JudikaturJustiz12Os46/03

12Os46/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juli 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Habl, Dr. Zehetner, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas Walter M***** wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB und einer weiteren Straftat über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil und den Beschluss (§ 494a StPO) des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 23. August 2001, GZ 2 U 20/01y-9, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren zu AZ 2 U 20/01y des Bezirksgerichtes Mattighofen ist das Gesetz verletzt

1./ durch das Urteil vom 23. August 2001 (ON 9 und 18), soweit unter Bedachtnahme auf das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 21. September 2000, GZ 4 U 135/00y-6, die Geldstrafe als Zusatzstrafe verhängt wurde, in der Bestimmung des § 31 StGB;

2./ durch die Vorgänge, dass

a./ vor Fassung des Beschlusses vom 23. August 2001 (ON 9 und 18 iVm ON 23), womit die Andreas Walter M***** mit dem Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 14. Oktober 1999, GZ 4 U 435/99m-6, gewährte bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe von vier Monaten widerrufen wurde, die Anhörung des Genannten unterblieb, in der Bestimmung des § 494a Abs 3 StPO;

b./ Andreas Walter M***** keine Rechtsmittelbelehrung hinsichtlich der unter Punkt 2./a/ bezeichneten Widerrufsentscheidung erteilt wurde, in den Bestimmungen der §§ 3, 498 Abs 2 StPO. Der bezeichnete Beschluss des Bezirksgerichtes Mattighofen sowie die darauf beruhenden Verfügungen werden aufgehoben. Der diesbezügliche Widerrufsantrag des Bezirksanwalts wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem (zunächst nur in gekürzter Form gemäß § 458 Abs 3 StPO verfassten und in der Folge vollständig ausgefertigten) rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichtes Mattighofen vom 23. August 2001, GZ 2 U 20/01y-9 (siehe ferner ON 18 und den Berichtigungsbeschluss ON 23), wurde Andreas (Walter) M***** des (am 21. August 2000 verübten) Vergehens des Betruges nach § 146 StGB (1./) sowie des (am 30. September 2000 begangenen) Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB (2./) schuldig erkannt und - unter Bedachtnahme gemäß § 31 StGB auf das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 21. September 2000, GZ 4 U 135/00y-6 - zu einer (Zusatz )Geldstrafe verurteilt.

Außerdem widerrief das Bezirksgericht Mattighofen mit einem gleichfalls in der Hauptverhandlung verkündeten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO die Andreas M***** mit Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 14. Oktober 1999, GZ 4 U 435/99m-6, gewährte bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Dabei hat es das Bezirksgericht Mattighofen unterlassen, den Genannten zuvor zum Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers zu hören und ihm anschließend eine gesonderte Rechtsmittelbelehrung zu dieser Widerrufsentscheidung zu erteilen (S 1d und 139). Als Andreas M*****, der in der Hauptverhandlung aufgrund der lediglich auf das Urteil bezogenen Rechtsbelehrung "keine Erklärung" abgegeben (S 123) und dieses unbekämpft gelassen hatte, infolge der Zustellung einer versehentlich mit dem 14. September 2001 datierten Ausfertigung des Widerrufsbeschlusses (ON 13) dagegen erst am 29. Oktober 2001 Beschwerde erhob, wurde dieses Rechtsmittel mit Beschluss des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom 30. Jänner 2002, AZ 10 Bl 6/02 (ON 22 des U-Aktes), als verspätet zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Das Vorgehen des Bezirksgerichtes Mattighofen steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz in mehrfacher Hinsicht nicht im Einklang.

Gemäß § 31 StGB ist über einen Täter, der bereits zu einer Strafe verurteilt worden ist und in der Folge wegen weiterer Straftaten schuldig erkannt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in dem früheren Verfahren hätten abgeurteilt werden können, eine Zusatzstrafe zu verhängen, soweit nach Auffassung des Gerichtes nicht die Voraussetzungen für ein Absehen von einer solchen Sanktion nach § 40 StGB vorliegen. Bedingung für die Anwendbarkeit des § 31 StGB ist demnach, dass alle im neuen Urteil zur Aburteilung gelangenden Straftaten vor Fällung des früheren Urteils, auf das nunmehr Bedacht genommen werden soll, begangen worden sind. Diese Voraussetzung trifft im konkreten Fall jedoch nicht zu, weil das vom Bezirksgericht Mattighofen abgeurteilte Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB - wie erwähnt - am 30. September 2000, somit erst nach dem Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 21. September 2000 begangen worden war und deshalb eine gemeinsame Aburteilung der Taten durch dieses Gericht nicht möglich gewesen wäre (§ 56 StPO). Da diese Gesetzesverletzung dem Verurteilten nicht zum Nachteil gereicht, muss es mit ihrer Feststellung sein Bewenden haben.

Nach der ausdrücklichen Anordnung des § 494a Abs 3 StPO hat das Gericht im Widerrufsverfahren (von einem hier nicht aktuellen Ausnahmefall abgesehen) vor seiner Entscheidung zur Gewährleistung einer ausgewogenen Entscheidung auch den Angeklagten zu hören. Ferner ist das Gericht verpflichtet, den - im vorliegenden Fall noch dazu anwaltlich nicht vertretenen - Beschuldigten über die ihm zustehenden Rechtsmittel zu belehren (§ 3 StPO). Das Bezirksgericht Mattighofen ist jedoch weder dieser Anhörungsobliegenheit noch seiner Belehrungspflicht in Ansehung des gegen den Widerrufsbeschluss zustehenden Rechtsmittels nachgekommen. Letzteres kann dazu geführt haben, dass Andreas M***** in Unkenntnis der vom Gesetz vorgesehenen Voraussetzung für eine Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss (§ 498 Abs 2 StPO) sein diesbezügliches Rechtsmittel nicht rechtzeitig angemeldet, sondern verspätet eingebracht hat.

Da die aufgezeigten, den Verurteilten allenfalls benachteiligenden Verstöße ausschließlich den Widerrufsbeschluss betreffen, kann fallbezogen mit dessen Aufhebung ohne weiteren Eingriff in den Sanktionsausspruch das Auslangen gefunden werden (§ 292 letzter Satz StPO):

Inzwischen ist nämlich nach Aktenlage und Strafregister, das auch keinen Hinweis auf Einrechnungsausschlüsse (§ 49 StGB) gibt, die Widerrufsfrist verstrichen. Ein Widerruf kann aber nach § 56 StGB nur in der Probezeit, wegen während dieser Zeit begangener strafbarer Handlungen (wie hier) jedoch auch innerhalb von sechs Monaten nach deren Ablauf oder nach Beendigung eines bei Ablauf der Probezeit gegen den Rechtsbrecher anhängigen Strafverfahrens getroffen werden. Da das Urteil des Bezirksgerichtes Vöcklabruck vom 14. Oktober 1999, GZ 4 U 435/99m-6, am 19. Oktober 1999 in Rechtskraft erwuchs (S 1b dieses U-Aktes) und die dreijährige Probezeit demnach mit dem 19. Oktober 2002 endete, das Verfahren zu 1 U 20/01y des Bezirksgerichtes Mattighofen aber bereits mit dem 28. August 2001 rechtskräftig beendet war (S 89 dieses Aktes), ist ein Widerruf nicht mehr zulässig, weshalb sich ein Auftrag zur Verfahrenserneuerung erübrigt (15 Os 49/89).