmer eine Gefahr hätte entstehen können, zumal aufgrund des Radweges in der S ***** oft Gruppen von fünf bis zehn Radfahrern unterwegs sind und es sich um eine Zufahrtsstraße zu einem Gasthaus, einem Betrieb und einer Kirche handelt“ (US 4), eine durch die Tathandlung herbeigeführte Gemeingefahr der beschriebenen (auch im übrigen Akteninhalt nicht angesprochenen) Art, also eine gleichzeitige Gefahr für eine größere Anzahl von Personen (etwa als Insassen eines Busses oder durch die außerordentlich hohe Wahrscheinlichkeit einer Massenkarambolage), gerade nicht beschreiben. Damit vermögen die Urteilsannahmen die rechtliche Beurteilung des Täterverhaltens als Verbrechen der vorsätzlichen Gemeingefährdung nach § 176 Abs 1 StGB auch in der (rechtlich ohne weiters möglichen; vgl RIS-Justiz RS0089971; Gerhard Kodek , Der Begriff der Gemeingefahr im österreichischen Strafrecht, ÖJZ 1981, 483 [488 f]; Murschetz in WK² StGB § 176 Rz 7; Flora , SbgK § 176 Rz 16) hier angenommenen Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 Abs 1 StGB) nicht zu tragen. Ausgehend von den zitierten Feststellungen zum objektiven Sachverhalt bleiben die Konstatierungen zur subjektiven Tatseite, nach denen es der Betroffenen bewusst war, dass durch das Entfernen der Absperrungen „eine konkrete Gefahrenlage als ernstlich mögliche Folge ihres Verhaltens hätte eintreten können“, wobei „sie sich damit abfand, dass die konkrete Gefahrenlage wirklich eintritt“ (US 4), nämlich ohne Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 8).

Ebenso zutreffend zeigt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zur Anlasstat 3 einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf.

Nach den darauf bezogenen Urteilsannahmen hat die Betroffene den Polizeibeamten Michael P*****, der sie nach erfolgter Festnahme mit beiden Händen festhielt, im Bereich des linken Ring- und Mittelfingers gekratzt und ihm dadurch blutende Wunden zugefügt (US 5). Dass sie dabei mit (zumindest) Misshandlungsvorsatz handelte, geht aus den Entscheidungsgründen, die diesbezüglich eine Aussage zur Intention der Betroffenen gänzlich vermissen lassen, nicht hervor. Die Erwähnung subjektiver Komponenten im Urteilsspruch (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO; US 2) vermag die Feststellung dieser entscheidenden Tatsache nicht zu ersetzen ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 580; RIS-Justiz RS0114639).

Die aufgezeigten Rechtsfehler mangels Feststellungen zwingen zur Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Anlasstaten 1 und 3 sowie in der davon abhängigen Unterbringungsanordnung ( Ratz , WK StPO § 289 Rz 8; RIS-Justiz RS0120576) und zur Verweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung, womit sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde erübrigt.

Mit ihrer Berufung war die Rechtsmittelwerberin auf diese Entscheidung zu verweisen.

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