JudikaturJustiz12Os98/16b

12Os98/16b – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. September 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. T. Solé, Dr. Oshidari, Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Milovan N***** wegen des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 24. Juni 2015, GZ 216 U 137/14y 20, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Koenig zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 24. Juni 2015, GZ 216 U 137/14y 20, verletzt § 57 Abs 2 StGB.

Dieses Urteil wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Milovan N***** wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 21. Juni 2013 in G***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Andreas W***** durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Käufer zu sein, somit durch Täuschung über Tatsachen, zum Verkauf eines Motorrads der Marke Honda Goldwing zum Preis von 3.000 Euro sowie eines Motorradhelms zum Preis von 70 Euro, also zu einer Handlung verleitet, die Andreas W***** durch Nichtbezahlung des restlichen Kaufpreises von 1.470 Euro am Vermögen schädigte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Der Privatbeteiligte Andreas W***** wird mit seinen Ansprüchen

auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Text

Gründe:

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 24. Juni 2015, GZ 216 U 137/14y 20, wurde Milovan N***** des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je fünf Euro, im Nichteinbringungsfall zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat Milovan N***** am 21. Juni 2013 in G***** mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten des Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Andreas W***** durch die Vorgabe, ein zahlungsfähiger und zahlungswilliger Käufer zu sein, somit durch Täuschung über Tatsachen, zum Verkauf eines Motorrads der Marke Honda Goldwing zum Preis von 3.000 Euro sowie eines Motorradhelms zum Preis von 70 Euro, also zu einer Handlung verleitet, die Andreas W***** durch Nichtbezahlung des restlichen Kaufpreises von 1.470 Euro am Vermögen schädigte.

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzt das Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 24. Juni 2015, GZ 216 U 137/14y 20, das Gesetz in § 57 Abs 2 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Das Vergehen des Betrugs nach § 146 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen bedroht.

Nach § 57 Abs 2 erster Satz StGB erlischt die Strafbarkeit anderer als der in Abs 1 leg cit angeführten Taten durch Verjährung. Wenn die Handlung mit mehr als sechsmonatiger, aber höchstens einjähriger Freiheitsstrafe oder nur mit Geldstrafe bedroht ist, beträgt die Verjährungsfrist nach § 57 Abs 3 StGB ein Jahr. Sie beginnt mit Beendigung des deliktischen Verhaltens.

Da auch keine Hinweise dafür vorliegen, dass die betrügerisch herausgelockten Gegenstände bei anzunehmendem Bereicherungsvorsatz nicht unmittelbar nach Vertragsabschluss (am 21. Juni 2013) noch im Juni 2013 an Milovan N***** ausgefolgt wurden (vgl ON 2 S 2, 5, 9; ON 3 S 13, 17), der Vermögensschaden daher – ungeachtet der Bezahlung einzelner Raten durch den Verurteilten – ebenfalls noch in diesem Monat eingetreten ist (vgl § 58 Abs 2 StGB; Kienapfel/Schmoller StudB BT II § 146 Rz 248), lief die Verjährungsfrist jedenfalls im Juni 2014 ab und trat im Folgenden Verjährung ein. Die erstmalige Vernehmung des Milovan N***** als Beschuldigter (vgl § 58 Abs 3 Z 2 StGB) erfolgte erst am 13. August 2014 (ON 3 S 11).

Diese Gesetzesverletzung gereicht dem Verurteilten unzweifelhaft zum Nachteil, sodass sich der Oberste Gerichtshof veranlasst sah, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Weil die Frage der Verjährung kein prozessuales Verfolgungshindernis betrifft, sondern einen materiellen Strafaufhebungsgrund ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 619 ff; Marek in WK 2 StGB Vorbem §§ 57–60 Rz 1), scheidet eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Sache selbst bei nicht ausreichender Feststellungsbasis an sich aus. Da die Ergänzung aktuell fehlender Feststellungen (hier zu sonstigen fristverlängernden Umständen im Sinne des § 58 StGB) nach der Aktenlage auch in einem weiteren Rechtsgang nicht zu erwarten ist, war aus prozessökonomischen Erwägungen von einer Verweisung an die erste Instanz abzusehen und in der Sache selbst zu entscheiden ( Ratz , WK StPO § 288 Rz 24; Marek in WK 2 StGB § 57 Rz 19). Demzufolge war der Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 1 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen.

