JudikaturJustiz10ObS131/23x

10ObS131/23x – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*, vertreten durch Dr. Ernst Eypeltauer, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Rückforderung von Krankengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 11. Oktober 2023, GZ 12 Rs 86/23p 16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht von 18. Mai 2023, GZ 18 Cgs 1/23i 11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Zwischen den Parteien ist strittig, ob der Kläger zwischen 1. August 2022 und 28. Februar 2023 Anspruch auf Krankengeld hat. Das vorliegende Verfahren betrifft den Zeitraum von 1. August 2022 bis 19. September 2022, in dem der Kläger Krankengeld bezogen hat; der anschließende Zeitraum bis 28. Februar 2023, für den er Krankengeld begehrt, ist Gegenstand des Verfahrens zu 10 ObS 1/24f.

[2] Der Kläger ist seit dem Jahr 2000 als Berufspilot bei einer Fluggesellschaft tätig. Sein Dienstgeber kündigte das Dienstverhältnis zum 31. März 2022 auf . Die deswegen geführten arbeitsgerichtlichen Verfahren endeten mit Vergleich vom 11. August 2022, mit dem die Kündigung rückwirkend aufgehoben und für den Zeitraum 1. August 2022 bis 28. Februar 2023 Urlaub gegen Entfall des Arbeitsentgelts vereinbart wurden.

[3] Seit 1. März 2023 erhält der Kläger (von seinem Dienstgeber) wieder sein Gehalt.

[4] Bereits am 23. April 2022 war der Kläger aufgrund einer schweren Erkrankung arbeitsunfähig geworden und erhielt für die Zeit von 7. Mai 2022 bis 19. September 2022 insgesamt 14.716,32 EUR Krankengeld. Davon zahlte er den auf den Zeitraum bis 31. Juli 2022 entfallenden Anteil von 9.124,32 EUR nach der rückwirkenden Gehaltszahlung des Dienstgebers zurück. Das restliche die Zeit von 1. August 2002 bis 19. September 2022 betreffende Krankengeld von 5.592 EUR zahlte der Kläger nicht zurück.

[5] Mit Bescheid vom 7. Dezember 2022 sprach die beklagte Österreichische Gesundheitskasse aus, dass der Kläger aus Anlass seiner Erkrankung vom 23. April 2022 zu Unrecht 14.716,32 EUR Krankengeld bezogen habe, und verpflichtete ihn, diesen Betrag zurückzuzahlen.

[6] Mir seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass er in der Zeit von 1. August 2022 bis 19. September 2022 Anspruch auf Krankengeld in Höhe von 5.592 EUR gehabt habe und der Beklagten insofern daher kein Rückforderungsanspruch zustehe. Da der Versicherungsfall bereits am 23. April 2022 und damit schon vor Beginn seines Karenzurlaubs eingetreten sei, habe er gemäß § 122 Abs 1 ASVG Anspruch auf Krankengeld auch über das Ende der Versicherung hinaus gehabt und daher zu Recht Krankengeld bezogen. Eine Meldepflichtverletzung liege nicht vor, weil der Beklagten die Karenzierung bereits am 24. August 2022 von seinem Dienstgeber mitgeteilt worden sei. Abgesehen davon, dass damit für ihn keine Meldepflicht mehr bestanden habe, habe auch er die Beklagte mit Schreiben vom 4. Jänner 2023 über die Karenzierung informiert.

