JudikaturJustiz13Os92/19g

13Os92/19g – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Dezember 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Schriftführers Mag. Hauer in der Strafsache gegen Richard H***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Richard H*****, ferner die Berufungen der Angeklagten Robert S***** und Anna Maria M***** sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 13. August 2019, GZ 39 Hv 16/19y 623, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten Richard H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – Richard H***** im zweiten Rechtsgang (vgl zum ersten 13 Os 115/18p) für die von einem rechtskräftigen Schuldspruch umfassten Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB (I 1 a) und des Mordes nach § 75 StGB (I 1 b) zu einer Freiheitsstrafe verurteilt und nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen das Einweisungserkenntnis richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5 und 13 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde dieses Angeklagten.

Ihrer Erledigung sei vorangestellt, dass der bekämpfte Ausspruch einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde (lediglich) aus Z 13 des § 345 Abs 1 StPO zugänglich ist.

Allfällige Fehler der Prognoseentscheidung ressortieren in den Regelungsbereich des zweiten Falles der Z 13. Konkret liegt Nichtigkeit aus Z 13 zweiter Fall dann vor, wenn diese Entscheidung zumindest eine der in § 21 Abs 1 StGB genannten Erkenntnisquellen (Person, Zustand des Rechtsbrechers und Art der Tat) vernachlässigt oder die aus diesen Erkenntnisquellen gebildete Feststellungsgrundlage die Prognoseentscheidung als willkürlich erscheinen lässt (RIS Justiz RS0113980, RS0118581; Ratz , WK StPO § 281 Rz 715 ff), was hier nicht behauptet wird.

Eine Bekämpfung aus Z 4 oder 5 des § 345 Abs 1 StPO steht in Verbindung mit dem ersten Fall, nicht jedoch mit dem zweiten Fall des § 345 Abs 1 Z 13 StPO offen (RIS Justiz RS0118581 [insbesondere T5]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 669). Soweit sich die aus dem Blickwinkel der Verfahrensrüge (Z 4 und 5) erhobene Kritik gegen die Prognoseentscheidung wendet, geht sie daher schon im Ansatz fehl. Soweit sie die „Gefährlichkeitsannahmen“ (US 8) – unter Bestreitung der diesen zugrunde gelegten (US 8 f) Schlussfolgerungen der beigezogenen Sachverständigen – als „völlig unrichtig“ bezeichnet, erschöpft sich die Rüge (Z 13) in bloßem Berufungsvorbringen.

Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde nach Z 13 erster Fall ist – weil davon die Anordnungsbefugnis abhängt – der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhende Zustand und dessen Einfluss auf die Anlasstat ( Ratz in WK 2 StGB Vor §§ 21–25 Rz 8 f mwN).

Soweit das Rechtsmittel diese Kriterien anspricht, sei erwidert:

Zur Klärung der (unter anderem) diesbezüglichen Tatsachengrundlage wurde vom Gericht Prim. Dr. K***** als medizinische Sachverständige aus dem Fachgebiet der Neurologie und der Psychiatrie beigezogen.

Nach dem Protokoll über die Hauptverhandlung wurde die – nicht in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eingetragene – Genannte vor Beginn ihrer Vernehmung nicht vom Gericht beeidigt; vielmehr wurde sie „an ihren SV-Eid erinnert“ (ON 613 S 8).

Gestützt auf (richtig Z 13 erster Fall iVm) Z 4 behauptet die Rüge einen darin gelegenen Verstoß gegen § 271 Abs 1 StPO (iVm § 302 Abs 1 StPO). Nach dieser Bestimmung mit Nichtigkeit bedroht ist aber nur, wenn überhaupt kein Protokoll geführt wird (RIS-Justiz RS0113211 [insbesondere T6]; Danek , WK StPO § 271 Rz 5; Ratz , WK StPO § 281 Rz 262), was hier nicht der Fall war.

Ebenso wenig macht der Einwand, die Sachverständige sei vor Beginn ihrer Vernehmung nicht im Sinn des § 126 Abs 2 zweiter Satz StPO belehrt worden, die Verletzung oder Missachtung einer Vorschrift, deren Einhaltung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet, in der Hauptverhandlung geltend (zu den von § 345 Abs 1 Z 4 StPO erfassten gesetzlichen Bestimmungen vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 193).

Mutmaßungen des Beschwerdeführers darüber, ob es die Geschworenen (und die Berufsrichter) bei ihrer Entscheidungsfindung zu seinem Nachteil beeinflusst haben könnte, dass Prim. Dr. K***** stets als „Gerichtssachverständige“ „präsentiert“ worden sei, während die von der Verteidigung vorgelegten „Sachverständigengutachten“ des Prim. Univ. Prof. Dr. Ha***** und des Univ. Doz. Dr. P***** (ON 597 und 598) „nur“ als „Privatgutachten“ „abqualifiziert“ worden seien, sind ebenso wenig Gegenstand zulässiger Urteilskritik wie die Überlegung, ob Prim. Dr. K***** „für ihre Sachverständigentätigkeit“ „aufrecht haftpflichtversichert“ sei.

