JudikaturJustiz11Os81/21b

11Os81/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. November 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. November 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vizthum als Schriftführerin in der Strafsache gegen G* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 27. April 2021, GZ 11 Hv 13/21g 21, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus ihrem Anlass wird das angefochtene Urteil, das sonst unberührt bleibt, im Schuldspruch wegen der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV), demzufolge auch im Strafausspruch sowie im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde G* des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (II), des Vergehens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 (III) und mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in den Jahren 2000 bis 2003 in *

(I) mit einer unmündigen Person, nämlich der 1991 geborenen A*, eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, indem er mit seiner Zunge in ihre Vagina eindrang, weiters

(II) außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an einer unmündigen Person, nämlich der 1991 geborenen A*, vorgenommen, indem er

(1) in einer Vielzahl von Angriffen seinen unbekleideten Penis an ihrem nackten Körper rieb und sie mit der Hand im Brust- und im Genitalbereich streichelte sowie

(2) sie „unter Anwendung erheblicher Körperkraft“ gegen die Wand eines Schwimmbeckens drückte und sie mit einer Hand unterhalb ihrer Badehose intensiv an der Scheide berührte, ferner

(III) A* durch die zu II 2 beschriebene Tat außer den Fällen des § 201 StGB mit Gewalt zur Duldung einer geschlechtlichen Handlung genötigt und

(IV) durch die zu I und II beschriebenen Taten mit einer minderjährigen Person, die seiner Aufsicht unterstand, unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dieser Person geschlechtliche Handlungen vorgenommen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

[4] Aus § 281 Abs 1 Z 5 (und 5a) StPO anfechtbar sind nur Feststellungen über entscheidende, also solche Tatsachen, die – soweit hier von Bedeutung (Sanktionsfragen spricht die Mängelrüge nicht an) – entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld- oder Freispruch oder (im Fall gerichtlicher Strafbarkeit) darüber beeinflussen, welche strafbare(n) Handlung(en) begründet werde(n) ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 f; RIS Justiz RS0106268).

[5] Die Absicht (§ 5 Abs 2 StGB), sich oder einen Dritten geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, verlangt das Gesetz nur in der letzten (Verleitung zu geschlechtlichen Handlungen an sich selbst), nicht in der – hier nach dem Urteilsinhalt verwirklichten – ersten Tatbegehungsvariante (Vornehmen einer geschlechtlichen Handlung) des § 212 Abs 1 StGB. Gleiches gilt übrigens für die zur Tatzeit geltende Fassung dieser Bestimmung (§ 212 Abs 1 StGB idF BGBl 1974/60 – dazu RIS Justiz RS0095226 [T1]). §§ 202 Abs 1, 206 Abs 1 und 207 Abs 1 StGB setzen eine derartige Willensausrichtung ebenso wenig voraus.

[6] Soweit sich die Mängelrüge (Z 5) gegen die (solcherart überschießende) Feststellung wendet, der Angeklagte habe die vom Schuldspruch umfassten Taten begangen, „um sich an diesen geschlechtlichen Handlungen zu erregen“ (US 5), verfehlt sie daher von vornherein den Bezugspunkt der unternommenen Anfechtung.

[7] Die den Schuldspruch I (mit )tragende Feststellung zum Eindringen des Angeklagten mit seiner Zunge in die Vagina des Opfers (US 4) stützten die Tatrichter auf eine genau diesen Geschehensablauf schildernde Aussage der tatbetroffenen Zeugin (US 6). Entgegen dem Einwand der Rüge (Z 5 vierter Fall) widerspricht diese Schlussfolgerung weder „grundlegenden Erfahrungssätzen“ noch den „Gesetzen folgerichtigen Denkens“.

