JudikaturJustiz11Os116/14i

11Os116/14i – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin MMag. Spunda als Schriftführerin in der Strafsache gegen Elvir M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 3. Juli 2014, GZ 22 Hv 119/13k 63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Elvir M***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (I./1./), des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB (I./2./) und nach §§ 15, 206 Abs 2 zweiter Fall StGB (I./3./) sowie der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach hat er

I./ am 20. Juni 2013 in H*****

1./ Mateja V***** mit Gewalt zur Duldung einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt, indem er sie gegen ihren Widerstand von hinten mit einer Hand an Hüfte und Bauch umklammert hielt und seinen Mittelfinger in ihre Scheide einführte;

2./ durch die zu I./1./ geschilderte Tathandlung mit einer unmündigen Person, nämlich der am 12. August 1999 geborenen Mateja V***** eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der Genannten, nämlich eine akute Belastungsreaktion sowie eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit einer länger als 24 Tage dauernden Gesundheitsschädigung, zur Folge hatte;

3./ eine unmündige Person, nämlich die am 12. August 1999 geborene Mateja V***** dazu zu verleiten versucht, eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung an sich selbst vorzunehmen, um sich geschlechtlich zu erregen oder zu befriedigen, indem er sie telefonisch aufforderte, sich einen Finger in die Scheide einzuführen, wobei die Tatvollendung infolge Weigerung der Genannten unterblieb;

II./ am 8. Juni 2013 in L***** außer dem Fall des § 201 StGB eine Person durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung an der Ehre zur Duldung des Beischlafs genötigt, indem er Lisa-Maria K***** gegenüber äußerte: „Du tust das jetzt“ (gemeint: Durchführung des Geschlechtsverkehrs), „sonst kommt das Videotelefonat“ (gemeint: Telefongespräche, bei denen es um Telefonsex ging) „ins Facebook“.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus den Z 4, 5, 9 lit a und 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) wurden durch die Abweisung des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags des Beschwerdeführers auf „Beischaffung sämtlicher Zivilakte betreffend die OÖ G***** sowie die Parteien Zeljako und Dusan V***** in aktiver und passiver Rollenbeteiligung zum Beweis dafür, dass die mentale psychische Verschlechterung nicht nur durch den behaupteten Vorfall, sondern auch durch den Tod und die Schuldzuweisung, dass die G***** am Tod des Bruders schuld sei, ausgelöst bzw. verschlimmert worden sei“ (ON 62 S 13), Verteidigungsrechte nicht geschmälert. Ließ doch dieser Beweisantrag (schon) nicht erkennen, inwieweit aus den Verfahrensakten von Rechtsstreitigkeiten, welche die Eltern der tatbetroffenen Zeugin Mateja V***** gegen einen Krankenhauserhalter führten, Aufschluss darüber zu erwarten sein sollte, ob die nach dem Gutachten der beigezogenen medizinischen Sachverständigen aus dem Fach der Neurologie und Psychiatrie (ON 58; ON 62 S 5 ff) bestehenden krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigungen des genannten Opfers (nicht nur auf die vom Schuldspruch I./1./ und I./2./ erfasste Tat, sondern auch) auf eine durch den (womöglich durch ärztliche Fehlleistungen verursachten) Tod dessen neugeborenen Bruders ausgelöste seelische Traumatisierung zurückzuführen sind (§ 55 Abs 1 zweiter Satz StPO; vgl RIS Justiz RS0118444). Im Übrigen war das Beweisthema für die Beurteilung des Tatverdachts bedeutungslos (§ 55 Abs 2 Z 1 StPO), weil die im Antrag zugestandene Mitkausalität des vorgeworfenen Verhaltens für die eingetretenen (schweren) Folgen für deren strafrechtliche Zurechnung ausreicht (RIS Justiz RS0091997 [T2]).

Indem die gegen den Schuldspruch I./1./ und I./2./ gerichtete Mängelrüge (der Sache nach Z 5 vierter Fall) ausschließlich die Konstatierung der Vaginalpenetration mit dem Mittelfinger bekämpft, spricht sie keinen für die Schuld- oder Subsumtionsfrage bedeutsamen Umstand an. Nach gefestigter Rechtsprechung verlangt nämlich der Tatbestand des § 201 Abs 1 StGB ebenso wie jener des § 206 Abs 1 StGB (dazu Philipp in WK 2 StGB § 206 Rz 10 ff mwN) (in objektiver Hinsicht) keineswegs den „Vollzug“ des Beischlafs oder einer diesem gleichzusetzenden Handlung; es genügt vielmehr, dass der Täter anfängt, eine solche Handlung vorzunehmen, und das Tatopfer beginnt, diese zu erdulden (RIS Justiz RS0115581, RS0090720; vgl Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 43 ff). Beide Delikte sind daher bei Vorliegen der jeweils weiteren Tatbestandsmerkmale schon dann vollendet, wenn es noch zu gar keinem Eindringen (hier:) eines Fingers in die Scheide des Opfers, wohl aber bereits zu einer Berührung dessen äußeren Geschlechtsteils gekommen ist (RIS Justiz RS0115581 [T2, T3]), sofern der Täter dabei wie hier (US 4) mit entsprechendem Penetrationsvorsatz handelte.

