JudikaturJustiz12Os135/06d

12Os135/06d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. September 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gutlederer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Erich B***** wegen des Verbrechens der versuchten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 15, 209 StGB über dessen Antrag auf Erneuerung des zum AZ 8 b Vr 625/01 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien geführten Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6. April 2001, GZ 8 b Vr 625/01-30, wurde Erich B***** des Verbrechens der versuchten gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 15, 209 StGB schuldig erkannt, weil er am 20. Jänner 2001 in Wien versucht hatte, nach Vollendung des neunzehnten Lebensjahres mit dem am 24. Juli 1986 geborenen Thomas G*****, sohin einer Person männlichen Geschlechts, die das vierzehnte, aber noch nicht das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, dadurch gleichgeschlechtliche Unzucht zu treiben, dass er den Genannten in einer Toilettenanlage aufforderte, mit ihm gegenseitigen Handverkehr durchzuführen. Dieser Schuldspruch sowie der Ausspruch einer einjährigen Freiheitsstrafe erwuchsen unmittelbar nach seiner Verkündung unbekämpft in Rechtskraft (S 159).

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 21. Juni 2002, AZ G 6/02, wurde § 209 StGB unter Fristsetzung bis 28. Februar 2003 als verfassungswidrig aufgehoben. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I Nr 134/2002, entfiel die Strafbestimmung des § 209 StGB und wurde jene des § 207b StGB neu eingefügt.

Gestützt auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, mit welchen, beginnend mit dem Erkenntnis vom 9. Jänner 2003 (L***** und V***** gegen Österreich, Beschwerde Nr 39392/98 und 39829/98; ÖJZ 2003/19 [MRK] 394), der Gerichtshof eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 EMRK durch die diesen - das gegenständliche Strafverfahren nicht betreffenden - Beschwerdefällen zu Grunde gelegenen Verurteilungen nach § 209 StGB feststellte, beantragt der Verurteilte Erich B*****, gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens anzuordnen.

Der Generalprokurator hat dazu wie folgt Stellung bezogen (§ 363a Abs 2 vierter Satz StPO):

§ 363a Abs 1 StPO bestimmt für den Fall der Feststellung einer Verletzung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl Nr 210/1958 (EMRK), oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichtes in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, dass das Verfahren auf Antrag insoweit zu erneuern ist, als nicht auszuschließen ist, dass die Verletzung einen für den hievon Betroffenen nachteiligen Einfluss auf den Inhalt einer strafgerichtlichen Entscheidung ausüben konnte. Durch die jeweilige Verwendung des bestimmten Artikels zur Bezeichnung des zu erneuernden Verfahrens und des von der Konventionsverletzung Betroffenen wird klargestellt, dass Gegenstand der Erneuerung nur jenes Verfahrens ist, in dem die nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte konventionswidrige strafgerichtliche Entscheidung ergangen ist. Folgerichtig ist nach § 363a Abs 2 zweiter Satz StPO zur Stellung eines Antrages auf Erneuerung (neben dem Generalprokurator) nur „der von der festgestellten Verletzung Betroffene" - somit der Verurteilte oder sonstige Verfahrensbeteiligte in jenem Verfahren, das mit der als konventionswidrig festgestellten Entscheidung behaftet ist - legitimiert (Reindl WK-StPO § 363a Rz 15). Nichts anderes bringen - dem Standpunkt des Antragstellers zuwider - die Gesetzesmaterialien zum Ausdruck (EBRV zum StRÄG 1996, 33 BlgNR XX. GP, 66), wonach (in erster Linie) „der von der mit der Konventionsverletzung behafteten Entscheidung Betroffene antragslegitimiert sein soll, es sich aber nicht um den Beschwerdeführer vor den Straßburger Organen handeln muss". Die Feststellung der Konventionswidrigkeit einer Verurteilung wegen des Verbrechens nach § 209 StGB durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für ein bestimmtes Verfahren berechtigt daher nicht, die Erneuerung eines anderen Strafverfahrens wegen § 209 StGB zu begehren, das nicht von einer solchen Entscheidung dieses Gerichtshofes betroffen ist; eine derartige, vom Gesetz nicht vorgesehene (Art 18 Abs 1 B-VG) Erneuerungsmöglichkeit ist mangels einer planwidrigen Lücke des Strafverfahrensrechtes auch durch eine Gesetzesanalogie nicht zu erschließen (13 Os 3/03). Das vom Antragsteller reklamierte Normverständnis des § 363a StPO ist im Übrigen auch durch das Regelwerk der EMRK keineswegs geboten:

Die über Individualbeschwerden (Art 34 EMRK) erkennenden Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte üben keine abstrakte Normenkontrolle, sondern stellen - grundsätzlich bezogen auf den konkreten Einzelfall - eine Verletzung oder Nichtverletzung der EMRK durch staatliches Verhalten gegenüber einem Individuum fest (EGMR, Axen gegen Bundesrepublik Deutschland, EuGRZ 1985, 227;

