JudikaturJustiz13Os37/22y

13Os37/22y – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Richteramtsanwärterin Mag. Fischer in der Strafsache gegen * M* und einen Angeklagten wegen Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten M* gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 25. Jänner 2022, GZ 24 Hv 111/21v 187, sowie die Beschwerde der genannten Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf bedingter Strafnachsicht nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Ramusch LL.M., LL.M., und des Verteidigers Mag. McElheney

I) zu Recht erkannt:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Verfallserkenntnis ersatzlos aufgehoben.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Der Angeklagten * M* fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

II) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

[1] Zum bisherigen Verfahrensgang, soweit er hier von Bedeutung ist:

[2] Im ersten Rechtsgang war die Angeklagte * M* mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 17. Juli 2020, GZ 39 Hv 128/19a 111, des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB (I 1 a und b) und des Vergehens des falschen Vermögensverzeichnisses nach § 292a StGB (I 2) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB und des § 43a Abs 2 StGB nach § 156 Abs 1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 4 Euro, für den Fall der Uneinbringlichkeit gemäß § 19 Abs 3 StGB zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen, und zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden. Gemäß § 43 Abs 1 StGB war die Freiheitsstrafe für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden.

[3] Zudem hatte das Schöffengericht hinsichtlich dieser Angeklagten den – nach den Feststellungen durch die Kridahandlungen zu I 1 b erlangten – Betrag von 91.700 Euro gemäß § 20 Abs 3 StGB für verfallen erklärt.

[4] Die Angeklagte * M* hatte gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel, die Staatsanwaltschaft hingegen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung – jeweils auch zum Nachteil der M* – erhoben.

[5] Mit Urteil vom 7. Juni 2021, AZ 13 Os 121/20y, 122/20w, hatte der Oberste Gerichtshof das vorgenannte Urteil im Schuldspruch der Angeklagten * M* wegen des Vergehens des falschen Vermögensverzeichnisses nach § 292a StGB (I 2), demzufolge im Strafausspruch dieser Angeklagten sowie den zugleich ergangenen Beschluss auf Widerruf einer der genannten Angeklagten gewährten bedingten Strafnachsicht aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

[6] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * M* im zweiten Rechtsgang unter formal verfehlter (RIS Justiz RS0100041 [insbesondere T7]; Lendl, WK StPO § 260 Rz 33) Wiederholung des bereits in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruchs wegen des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 Abs 1 StGB nach dieser Norm zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt, von der gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

[7] Überdies wurde hinsichtlich dieser Angeklagten (erneut) der Betrag von 91.700 Euro für verfallen erklärt. Diesbezüglich führte das Erstgericht in den Entscheidungsgründen aus: „Im rechtskr äftigen Urteil zu 39 Hv 128/19a 111 zu Pkt. I. 1. a) und b) wurde bereits der die Erstangeklagte treffende Verfall nach § 20 Abs 3 StGB in Höhe von EUR 91.700,-- ausgesprochen, dieser Ausspruch war ebenso wie der Spruch lediglich zur besseren Übersichtlichkeit neuerlich aufzunehmen.“ (US 16).

[8] Hingegen wurde M* gemäß § 259 Z 3 StPO vom Vorwurf freigesprochen, sie habe am 20. August 2018 in I* im Zuge des Exekutionsverfahrens AZ * des Bezirksgerichts Innsbruck vor dem Gerichtsvollzieher * ein falsches oder unvollständiges Vermögensverzeichnis, in welchem sie die Frage nach unentgeltlichen Verfügungen (Schenkungen) über Vermögenswerte an Dritte innerhalb der letzten zwei Jahre verneinte, unterzeichnet und dadurch die Befriedigung zumindest eines Gläubigers gefährdet.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Rechtliche Beurteilung

[9] Gegen den Strafausspruch richtet sich die Sanktionsrüge (Z 11) der Angeklagten M*.

[10] Sie behauptet unter Hinweis auf eine Kommentarmeinung ( Birklbauer , WK StPO § 16 Rz 17) eine Verletzung des Verschlechterungsverbots (§ 293 Abs 3 StPO iVm § 290 Abs 2 StPO), weil die zum Nachteil der Beschwerdeführerin erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft vom Obersten Gerichtshof im ersten Rechtsgang bereits in nichtöffentlicher Sitzung zurückgewiesen worden und daher die Verhängung einer strengeren Strafe im zweiten Rechtsgang unzulässig gewesen sei. Dabei verkennt sie schon im Ansatz, dass selbst die zitierte Literaturstelle für die Geltung des Verbots der reformatio in peius auf eine Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde mangels prozessförmiger Ausführung abstellt.