Hinzugefügt sei, dass eine (die Legaldefinition des § 125 Z 1 StPO erfüllende) Person nicht durch ihre Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen (§ 2 Abs 1 SDG), sondern durch ihre Bestellung im konkreten Strafverfahren (§ 126 Abs 1 erster Satz StPO) zur „Sachverständigen“ im Sinn der StPO wird (vgl Hinterhofer , WK-StPO § 125 Rz 18). Solcherart sind (nicht vom Gericht, sondern) vom Angeklagten beigezogene Personen mit besonderem Fachwissen (§ 249 Abs 3 StPO) – mögen sie auch in die angesprochene Liste eingetragen sein – (gerade) keine Sachverständigen in dieser Eigenschaft (zum prozessualen Stellenwert sogenannter Privatgutachten vgl im Übrigen RIS Justiz RS0118421; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 351; Hinterhofer , WK StPO § 125 Rz 23 ff).

Vor seiner Eintragung in die Sachverständigenliste (§ 2 Abs 1 SDG) hat ein Bewerber – worauf der Beschwerdeführer an sich zutreffend hinweist – den Sachverständigeneid zu leisten (§ 5 Abs 1 SDG).

Es besteht indes kein Verbot, im Einzelfall von der (in § 126 Abs 2 StPO primär vorgesehenen) Heranziehung in der Sachverständigenliste eingetragener Personen abzugehen und jemanden zum Sachverständigen zu bestellen, auf den dies nicht zutrifft ( Fabrizy , StPO 13 § 126 Rz 11; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 26 ff; RIS Justiz RS0117726). Die Beeidigung einer solchen Beweisperson im Strafprozess ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl § 126 Abs 2 StPO und § 247 StPO; Hinterhofer , WK StPO § 126 Rz 27). Vielmehr hat die in § 5 Abs 1 SDG festgeschriebene Eidesformel für das Gericht im Strafverfahren keine unmittelbare Bedeutung ( Kirchbacher , WK StPO § 247 Rz 62, 67 und 69; aus § 5 Abs 2 SDG ist kein anderer Schluss zu ziehen; vgl dagegen § 358 ZPO für das zivilgerichtliche Verfahren). Schon deshalb kann das Unterbleiben ihrer Beeidigung – der Beschwerdeauffassung zuwider – ebenso wenig Nichtigkeit begründen (12 Os 149/13y; vgl auch RIS Justiz RS0098137 [T2]) wie jenes einer „Klarstellung“ gegenüber den Geschworenen, dass diese Person nicht in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eingetragen und ihr Gutachten daher kein „eidliches“ ist.

Entgegen dem übrigen aus (richtig Z 13 erster Fall iVm) Z 5 erstatteten Vorbringen wurde der in der Hauptverhandlung am 13. August 2019 gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf „Einholung eines weiteren neuropsychiatrischen SV-Gutachtens“ – „soweit möglich“ eines Sachverständigen „aus dem Fachbereich Psychiatrie mit Lehrbefugnis“ – zum Beweis dafür, dass (soweit aus Z 13 erster Fall relevant) beim Angeklagten „keine Persönlichkeitsstörung vorliegt, die auf einer höhergradigen seelisch geistigen Abnormität beruht“ (ON 622 S 44), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen (ON 622 S 53):

Zum Zeitpunkt der Antragstellung lag – unter anderem gerade zu dem genannten Beweisthema – bereits ein dem Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers nachteiliges Gutachten der vom Gericht beigezogenen (§ 126 Abs 1 StPO) Sachverständigen vor. Diese zu befragen hatte der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung Gelegenheit (die er durch seinen Verteidiger unter Hinzuziehung einer Person mit besonderem Fachwissen [§ 249 Abs 3 StPO], nämlich des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Univ. Doz. Dr. P***** [vgl ON 613 S 2 und ON 622 S 2], wahrnahm – ON 613 S 8 bis 62; ON 622 S 2 bis 44). Das Gutachten eines weiteren Sachverständigen (zu demselben Beweisthema) hätte daher nur durch Aufzeigen von – auch bei der Befragung nicht beseitigten – Mängeln im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO unter der Sanktion des § 345 Abs 1 Z 5 StPO erwirkt werden können (RIS Justiz RS0115712 [insbesondere T10], RS0117263 [insbesondere T18]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351 und 373). Dazu hätte der Antrag fundiert darlegen müssen, warum Befund oder Gutachten mangelhaft und behauptete Bedenken nicht erfolgreich beseitigt worden sein sollten, was eine substantiierte Auseinandersetzung mit allen Ergänzungen und Erläuterungen des Sachverständigen erfordert hätte (RIS Justiz RS0117263 [T17], RS0102833 [T3]; Hinterhofer , WK StPO § 127 Rz 31).

