JudikaturJustiz12Os105/22s

12Os105/22s – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 2022 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann, Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin OKontr. Kolar in der Strafsache gegen * S* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 6. Mai 2022, GZ 49 Hv 27/21x 58, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. Sauter-Longitsch LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Vallender zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Punkt V./ des Schuldspruchs, demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der * K* und der * G* aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

* S* wird gemäß § 259 Z 3 StPO von der wider ihn erhobenen Anklage (Anklagepunkt Ⅱ./5./) freigesprochen, er habe in L* dadurch, dass er am 24. September 2021 im Zuge seiner Flucht den zwecks Straßensperre quer über die Fahrbahn abgestellten Streifenwagen der Polizeiinspektion So* mit seinem Kraftfahrzeug rammte,

I./ die Polizeibeamten * B*, * K* und * G*

1./ mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Anhaltung und der Durchführung kriminalpolizeilicher Ermittlungen, zu hindern versucht,

2./ während und wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben und der Erfüllung ihrer Pflichten am Körper verletzt, wobei B* eine Zerrung der Halswirbelsäule und eine Prellung der Lendenwirbelsäule, K* eine Schädelprellung mit Erbrechen und Schwindel sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule und G* eine Prellung des linken Ellbogengelenks erlitten hätten,

II./ eine fremde Sache, nämlich den Streifenwagen der Polizeiinspektion So* beschädigt, wobei er an der Sache einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden von 9.199,50 Euro herbeigeführt habe.

* S* wird für die ihm weiterhin zur Last liegenden strafbaren Handlungen, nämlich das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I./), das Vergehen des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB (II./), das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (III./) und das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (IV./) unter Anwendung des § 28 StGB und des § 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 4 StGB nach § 87 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von

2 (zwei) Jahren und 4 (vier) Monaten

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die von 24. September 2021, 12:55 Uhr, bis 6. Mai 2022, 10:20 Uhr, erlittene Vorhaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Gemäß § 366 Abs 1 StPO werden die Privatbeteiligten * K* und * G* mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – zu Punkt II./5./ der Anklageschrift (ON 23) einen unbeachtlichen Subsumtionsfreispruch (vgl RIS Justiz RS0115553 [T11]) enthaltenden (US 4) – Urteil wurde * S* (jeweils) des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (I./) und des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB (II./), des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (III./), des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 StGB (IV./) und der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB (Ⅴ./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 24. September 2021

I./ in W* den Mitarbeiter eines Erwachsenenschutzvereins Mag. * Sc* mit einer gegen eine unter seinen Schutz gestellte Person gerichteten Brandstiftung gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er im Zuge eines Telefonats sinngemäß mitteilte, er werde mit 20 Liter Benzin die Wohnung des unter Erwachsenenschutzvertretung stehenden * D* anzünden;

II./ in L* dadurch, dass er die Eingangstür zur Wohnung des * D* unter Zuhilfenahme eines Gehstocks gewaltsam gegen den Widerstand des Genannten aufdrückte und den Wohnbereich betrat, den Eintritt in eine Wohnstätte mit Gewalt erzwungen, wobei er gegen eine dort befindliche Person, nämlich den anwesenden D*, Gewalt zu üben beabsichtigte;

III./ in L* im Anschluss an die zu II./ beschriebene Tat D* dadurch eine an sich schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, dass er ihn unter Zuhilfenahme des Gehstocks an sich heranzog, zu Boden drückte, ihm Schläge mit dem Gehstock versetzte, ein mitgebrachtes Messer zückte und mehrere Stichbewegungen in Richtung des Bauches des D* ausführte;

IV./ in L* im Anschluss an die zu III./ beschriebene Tat dadurch, dass er * D* ankündigte, er werde sich Benzin besorgen und den Genannten anzünden, einen anderen mit dem Tod gefährlich bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen;

V./ in E* dadurch, dass er mit seinem Kraftfahrzeug aufgrund einer durch Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit bewirkten Reaktionsverspätung den quer gestellten Streifenwagen der Polizeiinspektion So* rammte, nachgenannte Polizeibeamtinnen fahrlässig am Körper verletzt, und zwar

1./* B*, die eine Zerrung der Halswirbelsäule und eine Prellung der Lendenwirbelsäule erlitt,

2./* K*, die eine Schädelprellung mit Erbrechen und Schwindel sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt, und

3./ * G*, die eine Prellung des linken Ellbogengelenks erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen Punkt III./ des Schuldspruchs richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Soweit sich die Tatsachenrüge (Z 5a) gegen die Anzahl der vom Angeklagten ausgeführten Stichbewegungen richtet, bezieht sie sich nicht auf eine entscheidende Tatsache, die allein den Bezugspunkt des in Anspruch genommenen Nichtigkeitsgrundes bildet (RIS Justiz RS0118780, RS0127374 [T3]).

[5] Mit der Kritik am persönlichen Eindruck der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit des Zeugen D* werden keine erheblichen Bedenken geltend gemacht (RIS Justiz RS0099649, RS0099629).

[6] Die aus der (ohnehin erörterten [US 12 f]) Aussage des Zeugen D* über den Ablauf der Tat gezogenen, für den Angeklagten günstigeren Schlussfolgerungen hinsichtlich der subjektiven Tatseite stellen eine im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung dar (vgl RIS Justiz RS0100555). Gleiches gilt für den Einwand, dass sich aus dem äußeren Tatgeschehen die subjektive Tatseite nicht ableiten lasse.