[11] Im Übrigen ist die Verhängung einer strengeren Strafe stets zulässig, wenn – wie hier – die rechtzeitige Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht lediglich zu Gunsten der Beschwerdeführerin ergriffen worden ist. Die prozessförmige Darstellung auch nur eines Nichtigkeitsgrundes (§ 285 Abs 1 zweiter Satz StPO, § 285a Z 2 StPO) ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 40; vgl auch Birklbauer in LiK § 290 Rz 31).

[12] Überdies hatte die dazu legitimierte Staatsanwaltschaft (§ 283 Abs 2 StPO) zum Nachteil der Angeklagten M* rechtzeitig Berufung erhoben, so dass das Verschlechterungsverbot bereits aus diesem Grund nicht zum Tragen kam (RIS Justiz RS0100559; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 290 Rz 8).

[13] Demgemäß verfehlt auch die weitere, unter der Prämisse der Geltung des Verschlechterungsverbots argumentierende Beschwerde ihr Ziel.

[14] Hinzugefügt sei, dass das Gericht bei Wegfall einer strafbaren Handlung – hier des Vergehens des falschen Vermögensverzeichnisses nach § 292a StGB (I 2) – aufgrund von § 290 Abs 2 StPO keineswegs zur Herabsetzung der Strafe verpflichtet ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 57; Birklbauer in LiK § 290 Rz 30; aA Birklbauer , WK StPO § 16 Rz 46 [mit Blick auf das Vorzitat offenbar überholt] und St. Seiler , Strafprozessrecht 18 Rz 1010).

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zur amtswegigen Maßnahme:

[16] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem angefochtenen Urteil im Verfallserkenntnis nicht geltend gemachte Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 11 StPO anhaftet, die – mangels Bekämpfung des Verfallsausspruchs mit Berufung (vgl RIS Justiz RS0130617 [T1, T3]) – von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[17] Indem das Erstgericht die Angeklagte M* im zweiten Rechtsgang trotz Rechtskraft des – auf die Genannte bezogenen (vgl 14 Os 27/22k) – Ausspruchs eines Wertersatzverfalls von 91.700 Euro erneut gemäß § 20 Abs 3 StGB zur Zahlung eines Geldbetrags von 91.700 Euro verpflichtete, hat es gegen den im 16. Hauptstück der StPO verankerten Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen verstoßen (res iudicata; RIS Justiz RS0101270; im gegebenen Zusammenhang Fuchs/Tipold , WK StPO § 443 Rz 5). Damit hat es die Grenzen der ihm zustehenden Strafbefugnis (Z 11 erster Fall) überschritten (vgl Lendl , WK StPO § 260 Rz 34 f). Daran ändern auch die Ausführungen in den Entscheidungsgründen, wonach der Wertersatzverfall eines Betrags von 91.700 Euro lediglich zur besseren Übersichtlichkeit (noch einmal) auszusprechen gewesen sei (US 16), nichts.

[18] Der Verfallsausspruch war daher ersatzlos zu beheben (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO iVm § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

Zur Berufung:

[19] Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht die Gutmachung von rund 5 % des Schadens als mildernd (§ 34 Abs 1 Z 14 StGB, vgl Ebner in WK 2 StGB § 34 Rz 33), als erschwerend hingegen die wiederholte Delinquenz (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die einschlägige Vorstrafenbelastung (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und den raschen Rückfall (vgl Ebner in WK 2 StGB § 33 Rz 11 und RIS Justiz RS0091041). Zudem nahm es Rücksicht (§ 32 Abs 2 zweiter Satz StGB) auf die Tatbegehung während anhängigen Strafverfahrens (RIS Justiz RS0091048 [insbesondere T6]) und innerhalb offener Probezeit (RIS Justiz RS0090597).

[20] Zutreffend zeigt die Berufung auf, dass die Erklärung der Berufungswerberin, wonach ihr „das Ganze sehr leid tut“ (ON 186 S 5), bei der Strafzumessung ebenfalls als mildernd zu berücksichtigen gewesen wäre (§ 34 Abs 1 Z 17 StGB, vgl Ebner in WK 2 StGB § 34 Rz 38).

[21] Nicht im Recht ist hingegen die den Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB (vgl RIS Justiz RS0132858) einfordernde Kritik, wonach das gegen M* geführte Verfahren aus einem nicht von ihr oder ihrem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert habe.

[22] Bei Beurteilung der (Un )Verhältnismäßigkeit der Verfahrensdauer ist auf den Zeitraum zwischen dem In Kenntnis Setzen des Beschuldigten von der Tatsache, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird, und rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens abzustellen (RIS Justiz RS0124901; Meyer Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig et al , EMRK 4 Art 6 Rz 196 f). Dabei ist nach der Judikatur des EGMR zu Art 6 MRK auf die Schwierigkeiten der Sache, das Verhalten des Beschwerdeführers und der Strafverfolgungsbehörden und die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer abzustellen (vgl Ebner in WK 2 StGB § 34 Rz 43; Meyer Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig et al , EMRK 4 Art 6 Rz 200).

