JudikaturJustiz13Os63/96

13Os63/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 8.Mai 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Ebner, Dr.Rouschal und Dr.Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag.Gottweis als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Günther W***** wegen des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall und Abs 2 StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 10.Juli 1995, AZ 9 Bs 213/95 (= GZ 9 E Vr 3078/94-22 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Weiß, des Privatbeteiligtenvertreters Dr.Helmut Saurugg, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten Günther W***** und seines Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 10. Juli 1995, AZ 9 Bs 213/95 (= GZ 9 E Vr 3078/94-22 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), verletzt § 166 Abs 1 und Abs 3 StGB.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.März 1995, GZ 9 E Vr 3078/94-16, wurde Günther W***** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster Fall und Abs 2 StGB schuldig erkannt. Danach hat er am 3.Juni 1994 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, die Vertragsbedienstete des Postamtes Schwanberg, Claudia R*****, dadurch, daß er sich für seinen Bruder Kurt W***** ausgab und den PSK-Anweisungsbeleg mit dem Namen seines Bruders ("W***** Kurti") unterfertigte, sohin durch Täuschung über Tatsachen unter Benützung einer falschen Urkunde, zu einer Handlung, nämlich zur Auszahlung eines Geldbetrages in der Höhe von 58.305,68 S verleitet, die die Post- und Telegraphendirektion für Steiermark an ihrem Vermögen um den genannten Betrag schädigte.

Hiezu stellte das Landesgericht für Strafsachen Graz im wesentlichen fest, daß der vorgenannte Geldbetrag von der AUVA dem Bruder des Angeklagten, Kurt W*****, aufgrund eines Unfalls zugesprochen und sodann an das Postamt Schwanberg, wo der in Wien beschäftigte Kurt W***** seine Heimatadresse hatte, überwiesen wurde. Den vom Briefträger an die Adresse der Familie W***** in Schwanberg zugestellten Abholschein betreffend die vorgenannte Geldüberweisung nahm jedoch der Angeklagte Günther W***** an sich. Am Postamt Schwanberg gab sich der Angeklagte sodann als sein Bruder aus. Die Identitätstäuschung gelang, weil der Briefträger den Angeklagten nur vom Sehen her kannte und daher der Schalterbediensteten Claudia R***** irrigerweise bestätigte, daß es sich bei dem (im Postamt anwesenden) Angeklagten tatsächlich um Kurt W***** handle. Der von AUVA überwiesene Geldbetrag von 58.305,68 S wurde daraufhin von dieser Schalterbediensteten an den Angeklagten ausbezahlt. Letzterer bestätigte die Auszahlung des Geldbetrages auf dem Postanweisungsbeleg durch Unterfertigung mit dem Namen seines Bruders "Kurti W*****" und nahm das Geld "in Bereicherungsabsicht" an sich.

Nachdem Kurt W***** die Auszahlung des ihm nicht zugekommenen Geldbetrages bei der AUVA urgiert hatte, wurden ihm nach entsprechenden Recherchen von der Post- und Telegraphenverwaltung 62.105,68 S (beinhaltend auch Zinsen und Kosten; s. ON 14 des Vr-Aktes) ausbezahlt, wodurch der Post- und Telegraphenverwaltung ein Schaden in dieser Höhe entstanden ist.

Aus Anlaß einer vom Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe hob das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 10.Juli 1995, AZ 9 Bs 213/95 (= GZ 9 E Vr 3078/94-22 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 9 lit c StPO gemäß § 477 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil zur Gänze auf und sprach den Angeklagten Günther W***** vom Anklagevorwurf "zufolge mangelnder Anklageberechtigung des öffentlichen Anklägers" gemäß § 259 Z 1 StPO frei.

Nach der - mit der Stellungnahme der Oberstaats- anwaltschaft Graz übereinstimmenden, vgl S 176 - Rechtsansicht des Berufungsgerichtes wurde der vorliegende (schwere) Betrug des Angeklagten (ausschließlich) zum Nachteil seines Bruders Kurt W***** und damit im Sinn des § 166 StGB im Familienkreis begangen, weshalb der Täter nur durch Privatanklage des durch die Tat verletzten Kurt W***** verfolgbar gewesen wäre. Seine Entscheidung stützte das Oberlandesgericht Graz auf folgende weitere rechtliche Erwägungen:

Bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise des vorliegenden Sachverhaltes sei davon auszugehen, daß die Vermögensschädigung aus dem Günther W***** angelasteten Betrug im Eigentum eines Angehörigen (= seines Bruders Kurt W*****) eingetreten sei. Durch die von Günther W***** vorgenommene Behebung des Kurt W***** zustehenden Geldbetrages habe nämlich letzterer (primär) eine echte Einbuße an wirtschaftlichem Wert erlitten, weil er (vorerst) für einen wirtschaftlich nicht ganz bedeutungslosen Zeitraum um die Verfügungsmacht bezüglich des in Rede stehenden Vermögensbestandteiles gebracht worden sei. Daß sich die Post- und Telegraphendirektion in der Folge zur Auszahlung des Kurt W***** zustehenden Betrages bereit fand, ändere nichts an der bereits eingetretenen Verwirklichung des Deliktes (gemeint offenbar: zum Nachteil des Kurt W*****).

Rechtliche Beurteilung

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz steht, wie der Generalprokurator in der gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

§ 166 StGB privilegiert in zweifacher Hinsicht den Täter bestimmter, in dieser Gesetzesstelle aufgezählter Vermögensdelikte, wie etwa eines Betruges: Zum einen werden die gesetzlichen Strafdrohungen erheblich herabgesetzt (Abs 1) und zum anderen ist der Täter nur auf Verlangen des Verletzten, sohin nur durch Privatanklage zu verfolgen (Abs 3). Voraussetzung der Privilegierung ist, daß die Straftat zum Nachteil eines (in dieser Gesetzesstelle genannten) nahen Angehörigen, zu denen auch der Bruder zählt, begangen worden ist.

Das Oberlandesgericht Graz ging im vorliegenden Fall bei Lösung der Frage, ob dem Angeklagten Günther W***** eine Privilegierung im Sinn des § 166 StGB zustatten kommt, wohl von dem von der Judikatur (vgl für viele SSt 58/17 = JBl 1987, 667) in Übereinstimmung mit der Lehre (vgl Leukauf-Steininger Komm3 RN 9-11, Kienapfel BT II3 RN 16-21, je zu § 166 StGB) entwickelten Rechtsgrundsatz aus, wonach ein Betrug im Sinn des § 166 Abs 1 StGB dann zum Nachteil eines der dort bezeichneten Angehörigen begangen worden ist, wenn entsprechend der dabei gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise der Betrugsschaden primär und unmittelbar im wirtschaftlichen Vermögen des nahen Angehörigen eingetreten ist, dh der Angehörige muß Rechtsgutträger und in dieser Eigenschaft betroffen sein. Das Oberlandesgericht Graz hat bei seiner Entscheidung diesen Rechtsgrundsatz aber insofern unrichtig angewendet, als es vorliegend bereits und allein die "mangelnde Disponierbarkeit über einen (dem Bruder des Angeklagten zustehenden) Vermögensbestandteil über einen nicht ganz bedeutungslosen Zeitraum" im Sinn obiger Ausführungen als Vermögenseinbuße angenommem hat. Dabei hat es die (teilweise) gegenteiligen Feststellungen des Erstgerichts übergangen und ersichtlich auch übersehen, daß (verspätet) an Kurt W***** ein ohnehin höherer Betrag (beinhaltend Kosten und Zinsen) von der Postverwaltung ausbezahlt wurde, der nicht Gegenstand des Schuldspruchs war.

Im vorliegenden Fall stand Kurt W***** eine Geldforderung gegen die AUVA "aufgrund eines erlittenen Unfalles" zu.

Die AUVA hat sich zur Überweisung der Geldzahlung der Postsparkasse bedient, die dafür gemäß § 278 der Postordnung und § 36 des Postgesetzes haftet. Es hat auch tatsächlich die Post- und Telegraphendirektion für Steiermark Kurt W***** den ihm gegenüber der AUVA zustehenden Geldbetrag (trotz vorangegangener Behebung durch seinen Bruder) Kurt W***** ausbezahlt. Der Betrug wurde daher zum Nachteil der Post- und Telegraphenverwaltung begangen, weshalb das Oberlandesgericht Graz zu Unrecht eine Privilegierung gemäß § 166 StGB und demzufolge unrichtig die Verfolgbarkeit des Straftäters nur durch Privatanklage angenommen hat, wobei auch ein etwaiger Irrtum des Angeklagten darüber in wessen Vermögen der Betrugsschaden eingetreten ist - abgesehen von der diesbezüglichen Unbeachtlichkeit (Leukauf-Steininger Komm3 § 166 RN 12 f) - nicht festgestellt wurde. Die Gesetzesverletzung geschah zum Vorteil des Angeklagten, weshalb es mit der diesbezüglichen Feststellung sein Bewenden hat.

Rechtssätze
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