[8] Als nach § 202 Abs 1 StGB (Schuldspruch III) tatbildliche Gewalt – die keiner besonderen Kraftanwendung bedarf (RIS Justiz RS0095260) – stellte das Erstgericht fest, dass der (erwachsene) Angeklagte das (kindliche) Opfer „mit seinem Körper“ gegen die Seitenwand eines Schwimmbeckens „drückte“ (US 4). Auch die (unter Verwerfung der insoweit leugnenden Verantwortung des Angeklagten erfolgte – US 6) Ableitung dieser Feststellung aus Angaben jener Zeugin (US 10) ist – dem Beschwerdevorwurf (Z 5 vierter Fall) zuwider – mit „Logik bzw. Erfahrungssätzen“ gar wohl in Einklang zu bringen.

[9] Für den – willkürfrei aus dem angesprochenen äußeren Tatumstand gezogenen (vgl US 11) – Schluss auf das (subjektive) Element, er habe damit einen „(zumindest) zu erwartenden“ Widerstand des Opfers überwinden wollen (US 4), gilt nichts anderes.

[10] Die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) ist – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist (was hier nicht behauptet wird) – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt (RIS Justiz RS0106588 [T13]). Sie kann zwar unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat.

[11] Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit (die ihrerseits eine erhebliche Tatsache [zum Begriff Ratz , WK StPO § 281 Rz 409] darstellt), sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS Justiz RS0119422 [T2, T4]). Erheblich, somit nach Maßgabe ihres Vorkommens in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) erörterungsbedürftig, sind insoweit Tatumstände, welche die – von den Tatrichtern als notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache bejahte (vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 410) – Überzeugungskraft der Aussage (eines Zeugen oder Angeklagten) in Bezug auf diese entscheidende Tatsache ernsthaft in Frage stellen (vgl RIS Justiz RS0120109 [T3]; Ratz , WK StPO § 281 Rz 29).

[12] Die Rüge unterzieht – vom Erstgericht eingehend gewürdigte (insbesondere US 6 und 7) – Diskrepanzen zwischen verschiedenen Aussagen des Opfers zu Einzelheiten der vom Schuldspruch I umfassten Tat einer eigenständigen Bewertung, um daraus ihrem Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen einzufordern. Damit erschöpft sie sich in einem Angriff auf die tatrichterliche Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen (§ 283 Abs 1 StPO) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

[13] Soweit sie die „Begründung des Erstgerichts“ zu den Hintergründen einer „Hausüberschreibung an den Onkel“ der A* und – daraus abgeleitet – „die Beweiswürdigung der Aussagen“ der Genannten als „mangelhaft“ bezeichnet, versäumt sie es bereits, den Bezug zu einer entscheidenden Tatsache deutlich und bestimmt (§§ 285 Abs 1 zweiter Satz, 285a Z 2 StPO) herzustellen.

[14] Indem der Beschwerdeführer erklärt, seine zur Z 5 „angestellten Ausführungen“ auch auf Z 5a zu stützen, verkennt er die Verschiedenheit der Anfechtungskalküle (siehe dazu RIS Justiz RS0116733).

[15] Die vom Schuldspruch umfassten Taten – welche der Angeklagte nach dem Urteilssachverhalt (mit entsprechender Willensausrichtung) unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber dem jeweils seiner Aufsicht unterstehenden, minderjährigen Opfer beging (US 5) – subsumierte das Erstgericht (jeweils auch) § 212 Abs 1 Z 2 StGB (IV).

[16] Im Hinblick auf die Feststellung, wonach das Tatopfer die Enkeltochter des Angeklagten ist (US 3; somit zur Tatzeit eine mit diesem in absteigender Linie verwandte minderjährige Person war), strebt die Subsumtionsrüge (Z 10) – stattdessen – die rechtliche Unterstellung der Taten nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB an.

[17] An sich zutreffend zeigt sie auf, dass (bei Tat- und Opferidentität) Z 2 gegenüber Z 1 des § 212 Abs 1 StGB als materiell subsidiär zurücktritt (RIS Justiz RS0129723).