Frowein/Peukert EMRK2 Art 53 [alt] Rz 9; Okresek EuGRZ 2003, 169;

Villiger, EMRK2, § 13 Rz 231). Gegenstand der Bindungswirkung (Art 46 Abs 1 EMRK) ist daher die Feststellung (oder Nichtfeststellung) einer Konventionsverletzung durch einen bestimmten Verwaltungsakt oder durch ein bestimmtes Urteil (Meyer-Ladewig EMRK2 Art 46 Rz 18, 21, 34). Aus dieser materiellen Rechtskraftwirkung folgt, dass die Konvention den Staat nur in dem konkret entschiedenen Fall verpflichtet, die Konventionsverletzung soweit wie möglich rückgängig zu machen. Auch die Pflicht zur Beendigung einer allenfalls noch andauernden Konventionsverletzung besteht grundsätzlich nur in Bezug auf einen bestimmten Beschwerdeführer (Kilian, Die Bindungswirkung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte [1994], 204; Okresek in Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Art 46 EMRK Rz 7; Frowein/Peukert aaO Art 53 [alt] Rz 6). Mit der grundsätzlich einzelfallbezogenen Bindungswirkung (Art 46 Abs 1 EMRK) steht auch im Einklang, dass den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte eine sogenannte Anlassfallwirkung (vergleichbar Art 139 Abs 6 und Art 140 Abs 7 B-VG) nicht zukommt (Okresek EuGRZ 2003, 173). Selbst eine allfällige Verpflichtung zu einer auf Grund der festgestellten Konventionsverletzung gegebenenfalls erforderlichen Änderung oder Nichtanwendung von Rechtsnormen bestünde - dem Prinzip der Rechtssicherheit folgend - nicht rückwirkend, sondern für die Zukunft (EGMR, Marckx gegen Belgien, EuGRZ 1979, 454, 460; Frowein/Peukert aaO Art 53 [alt] Rz 7; Villiger aaO § 13 Rz 233; Kilian, aaO, 205). Eine „generelle" Rechtskraftwirkung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist der EMRK daher fremd, sodass - entgegen dem Standpunkt des Antragstellers - die Nichtannahme der reklamierten Antragslegitimation gemäß § 363a StPO keine Konventionsverletzung darzustellen vermag.

Da somit dem Antragsteller ein Antragsrecht gemäß § 363a StPO nicht zusteht, wäre der Antrag schon in nichtöffentlicher Beratung nach § 363b Abs 2 Z 2 StPO zurückzuweisen.

Der Anregung auf Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens mit Beziehung auf § 207b StGB verbleibt zu erwidern, dass der Oberste Gerichtshof diese Bestimmung gegenständlich nicht anzuwenden hat (Art 89 Abs 2 B-VG).

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Eine aus Art 46 Abs 1 MRK resultierende Verpflichtung zur Befolgung eines Urteils des EGMR liegt, wie der Generalprokurator zutreffend aufzeigt, hinsichtlich des Antragstellers nicht vor. Dieser vermag nämlich keinen Anhaltspunkt für die Annahme aufzuzeigen, dass die - Dritte betreffenden - Entscheidungen oder Verfügungen österreichischer Strafgerichte, hinsichtlich welcher der EGMR eine Verletzung der Art 8 und 14 MRK festgestellt hat, einen für ihn nachteiligen Einfluss im Sinn des § 363a Abs 1 StPO hätten haben können.

Deshalb allein wäre sein Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens allerdings noch nicht unzulässig (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO):