[7] Indem die (offenbar in Richtung der Voraussetzungen des § 16 Abs 1 StGB abzielende) Beschwerde gegen die Feststellungen zur Beendigung der Tatausführung aufgrund der Wegnahme des Messers durch das Opfer (US 7) eine isoliert herausgegriffene Passage der Aussage des Zeugen D* (ON 32 S 14) ins Treffen führt, ohne diese in ihrem Sinnzusammenhang zu betrachten (vgl ON 32 S 17 f), weckt sie keine Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Schuldspruch zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen.

[8] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.

[9] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass dem Schuldspruch zu Punkt V./ – wie von der Generalprokuratur zutreffend aufgezeigt – nicht geltend gemachte, dem Angeklagten zum Nachteil gereichende Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO anhaftet (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[10] Nach den Sachverhaltsannahmen des Erstgerichts reduzierte der (erkennbar zum Lenken eines Personenkraftwagens befähigte) Angeklagte, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit einhielt und das Polizeifahrzeug nicht rammen wollte (US 16), aufgrund eines Reaktionsverzugs (US 7) seine Fahrgeschwindigkeit zu spät, sodass er nicht mehr vor dem Streifenwagen halten oder zur Seite ausweichen konnte (US 15 f). Die im Fahrzeug befindlichen Polizeibeamtinnen erlitten Verletzungen am Körper, die zu keiner Gesundheitsschädigung von mehr als vierzehntägiger Dauer führten. Sie traten den Dienst am 27. und 29. September 2021 wieder an (US 8), also drei und fünf Tage nach der Tat.

[11] Ausgehend von diesen Feststellungen war das Verhalten des Angeklagten – wie vom Erstgericht zutreffend erkannt – nicht als ungewöhnlich und auffallend sorgfaltswidrig iSd § 6 Abs 3 StGB zu beurteilen.

[12] Handelt der Täter aber nicht grob fahrlässig (§ 6 Abs 3 StGB) und ist aus der Tat – wie hier – keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als vierzehntägiger Dauer erfolgt, so ist der Täter nicht nach § 88 Abs 1 StGB zu bestrafen (§ 88 Abs 2 Z 2 StGB).

[13] Indem das Erstgericht diesen nach dem Urteilssachverhalt vorliegenden Strafausschließungsgrund (in rechtlicher Hinsicht) nicht annahm, ist ihm ein Nichtigkeit aus Z 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO begründender Rechtsfehler unterlaufen.

[14] Dieser führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuldspruch zu Punkt V./, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) sowie im darauf beruhenden Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche von K* und G*.

[15] In diesem Umfang war sogleich in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO) und der Beschwerdeführer vom Anklagevorwurf Ⅱ./5./ gemäß § 259 Z 3 StPO freizusprechen. Als Folge des Freispruchs waren die Privatbeteiligten K* und G* mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg zu verweisen (§ 366 Abs 1 StPO).

[16] Bei der infolge Aufhebung des Strafausspruchs vorzunehmenden Strafneubemessung war unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB und § 39a Abs 1 Z 4 iVm Abs 2 Z 4 StGB nach § 87 Abs 1 StGB von einem Strafrahmen von zwei bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe auszugehen.

[17] Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) war die Begehung der Taten unter dem Einfluss einer Anpassungsstörung zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Erschwerend war das Zusammentreffen von drei Vergehen mit einem Verbrechen zu werten; hingegen mildernd (zufolge zwischenzeitiger Tilgung der durch das Erstgericht berücksichtigten Vorstrafe) die Unbescholtenheit (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und der Umstand, dass die Tat zu III./ beim Versuch blieb (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB). Da der Angeklagte hinsichtlich sämtlicher Taten die subjektive Tatseite bestritt, lag kein reumütiges Geständnis vor. Zudem trug seine Aussage – gemessen an der Bedeutung zur Beweisführung ( Ebner in WK² StGB § 34 Rz 38) – nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung bei, sodass ihm der Milderungsgrund nach § 34 Abs 1 Z 17 StGB nicht zugutekam.

[18] Davon ausgehend entsprach unter Berücksichtigung des Handlungs , Gesinnungs und Erfolgsunwerts der Tat eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt derselben sowie der Täterpersönlichkeit.

[19] Aufgrund der Höhe der verhängten Freiheitsstrafe kam die Gewährung bedingter Strafnachsicht (§ 43 Abs 1 StGB) nicht in Betracht. Die bedingte Nachsicht eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe (§ 43a Abs 4 StGB) scheiterte mit Blick auf die wiederholte Delinquenz und die Persönlichkeit des Angeklagten am Erfordernis der hohen Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens (vgl RIS Justiz RS0092050).

[20] Mit seiner gegen den Strafausspruch gerichteten Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[21] Die Anrechnung der Vorhaft beruht auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB. Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in Vorhaft zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 Abs 1 StPO – auch im (hier vorliegenden) Fall der Strafneubemessung (RIS Justiz RS0091624; Lässig , WK StPO § 400 Rz 1) – der Vorsitzende des Gerichts, das in erster Instanz erkannt hat, mit Beschluss zu entscheiden.

[22] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO. Die Ersatzpflicht erstreckt sich nicht auf die mit dem amtswegigen Vorgehen verbundenen Kosten (RIS Justiz RS0101558).

Rechtssätze
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