[7] Die Beklagte hielt dem entgegen, dass der Kläger im strittigen Zeitraum nicht arbeitsunfähig im Rechtssinn gewesen sei und ihm daher kein Anspruch auf Krankengeld zugestanden sei. Der Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit setze nämlich voraus, dass der Dienstnehmer durch die Erkrankung an der Arbeitsleistung gehindert sei. Das sei während eines unbezahlten Urlaubs bzw der Karenzierung eines Dienstverhältnisses nicht möglich, weil in dieser Zeit keine Arbeitspflicht bestehe. Darauf aufbauend habe der Kläger im strittigen Zeitraum zu Unrecht Krankengeld bezogen und auch seine Meldepflicht nach § 40 Abs 1 ASVG verletzt, weil er sie erst im Jänner 2023 über die Karenzierung des Dienstverhältnisses informiert habe. Dass ihr bereits sein Dienstgeber die Karenzierung mitgeteilt habe, reiche nicht aus, um die den Kläger treffende Meldepflicht zu erfüllen.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab und verpflichtete den Kläger, der Beklagten das im Zeitraum von 1. August 2022 bis 19. September 2022 zu Unrecht bezogene Krankengeld von 5.592 EUR zurückzuzahlen.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Arbeitsunfähigkeit liege vor, wenn der Erkrankte nicht oder doch nur mit Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig sei, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Bestehe daher keine Arbeitspflicht, scheide die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit aus. Daran ändere auch § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG nichts. Zwar habe die Pflichtversicherung des Klägers mit 31. Juli 2022 und damit erst nach dem Eintritt des Versicherungsfalls geendet. Maßgeblich sei jedoch, dass infolge des Vergleichs ab 1. August 2022 (bei aufrechtem Dienstverhältnis) weder eine Arbeitsverpflichtung noch ein Entgeltanspruch bestanden habe. Einen Einkommensverlust habe der Kläger durch die Arbeitsunfähigkeit daher nicht erlitten, sodass ein Anspruch auf Krankengeld ausscheide. Die Ansicht des Klägers, es komme allein auf das Ende der Pflichtversicherung an, sei abzulehnen, weil in diesem Fall bei einem unbezahlten Urlaub bis zu einem Monat mangels Erlöschens der Versicherung (§ 11 Abs 3 lit a ASVG) kein Anspruch auf Krankengeld bestehen, ein solches bei einer länger dauernden Arbeitsunterbrechung dagegen von Anfang an zustehen würde. Darauf aufbauend sei der Kläger zum Rückersatz des zwischen 1. August 2022 und 19. September 2022 bezogenen Krankengeldes verpflichtet. Zwar habe sich die Beklagte nicht auf den vom Erstgericht herangezogenen Tatbestand des § 107 Abs 1 Satz 1 4. Fall ASVG gestützt. Es sei aber der von ihr herangezogene Tatbestand der Verletzung der Meldepflicht (§ 107 Abs 1 Satz 1 3. Fall ASVG) verwirklicht, weil diese nicht schon dadurch erfüllt worden sei, dass der Dienstgeber des Klägers die Karenzierung gemeldet habe. Hätte der Kläger der Beklagten den Inhalt des Vergleichs vom 11. August 2022 rechtzeitig bis 18. August 2022 gemeldet, wäre sowohl die erste Krankengeldtranche (für den Zeitraum von 1. August 2022 bis 22. August 2022) am 22. August 2022 als auch die zweite Tranche nicht überwiesen worden.

[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, wie sich die Vereinbarung eines unbezahlten Urlaubs auf den Anspruch auf Krankengeld auswirke, noch nicht Stellung genommen habe.

[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die von der Beklagten beantwortete Revision des Klägers, mit dem Antrag, der Klage stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[12] Die Revision ist e ntgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Zum Krankengeldanspruch

[13] 1. Das Vorliegen einer Rechtsfrage erheblicher Bedeutung ist nach dem Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen (RS0112769; RS0112921). Eine bei Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich aufgeworfene Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO verliert daher ihre Erheblichkeit, wenn sie durch eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zwischenzeitig geklärt wurde (RS0112769 [T12]; RS0112921 [T5]). Das ist hier der Fall.

[14] 2.  Der Oberste Gerichtshof hat sich erst jüngst in der (im RIS noch nicht veröffentlichten) Entscheidung vom 16. 1. 2024 zu 10 ObS 23/23i mit der Frage befasst, ob Krankengeld auch während eines unbezahlten Urlaubs zusteht, und kam zu folgenden Ergebnis:

[15] Erkrankt ein Versicherter während eines unbezahlten Urlaubs, besteht ungeachtet einer aufrechten Pflichtversicherung nach § 11 Abs 3 lit a ASVG kein Anspruch auf Krankengeld nach § 138 Abs 1 ASVG.

[16] 3. Die Entscheidungen der Vorinstanzen stehen damit im Einklang.

[17] Zwar unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt insofern von jenem, der der Entscheidung zu 10 ObS 23/23i zugrunde lag, als dort die Versicherung aufrecht war, wohingegen sie hier durch die Karenzierung bzw das vereinbarte Ruhen der Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag beendet wurde (§ 11 Abs 3 lit a ASVG; vgl VwGH 92/08/0016; 93/08/0138; 94/08/0288 ua). Der Verweis des Klägers auf § 122 Abs 1 ASVG gibt aber keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.