[18] Ohne einen Feststellungsmangel (dazu RIS-Justiz RS0118580) geltend zu machen geht sie jedoch prozessordnungswidrig (RIS Justiz RS0099810) darüber hinweg, dass – auf Basis des Urteilssachverhalts – der Tatbestand des § 212 Abs 1 Z 1 StGB (jeweils) in subjektiver Hinsicht nicht erfüllt ist. Hat doch das Erstgericht keinerlei Feststellung getroffen, wonach der Vorsatz des Beschwerdeführers – wie für die Tatbestandsverwirklichung nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB erforderlich (§ 7 Abs 1 StGB) – auch die Verwandtschaft in absteigender Linie umfasst hätte.

[19] Demzufolge versagt auch der – auf der Behauptung der Subsumtionsrüge (durch jede der vom Schuldspruch umfassten Taten sei § 212 Abs 1 Z 1 StGB begründet) aufbauende – Einwand (Z 11 zweiter Fall) unzulässiger Doppelverwertung (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) des Umstands der Begehung dieser Taten „zum Nachteil einer Angehörigen“ (US 17).

[20] Das Argument, die Heranziehung dieses zur Tatzeit noch nicht (sondern erst mit § 33 Abs 3 Z 1 StGB idF BGBl I 2015/112 und 154 [vgl nunmehr § 33 Abs 2 Z 2 StGB idF BGBl I 2019/105]) ausdrücklich normierten Erschwerungsgrundes widerspreche überdies „dem Günstigkeitsvergleich“, verkennt zum einen, dass sich §§ 1 Abs 2 erster Satz, 61 StGB nicht auf bloße Strafbemessungsvorschriften beziehen (vgl Ratz , WK StPO § 288 Rz 36), zum anderen, dass die in § 33 StGB enthaltene Aufzählung besonderer Erschwerungsgründe (nicht taxativer, sondern) demonstrativer Natur ist (RIS Justiz RS0090881 [T1, T2]).

[21] Die von der weiteren Sanktionsrüge geforderte – vom Erstgericht aus „spezialpräventiven Erwägungen“ ausgeschlossene (US 18) – Anwendung des § 37 Abs 2 StGB hätte ihrerseits Nichtigkeit (aus Z 11 erster Fall – Ratz , WK StPO § 281 Rz 671) begründet. Denn die angesprochene Bestimmung ermöglicht – unter den dort normierten Voraussetzungen – die Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr , welches Maß die vorliegend verhängte Freiheitsstrafe jedoch übersteigt.

[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[23] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch (abermals im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur), dass dem angefochtenen Urteil nicht geltend gemachte Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 10 StPO anhaftet, die dem Angeklagten (in concreto) zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

[24] Nicht durch Feststellungen geklärt, aber durch in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweismittel indiziert ist, dass die Intention des Angeklagten bei sämtlichen vom Schuldspruch umfassten Taten auch sein Verwandtschaftsverhältnis zum Opfer (als seiner Enkeltochter – US 3) umfasste (siehe nur die Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung, seine elfjährige Enkeltochter A* drei- bis viermal im Genitalbereich gestreichelt zu haben [ON 20 S 4]).

[25] Die (bereits in Erledigung der Subsumtionsrüge dargestellte) rechtliche Konsequenz, die sich aus diesem (solcherart indizierten) Sachverhalt ergäbe, wurde vom Erstgericht nicht gezogen, weil es das entsprechende (subjektive) Tatbestandsmerkmal des § 212 Abs 1 Z 1 StGB bei der rechtlichen Beurteilung nicht in Anschlag gebracht hat.

[26] Hiervon ausgehend liegt ein Feststellungsmangel (Z 10) vor, der – fallkonkret – unter dem Blickwinkel der Z 11 zweiter Fall (vgl Ratz , WK StPO § 290 Rz 23 f) zum Nachteil des Angeklagten wirkt. Auf der Basis des indizierten (aber rechtsfehlerhaft nicht durch Feststellungen geklärten) Sachverhalts und der auf dessen Grundlage rechtsrichtigen Subsumtion würde nämlich die vom Erstgericht bei der Strafbemessung vorgenommene (US 17) erschwerende Wertung der Begehung der vom Schuldspruch umfassten Taten „zum Nachteil einer Angehörigen“ (vgl § 72 StGB) – welchem Begriff eine „in absteigender Linie verwandte“ Person (§ 212 Abs 1 Z 1 StGB) jedenfalls unterfällt – gegen das Doppelverwertungsverbot (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) verstoßen. Hätte es doch damit einen Umstand als Erschwerungsgrund herangezogen, der im Gegenstand – in Bezug auf jede der vom Schuldspruch umfassten Taten – (bereits) einen der anzuwendenden Strafsätze bestimmen würde (zur Auslegung des Begriffs „Strafdrohung“ in § 32 Abs 2 erster Satz StGB siehe Ratz , WK StPO § 281 Rz 711).

