JudikaturJustiz14Ns17/21t

14Ns17/21t – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. März 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in der Strafsache gegen T***** I***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 16 Hv 84/20f des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über Vorlage gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO durch das Oberlandesgericht Graz, AZ 8 Bs 392/20p, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung über die Einsprüche gegen die Anklageschrift übermittelt.

Text

Gründe:

[1] Mit Anklageschrift vom 3. November 2020 (ON 1717) legt die Staatsanwaltschaft Graz

T***** I***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A/I) und nach § 278b Abs 1 StGB (B), der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: und Abs 2) StGB (C/I/1, C/II/1, F/I/1/a und F/I/2/a [teils iVm § 12 zweiter Fall und § 15 StGB]) und nach § 278c Abs 1 Z 4 (zu ergänzen: und Abs 2) StGB (C/I/2, C/II/2, F/I/1/b und F/I/2/b [teils iVm § 12 zweiter Fall und § 15 StGB]), der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/I), der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 (iVm Abs 1) StGB (E/I/1) und der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 2 StGB (H/I),

***** A***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A/II) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/II) sowie mehreren Vergehen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 3 (iVm Abs 1) StGB (E/II/1),

***** Tw***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A/III), der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/III), der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 (iVm Abs 1) StGB ([richtig:] E/I/2) und der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs 2 StGB (H/II) sowie dem Vergehen des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB (I),

***** N***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278 Abs 2 StGB (A/IV) und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/IV) sowie mehreren Vergehen der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 3 (iVm Abs 1) StGB (E/II/2),

***** O***** den Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: und Abs 2) StGB (F/I/1/a, F/I/2/a und F/II/1 [jeweils iVm § 12 zweiter Fall StGB]) und nach § 278c Abs 1 Z 4 (zu ergänzen: und Abs 2) StGB (F/I/1/b, F/I/2/b und F/II/2 [jeweils iVm § 12 zweiter Fall StGB]),

A***** I***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A/V), der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/V), der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 (iVm Abs 1) StGB (E/I/3) und der Terrorismusfinanzierung nach § 278d Abs 1a Z 2 (iVm Abs 1 Z 2, 7 und 8) StGB (G) und

***** H***** den Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB (A/V), der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (D/V), der staatsfeindlichen Verbindungen nach § 246 Abs 2 (iVm Abs 1) StGB (E/I/3) und der Terrorismusfinanzierung nach § 278d Abs 1a Z 2 (iVm Abs 1 Z 2, 7 und 8) StGB (G)

subsumierte Taten zur Last.

Rechtliche Beurteilung

[2] Dagegen erhoben A***** (ON 1740 [unter anderem aus dem Grund des § 212 Z 6 StPO]) und N***** (ON 1737) Einsprüche.

[3] Mit Beschluss vom 22. Dezember 2020, AZ 8 Bs 392/20p, legte das Oberlandesgericht Graz – unter anderem nach Verneinen der Einspruchsgründe der Z 1 bis 5, 7 und 8 des § 212 StPO – die Akten nach § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es für möglich hielt, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht zuständig sei.

[4] Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

[5] Gemäß § 37 Abs 1 erster Satz StPO ist im (hier vorliegenden) Fall gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder einer Person wegen mehrerer Straftaten das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen. Dabei ist unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere, unter Gerichten gleicher Ordnung jenes mit Sonderzuständigkeit für alle Verfahren zuständig, wobei das Gericht, das für einen unmittelbaren Täter zuständig ist, das Verfahren gegen Beteiligte an sich zieht (§ 37 Abs 2 erster Satz StPO). Im Übrigen kommt das Verfahren im Fall mehrerer Straftaten dem Gericht zu, in dessen Zuständigkeit die frühere Straftat fällt (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO). Wenn jedoch für das Ermittlungsverfahren eine Staatsanwaltschaft bei einem Gericht zuständig war, in dessen Sprengel auch nur eine der angeklagten strafbaren Handlungen begangen worden sein soll, so ist dieses Gericht zuständig (§ 37 Abs 2 dritter Satz StPO).

[6] Nach dieser Gesetzessystematik normiert der dritte Satz des § 37 Abs 2 StPO eine Ausnahme zum zweiten, nicht jedoch zum ersten Satz dieser Bestimmung (RIS Justiz RS0124935).

[7] Für die Frage der örtlichen Zuständigkeit sind hier (nur) die strafbaren Handlungen (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) maßgeblich, die sachlich in die Zuständigkeit des Geschworenengerichts fallen (RIS Justiz RS0133394), also der den Verbrechen der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1 (zu ergänzen: und Abs 2) StGB (C/I/1, C/II/1, F/I/1/a, F/I/2/a und F/II/1) sowie den Verbrechen und Vergehen der staatsfeindlichen Verbindungen (E/I/1 bis 3 [§ 246 Abs 2 iVm Abs 1 StGB] sowie E/II/1 und 2 [§ 246 Abs 3 iVm Abs 1 StGB]) subsumierte Anklagevorwurf (§ 31 Abs 2 Z 1 und 4 StPO). Dabei bleiben – zufolge (auch) subjektiver-objektiver Konnexität (F/I/1/a und F/I/2/a) – die O***** ausschließlich als Bestimmungstäter zur Last gelegten Straftaten außer Betracht (13 Ns 17/10v; Oshidari , WK StPO § 37 Rz 4; vgl Nordmeyer , WK StPO § 26 Rz 9).

