JudikaturJustiz10Ob8/13v

10Ob8/13v – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. März 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Kronberger Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. A*****, vertreten durch Biedermann Belihart Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 4. Dezember 2012, GZ 40 R 121/12h-26, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. Die Zulassungsbeschwerde macht geltend, hier seien erhebliche Rechtsfragen zu klären, weil das Berufungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ein grobes Verschulden der Beklagten am Mietzinsrückstand gemäß § 33 Abs 2 MRG verneint habe und die Rechtsprechung zur Frage, ob dem Mieter das Verschulden eines beratenden Rechtsanwalts zuzurechnen sei, uneinheitlich sei.

Rechtliche Beurteilung

2. Für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, ist seine Willensrichtung, die zur Zahlungssäumnis führte, entscheidend (RIS-Justiz RS0069316 [T2]). Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RIS-Justiz RS0069304; 7 Ob 99/12b mwN).

3. In der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 5 Ob 528/93 wurde dazu die Auffassung vertreten, dass sich der mit der Mietzinszahlung säumige Mieter bei der Beurteilung groben Verschuldens (§ 33 Abs 2 MRG) einen rechtlich verfehlten Rat seines Rechtsanwalts zurechnen lassen müsse. Diese Ansicht widersprach der zu 1 Ob 531/91 vertretenen und wurde schließlich zu 6 Ob 257/03t ausdrücklich abgelehnt. In der Entscheidung 5 Ob 29/09i schloss sich der Senat 5 diesen Argumenten ausdrücklich an und stellte Folgendes klar:

Es kommt für die Zurechnung des schuldhaften Verhaltens des Erfüllungsgehilfen darauf an, ob die Ersatzpflicht auch zu verneinen ist, wenn dasselbe Verhalten vom Schuldner selbst gesetzt worden wäre. Der Beurteilungsmaßstab ist dabei dem Verkehrskreis und der Stellung des Schuldners zu entnehmen (RIS-Justiz RS0022747). Selbst wenn man also den anwaltlichen Vertreter des Mieters als Erfüllungsgehilfen bei der Erfüllung der Mieterpflichten ansehen wollte, kommt es nur darauf an, ob das Verhalten des Gehilfen den Schuldner ersatzpflichtig gemacht hätte, wäre es von diesem selbst gesetzt worden (RIS-Justiz RS0022747 [T1]; 7 Ob 99/12b).

3.1. Nach der Rechtsprechung liegt dem Mieter auch dann kein Verschulden, jedenfalls aber keine grobe Fahrlässigkeit am Zahlungsverzug zur Last, wenn er auf rechtskundigen Rat angewiesen war, ihn auch in Anspruch nahm und nur wegen der ( gemessen an § 1299 ABGB ) unvertretbaren Rechtsansicht des Rechtsfreundes in Teilverzug gerät (RIS-Justiz RS0070373), wobei Zweifel über die wahre Rechtslage ebenso wie auch ein Irrtum über das Vorliegen eines Zahlungsrückstands in der Regel nur leichte Fahrlässigkeit begründen können; sodass erst das Beharren auf einem bei nüchterner Überlegung als unrichtig erkennbaren Standpunkt deutlich machen kann, dass es kein fehlerhaftes Vorstellungsbild, sondern Rechthaberei gewesen sein muss, die den qualifizierten Zahlungsrückstand herbeigeführt hat (RIS-Justiz RS0070327; 7 Ob 99/12b).

4. Ob den Mieter an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden im Sinn des § 33 Abs 2 MRG trifft, stellt eine Frage des Einzelfalls dar. Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kann insoweit die Zulässigkeit der Revision nur dann begründet werden, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RIS-Justiz RS0042773 [T1, T3]; 7 Ob 99/12b).

5. Dieser Spielraum wurde im vorliegenden Fall jedenfalls nicht überschritten; im Hinblick auf die massiven Beeinträchtigungen des Mietobjekts ist eine Verneinung groben Verschuldens nach den Grundsätzen der dargelegten Rechtsprechung nämlich auch dann vertretbar, wenn man berücksichtigt, dass die Mieterin in bestimmten Perioden gar keinen Mietzins bezahlt hat:

5.1. Kann doch allein aus dem Umstand, dass der Untermieter weiterhin in der Wohnung verblieben ist, nicht (zwingend) geschlossen werden, dass jedenfalls Mietzins zu bezahlen gewesen wäre, was auch für einen „juristischen Laien“ erkennbar gewesen sei. Dass letzteres nicht der Fall ist, ergibt sich schon daraus, dass das Erstgericht, obwohl der Untermieter (dem die Hälfte der Wohnung untervermietet war) im Bestandobjekt verblieb, für einige Monate eine Zinsminderung von 90 % annahm. Außerdem wurde im fraglichen Zeitraum gar kein Untermietzins bezahlt.

5.2. Im Zusammenhang mit der Fragestellung, ob eine unrichtige Rechtsauskunft dem Mieter zuzurechnen ist, stellt sich keine erhebliche Rechtsfrage, weil zum einen der Inhalt der rechtsanwaltlichen Beratung gar nicht feststeht und zum anderen diese Frage durch die zitierte in Wahrheit gar nicht uneinheitliche Rechtsprechung bereits beantwortet ist. Die außerordentliche Revision ist daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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