[27] Der aufgezeigte Feststellungsmangel (Z 10) führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils wie aus dem Spruch ersichtlich bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

[28] Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe war der Angeklagte hierauf zu verweisen.

[29] Bleibt anzumerken, dass die Subsumtion der vom (bestandskräftigen) Schuldspruch II 2 umfassten Tat nach § 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242 und – damit ideal konkurrierend – § 207 Abs 1 StGB (bestandskräftiger Schuldspruch III) sowie § 212 Abs 1 Z 2 StGB (aufgehobener Schuldspruch IV) auch noch in anderer Hinsicht verfehlt ist:

[30] Der in § 61 Abs 1 zweiter Satz StGB angeordnete Günstigkeitsvergleich ist für jede Tat (im materiellen Sinn) gesondert vorzunehmen (RIS Justiz RS0089011). Das Ergebnis dieser Prüfung ist entweder, dass – streng fallbezogen in einer konkreten Gesamtschau der möglichen Unrechtsfolgen (RIS Justiz RS0119085 [insbesondere T1], RS0119545 [T1], RS0089014) – die Strafgesetze zur Tatzeit günstiger oder jene zum Urteilszeitpunkt zumindest gleichgünstig für den Täter sind (vgl RIS Justiz RS0112939; zur Auslegung des Begriffs „Strafgesetze“ in § 61 StGB abermals Ratz , WK StPO § 288 Rz 36; zur Bedeutungslosigkeit von Aspekten der – einzelfallbezogenen – Strafbemessung [Z 11 zweiter und dritter Fall] für den Günstigkeitsvergleich siehe auch RIS Justiz RS0091928). Je nachdem ist die Subsumtion (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) der einzelnen Tat – in vollem Umfang (RIS Justiz RS0091798) – entweder nach den Tatzeit- oder nach den Urteilszeitgesetzen vorzunehmen. Eine Mischung der verschiedenen Rechtsschichten ist insoweit also unzulässig (RIS Justiz RS0119085 [T4, T5], RS0088953).

[31] Jedenfalls verfehlt ist demnach die Annahme (US 2) von Idealkonkurrenz mehrerer strafbarer Handlungen teils nach Tatzeit- (§ 202 Abs 1 StGB idF BGBl 1989/242), teils nach Urteilszeitrecht (§ 212 Abs 1 Z 2 StGB idgF; zu § 207 Abs 1 StGB s u). Vielmehr wäre die Subsumtion der betreffenden (einen) Tat – im Gegenstand – ausschließlich nach den zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz geltenden Strafgesetzen vorzunehmen gewesen:

[32] Die betreffende Tat erfüllt – nach dem Urteilssachverhalt – die Tatbestandselemente des § 202 Abs 1 StGB und des § 207 Abs 1 StGB sowohl zur Tatzeit als auch zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz.

[33] Zwar betrug der Strafsatz des – sonst unverändert gebliebenen – § 202 Abs 1 StGB, der mit BGBl I 2004/15 und 2009/40 auf (inzwischen) sechs Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe angehoben wurde, zur Tatzeit (idF BGBl 1989/242) noch bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. § 207 Abs 1 StGB, der sowohl während des Zeitraums, in dem die Tat begangen wurde (2000 bis 2003), als auch seither bis zum Urteilszeitpunkt unverändert blieb, normierte aber schon damals eine Strafdrohung von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe.

