JudikaturJustiz12Os16/81

12Os16/81 – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Mai 1981

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Breycha und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Keller, Dr. Kral, Dr. Steininger und Dr. Lachner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Garai als Schriftführer in der Strafsache gegen Mahmoud Kha***** wegen des Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG und anderer strafbarer Handlungen sowie über den Ausspruch des Verfalls im selbstständigen Verfahren gemäß § 18 lit b FinStrG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 17. Oktober 1980, GZ 6c Vr 6455/75-46, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft erhob am 22. Mai 1975 gegen den am 21. Jänner 1931 geborenen iranischen Staatsangehörigen Mahmoud Kha***** - einen in Wien wohnhaften Teppichhändler - Anklage wegen A) des Finanzvergehens der gewerbsmäßigen Hinterziehung von Eingangsabgaben nach §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG, B) des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB und C) des Vergehens nach § 17 Abs 1 Z 4, Abs 2 AußenhandelsG (ON 24/II).

Dem Angeklagten wurde damit unter Punkt A) zur Last gelegt, dass er in der Zeit vom 23. Februar 1971 bis 22. Mai 1975 in Wien beim Import handgeknüpfter Teppiche diese gegenüber dem Zollamt Wien unter Vorlage falscher (sh EvBl 1978/187), von ihm selbst verfertigter Lieferantenfakturen (: Anklagepunkt B)), wertmäßig unrichtig deklariert und dadurch vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Offenlegungs- und Wahrheitspflicht eine Verkürzung von Eingangsabgaben bewirkt habe (verkürzte Eingangsabgaben [strafbestimmender Wertbetrag]: S 205.778,--), wobei es ihm darauf angekommen sei, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.

Dem Anklagepunkt C) liegt zugrunde, dass der Angeklagte vorsätzlich durch unrichtige Angaben eine nach dem Außenhandelsgesetz 1968 erforderliche, die Einfuhr von Waren im Werte von über S 100.000,-- betreffende Bewilligung, nämlich die mit Bescheid des Bundesministeriums für Handel, Gewerbe und Industrie vom 18. Juni 1971, Nr 225111/00250, erteilte Einfuhrbewilligung dadurch erschlichen habe, dass er im Antrag vom 14. Juni 1971 auf Erteilung einer Einfuhrbewilligung als Gegenstand der Einfuhr handgeknüpfte Teppiche des iranischen Verkäufers Mahoud Kha***** erklärte, wogegen die eingeführten Waren in Wahrheit von der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Firma Kho*****, Hamburg, als Verkäuferin stammten.

Außerdem beantragte die Staatsanwaltschaft, gemäß §§ 35 Abs 4, 17 Abs 1, Abs 2 lit a FinStrG auf den Verfall von insgesamt 250 Teppichen, hinsichtlich derer das zu Punkt A) bezeichnete Finanzvergehen begangen worden sei, zu erkennen.

Über diese Anklage verhandelte ein Schöffensenat des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zunächst am 19., 20., und 23. Mai 1980 (ON 30, 31 und 34) und, nach Vertagung, am 25. September 1980 (ON 41) in Anwesenheit des Angeklagten und seines Verteidigers. Die Hauptverhandlung vom 25. September 1980 wurde auf den 3. Oktober 1980 vertagt, doch wurde dieser Termin abgesetzt. Die neue Hauptverhandlung wurde sodann für den 17. Oktober 1980 anberaumt. Hievon wurde der Verteidiger des Angeklagten, "auch für diesen", lediglich telefonisch unterrichtet (sh Bd II S 198 d A und Urteil, Bd II S 269 d A).