[8] Zum Anklagepunkt E lastet die Anklagebehörde zwar jedem Angeklagten mehrere strafbare Handlungen an, geht aber ersichtlich in Bezug auf die einzelnen staatsfeindlichen Verbindungen (Jaish Al-Muhajirin-Wal-Ansar [JAMWA], Jabhat al Nusra, Islamischer Staat in Syrien und im Irak [ISIS] und Islamischer Staat [IS]) von tatbestandlichen Handlungseinheiten aus (vgl ON 1717 S 115, 143, 239, 341, 347 und 379; vgl auch RIS Justiz RS0124166). Welche von diesen tatbestandlichen Handlungseinheiten die frühere Straftat im Sinn des § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO ist, richtet sich nach ihrem Beginn, weil in dieser Bestimmung der Grundsatz der Anknüpfung an das frühere kriminelle Handeln zum Ausdruck kommt (vgl RIS Justiz RS0126604; vgl auch Salimi in WK 2 StGB § 67 Rz 10 [zum Beginn des Tatzeitraums bei tatbestandlichen Handlungseinheiten]).

[9] Die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit für die nach diesen Kriterien ermittelte früheste Straftat richtet sich primär nach § 36 Abs 3 erster Satz StPO. Erstreckt sich bei dieser – wie hier in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit im weiteren Sinn – die den gesetzlichen Tatbestand erfüllende Verhaltensweise über mehrere Orte, gibt grundsätzlich jener den Ausschlag, an dem die letzte Ausführungshandlung gesetzt wurde (RIS Justiz RS0130107; vgl 14 Ns 78/20m [zur unterschiedlichen örtlichen Anknüpfung im Ausnahmefall eines Dauerdelikts]).

[10] Nach Anklage und Akteninhalt (vgl RIS Justiz RS0131309 [T1 und T3]) sind die früheren Straftaten iSd § 37 Abs 2 zweiter Satz StPO die in Bezug auf JAMWA und Jabhat al Nusra gesetzten Beteiligungshandlungen (A/I und III), welche jeweils mit „Jahresanfang 2012“ begonnen worden seien und durch welche sich T***** I***** und Tw***** in Idealkonkurrenz an diesen – auch als staatsfeindlich qualifizierten – Verbindungen führend betätigt hätten (ON 1717 S 5, 11, 21 ff und 119 ff iVm ON 1660 S 13 ff und ON 1702 S 15 ff). Hinsichtlich Tatzeit und Ausführungsort konkretisierte Tathandlungen (ON 1717 S 7 und 11 iVm ON 1660 S 27 und ON 1702 S 19) hätten diese beiden Angeklagten spätestens am 25. Mai 2013 gesetzt (A/I/2 und A/III/2), wobei die Anklage diesbezüglich (in Übereinstimmung mit der Aktenlage) explizit einen Ausführungsort im Sprengel des Oberlandesgerichts Wien nennt (ON 1717 S 7, 11 und 145). Auch sonst geht die Anklage (neben ausländischen Tatorten) – soweit überhaupt ausdrücklich bezeichnet – von Tathandlungen in diesem Sprengel aus (ON 1717 S 379 und 397; vgl ON 1702 S 17). Demgegenüber finden sich weder in der Anklage noch im Akt Anhaltspunkte für einen Ort der Tatausführung im Sprengel des Oberlandesgerichts Graz.

[11] Der von der Staatsanwaltschaft zuständigkeitsbegründend herangezogene (ON 1717 S 399) – sich aus dem Haftort ergebende – Anknüpfungspunkt des aktuellen Aufenthalts (§ 36 Abs 3 zweiter Satz StPO [vgl dazu 13 Os 129/14s, 130/14p, 131/14k, 132/14g]) kommt demgegenüber nur subsidiär zum Zug (RIS Justiz RS0130478; Oshidari , WK-StPO § 36 Rz 6) und wäre hier nur dann ausschlaggebend, wenn es sich bei einer der angeklagten (in die Zuständigkeit des Geschworenengerichts fallenden und in unmittelbarer Täterschaft begangenen) Auslandstaten (hier: C/I/1 und C/II/1) um die früheste handelte (§ 37 Abs 2 zweiter Satz StPO), was jedoch nicht der Fall ist. Der Aufenthaltsort stellt (nach dem Gesetzeswortlaut) auch keinen Begehungsort im Sinn des § 37 Abs 2 dritter Satz StPO (näher dazu 14 Ns 78/20m) dar.

[12] Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das zunächst über die Einsprüche zu entscheiden hat (RIS-Justiz RS0124585). Dabei bestehen keine Bedenken gegen eine pauschale Verweisung auf die Begründung des bloß zur vorläufigen (nicht bindenden) Prüfung aufgerufenen Oberlandesgerichts Graz, wenn dessen Beurteilung geteilt wird (RIS Justiz RS0125228). Im Fall der Abweisung der Einsprüche sind die Akten dem zuständigen Gericht zuzuweisen (§ 215 Abs 4 erster Satz StPO).

Rechtssätze
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