[34] Da gemäß § 28 StGB § 207 Abs 1 StGB fallkonkret den Ausschlag gibt, war die betreffende (eine) Tat zur Zeit ihrer Begehung mit gleich strenger Strafe bedroht wie zum Urteilszeitpunkt. Demzufolge sind die Tatzeitgesetze – in ihrer fallkonkreten Gesamtauswirkung – nicht günstiger als die Urteilszeitgesetze, sodass gemäß § 61 zweiter Satz StGB eben Letztere anzuwenden gewesen wären. Die Tat wäre daher – neben § 207 Abs 1 StGB – § 202 Abs 1 StGB (nicht idF BGBl 1989/242, sondern) idgF zu unterstellen gewesen.

[35] Dies unabhängig davon, ob sie – nach der im zweiten Rechtsgang zu schaffenden Feststellungsbasis – darüber hinaus § 212 Abs 1 Z 1 oder Z 2 StGB (oder keinen dieser Tatbestände) verwirklicht (zur sachverhaltsabhängigen Möglichkeit echter Idealkonkurrenz des § 212 Abs 1 Z 1 oder Z 2 StGB mit § 202 Abs 1 StGB siehe RIS Justiz RS0108363 [insbesondere T4, T6, T7]; Philipp in WK 2 StGB § 202 Rz 20 und § 212 Rz 15). Denn die Strafsätze des (mit BGBl I 2004/15 neu gefassten – dazu jüngst 15 Os 28/21p) § 212 Abs 1 StGB betrugen zum Tat- wie zum Urteilszeitpunkt bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Sie haben also – mit Blick auf den ohnedies strengeren Strafsatz des durch die Tat jedenfalls begründeten § 207 Abs 1 StGB – fallkonkret keinen Einfluss auf die Günstigkeit (§ 61 StGB) der in Rede stehenden Normenlagen im Verhältnis zueinander.

[36] Da die verfehlte Subsumtion (Z 10) nach § 202 Abs 1 StGB (III) in der zur Tatzeit (anstelle der zum Urteilszeitpunkt) geltenden Fassung den Angeklagten in concreto nicht benachteiligt (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO), hat es mit diesem Hinweis sein Bewenden.

[37] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12), gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
9
  • RS0089014OGH Rechtssatz

    03. Mai 2022·3 Entscheidungen

    Bei dem nach dem § 61 StGB vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich sind - soferne nicht schon die für die Lösung der Schuldfrage maßgeblichen Umstände den Ausschlag geben - die den Täter in concreto treffenden Unrechtsfolgen nach altem und nach neuem Recht gegenüberzustellen. Drohen die zu vergleichenden Gesetze Strafen verschiedener Art (wie Geldstrafen und Freiheitsstrafen) an, dann kommt jenes Recht zum Zug, das die mildere Strafart vorsieht. Lautet die Strafdrohung hingegen in beiden Gesetzen (nur) auf Freiheitsstrafe, dann sind die jeweils in Betracht kommenden Strafsätze miteinander zu vergleichen. Auf die Strafstufen (des alten Rechtes) kommt es dabei nicht an. Bei Strafsätzen mit gleicher Obergrenze und Untergrenze hat nach der Anordnung des § 61 StGB das neue Recht den Vorzug. Bei Strafdrohungen mit gleicher Untergrenze, aber verschiedener Obergrenze ist das Recht mit der niedereren Obergrenze anzuwenden, denn dieses ist für den Täter günstiger. Bei gleicher Obergrenze und verschiedener Untergrenze der Strafsätze entscheidet die (für den Täter günstigere) niederere Untergrenze. Bei unterschiedlicher Obergrenze und Untergrenze und bei sonstigen Überschneidungen der Gesetze in Bezug auf die Strafdrohung (nach Strafart und Strafmaß), die nicht schon durch die vorstehenden Regeln gelöst werden können, ist der Vergleich zwischen altem und neuem Recht unter Berücksichtigung der Gesamtauswirkungen der Sanktionen für den Täter vorzunehmen, wobei hilfsweise auch die Bestimmung des § 1 Abs 2 StGB heranzuziehen ist.