JudikaturJustiz13Os160/08s

13Os160/08s – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. November 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. November 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gebert als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerald T***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB, AZ 16 Hv 98/08x des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 25. September 2008, AZ 11 Bs 406/08a (= ON 26 des Hv Aktes), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Gerald T***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt.

Der angefochtene Beschluss wird nicht aufgehoben.

Gemäß § 8 GRBG wird dem Bund der Ersatz der Beschwerdekosten von 800 Euro zuzüglich der darauf entfallenden Umsatzsteuer auferlegt.

Text

Gründe:

Gerald T***** wurde am 29. Juni 2008 nach einer Anzeige seiner Lebensgefährtin Viktoria M***** (S 9 ff) wegen des Verdachts eines als Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB strafbaren Verhaltens aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 4 StPO festgenommen (ON 3, 4).

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft verhängte das Landesgericht für Strafsachen Graz im Ermittlungsverfahren am 1. Juli 2008 aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO die Untersuchungshaft über den Beschuldigten (ON 6). Dieser Beschluss blieb unbekämpft.

Nach einer kontradiktorischen Vernehmung der Zeugin Viktoria M***** am 8. Juli 2008 (ON 12) fand am 15. Juli 2008 eine Haftverhandlung statt, bei welcher der Richter im Ermittlungsverfahren die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus demselben Haftgrund beschloss (ON 14, 15). Auch dagegen wurde keine Beschwerde erhoben.

Nach Einbringen der Anklageschrift, in der, wie anzumerken bleibt, zwei gesonderte Vorfälle als nur ein Verbrechen der Vergewaltigung inkriminiert wurden (ON 16), stellte der Angeklagte einen Beweisantrag (ON 19) und mit am 3. September 2008 eingelangtem Schriftsatz auch einen Enthaftungsantrag (ON 21), wobei er jeweils das ihm vorgeworfene Verhalten bestritt und - zusammengefasst - vorbrachte, er sei einem „Racheakt" der Viktoria M***** zum Opfer gefallen. Weil die Hauptverhandlung erst für den 31. Oktober 2008 festgesetzt worden sei, bedürfe es einer vorgezogenen Prüfung der Verdachtslage.

In der daraufhin am 16. September 2008 durchgeführten Haftverhandlung beschloss der Vorsitzende die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem schon genannten Haftgrund (ON 23).

Der dagegen erhobenen Haftbeschwerde, in der neben der Bestreitung des Vorliegens eines dringenden Tatverdachts und eines Haftgrundes auch eine Verletzung des Beschleunigungsgebots geltend gemacht wurde (§ 9 Abs 2 StPO), gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge (ON 26) und ordnete - einen anklagekonformen dringenden Tatverdacht und den Haftgrund nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO bejahend - die Fortsetzung der Untersuchungshaft an. Auf die reklamierte Verletzung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen ging das Beschwerdegericht in seiner Entscheidung nicht ein.

Rechtliche Beurteilung

Die Grundrechtsbeschwerde zeigt zutreffend auf, dass Gerald T***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Zwar verfehlt der Angeklagte die in Betreff der Sachverhaltsgrundlage des dringenden Tatverdachts gebotene Bezugnahme auf die Argumentation des Oberlandesgerichts; auf die Darlegung von Begründungsmängeln oder von erheblichen Bedenken hinsichtlich der Tatsachengrundlage im angefochtenen Beschluss gerichtete Einwände (§ 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO iVm § 10 GRBG) lässt die weitgehend nur das Vorbringen in Enthaftungsantrag und Haftbeschwerde wiederholende Grundrechtsbeschwerde vermissen (vgl aber zB RIS Justiz RS01101406: Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden).

In Ansehung des Haftgrundes überprüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS Justiz RS0117806). Davon kann im gegebenen Fall bei den vom Oberlandesgericht aktenkonform auch unter Berücksichtigung von Divergenzen in den Aussagen der Zeugin angestellten Erwägungen keine Rede sein (BS 4 f).

In seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit wurde der Angeklagte jedoch vom Oberlandesgericht Graz dadurch verletzt, dass es die gravierende Säumnis im Hauptverfahren schlichtweg ignorierte:

Die Hauptverhandlung wurde vom Vorsitzenden, ohne dass eine besondere Schwierigkeit oder ein besonderer Umfang der Strafsache gegeben wäre, am 12. August 2008 erst für den 31. Oktober 2008 anberaumt (ON 1 S 9), was dem in Haftsachen geltenden besonderen Beschleunigungsgebot (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) krass widerstreitet. Allfällige Organisationsmängel im Bereich des Erstgerichts vermögen daran nichts zu ändern (15 Os 24/07d, EvBl 2007/112, 611 = JBl 2007, 606 mwN; Kirchbacher/Rami , WK StPO Vor §§ 173–197 Rz 29).

Diese ins Gewicht fallende Säumnis des Erstgerichts, die vom Angeklagten in der Haftbeschwerde ausdrücklich beanstandet worden war, blieb in der Beschwerdeentscheidung unbeachtet. Indem es das Oberlandesgericht unterließ, die Grundrechtsverletzung anzuerkennen und durch einen Auftrag an das Landesgericht für Strafsachen Graz, die Hauptverhandlung ehest durchzuführen, Abhilfe zu schaffen (vgl 14 Os 65/08b, EvBl 2008/137, 686 sowie RIS Justiz RS0120790 [T16]), verletzte es den Angeklagten seinerseits im Grundrecht auf persönliche Freiheit.

Es war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur in Stattgebung der Grundrechtsbeschwerde - jedoch ohne Aufhebung des angefochtenen Beschlusses (vgl RIS Justiz RS0120790 [T13]) - auszusprechen, dass Gerald T***** im Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt wurde.

Rechtssätze
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