Die von der Rechtsrüge (Z 9 lit a) vermissten Feststellungen zur subjektiven Tatseite finden sich auf US 4 f (Schuldspruch I./1./ und I./2./), US 6 (Schuldspruch I./3./) und US 7 f (Schuldspruch II./).

Weshalb (auch) die Annahme einer als Nötigungsziel des § 201 Abs 1 StGB der „Vornahme oder Duldung des Beischlafs“ rechtlich gleichwertigen ( Philipp in WK 2 StGB § 201 Rz 21 ff) dem Beischlaf gleichzusetzenden Handlung eine „Vereinigung der Geschlechtsteile“ zur Voraussetzung haben sollte, leitet die Rüge (Z 9 lit a) nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab und bringt damit den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht zu prozessförmiger Darstellung ( Ratz , WK StPO § 281 Rz 588 ff).

Die unter dem Aspekt der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO geführte Beschwerdeargumentation erklärt nicht, aus welchem Grund die vom Schuldspruch I./1./ und I./2./ erfasste Tat entgegen ständiger Rechtsprechung (RIS Justiz RS0095615, RS0115550) nicht als die Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und (damit echt ideal konkurrierend) des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB zu beurteilen sein soll.

Die weitere Kritik der Subsumtionsrüge (Z 10), die den Gegenstand der Schuldsprüche I./2./ und I./3./ bildenden, in kurzer zeitlicher Abfolge zum Nachteil ein und desselben Opfers verübten Taten seien von „einem Gesamtvorsatz getragen“ gewesen, daher als ein „fortgesetztes Delikt“ und eine „zusammenhängende Straftat“ (gemeint: tatbestandliche Handlungseinheit, vgl RIS Justiz RS0122006) anzusehen, setzt sich über die Feststellung des jeweils gesondert gefassten Tatentschlusses (US 4 f; US 6) hinweg und verfehlt solcherart den Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS Justiz RS0099810).

Nur der Vollständigkeit halber ist dem noch hinzuzufügen, dass das Erstgericht angesichts der Konstatierung getrennter Handlungskomplexe insoweit zu Recht von echter Realkonkurrenz zwischen § 206 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB (Schuldspruch I./2./) und §§ 15, 206 Abs 2 zweiter Fall StGB (Schuldspruch I./3./) ausging (RIS Justiz RS0118269).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass § 201 Abs 1 StGB anders als § 202 Abs 1 StGB und § 206 Abs 1, Abs 2 StGB mit dem (am 1. August 2013 in Kraft getretenen) Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013, BGBl I 2013/116, geändert wurde und die (daher) im Urteilszeitpunkt geltende Fassung dieser Bestimmung (zufolge nunmehriger Strafuntergrenze von einem Jahr) gegenüber der im Tatzeitpunkt geltenden ungünstiger ist. Obwohl dies auf den zugleich ebenfalls (freilich ohne Veränderung des Strafrahmens und fallkonkret auch sonst nicht ungünstiger) neu gefassten Abs 3 des § 206 StGB (für sich allein genommen) nicht zutrifft, führt die nach dem zweiten Satz des § 61 Abs 1 StGB vorzunehmende vom Erstgericht jedoch unterlassene Prüfung daher zum Ergebnis, dass die Gesetze, die zum Tatzeitpunkt gegolten haben, für den Täter in ihrer Gesamtauswirkung günstiger waren als die jeweils aktuellen (vgl Höpfel/U. Kathrein in WK 2 StGB § 61 Rz 13). Da eine Kombination aus den in Rede stehenden Rechtsschichten unzulässig ist, sodass im Fall von Idealkonkurrenz wie hier der zu beurteilende Lebenssachverhalt nach Maßgabe des § 61 Abs 1 zweiter Satz StGB entweder dem Urteilszeit- oder dem Tatzeitrecht zu subsumieren ist (RIS Justiz RS0119085 [T6]), wäre die den Gegenstand der Schuldsprüche I./1./ und I./2./ bildende Tat somit § 201 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 und § 206 Abs 1, Abs 3 StGB idF BGBl I 1998/153 (und nicht den jeweils geltenden Fassungen dieser Bestimmungen) zu unterstellen gewesen. Zu amtswegiger Wahrnehmung der darin gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO; vgl Ratz , WK StPO § 281 Rz 653, 288 Rz 36) besteht jedoch kein Anlass: eine unrichtige Subsumtion benachteiligt den Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinne des § 290 StPO ( Ratz , WK StPO § 290 Rz 22 ff).

Ebensowenig erfordert die Wertung dessen „geringer Schuldeinsicht“ als eine für die Strafzumessung entscheidende Tatsache (US 25) ein solches Vorgehen, weil die darin zu erblickende unrichtige Gesetzesanwendung (RIS Justiz RS0090897) im Rahmen der Entscheidung über die vom Angeklagten ohnedies erhobene Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) bei der hinsichtlich des aufgezeigten Subsumtionsfehlers keine (dem Angeklagten zum Nachteil gereichende) Bindung des Oberlandesgerichts an den erstgerichtlichen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO besteht noch korrigiert werden kann (RIS-Justiz RS0118870; Ratz , WK StPO § 290 Rz 27a).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
9
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    17. April 2024·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).