Trifft nämlich nach Art 13 MRK den Konventionsstaat die Verpflichtung, jedem, der mit einer gewissen Plausibilität darlegt, in einem Konventionsrecht verletzt zu sein, eine wirksame Beschwerde zuzugestehen, mit anderen Worten, sicherzustellen, dass es eine nationale Instanz gibt, die sich mit der Frage der Verletzung eines Konventionsrechts auseinandersetzt (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 170), kann die Vorschrift des § 363a Abs 1 StPO nicht dahin verstanden werden, die Erneuerung des Strafverfahrens aufgrund einer Verletzung von Konventionsrechten nur in jenen Fällen zu ermöglichen, in denen die Konventionsverletzung bereits in einem fallaktuellen Urteil des EGMR festgestellt wurde. Der Oberste Gerichtshof sieht sich demnach als nach der Bundesverfassung oberste Instanz in Strafrechtssachen (Art 92 Abs 1 B-VG) - über Art 46 Abs 1 MRK hinausgehend - dazu aufgerufen, die Erfüllung der aus der MRK erfließenden verfassungs- und völkerrrechtlichen Verpflichtungen für den Bereich der Strafgerichtsbarkeit sicherzustellen, mit anderen Worten dem Geist der MRK auch in jenen Fällen Rechnung zu tragen, in denen noch kein Urteil gegen Österreich ergangen ist (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 3 Rz 13).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach mit Blick auf den Grundrechtsschutz planwidrige Lücken gesetzlicher Regelungen ausgemacht und sich zu deren Schließung befugt gesehen (vgl 11 Os 101/03, SSt 2003/89; 14 Os 82/94, EvBl 1994/138 = JBl 1995, 186; 13 Os 54, 55/00; 13 Os 113/02; zum Problem instruktiv: Pilnacek, Strafrechtliches Entschädigungsgesetz im Spannungsverhältnis zu Art 6 MRK, ÖJZ 2001, 546; methodisch überdies: Schwab, StEG - Evolution durch Interpretation, RZ 2001, 162 [164 und FN 22]; vgl auch 13 Os 50/05k, SSt 2005/42 = EvBl 2005/155, 722 zur generellen Zweiseitigkeit von Beschwerden noch vor gesetzlicher Klarstellung sowie RIS-Justiz RS0117728 zur vom Obersten Gerichtshof zugelassenen Grundrechtsbeschwerde gegen Beschlüsse über die Zulässigkeit der Auslieferung bis zur gesetzlichen Einführung einer Beschwerdemöglichkeit gegen derartige Entscheidungen durch BGBl I 2004/15; vgl Ratz, Grundrechte in der Strafjudikatur des OGH, ÖJZ 2006, 318 [325]).

Da die Feststellung einer Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch den EGMR nicht bloß als notwendige, sondern auch als (zusammen mit den übrigen gesetzlichen Voraussetzungen) hinreichende Bedingung für die Erneuerung des Strafverfahrens verstanden werden kann und sich seit Einführung der §§ 363a bis 363c StPO durch das StRÄG 1996 die Rechtsprechung des EGMR zu den das gerichtliche Verfahren betreffenden Garantien signifikant verändert hat (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 166 ff; D. Richter in Grote/Marauhn [Hrsg], EMRK/GG [2006] Kap 20 Rn 18, 95, 112 ff; Meyer-Ladewig EMRK2 Art 13 Rz 19 f), ist (jedenfalls nachträglich entstandene) Planwidrigkeit des § 363a Abs 1 StPO nicht von der Hand zu weisen und Lückenschließung dahin gerechtfertigt, dass es eines Erkenntnisses des EGMR als Voraussetzung für eine Erneuerung des Strafverfahrens nicht zwingend bedarf. Vielmehr kann auch eine vom Obersten Gerichtshof selbst - aufgrund eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens - festgestellte Verletzung der MRK oder eines ihrer Zusatzprotokolle durch eine Entscheidung oder Verfügung eines untergeordneten Strafgerichts dazu führen. Die zum AZ 13 Os 3/03, SSt 2003/15, ergangene Entscheidung steht dem, wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei, nicht entgegen, weil der Oberste Gerichtshof damals nicht über einen Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens zu befinden hatte.

So gesehen stehen in Österreich, wo die in der MRK und ihren Zusatzprotokollen garantierten Rechte Verfassungsrang genießen, einerseits vor dem VfGH ein Verfahren zur Verfügung, um deren Verletzung im Bereich der Gesetzgebung und Verwaltung geltend zu machen, andererseits, nämlich (hier:) in Strafrechtssachen, wo der Oberste Gerichtshof als oberste Instanz sowohl über die Einhaltung einfachgesetzlicher wie auf Verfassungsstufe stehender Gesetze und Grundrechte zu wachen hat (vgl Art 92 Abs 1, 89 Abs 2 B-VG), durch die Vorschriften über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Erneuerung des Strafverfahrens, das GRBG und § 91 GOG wirksame Möglichkeiten zur Beschwerde gegen Grundrechtsverletzungen durch ein dem Obersten Gerichtshof untergeordnetes Strafgericht bereit (vgl Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2 § 24 Rz 163, 173 f). Diese bieten dem Obersten Gerichtshof die durch Art 1 MRK vorgezeichnete Möglichkeit, nicht bloß die Rechtsprechung des EGMR nachzuvollziehen, sondern erforderlichenfalls selbst Akzente ihrer Weiterbildung zu setzen.