Das Antragsvorbringen (ON 622 S 44 bis 52) behauptete (zusammengefasst), die Sachverständige habe den Beschwerdeführer anlässlich der Befundaufnahme „nicht offen“, sondern „durch ständige Vorhalte unterbrochen“ befragt, keine Drogen-, Sexual- oder Delinquenzanamnese erhoben, keinen Intelligenz-, Organizitäts oder Persönlichkeitstest durchgeführt, Befunde Dris. E*****, Dris. R***** und Mag. W***** „klein oder schlecht“ geredet und im „PCLR Checkverfahren“ die Punktevergabe bei den Items 4, 8, 11, 12, 15, 17, 19 teils „unrichtig“, teils „völlig verfehlt“ durchgeführt; dagegen kämen die von der Verteidigung vorgelegten „privat erstatteten SV-Gutachten“ der „gerichtlich beeideten Sachverständigen“ Prim. Univ. Prof. Dr. Ha***** und Univ. Doz. Dr. P***** „richtigerweise“ zu dem (gegenteiligen) Ergebnis, dass beim Angeklagten keine Psychopathie (oder andere seelische Abnormität höheren Grades) vorliege. Es erschöpfte sich damit in der bloßen Wiederholung bis dahin vorgetragener Bedenken und des eigenen Standpunkts, ohne sich mit den diesbezüglichen Erläuterungen der Sachverständigen (ON 613 S 14 ff; ON 622 S 2 ff) substantiiert auseinanderzusetzen.

Durch Befragung nicht beseitigte Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO zeigte der Antrag damit gerade nicht auf. Er begehrte vielmehr – inhaltlich – nur eine Überprüfung der vorliegenden Expertise in der Hoffnung auf ein ihm günstigeres Ergebnis. Solcherart zielte er – im Stadium der Hauptverhandlung unzulässig – auf Erkundungsbeweisführung ab (abermals RIS Justiz RS0117263 [T17]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 351).

Den Beweisantrag ergänzende Beschwerdekritik hat aufgrund des sich aus dem Wesen des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes ergebenden Neuerungsverbots auf sich zu beruhen (RIS Justiz RS0099618, RS0099117).

Indem sich das weitere Vorbringen (nominell Z 13) damit begnügt, das Kalkül der beigezogenen Sachverständigen als „grob unrichtig“ zu bezeichnen, ohne darauf gegründete Urteilsfeststellungen zum auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustand des Beschwerdeführers deutlich und bestimmt anzusprechen, verlässt es erneut den Anfechtungsrahmen (dazu RIS Justiz RS0118581 [insbesondere T5]; Ratz , WK StPO § 345 Rz 17).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§§ 344, 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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  • RS0115712OGH Rechtssatz

    25. April 2023·3 Entscheidungen

    Die - außer dem Fall des § 252 Abs 1 StPO - in dessen Abhörung bestehende Beiziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung kann durch das Vorbringen erheblicher Einwendungen verhindert werden, auch wenn dieser bereits ein schriftliches Gutachten abgegeben hat (EvBl 1997/82). Nach § 248 Abs 1 erster Satz StPO hat das Gericht bei der Beurteilung solcher Einwendungen auf ihre rechtliche Erheblichkeit die für den Untersuchungsrichter in der Voruntersuchung erteilten Vorschriften zu beobachten, soweit sie nicht ihrer Natur nach als in der Hauptverhandlung unausführbar erscheinen. Auf den Anschein der Befangenheit gestützte Einwendungen sind dabei von solchen zu scheiden, die mit mangelnder Sachkenntnis der als Sachverständiger abzuhörenden Person begründet werden. Ob sich die als Sachverständiger beizuziehende Person schon vor der Hauptverhandlung eine Meinung über den Fall gebildet hat, ist für die Beurteilung des Anscheins der Befangenheit schon deshalb ohne Bedeutung, weil eine vorläufige Meinungsbildung spätestens mit Abgabe des schriftlichen Gutachtens füglich nicht mehr zu bestreiten ist und solcherart ansonsten kein mit der Abgabe eines schriftlichen Gutachtens beauftragter Gutachter in der Hauptverhandlung abgehört werden dürfte - ein Ergebnis das offen den Verfahrensgesetzen widerspricht und den Grundsatz indirekt als zutreffend erweist. Abhörung oder Verlesung des abgegebenen schriftlichen Gutachtens sind infolge Anscheins von Befangenheit vielmehr nur dann unzulässig, wenn zu erkennen ist, dass der Sachverständige sein Gutachten auch dann zu ändern nicht gewillt sein werde oder würde, wenn Verfahrensergebnisse dessen Unrichtigkeit aufzeigen. Allein aus einer vom Gutachtensauftrag nicht erfassten und daher unangebrachten rechtlichen Beurteilung zur Stellungnahme übermittelter Texte kann eine solche Befürchtung jedoch nicht abgeleitet werden. Von vornherein unbedenklich sind Aussagen wissenschaftlicher Publikationen aus dem Sachbereich des Gutachtensauftrages. Sie indizieren Befähigung, nicht Befangenheit. Wurde das schriftliche Gutachten bereits abgegeben, bedarf es zur Beiziehung eines weiteren Sachverständigen wegen fehlender Sachkenntnis des Beauftragten eines an den Kriterien der §§ 125 f StPO ausgerichteten Antragsvorbringens. Denn auch der Untersuchungsrichter hätte sich daran auszurichten (§ 248 Abs 1 erster Satz StPO).