Am 7. Oktober 1980 langte beim Landesgericht für Strafsachen Wien ein Beweisantrag des Angeklagten ein, in welchem dieser mit Bezugnahme auf den für den 17. Oktober 1980 in Aussicht genommenen neuen Hauptverhandlungstermin mitteilt, dass er beabsichtige, den von ihm seinerzeit (sh Bd II S 151/153 d A) beantragten, im Iran aufhältigen Zeugen Hussein M***** stellig zu machen, deshalb selbst nach Teheran fliegen und den Zeugen zur Hauptverhandlung vom 17. Oktober 1980 nach Wien bringen wolle, hiefür aber eine gerichtliche Bestätigung benötige, aus welcher hervorgehe, dass Hussein M***** anlässlich dieser Hauptverhandlung einvernommen werde, soferne er bei dieser Verhandlung erscheine (ON 42). Eine diesbezügliche Bestätigung wurde vom Vorsitzenden des Schöffengerichtes unterfertigt und dem Verteidiger des Angeklagten ausgefolgt (sh Beilage in ON 42). Am 15. Oktober 1980 teilte der Verteidiger des Angeklagten dem Gericht mit (ON 44), dass nach dem Inhalt einer (von der Iranischen Botschaft in Wien am 15. Oktober 1980 übersetzten) Mitteilung des Außenministeriums der Islamischen Republik in Teheran "Herr Mahmoud Khat***** wegen der derzeit in Teheran herrschenden Situation nicht zum angegebenen Termin vor Gericht erscheinen könne" (sh Bd II S 209, 211 d A). Der Verteidiger ersuchte, die für den 17. Oktober 1980 angeordnete Hauptverhandlung abzuberaumen und erklärte, dass er das Gericht unverzüglich vom Eintreffen seines Mandanten verständigen werde, damit die Hauptverhandlung neuerlich ausgeschrieben werden könne. (In diesem Zusammenhang ist der Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, ON 50, zu entnehmen, dass Mahoud Kha***** "als die Ausreisebedingungen gelockert wurden, sofort wieder nach Wien zurückgekommen ist" [vgl Bd II S 286 d A]). Am 17. Oktober 1980 wurde vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht die Hauptverhandlung durchgeführt (ON 45), zu der der Angeklagte nicht, wohl aber sein Verteidiger erschienen ist (Bd II S 213 d A). Nach Verlesung des Schriftsatzes des Verteidigers vom 15. Oktober 1980 (ON 44) verkündete der Vorsitzende den Beschluss auf Abbrechung des Verfahrens gegen Mahmoud Kha***** wegen §§ 35 Abs 2, 38 Abs 1 lit a FinStrG, § 17 AußenhandelsG und § 223 Abs 2 StGB gemäß § 422 StPO.

Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragte die Durchführung eines selbstständigen Verfahrens gemäß § 18 lit b FinStrG und Ausspruch des Verfalls der in der Anklageschrift angeführten Teppiche als Tatgegenstände des bezeichneten Finanzvergehens.

Das Schöffengericht beschloss hierauf die sofortige Durchführung der Hauptverhandlung im selbstständigen Verfahren, wogegen sich der Verteidiger des Angeklagten mit dem Hinweis darauf aussprach, dass "der Angeklagte unter allen Umständen zur Hauptverhandlung kommen wolle" (sh Bd II S 216 d A).

Nach Durchführung der Hauptverhandlung im selbstständigen Verfahren und Abweisung der noch offenen Beweisanträge erkannte das Schöffengericht mit dem nunmehr von Mahmoud Kha***** mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochtenen Urteil (ON 46) gemäß § 18 lit b (§§ 17 Abs 2 lit a, 35 Abs 2 und 38 Abs 1 lit a) FinStrG auf Verfall von insgesamt 250, am 18. Juni 1975 beim Angeklagten sichergestellten Teppichen (sh die Aufstellung Seite 1 bis 6 in der Beilagenmappe zu ON 7).

Rechtliche Beurteilung

Die ziffernmäßig auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde ist schon insoweit begründet, als der Beschwerdeführer - inhaltlich aus dem erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund - geltend macht, dass die Voraussetzungen des § 18 lit b FinStrG für die Durchführung eines selbstständigen Verfallsverfahrens vom Erstgericht, entgegen der Antragstellung des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung, zu Unrecht als gegeben angenommen wurden.

Ein selbstständiges (oder "objektives") Verfahren ist nämlich gemäß dem § 18 FinStrG nur zulässig, wenn (lit a)) sowohl der Täter als auch andere an der Tat Beteiligte unbekannt sind, oder (lit b)) wenn der Täter oder andere an der Tat Beteiligte zwar bekannt, aber unbekannten Aufenthaltes sind und im Übrigen die Voraussetzungen des (§ 147 für die Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder des) § 427 StPO für die Durchführung einer Hauptverhandlung nicht gegeben sind.

Bei Bekanntheit des Aufenthaltes selbst eines im Ausland befindlichen Täters ist das selbstständige Verfahren nicht durchführbar (Dorazil-Harbich-Reichel-Kropfitsch, Kommentar zum Finanzstrafgesetz, Anmerkung 4 zu § 18). Ist er allerdings im Sinne des § 231 FinStrG als flüchtig zu betrachten, so kommen die Bestimmungen der §§ 232, 235 FinStrG zur Anwendung, wobei jedoch, insbesondere im Hinblick auf den ersatzlosen Wegfall des § 234 FinStrG (aF) über die Durchführung der Hauptverhandlung gegen Flüchtige nach "öffentlicher Vorladung", die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten nur unter den Voraussetzungen des § 427 StPO durchgeführt werden darf (vgl schon RZ 1972, 206 und EvBl 1973/33; sh nunmehr EBRV, 92 zur FinStrG-Novelle 1975, 1130 BlgNR XIII. GP [abgedruckt in Sommergruber, Das Finanzstrafgesetz mit EB und Ausschussberichten, S 276]; vgl weiters Fellner, Finanzstrafgesetz, Neufassung 1975, RN 13 zu §§ 231-235). Vorliegend mangelte es nach der Aktenlage schon am Erfordernis eines unbekannten Aufenthaltes des Mahmoud Kha*****:

