JudikaturJustiz11Os57/03

11Os57/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Mai 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Mai 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dr. Gerhard G***** und eine weitere Angeklagte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, AZ 14 Hv 202/02p des Landesgerichtes Klagenfurt, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. Jänner 2003, GZ 14 Hv 202/02p-36, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Lässig, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. Jänner 2003, GZ 14 Hv 202/02p-36, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen der §§ 40 Abs 1 und 74 StPO.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt beantragte beim Untersuchungsrichter des Landesgerichtes Klagenfurt am 26. Juli 2001 Vorerhebungen gegen den Rechtsanwalt Dr. Gerhard G***** wegen des Verdachtes des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB (S 1 f).

Mit Beschluss vom 16. Oktober 2001 (ON 11) erklärte der Präsident des Landesgerichtes Klagenfurt die Befangenheitsanzeigen mehrerer Richter, darunter Dr. Hubertus H*****, Dr. Helmut K***** und Mag. Wilhelm S*****, in dieser Strafsache für begründet. Am 25. Juli 2002 (ON 25), rechtskräftig am 10. Oktober 2002 (ON 30), erhob die Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen Dr. Gerhard G***** und dessen Ehefrau Dorothea G***** Anklage wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB, Dorothea G***** als Beteiligte nach § 12 dritter Fall StGB. Am 13. Dezember 2002 bestimmte der Vorsitzende des Schöffensenates den Tag der Hauptverhandlung und lud hiezu unter anderem die - (auch) als Verteidiger einschreitenden - Rechtsanwälte Dr. Gottfried H***** und Dr. Wilhelm E***** von amtswegen als Zeugen (S 3d und verso). Gleichzeitig forderte er die Ratskammer "zur Entscheidung gemäß § 40 Abs 1 StPO" auf.

Mit Beschluss vom 8. Jänner 2003 (ON 36) entschied die Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt durch den Richter Mag. S***** als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. H***** und Dr. K***** als weitere Senatsmitglieder, dass Dr. Gottfried H***** und Dr. Wilhelm E***** "für die Dauer ihrer Vernehmung" als Zeugen in der Hauptverhandlung von der Verteidigung der beiden Angeklagten ausgeschlossen seien. Mit Urteil vom 29. Jänner 2003 (ON 42), rechtskräftig seit 4. Februar 2003 (ON 44), erkannte das Landesgericht Klagenfurt Dr. Gerhard und Dorothea G***** im Sinne der Anklage schuldig und verhängte über sie bedingt nachgesehene Freiheitsstrafen. In der Hauptverhandlung war Dr. Wilhelm E***** als Verteidiger eingeschritten, als Zeuge war weder er noch Dr. Gottfried H***** vernommen worden (ON 41).

Rechtliche Beurteilung

Wie der Generalprokurator in seiner gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. Jänner 2003 erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht dieser Beschluss mit dem Gesetz in mehrfacher Hinsicht nicht im Einklang:

§ 40 Abs 1 zweiter Satz StPO normiert eine Entscheidungskompetenz der Ratskammer in Bezug auf den Ausschluss einer Person von der Verteidigung für die Fälle deren zeugenschaftlicher Einvernahme im Vorverfahren sowie des Antrages auf deren Vorladung als Zeugen zur Hauptverhandlung, wogegen die Ausschlusswirkung bereits erfolgter Ladung zur Hauptverhandlung gemäß § 40 Abs 1 erster Satz StPO ex lege eintritt (Foregger/Fabrizy StPO8 § 40 Rz 1; E. Steininger, Disziplinargewalt des Gerichtes und Verteidigerausschluss, AnwBl 1987, 46 [50]). Diesfalls bedarf es demgemäß keiner Beschlussfassung, sondern nur einer entsprechenden Verständigung des Angeklagten, die im Rahmen der Vorbereitung der Hauptverhandlung (§ 221 Abs 1 StPO) vom Vorsitzenden vorzunehmen und allenfalls mit der Aufforderung zu verbinden ist, einen anderen Verteidiger namhaft zu machen. Sollte ausnahmsweise (etwa infolge Antragstellung oder tatsächlichen Einschreitens des Ausgeschlossenen in der Hauptverhandlung) eine - deklarative - Beschlussfassung erforderlich sein, käme diese gemäß § 13 Abs 3 StPO ebenfalls dem Vorsitzenden zu, weil die Ratskammer im Zwischenverfahren nur in jenen Fällen zu entscheiden hat, in denen es das Gesetz ausdrücklich vorsieht (EvBl 1989/79).

Hiezu kommt, dass die (in concreto unzuständige) Ratskammer mit Richtern besetzt war, die im gegenständlichen Verfahren für befangen erklärt worden waren. Aus dem Normzweck und dem Sinngehalt der einschlägigen Vorschriften des VII. Hauptstückes der StPO ergibt sich, dass mit Stattgebung einer Befangenheitsanzeige (oder auch einer Ablehnung durch einen Beteiligten) eines Richters eine zwar nicht von der Nichtigkeitssanktion des § 71 Abs 1 StPO erfasste, aber sonst gleichrangig an die Seite der Ausschließungsgründe tretende Gegebenheit geschaffen wird (§ 72 Abs 1 StPO), sodass der Richter in der betreffenden Strafsache durch einen anderen zu ersetzen ist (vgl § 74 Abs 3 StPO) und sich insoweit aller gerichtlichen Handlungen zu enthalten hat. Die Entscheidungstätigkeit der Ratskammermitglieder, deren Befangenheitsanzeigen für begründet befunden worden waren, verstieß daher gegen die Rechtswirkung der stattgebenden Entscheidung über die Selbstablehnungen (§ 74 StPO).

Inhaltlich ist der Beschluss vom 8. Jänner 2003 insoweit verfehlt, als er die Ausgeschlossenheit von der Verteidigung als (nur) für die Dauer der Einvernahme als Zeuge gegeben festhält, weil die als Zeuge zur Hauptverhandlung geladene Person schon nach dem Gesetzeswortlaut für die gesamte Dauer der Hauptverhandlung von der Verteidigung ausgeschlossen ist (vgl Zagler, Ausschließung des Verteidigers, ÖJZ 1984, 40 [42]).

Gegen die in der Beschlussbegründung relevierte - im Übrigen aufgrund der Eindeutigkeit der verba legalia erforderlichenfalls nicht interpretativ zu berücksichtigende, sondern nach Art 89 Abs 2 B-VG zu prüfende - Verfassungskonformität des § 40 Abs 1 StPO bestehen keine Bedenken, weil das durch Art 6 Abs 2 lit c EMRK garantierte Recht, den Beistand eines Verteidigers seiner Wahl zu erhalten, nicht absoluter Natur, sondern durch das Recht des Staates beschränkt ist, das Auftreten von Verteidigern vor den Gerichten gesetzlich zu regeln (vgl EKMR 8. Juli 1978 EUGRZ 1978, 314 [323]).

Da sich die somit festzustellenden Gesetzesverletzungen nicht zum Nachteil der Angeklagten ausgewirkt haben, zieht die Entscheidung keine weitere konkrete Wirkung nach sich.

Rechtssätze
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