[23] Zudem kann sich der Milderungsgrund – selbst bei insgesamt verhältnismäßig erscheinender Verfahrensdauer – auch aus längeren Phasen behördlicher Inaktivität ergeben (RIS Justiz RS0124901 [T3]; Meyer Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig et al , EMRK 4 Art 6 Rz 200 und 202).

[24] Die Dauer des – nach Einstellung des Strafverfahrens gegen einen Beschuldigten gemäß § 190 Z 2 StPO (ON 1 S 29) – gegen vier Angeklagte und gemäß § 15 Abs 1 VbVG gemeinsam mit einem Verfahren gegen einen belangten Verband geführten, acht Aktenbände umfassenden, rechtlich komplexen Verfahrens, beträgt derzeit – nach Überprüfung des nunmehr im zweiten Rechtsgang ergangenen erstgerichtlichen Urteils durch den Obersten Gerichtshof – etwa dreieinhalb Jahre.

[25] Ausgehend davon ist die Verfahrensdauer nach den dargelegten Kriterien angemessen im Sinn der Judikatur des EGMR (vgl Meyer Ladewig/Harrendorf/König in Meyer Ladewig et al , EMRK 4 Art 6 Rz 207).

[26] Soweit die Berufungswerberin releviert, das Landesgericht Innsbruck habe mit Beschluss vom 12. August 2019, AZ 31 HR 168/19d, (ON 52) eine Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots durch die Staatsanwaltschaft zufolge nicht zeitnaher Vorlage einiger – anlässlich der Durchsuchung am 28. Jänner 2019 sichergestellter sowie ausgewerteter – Dokumente an das genannte Gericht festgestellt (BS 10 und BS 67 ff), übergeht sie, dass schon im genannten Beschluss – ungeachtet der Anerkennung der Verletzung – eine wesentliche Verzögerung des Ermittlungsverfahrens zu Recht ausdrücklich verneint wurde, weil die Staatsanwaltschaft (auch während der Zeit der Nicht Vorlage der Dokumente) laufend Ermittlungsschritte gesetzt hatte (BS 69). Eine längere Phase behördlicher Inaktivität liegt daher insoweit nicht vor.

[27] Ebenso wenig haben die Strafverfolgungsbehörden das Verfahren – unter Bedachtnahme auf dessen Umfang und Komplexität – durch die von der Berufungswerberin weiters bezeichneten Verfahrensschritte, nämlich die Fällung

des erstinstanzlichen Urteils am 17. Juli 2020 (ON 111) rund acht Monate nach Einbringung der Anklageschrift am 8. November 2019 (ON 72) in Folge (einmaliger) Verlegung der ursprünglich für den 27. März 2020 anberaumten Hauptverhandlung und

des nunmehr angefochtenen Urteils am 25. Jänner 2022 rund sieben Monate nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs am 7. Juni 2021 und zwischenzeitigem Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck vom 21. September 2021, AZ 11 Bs 166/21f, (ON 166) betreffend die Berufungen zweier Mitangeklagter,

nicht zügig betrieben.

[28] Zu dem im Gerichtstag vorgetragenen Einwand, die aggravierende Wertung der Delinquenz innerhalb offener Probezeit bei gleichzeitigem Widerruf der diesbezüglichen bedingten Strafnachsicht verstoße gegen das Doppelverwertungsverbot des § 32 Abs 2 erster Satz StGB, genügt der Hinweis auf die – diese Sicht ausdrücklich ablehnende – ständige Judikatur des Obersten Gerichtshofs (RIS Justiz RS0111324; jüngst 14 Os 1/21k, EvBl 2021/107, 746).

[29] Auch unter Berücksichtigung des korrigierten Strafzumessungskatalogs erweist sich – auf der Grundlage der Schuld (§ 32 Abs 1 StGB) der Angeklagten – das vom Schöffengericht gefundene Strafmaß als keiner Reduktion zugänglich.

[30] Die angestrebte gänzlich bedingte Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) scheitert mit Blick auf die einschlägige Vorstrafenbelastung der Berufungswerberin aus spezialpräventiven Erwägungen.

[31] Der Berufung war somit insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Zur Beschwerde:

[32] Ihr zuwider gebietet der überaus rasche, spezifisch einschlägige und durch eine Vielzahl von Tathandlungen geprägte Rückfall innerhalb offener Probezeit zusätzlich zur nunmehrigen Sanktion auch den Widerruf des mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck zu AZ 37 Hv 51/17k bedingt nachgesehenen Strafteils, um die Angeklagte von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs 1 StGB).

[33] Solcherart war auch der Beschwerde nicht Folge zu geben.

[34] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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