JudikaturJustiz13Os146/15t

13Os146/15t – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. März 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Naip R***** wegen Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach §§ 107b Abs 1, 3 Z 1 erster Fall und 4 vierter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. August 2015, GZ 42 Hv 46/14m 94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Naip R***** des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (A/I), (richtig) mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3 Z 1 erster Fall und 4 vierter Fall StGB (A/II) sowie des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

(A) vom 1. Juni 2009 bis zum 15. November 2013 gegen andere Personen längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem er ihnen nahezu täglich Schläge und Tritte versetzte, und zwar gegen

I) Gjilsen R*****, die er überdies wiederholt mit dem Tod bedrohte, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen (US 5 iVm US 18 f), sowie

II) unmündige Personen, nämlich die am 25. August 2004 geborene Anjeza R***** und den am 19. August 2007 geborenen Ermal R*****, wobei er die Gewalt länger als ein Jahr ausübte, weiters

(B) am 22. November 2013 Gjilsen R***** durch die Äußerung, er werde sie „umbringen“, und solcherart durch Drohung mit zumindest einer Verletzung am Körper (US 6) zu nötigen versucht, von der angestrebten Ehescheidung Abstand zu nehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 1, 3, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Entgegen der Besetzungsrüge (Z 1) bewirkt der Umstand, dass die Vorsitzende des Schöffengerichts vor Einbringung der Anklageschrift (ON 50) die Hauptverhandlung über einen sachverhaltsidenten Strafantrag (ON 13) durchgeführt hat, nicht ihre Ausgeschlossenheit (§ 43 StPO).

Die Staatsanwaltschaft hat die Anklageschrift im Austausch gegen den Strafantrag eingebracht (ON 1 S 21; zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise siehe RIS Justiz RS0098099 sowie Danek/Mann , WK StPO § 227 Rz 5 f). Zu einer urteilsmäßigen Erledigung des Strafantrags, insbesondere einem diesbezüglichen Unzuständigkeitsurteil, kam es daher nicht. Da die Vorsitzende nach der Aktenlage auch nicht als Richterin des Ermittlungsverfahrens tätig geworden ist, scheidet Ausgeschlossenheit aus dem Grund des § 43 Abs 2 StPO hier aus.

Der bloße Umstand, dass die Vorsitzende an einer Hauptverhandlung teilgenommen hat, führt keineswegs zu ihrer Ausschließung von der sodann (in der selben Sache) neu durchgeführten Hauptverhandlung (vgl RIS Justiz RS0097402 sowie Lässig , WK StPO § 43 Rz 22).

Welche Relevanz der Auflistung mehrerer Prozesshandlungen der Vorsitzenden unter dem Aspekt möglicher Ausgeschlossenheit zukommen soll, wird nicht klar. Sollte damit der Ausschließungsgrund des § 43 Abs 1 Z 3 StPO angesprochen werden, sei darauf hingewiesen, dass die gesetzeskonforme Erfüllung von Dienstpflichten auch dann, wenn sie dem Prozessstandpunkt des Beschwerdeführers zuwiderläuft per se nicht geeignet ist, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit des handelnden Richters in Zweifel zu setzen (vgl Lässig , WK StPO § 43 Rz 12 und 21, jeweils mwN).

Soweit sich die Verfahrensrüge (Z 3) auf den Vortrag des Gutachtens der Sachverständigen Mag. G***** in der am 8. April 2015 durchgeführten Hauptverhandlung (ON 67) bezieht, ist sie einer meritorischen Erledigung nicht zugänglich, weil die Hauptverhandlung in der Folge gemäß § 276a zweiter Satz StPO wiederholt worden ist (ON 81 S 7).

Mit dem Einwand, der Beschwerdeführer sei bei der kontradiktorischen Vernehmung (§ 165 StPO) der Zeugen Anjeza R***** und Ermal R***** im Ermittlungsverfahren (zwar persönlich anwesend, aber) nicht durch einen Verteidiger vertreten gewesen, wird die Verletzung oder Missachtung einer Bestimmung, deren Einhaltung in der Hauptverhandlung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit anordnet (Z 3), nicht behauptet.

Unter dem Aspekt der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO sei vorangestellt, dass die Formalvoraussetzungen dieses Nichtigkeitsgrundes insoweit gegeben sind, als sich der Beschwerdeführer gegen die Vorführung der Ton und Bildaufnahme der kontradiktorischen Vernehmungen (ON 12) aussprach (ON 93 S 10).

Inhaltlich wird aber diesbezüglich keine Verletzung von Verteidigungsrechten aufgezeigt. Nach der Aktenlage (ON 1 S 7) und dem korrespondierenden Auszug aus dem VJ Register übernahm der Beschwerdeführer die unter Verwendung des Formulars „LAD 55“ ausgefertigte Ladung zu der angesprochenen, am 22. April 2014 durchgeführten Beweistagsatzung am 10. April 2014. Damit wurde er (mit Blick auf den hier in der Hauptverhandlung bestehenden Verteidigerzwang) nach ständiger Judikatur rechtzeitig, ausdrücklich und in einer für ihn verständlichen Weise auf den Wert, den ein zu diesem Termin beigezogener geschulter Rechtsbeistand darstellt, und das Recht, die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers zu verlangen, hingewiesen (15 Os 131/14z, EvBl 2015/70, 475; RIS Justiz RS0125706 [T5]).

Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) wurden die Anträge auf Vernehmung des Dr. S***** zum Beweis dafür, dass „bei der Untersuchung bei Dr. S*****, durch einen Kinderpsychiater, keinerlei Spuren trotz Verdachtes auf Misshandlung vorlag“ (ON 93 S 5), und des Nasuf L***** zum Nachweis dafür, dass „am 22. 11. 2013 Gjilsen R***** zunächst den Nasuf L***** anrief und diesen ersuchte, ihrem Mann auszurichten, er möge sie zurückrufen und der Angeklagte erst aufgrund dieser Mitteilung die Gjilsen R***** angerufen hat“ (ON 81 S 25), zu Recht abgewiesen (ON 93 S 9 und ON 81 S 27), weil diese Beweisanträge keinen Konnex zu schuld oder subsumtionsrelevanten Umständen erkennen ließen (§ 55 Abs 2 Z 1 und 2 StPO).

Das die Anträge ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Die Mängelrüge (Z 5) nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe und verfehlt solcherart die prozessordnungskonforme Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes (11 Os 53/07i, SSt 2007/68; RIS Justiz RS0119370).

Die gebotene Gesamtbetrachtung der insoweit angesprochenen Urteilspassage (US 10) zeigt nämlich, dass das Erstgericht aktenkonfom (ON 93 S 10 iVm ON 71 S 7) davon ausging, dass die Zeugin Gertrude Sc***** aufgrund fehlender nachbarschaftlicher Kontakte keine Wahrnehmungen zu allfälligen Verletzungen der Opfer hatte, die Urteilsaussage, wonach die Genannte „daher auch kleine Verletzungen“ wahrnehmen konnte, somit keine Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) darstellt, sondern auf einem bloßen Schreibfehler beruht.

Die Tatsachenrüge (Z 5a) erschöpft sich darin, aus den vom Erstgericht umfassend (Z 5 zweiter Fall), den Gesetzen logischen Denkens ebenso wie grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechend (Z 5 vierter Fall) erörterten Verfahrensergebnissen (US 7 bis 18) anhand eigener Beweiswerterwägungen für den Beschwerdeführer günstige Schlüsse abzuleiten, und wendet sich damit nach Art einer im schöffengerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Schuldberufung in unzulässiger Weise gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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