JudikaturJustiz14Os123/08g

14Os123/08g – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll und durch die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Fuchs in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Schmidmayr als Schriftführer in der Strafsache gegen Siegfried S***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2006, GZ 13 U 416/07x 13 (vormals AZ 12 U 404/06y), und mehrere weitere Verfügungen des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner, sowie des Angeklagten Siegfried S***** zu Recht erkannt:

Spruch

I. Es verletzen das Gesetz:

1. Die im Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2006, GZ 13 U 416/07x 13, erfolgte Subsumtion der den Schuldsprüchen 1. und 2. zugrunde liegenden Taten als je ein Vergehen „des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB" und „des Diebstahls nach § 127 StGB" in der Bestimmung des § 29 StGB;

2. der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. April 2008 „auf Einstellung des Suchtmittelgesetzverfahrens gemäß § 37 SMG für eine Probezeit von zwei Jahren" (S 307)

a) durch Nichtbeachten des zwischenzeitig erfolgten Rücktritts der Staatsanwaltschaft von der Anklage in den Bestimmungen der §§ 4 und 17 StPO idgF, 227 Abs 1, 447 StPO aF,

b) durch Unterlassen der Begründung und der Rechtsmittelbelehrung sowie des Anführens der auf den Spruch bezogenen gesetzlichen Bestimmungen in § 86 Abs 1 StPO;

3. das Unterlassen der schriftlichen Ausfertigung dieses Beschlusses und der Zustellung einer Ausfertigung an den Angeklagten und an die Staatsanwaltschaft in der Bestimmung des § 86 Abs 2 StPO;

4. die Vertagung der Hauptverhandlung vom 25. April 2008 „auf vorerst unbestimmte Zeit" durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien in der Bestimmung des § 9 StPO und in den Vorschriften über die Vertagung der Hauptverhandlung nach §§ 273 bis 276 iVm 226 StPO.

II. Das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2006, GZ 13 U 416/07x 13, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in der rechtlichen Beurteilung der den Schuldsprüchen Punkt 1. und 2. zugrunde liegenden Taten aufgehoben und

1. in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Siegfried S***** hat durch die in Punkt 1. und 2. des Urteilssatzes erfassten Tathandlungen das Vergehen des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB begangen.

Er wird hiefür unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 20. März 2007 (rechtskräftig seit 24. März 2007), GZ 17 U 19/07v 8, nach dem § 127 StGB zu einer Zusatz (freiheits )strafe von einem Monat verurteilt.

2. der

Beschluss

gefasst:

Vom Widerruf der dem Angeklagten mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 1. Dezember 2005, AZ 13 U 77/04i, in Ansehung einer wegen § 27 Abs 1 SMG verhängten dreimonatigen Freiheitsstrafe gewährten bedingten Strafnachsicht wird abgesehen.

III. Der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. April 2008 „auf Einstellung des Suchtmittelgesetzverfahrens gemäß § 37 SMG für eine Probezeit von zwei Jahren" unter gleichzeitiger Erteilung der „Weisung", die begonnene Therapie fortzusetzen und darüber beginnend mit 15. Mai 2008 halbjährlich zu berichten (S 307), wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe :

Mit Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2006, GZ 13 U 416/07x 13, das auch einen rechtskräftigen Freispruch enthält, wurde Siegfried S***** „des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB" (1), „des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB" (2) sowie des Vergehens nach § 27 Abs 1 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) SMG aF schuldig erkannt.

Während der Angeklagte das Urteil nicht bekämpfte, erhob die Staatsanwaltschaft Wien Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 14).

Mit Entscheidung des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Juni 2007, AZ 135 Bl 44/07g (ON 18), wurde das Urteil aus Anlass der Berufung in seinem Schuldspruch wegen § 27 Abs 1 SMG aF (3) sowie demzufolge im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Die Staatsanwaltschaft wurde mit ihrer Berufung wegen Strafe (und ihrer Beschwerde gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Absehen vom Widerruf bedingter Strafnachsicht) auf diese Entscheidung verwiesen.

Am 31. August 2007 erklärte die Staatsanwaltschaft Wien gemäß §§ 227 Abs 1, 447 StPO aF den Rücktritt von der Anklage in Bezug auf die dem aufgehobenen Schuldspruch wegen § 27 Abs 1 SMG aF zugrunde liegenden Taten und beantragte zugleich die Anberaumung einer Hauptverhandlung zum Zwecke der Straffestsetzung in Ansehung der verbliebenen Schuldsprüche 1 und 2 (S 267 iVm S 268).