Einer Aufhebung der vom Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 24. Juni 2015 rechtslogisch abhängigen Entscheidungen, insbesondere des Kostenbestimmungsbeschlusses vom 14. Oktober 2015 (ON 24), bedurfte es nicht (RIS Justiz RS0100444).

Der Zulässigkeit der Durchbrechung der Rechtskraft steht auch die im Sinne des Art 1 des 1. ZPEMRK geschützte Position der Privatbeteiligten nicht entgegen, weil bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) im Strafverfahren stets der Schutz des Angeklagten prävaliert (RIS Justiz RS0124740 [insbesondere T3]; Ratz , WK StPO § 362 Rz 3).

Rechtssätze
2
  • RS0124740OGH Rechtssatz

    11. März 2024·3 Entscheidungen

    Die Erneuerungsmöglichkeit (auch ohne vorangegangene EGMR-Entscheidung) bedeutet keine unzulässige Beschränkung des aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art 6 Abs 1 MRK) iVm der Präambel der Konvention abgeleiteten Anspruchs auf Rechtssicherheit, maW auf Respektierung der - nach Maßgabe nur des innerstaatlichen Rechtsschutzsystems zu beurteilenden - Rechtskraft von Entscheidungen durch den Staat selbst. In Strafsachen ist die Aufhebung eines grundrechtswidrigen Schuldspruchs des untergeordneten Strafgerichts zum Vorteil des Angeklagten stets möglich. Wurde hingegen über zivilrechtliche Ansprüche im Strafverfahren entschieden, ist die Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft grundsätzlich auch unter dem Aspekt einer iSd Art 1 des 1. ZPMRK geschützten Position zu prüfen: Bei untrennbar mit einem Schuldspruch (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) verbundenen Zusprüchen (§ 366 Abs 2 StPO) prävaliert im Strafverfahren der Schutz des Angeklagten; für den Privatbeteiligten allenfalls nachteilige Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung wären als Schadenersatzansprüche im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen. Wird hingegen ausnahmsweise im Strafverfahren über - vertragsautonom iSd Art 6 MRK betrachtet - zivilrechtliche, nicht akzessorische Ansprüche entschieden (§§ 6 ff, 9 f MedienG), ist die Entscheidung in der Sache, also auch die Aufhebung der Entscheidung des untergeordneten Strafgerichts jedenfalls dann möglich, wenn der Antragsgegner (als zuvor am Verfahren Beteiligter) einen Erneuerungsantrag unter den oben dargestellten strikten Voraussetzungen gestellt hat, gleichviel, ob die Aufhebung in Stattgebung dieses Antrags oder einer aus dessen Anlass erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erfolgt. Lediglich bei einer nicht von einem Antrag nach § 363a StPO begleiteten Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (oder einem Antrag gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO) kann von dem Ermessen iSd § 292 letzter Satz StPO nicht Gebrauch gemacht werden, während die Feststellung der zum Nachteil eines Verfahrensbeteiligten sich auswirkenden Gesetzes-(Konventions-)verletzung stets (auch zugunsten des Privatanklägers bzw Antragstellers im vorangegangenen Verfahren) möglich ist, weil durch sie die geschützte Rechtsposition eines anderen Verfahrensbeteiligten - iS etwa eines Verstoßes gegen das Verbot der reformatio in peius - nicht tangiert wird. Diese höchstgerichtliche Feststellung einer Gesetzesverletzung hat im Übrigen Bindungswirkung in einem allfälligen Amtshaftungsverfahren und ist solcherart geeignet, die Opfereigenschaft iSd Art 34 MRK zu beseitigen.