Rechtsschutzverheißungen sind indes - wie der Blick auf alle Verfahrensgesetze zeigt - grundsätzlich nicht schrankenlos, vor allem nicht in zeitlicher Hinsicht. Dies gilt auch im Bereich des Grundrechtsschutzes: Art 35 Abs 1 MRK verlangt als Zulässigkeitsvoraussetzung für die Befassung des EGMR durch Erhebung der Individualbeschwerde (ua) die Einhaltung einer sechsmonatigen Frist nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Es soll zur Gewährung von Rechtssicherheit garantiert werden, dass behauptete Konventionsverletzungen innerhalb angemessener Zeit untersucht werden und innerstaatliche Entscheidungen nicht ad infinitum einer Überprüfung auf (Grund )Rechtsverstöße unterliegen (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention² § 13 Rz 35). Auch der EGMR kann eine Grundrechtsverletzung nur bei Anrufung innerhalb der Frist des Art 35 Abs 1 MRK aufgreifen; anderes kann für den Obersten Gerichtshof in seiner dargelegten Funktion als höchster innerstaatlicher Grundrechtewahrer nicht gelten.

Da die Voraussetzung rechtzeitiger Geltendmachung im Gegenstand jedenfalls nicht vorliegt, war der Erneuerungsantrag als unzulässig nach § 363b Abs 2 Z 2 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen, ohne dass hier die Problematik der sonstigen Erfordernisse nach Art 35 MRK einer Erörterung bedurft hätte. Damit scheidet auch - neben der Unmöglichkeit einer Abhilfe über § 8 StRegG (VfGH 4. Oktober 2006, B 742/06) - eine nicht an die Voraussetzungen des TilgG anknüpfende Beseitigung der Verurteilung aus dem Strafregister aus: Die an das Strafregisteramt übersandte Strafkarte (§ 3 StRegG) war richtig. Eine Berichtigung nach § 5 Abs 1 StRegG ist nicht Gegenstand des Erneuerungsverfahrens, diese Gesetzesstelle daher nicht vom Obersten Gerichtshof anzuwenden (Art 89 Abs 2 B-VG). Ein Eingehen auf die vom Erneuerungswerber beklagte „Stigmatisierung" durch fortgesetzte Speicherung und Verarbeitung seiner Verurteilung sowie die Folge des § 4 TilgG verbietet sich somit, abgesehen davon, dass die von ihm zitierten Judikate des EGMR (ÖJZ 2001/1 [MRK] 71; ÖJZ 2001/18 [MRK] 518; ÖJZ 2003/25 [MRK] 16) qualitativ und quantitativ andere Fälle betrafen (vgl dazu überdies das zitierte Erkenntnis des VfGH).

Allfällige Nachteile bei künftig zu treffenden Ermessensentscheidungen (zB im Rahmen einer Strafzumessung oder bei der Entscheidung über eine bedingte Entlassung) aus einer grundrechtswidrigen Verurteilung können auf prozessual einwandfreie Weise unter Bedacht auf das Erkenntnis 11 Os 95/02 (verstärkter Senat), SSt 2003/45, vermieden werden.

Rechtssätze
5
  • RS0107405OGH Rechtssatz

    24. April 2013·3 Entscheidungen

    Nach der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl 1996/762, geänderten Rechtslage kann die gesetzwidrige Nichtanwendung der §§ 31, 40 StGB schon vom Erstgericht - auf Antrag oder von Amts wegen - im Wege über das in § 410 StPO neue Fassung geregelte Verfahren zur Vermeidung eines tilgungsrechtlichen Nachteils für den Verurteilten (§ 4 Abs 4 TilgG) saniert werden, und zwar auch dann, wenn nach Prüfung der Voraussetzungen des § 31 a StGB hervorkommt, dass zu einer nachträglichen Strafmilderung (letztlich doch) kein Anlass besteht. In einem solchen Fall hat das Gericht (im kollegialgerichtlichen Verfahren der Dreirichtersenat - siehe § 13 Abs 3 neue Fassung beziehungsweise § 14 Abs 2 StPO) auszusprechen, dass auch unter Bedacht auf die erst nachträglich bekannt gewordene (oder übersehene), im Verhältnis des § 31 StGB stehende Verurteilung zu einer nachträglichen Milderung der spruchmäßig nunmehr als Zusatzstrafe zu deklarierenden Strafe kein Anlass besteht. Diesen Beschluss hat das Gericht gemäß §§ 2 Abs 1 Z 4 lit k, 3 Abs 1 und Abs 3 StRegG dem Strafregisteramt mitzuteilen. Eine Berichtigung des Strafregisters durch eine formlose Mitteilung im Sinne des § 5 Abs 1 StRegG kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht. Eine Berichtigung hat zur Voraussetzung, dass die im Strafregister enthaltenen Angaben über eine Verurteilung unrichtig sind, also die Eintragung nicht mit dem Entscheidungsinhalt übereinstimmt. Ist aber der dokumentierte Entscheidungsinhalt selbst unrichtig, so bedarf es zunächst der prozessordnungsgemäßen korrigierenden Entscheidung eines zuständigen Richters (eben § 410 StPO; sonst §§ 33, 292; §§ 353 ff oder §§ 363a ff StPO).