In der am 25. April 2008 durchgeführten Hauptverhandlung verkündete der Bezirksrichter nach einverständlicher Erörterung der bisherigen Verfahrensergebnisse zunächst den - in der Wortwahl verfehlt (RV SMG Novelle 2007, 301 BlgNR 23. GP 25 f) mit einer „Weisung" verbundenen und nach dem Protokoll unbegründet gebliebenen - „Beschluss auf Einstellung des Suchtmittelgesetzverfahrens gemäß § 37 SMG für eine Probezeit von zwei Jahren" (S 307), ohne den Parteien Rechtsmittelbelehrung zu erteilen.

Weder der Angeklagte noch die Staatsanwaltschaft gaben dazu irgend eine Erklärung ab. Der Beschluss wurde nach der Aktenlage in weiterer Folge nicht schriftlich ausgefertigt und erwuchs demzufolge bislang nicht in Rechtskraft (vgl dazu 13 Os 107/08x).

Im unmittelbaren Anschluss daran wurde die Hauptverhandlung „zur Übermittlung (ersichtlich zu ergänzen: des Aktes) an die Staatsanwaltschaft zwecks der Anfrage gemäß § 192 StPO hinsichtlich des Faktums §§ 127, 15 StGB" auf unbestimmte Zeit vertagt (S 307).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, liegen mehrfache Gesetzesverletzungen vor:

I/1. Nach dem Zusammenrechnungsprinzip des § 29 StGB bilden alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Diebstähle, mögen sie weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen und jeder für sich rechtlich verschiedener Art sein, bei der rechtlichen Beurteilung eine Subsumtionseinheit ( Leukauf/Steininger StGB3 RN 5; Ratz in WK² Rz 5 und 6 - alle zu § 29; statt aller: RIS Justiz RS0114927). Die (getrennte) Annahme zweier Vergehen nach § 127 StGB in der schriftlichen Ausfertigung des Urteils des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 9. November 2006 ist daher unzulässig; vielmehr liegt nur eine strafbare Handlung vor (vgl Fabrizy StGB9 § 29 Rz 2).

2./a Der Rücktritt der Staatsanwaltschaft von der Anklage vor der Hauptverhandlung gemäß §§ 227 Abs 1, 447 StPO aF bewirkte in den Fällen, in denen - wie hier - kein Privatbeteiligtenanschluss vorlag, eo ipso die Beendigung des Verfahrens (vgl Danek , WK StPO § 227 Rz 1) und entfaltete daher schon als solcher Sperrwirkung; die Einstellungsverfügung des Richters (§ 227 Abs 1, 447 StPO aF) war bloß deklarativer Natur. Jede weitere Verfolgungshandlung in der gleichen Sache ohne vorherige formelle Wiederaufnahme nach § 352 StPO verstößt demzufolge gegen den Anklagegrundsatz (§ 4 StPO) sowie gegen das - verfassungsrechtlich in Art 4 des 7. ZPMRK verankerte - Verbot wiederholter Strafverfolgung des § 17 StPO.

Der - an Stelle einer auf dieser Grundlage zwingend zu erlassenden - Einstellungsverfügung nach §§ 227 Abs 1, 447 StPO aF hinsichtlich der dem aufgehobenen Schuldspruch wegen § 27 Abs 1 SMG aF zugrunde liegenden Taten gefasste Beschluss des Richters des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. April 2008, mit dem das Strafverfahren gegen Siegfried S***** wegen § 27 Abs 1 SMG aF für eine Probezeit von zwei Jahren nach § 37 SMG vorläufig eingestellt und die Einstellung zudem davon abhängig gemacht wurde, dass der Genannte sich freiwillig weiterhin einer bereits begonnenen Therapie unterziehe und dem Gericht halbjährlich darüber berichte (S 307), stellt eine damit unzulässige Verfolgungshandlung dar und verletzt das Gesetz in den aus Punkt 2/a des Spruchs ersichtlichen Bestimmungen.

2./b Nach § 86 Abs 1 StPO hat ein Beschluss Spruch, Begründung und Rechtsmittelbelehrung zu enthalten. Dabei müssen im Spruch die Anordnung, Bewilligung oder Feststellung des Gerichts sowie die darauf bezogenen gesetzlichen Bestimmungen angeführt werden. Diesen Anforderungen wird der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. April 2008, der weder eine Begründung noch eine Rechtsmittelbelehrung enthält und auch die den Spruch tragenden gesetzlichen Bestimmungen nur zum Teil anführt, nicht gerecht.

3./ Gemäß § 86 Abs 2 erster Satz StPO ist - von hier nicht aktuellen Ausnahmen (Abs 3 leg cit ) abgesehen - jeder Beschluss schriftlich auszufertigen und den zur Beschwerde Berechtigten (hier: Angeklagter und Staatsanwaltschaft) zuzustellen, was vorliegend unterblieb.

