JudikaturJustiz10Ob59/07k

10Ob59/07k – OGH Entscheidung

Entscheidung
26. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mica M*****, vertreten durch Dr. Christian Burghardt, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ljubisa V*****, Hauseigentümer, *****, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Nichtigkeit eines Vergleiches, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Jänner 2007, GZ 38 R 255/06s, 38 R 256/06p-14, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Donaustadt vom 9. Oktober 2006, GZ 5 C 910/06z-6, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Am 17. 3. 2005 brachte die O***** Baugesellschaft mbH gegen den nunmehrigen Kläger Mica M***** eine Klage auf Mietzinszahlung und Räumung der Wohnungen Top 3 und 5 auf der Liegenschaft M*****straße 60, *****, ein. Mit Vergleich vom 30. 6. 2005 verpflichtete sich der dort Beklagte (und nunmehrige Kläger), der im Verfahren nicht vertreten war, zur ratenweisen Zahlung des rückständigen Mietzinses und zur Räumung der beiden Wohnungen bis längstens 30. 9. 2005. Die seinerzeitige Klägerin verpflichtete sich, für den Fall pünktlicher Mietzinszahlungen keinen Gebrauch vom Räumungstitel zu machen. Mit Antrag vom 9. 12. 2005 beantragte der nunmehrige Beklagte Ljubisa V***** unter Vorlage einer beglaubigten Grundbuchabschrift, wonach das Eigentumsrecht an der Liegenschaft auf ihn übergegangen ist (die bücherliche Einverleibung war bereits am 13. 5. 2005 erfolgt), aufgrund des Vergleichs vom 30. 6. 2005 die Räumungsexekution. Der Antrag auf Räumung wurde am 14. 12. 2005 bewilligt; der Räumungstermin wurde für den 15. 3. 2006 festgesetzt. Aufgrund der zwischenzeitig erfolgten Bestellung eines Sachwalters für den nunmehrigen Kläger Mica M***** und aufgrund eingebrachter Klagen ist die Räumungsexekution derzeit aufgeschoben.

Mit seiner am 18. Juli 2006 gegen den Beklagten Ljubisa V***** eingebrachten Klage begehrt der Kläger unter Berufung auf seine Prozessunfähigkeit im seinerzeitigen Verfahren das Urteil: „Der am 30. Juni 2005 zu 5 C 262/05k des BG D***** abgeschlossene Vergleich ist seinem gesamten Inhalt nach nichtig."

Der Beklagte Ljubisa V***** wandte im Hinblick darauf, dass er Einzelrechtsnachfolger der O***** Baugesellschaft mbH sei, unter anderem das Fehlen seiner Passivlegitimation ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Vergleich sei zwischen dem nunmehrigen Kläger und der O***** Baugesellschaft mbH geschlossen worden. Aktiv- und passivlegitimiert für eine Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage seien lediglich die Parteien des Hauptprozesses bzw deren Gesamtrechtsnachfolger, während Einzelrechtsnachfolger von der Rechtsprechung nicht als klagslegitimiert angesehen würden. Da diese Grundsätze auch auf die vorliegende Klage auf Nichterklärung des Vergleichs vom 30. 6. 2005 anzuwenden seien, wäre die Klage gegen die O***** Baugesellschaft mbH zu richten gewesen.

Soweit für das nunmehrige Rekursverfahren relevant gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers insoweit Folge, als es das Ersturteil teilweise in dem Umfang aufhob, „als es die Abweisung des Klagebegehrens im Umfang der Feststellung und Nichtigerklärung der Räumungsverpflichtung des am 30. 6. 2005 zu 5 C 362/05k vor dem Bezirksgericht D***** abgeschlossenen Vergleichs beinhaltet," und trug dem Erstgericht insoweit eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Bei der Klage, mit der die Nichtigkeit eines Vergleichs geltend gemacht werde, handle es sich um eine Feststellungsklage, die auf die materielle Nichtigerklärung des Vergleichs gerichtet sei. Die Parteistellung in einem Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsverfahren einerseits bzw in einem Verfahren betreffend die Feststellung der Nichtigkeit eines Vergleichs sei nicht ident. Bei einem Bestandverhältnis würden Erwerber der Bestandsache als Einzelrechtsnachfolger in alle Rechte und Pflichten auf Vermieterseite eintreten; der Rechtsvorgänger sei nicht mehr Vertragspartner des Bestandnehmers. Da auch der Räumungsanspruch auf den Einzelrechtsnachfolger des Liegenschaftseigentümers übergehe, sei der Beklagte als nunmehriger Liegenschaftseigentümer in Bezug auf die Anfechtung der Räumungsverpflichtung passiv legitimiert (anders als in Bezug auf die vom nunmehrigen Kläger eingegangenen Zahlungsverpflichtungen).

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur relevanten Frage fehle, ob der Mieter eine Vergleichsanfechtung gegenüber dem Einzelrechtsnachfolger des ursprünglichen Vermieters und Vergleichspartners geltend machen könne.