[18] Richtig ist, dass Krankengeld gemäß § 122 Abs 1 Satz 3 ASVG über das Ende der Versicherung hinaus weiter zu gewähren ist. Der Kläger übergeht allerdings, dass das nur solange gilt, als weiterhin die Voraussetzungen für den Anspruch gegeben sind. Wie das Berufungsgericht mit dem von ihm angestellten Vergleich zwischen langen und kürzeren unbezahlten Urlauben im Ergebnis zu Recht betont hat, soll damit der Anspruch nicht inhaltlich erweitert, sondern bloß ein schon eingetretener Versicherungsfall ausgeleistet werden (vgl ErläutRV 599 BlgNR 7. GP 50 zur Stammfassung des ASVG). Mit der überzeugenden Argumentation des Berufungsgerichts , der Krankengeldanspruch könne nach Ende der Versicherung nicht weiter reichen als während aufrechter Versicherung, befasst sich der Kläger im Übrigen nicht weiter.

Zum Rückforderungsanspruch

[19] 4. Auch zum Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 Satz 1 3. Fall ASVG zeigt die Revision keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf.

[20] 4.1. Nach dieser Bestimmung sind zu Unrecht erbrachte Geldleistungen dann zurückzufordern, wenn der Zahlungsempfänger den Bezug durch Verletzung der Meldevorschriften (§ 40 ASVG) herbeigeführt hat, wofür schon leichte Fahrlässigkeit genügt (RS0083641 [T1]; 10 ObS 60/18y). Gelingt dem Sozialversicherungsträger der Nachweis einer objektiven Verletzung einer Meldevorschrift, ist es Sache des Versicherten nachzuweisen, dass ihn daran kein Verschulden trifft (RS0083641; 10 ObS 68/15w).

[21] 4.2. Wenn der Kläger dazu darauf beharrt, dass die Beklagte schon durch den Eintrag seines Dienstgebers im elektronischen System der Sozialversicherungsträger (die Abmeldung zur Sozialversicherung wegen des länger als einen Monat dauernden unbezahlten Urlaubs) über die Karenzierung informiert gewesen sei, hat dem schon das Berufungsgericht die ständige Rechtsprechung entgegen gehalten, dass dadurch allein die Meldepflicht nicht aufgehoben wird (RS0083623). Besondere Gründe, aufgrund derer er annehmen durfte, die Meldung durch ihn würde auf das Vorgehen der Beklagten keinen Einfluss haben (10 ObS 86/21a; 10 ObS 53/01v ua), hat er schon in erster Instanz nicht behauptet. Ebenso wenig hat er sonstige Umstände vorgebracht, die ein Verschulden ausschließen könnten.

[22] 4.3. Die Ansicht, die Frist für die Meldung habe zwar mit Abschluss des Vergleichs am 11. August 2022 begonnen, aber erst am 25. August 2022 (und nicht schon am 18. August 2022) geendet, beruht auf einem Missverständnis der Entscheidung des Berufungsgerichts. Dieses ist nicht von der 14 tägigen Frist des Satz 1, sondern der kürzeren Frist des Satz 2 des § 40 Abs 1 ASVG ausgegangen. Demnach ist jede Änderung der Höhe des Erwerbseinkommens binnen sieben Tagen zu melden, soweit dies für den Fortbestand und das Ausmaß des (hier:) Krankengeldbezugs maßgebend ist. Warum diese Ansicht unzutreffend sein soll, obwohl er aufgrund des Vergleichs (keine Arbeitspflicht und vor allem) keinen Entgeltanspruch mehr hatte, zeigt der Kläger nicht auf und ist auch nicht ersichtlich. Dass die Auszahlung des zurückgeforderten Krankengeldes bei einer Meldung der Karenzierung innerhalb dieser Frist (also bis 18. August 2022) unterblieben wäre, bestreitet der Kläger nicht.

Ergebnis

[23] 5 . Die Revision spricht daher weder zum Anspruch auf Krankengeld noch zu den Voraussetzungen seiner Rückforderung eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO an.

[24] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.

Rechtssätze
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