4./ Der aus den Prinzipien der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit sowie dem - nunmehr ausdrücklich gesetzlich normierten - Beschleunigungsgebot (§§ 9, 232 Abs 2 StPO; § 34 Abs 2 StGB; Art 6 Abs 1 MRK) ableitbare Grundsatz der Kontinuität der Hauptverhandlung (Verfahrenskonzentration) beinhaltet auch, dass die einmal begonnene Hauptverhandlung möglichst in einem Zug durchgeführt und (in der Regel) mit Urteil beendet werden soll. Nur aus den in §§ 273 bis 276 StPO (iVm § 226 StPO) genannten Gründen darf es somit zu einer Vertagung kommen ( Danek , WK StPO § 273 Rz 1; Fabrizy StPO10 § 273 Rz 1).

Diesen Voraussetzungen entspricht die - objektiv nicht nachvollziehbare - Vertagung auf „vorerst unbestimmte Zeit" „zur Übermittlung an die Staatsanwaltschaft zwecks der Anfrage gem § 192 StPO hinsichtlich des Faktums §§ 127, 15 StGB" in keiner Weise. Einer der in den genannten Vorschriften über die Vertagung der Hauptverhandlung enthaltenen Ausnahmefälle lag nach dem Akteninhalt auch sonst nicht vor, zumal Gegenstand der Hauptverhandlung vom 25. April 2008 ausschließlich die (zufolge Aufhebung auch des Strafausspruchs durch das Landesgericht für Strafsachen Wien als Berufungsgericht notwendig gewordene) Bemessung der Strafe für die - bereits im ersten Rechtsgang in Teilrechtskraft erwachsenen - Schuldsprüche 1 und 2 wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 127, 15 StGB war.

II. Im vorliegenden Fall wurde bisher keine Strafe festgesetzt. Die zu 1. aufgezeigte Gesetzesverletzung hat sich demnach bislang - über die unrichtige Lösung der Rechtsfrage hinaus - nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt. Um künftige Rechtsfehler zu vermeiden, war aber zugleich mit der Feststellung der Gesetzesverletzungen der Schuldspruch zu korrigieren (§ 292 letzter Satz StPO; 13 Os 87/07d) und die Strafe festzusetzen.

Bei der Strafbemessung war das Geständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist als mildernd zu werten, als erschwerend dagegen (unter Berücksichtigung der Bedachtnahmeverurteilung) das Zusammentreffen zweier Vergehen, die über die Anwendungskriterien des § 39 StGB hinausgehenden zahlreichen einschlägigen Vorverurteilungen, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB, der rasche Rückfall weniger als einen Monat nach einer wegen §§ 127, 15 StGB erfolgten Verurteilung sowie die neuerliche Delinquenz während anhängigen Strafverfahrens.

Weiters kommt dem Angeklagten aber der Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zugute. Nach der Aktenlage wurde das Strafverfahren am 3. Juli 2006 durch Einbringung eines Antrags auf Bestrafung (ON 3) eingeleitet und erst mit der gegenständlichen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 4. November 2008, sohin nach über zweijähriger Verfahrensdauer rechtskräftig beendet.

Unter Berücksichtigung des unterdurchschnittlichen Aktenumfanges (307 Seiten), der äußerst geringen rechtlichen Komplexität der Strafsache und der von Beginn an geständigen Verantwortung des Beschuldigten erweist sich dieser Zeitraum als unangemessen lang.

Der Oberste Gerichtshof erkennt dies als Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) an und gleicht dies durch Reduktion der (Zusatz)freiheitssstrafe von sechs Wochen, die bei einer Strafdrohung von bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen unter Bedachtnahme auf die genannte Verurteilung schuldangemessen und dem Unrechtsgehalt der Taten entsprechend wäre, auf einen Monat aus.

Angesichts der massiven Vorstrafenbelastung, des raschen Rückfalls und der Fortsetzung des deliktischen Verhaltens während anhängigen Strafverfahrens verboten schon spezialpräventive Erfordernisse die Verhängung einer Geldstrafe oder die Gewährung bedingter Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB; der Widerruf bedingter Strafnachsicht erschien jedoch in Anbetracht der neuerlichen Verurteilung nicht geboten.

III. Schon die zu 2/a aufgezeigte Gesetzesverletzung, die dem Angeklagten ebenfalls zum Nachteil gereicht, erfordert zudem die ersatzlose Aufhebung des Beschlusses des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 25. April 2008, mit dem das Strafverfahren gegen Siegfried S***** wegen § 27 Abs 1 SMG aF gemäß § 37 SMG unter Erteilung von „Weisungen" eingestellt wurde.

Rechtssätze
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