Gegen den Aufhebungsbeschluss richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus dem Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss ersatzlos aufzuheben und das klagsabweisende Ersturteil zu bestätigen, hilfsweise dem Berufungsgericht oder dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu treffende Entscheidung aufzutragen. Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, der Oberste Gerichtshof möge dem Rekurs nicht Folge geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt. Ihrem Rekurs legt die beklagte Partei zugrunde, dass bei einer Klage auf Nichtigerklärung eines gerichtlichen (Räumungs )Vergleiches im Hinblick auf § 234 ZPO aus dem Übergang des Räumungsanspruchs des Liegenschaftseigentümers auf den Einzelrechtsnachfolger nicht auf die Passivlegitimation des Rechtsnachfolgers geschlossen werden könne. Auch auf ein Verfahren auf Nichtigerklärung eines Vergleiches seien in Bezug auf die Legitimation die für Rechtsmittelklagen entwickelten Grundsätze anzuwenden. Überdies sei eine Aufspaltung zwischen Mietzinszahlungs- und Räumungsanspruch unzulässig.

Dazu wurde erwogen:

1. Auszugehen ist davon, dass im Rekursverfahren nur mehr der im

Vergleich enthaltene Räumungsanspruch strittig ist. Allein der

Umstand, dass im Falle eines Urteils, das über einen

Mietzinszahlungsanspruch und einen Räumungsanspruch abspricht, die

beiden Teil gesondert in (Teil )Rechtskraft erwachsen können, zeigt,

dass die von der beklagten Partei abgelehnte „Aufspaltung" auch im

Fall der Anfechtung eines Vergleichs möglich ist (zur Teilanfechtung

bei Teilbarkeit des Vergleiches siehe 8 Ob 697/89 = RIS-Justiz

RS0014775 [T1] und 1 Ob 568/92 = SZ 65/65 = RIS-Justiz RS0014757

[T3], jeweils zur Teilanfechtung eines Scheidungsfolgenvergleichs;

ebenso RIS-Justiz RS0014818 [T5]).

2. Die (teilweise) Ungültigkeit eines Vergleichs kann - jedenfalls auch - mit einer Feststellungsklage gemäß § 228 ZPO geltend gemacht werden (3 Ob 107/99b = MietSlg 51.764 mwN). Bei relativer Nichtigkeit reicht es nämlich aus, dass sich der geschützte Teil auf die Nichtigkeit beruft oder zumindest den gegen ihn geltend gemachten Anspruch (hier: Räumungsanspruch) bestreitet, weshalb es einer gestaltenden Entscheidung nicht bedarf (Apathy in Schwimann, ABGB3 IV § 879 Rz 36 mwN in FN 552). Die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vergleiches übernimmt daher in diesem Bereich lediglich die Funktion der Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage (4 Ob 253/01m mwN).

3. Ein Urteil, das auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vergleiches aus materiellen Gründen - etwa auch wegen Prozessunfähigkeit bei Vergleichsabschluss (vgl RIS-Justiz RS0019873 [T14]) - lautet, führt zur Einstellung der Exekution nach § 39 Abs 1 Z 1 EO (3 Ob 107/99b = MietSlg 51.764 mwN). Das rechtliche Interesse des Klägers an einer entsprechenden Feststellung auch gegenüber der nunmehr beklagten Partei, die im Vorprozess einen auf sie als Einzelrechtsnachfolger übergegangenen Räumungsanspruch durchzusetzen trachtet, ist evident. Richtig ist, dass die Rechtsprechung den Einzelrechtsnachfolgern der Hauptprozessparteien im Hinblick auf § 234 ZPO die aktive und passive Rechtsmittelklagelegitimation abspricht (RIS-Justiz RS0032968; E. Kodek in Rechberger3 Vor § 529 ZPO Rz 3). Es mag dahingestellt bleiben, ob den dagegen in der Lehre erhobenen Bedenken (siehe etwa Jelinek in Fasching/Konecny2 IV/1 Vor §§ 529 ff ZPO Rz 19) Rechnung zu tragen ist, weil diese Rechtsprechung jedenfalls nicht auf die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit eines Vergleiches übertragen werden kann: wegen des Fehlens einer Rechtskraftwirkung des gerichtlichen Vergleiches ist die Vergleichsanfechtung nicht auf die Voraussetzungen von Nichtigkeits- bzw Wiederaufnahmsklage beschränkt (so auch Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1363). Während im Fall einer Rechtsmittelklage eine Neugestaltung des gerichtlich geordneten Rechtsverhältnisses zwischen den Prozessparteien angestrebt wird, ist bei der Feststellung der Unwirksamkeit eines Vergleiches das Vorhandensein der Voraussetzungen einer Feststellungsklage maßgeblich; dies ist hier zu bejahen.

4. Damit hat es bei der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung zu bleiben.

5. Der Ausspruch über die Kosten beruht auf § 52 Abs 1 ZPO. Obwohl der Rekurs in der Frage der Aufhebung und Zurückverweisung keinen Erfolg gehabt hat, war die Entscheidung über die Rekurskosten vorzubehalten, weil der Rekurs zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat (RIS-Justiz RS0036035).