Dessen Verteidiger hatte ein dem Erscheinen des Angeklagten bei der für den 17. Oktober 1980 angeordneten Hauptverhandlung entgegenstehendes Hindernis, nämlich die Unmöglichkeit seiner Ausreise aus Teheran, wohin sich der Angeklagte mit Kenntnis des Vorsitzenden des Schöffengerichtes begeben hatte (ON 42) und seiner rechtzeitigen Rückkehr nach Wien bescheinigt (sh ON 44). Dafür, dass sich der Angeklagte etwa in den Iran begeben hatte, um dort seinen bleibenden Aufenthalt zu nehmen und sich solcherart der inländischen Gerichtsbarkeit zu entziehen (vgl § 231 FinStrG), gibt der Akteninhalt keinen verlässlichen Hinweis, vielmehr war nach Lage des Falles, unter Berücksichtigung des Inhaltes der vom Verteidiger vorgelegten Mitteilung der Botschaft der Islamischen Republik Iran (Bd II S 209 d A) und des (noch andauernden) Kriegszustandes zwischen dem Iran und Irak davon auszugehen, dass es sich bei dem in Rede stehenden Aufenthalt des nach den Urteilsfeststellungen (Bd II S 239 d A) seit etwa 1970 in Wien lebenden und hier den Handel mit Orientteppichen betreibenden Angeklagten in Teheran bloß um einen durch die Ereignisse zu einem unfreiwilligen (Zwangs )Aufenthalt gewordenen - vorweg aber nur für kurze Zeit geplanten - Verbleib gehandelt hat, den das Erstgericht nicht zum Anlass für die Einleitung und Durchführung des selbstständigen Verfallsverfahren nach dem § 18 lit b FinStrG - unter Ausschaltung des Angeklagten - nehmen durfte (vgl SSt 35/34; 27/31).

Durch diese mit dem Gesetz nicht in Einklang stehende Vorgangsweise, der sich der Verteidiger des Angeklagten (allerdings erfolglos) widersetzt hat, wurde der Angeklagte in seinen (ihm übrigens auch als Verfallsbetroffenen eingeräumten) prozessualen Rechten auf Verfahrensbeteiligung (vgl § 236 FinStrG in Verbindung mit dem § 444 StPO; hinsichtlich seiner Anfechtungslegitimation sh 10 Os 6/78) ersichtlich beeinträchtigt (§ 281 Abs 3 StPO).

Das Verfallserkenntnis war deshalb schon in Stattgebung der sachlich auf den Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur (§ 285e StPO) in einer nichtöffentlichen Beratung aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien zurückzuverweisen.

Rechtssätze
5
  • RS0036350OGH Rechtssatz

    05. August 2003·3 Entscheidungen

    Die österreichische Strafprozeßordnung kennt einen "Zustellungsbevollmächtigten" (im Sinne der §§ 94 - 99 ZPO) nicht. Durch die Zustellung der Ladung des im Ausland wohnenden Angeklagten zur Hauptverhandlung in erster Instanz an dessen als inländischer Zustellungsbevollmächtigter einschreitenden Wahlverteidiger wird dem von § 427 Abs 1 StPO aufgestellten Erfordernis der Zustellung der bezüglichen Vorladung an den Angeklagten persönlich (zu eigenen Handen) gemäß § 79 Abs 1 und 3 StPO nicht entsprochen. Auch im § 235 FinStrG ist die Vorladung zur Hauptverhandlung von der Regelung ausgenommen, wonach die Zustellung von Gerichtsstücken an den Flüchtigen (§ 231 FinStrG) als bewirkt gilt, sobald sie seinem Verteidiger zugestellt sind. Einen flüchtigen Beschuldigten im Finanzstrafverfahren kraft dieser Vorschrift dann als gehörig geladen anzusehen, falls die Ladung zur Hauptverhandlung in erster Instanz an einen von ihm vorher bestellten Verteidiger zugestellt wurde, geht daher nicht an. Gegen einen Abwesenden kann demnach wegen eines Finanzdeliktes erstinstanzlich nur verhandelt werden, wenn er entweder nach § 79 Abs 1 und 3 StPO persönlich zu eigenen Handen oder im Sinne des § 234 FinStrG öffentlich geladen worden ist. Eine anderweitige Verständigung vom Hauptverhandlungstermin (in erster Instanz) ist rechtlich irrelevant. Sie bewirkt auch keine Heilung eines Zustellungsmangels nach der sonst im Strafverfahren analog anwendbaren Bestimmung des § 108 ZPO.