JudikaturJustiz10Ob5/17h

10Ob5/17h – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. Februar 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei N***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Anderwald – Borowan – Roppatsch, Rechtsanwälte OG in Spittal/Drau, und der Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Partei S***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Brandstetter, Baurecht, Pritz Partner Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei Architekt DI M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Augustin, Mag. Peter Haslinger und Mag. Thomas Böchzelt, Rechtsanwälte in Leoben, wegen 37.816,10 EUR sA (AZ 10 Cg 36/14w des Handelsgerichts Wien) und 143.564,44 EUR sA (AZ 10 Cg 37/14t des Handelsgerichts Wien), über die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 5. Dezember 2016, GZ 34 R 63/16h 69, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die beklagte Gesellschaft plante und errichtete auf einer Liegenschaft in Wien zwei Luxus-Wohnobjekte in Hanglage mit Glasfassaden (ein als „Haus Nord“ bezeichnetes Einfamilienhaus sowie ein – mehrere exklusive Wohnungen enthaltendes – „Wohnhaus Süd“). Die zur Finanzierung des Baues des „Hauses Süd“ aufgenommenen Kreditverbindlichkeiten sollten durch den Erlös aus dessen Verkauf abgedeckt werden. Die Baumeisterarbeiten wurden an die nunmehr klagende Baugesellschaft vergeben, die die Objekte im Juni 2010 nach Bau- und Schlussreinigung übergeben sollte. Die Reinigungsarbeiten (auch betreffend die Glasfassaden) wurden im Auftrag der Klägerin durch die Nebenintervenientin, ein Reinigungsunternehmen durchgeführt.

Unmittelbar nach Beendigung der Reinigungsarbeiten im Juni 2010 entdeckte der Geschäftsführer der Beklagten an den Glaselementen (Fixverglasungen, Schiebetüren) des „Hauses Süd“ zahlreiche Kratzer. Aufgrund der Verfahrensergebnisse steht fest, dass diese Kratzer – ebenso wie die Kratzer an den Glaselementen des „Hauses Nord“ – auf die nicht fachgerechte Reinigung der Glaselemente durch die Mitarbeiter der Nebenintervenientin zurückzuführen sind.

Die finanzierende Bank stellte im Februar 2011 die Kreditkonten mit einem Gesamtobligo von 4,6 Mio EUR fällig. Zwischen 1. 7. 2010 und 31. 5. 2011 liefen auf den Kreditkonten die Klageforderungen übersteigende Verzugszinsen (insgesamt 223.224,38 EUR) auf.

Die Klägerin begehrt an restlichem Werklohn 143.564,44 EUR für das „Haus Süd“ und 37.816,10 EUR für das „Haus Nord“.

Die Beklagte wendete – die Klageforderungen jeweils übersteigende – Gegenforderungen für die Kosten des nur mit hohem Aufwand zu bewerkstelligenden Austauschs der Glaselemente, für die Organisation und die Koordinierung dieser Arbeiten sowie für Verzögerungsschäden (Finanzierungsschaden für Kreditkosten) infolge des um etwa ein Jahr verspäteten Verkaufs des „Hauses Süd“ ein.

Die Nebenintervenientin brachte vor, die Glasfassaden nicht beschädigt zu haben, allfällige Schäden seien auf Umstände zurückzuführen, die nicht in ihrer Sphäre gelegen seien.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderungen zu Recht bestehen weiters, dass die Gegenforderungen bis zur Höhe der Klageforderungen zu Recht bestehen und die beiden Klagebegehren daher abzuweisen seien.

Rechtlich ging es davon aus, die Klägerin hafte für den Ersatz des Schadens, der von der Nebenintervenientin als ihrer Erfüllungsgehilfin infolge der nicht fachgerecht durchgeführten Reinigungsarbeiten entstanden seien. Die zwischen 1. 7. 2010 und 31. 5. 2011 aufgelaufenen Kreditzinsen wären der Beklagten nicht entstanden, hätte die Klägerin die Reinigungsarbeiten mängelfrei erbracht. Da bereits die Kreditzinsen die Klageforderungen überstiegen, müsse auf die weiteren Gegenforderungen (für die Austauschkosten der Glaselemente sowie für Koordinierungs- und Betreuungsaufwand) nicht mehr eingegangen werden. Eine Verletzung der Obliegenheit zur Schadensminderung sei der Beklagten nicht anzulasten. Es sei ihr aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar gewesen, ein Wohnobjekt im Luxussegment in einem nicht makellosen Zustand zum Kauf anzubieten. Es sei auch kein Verschulden darin gelegen, dass die Beklagte die Austauscharbeiten nicht zügiger bewerkstelligen habe lassen.

Das Berufungsgericht wies die allein von der Nebenintervenientin erhobene Nichtigkeitsberufung zurück und gab deren Berufung nicht Folge. Es sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Nebenintervenientin ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1.1 Durch Art 6 Abs 1 EMRK wird als Ausfluss der Garantie eines fairen Verfahrens das Recht jeder Partei geschützt, sich in gerichtlichen Verfahren zu allen erheblichen Tatsachen und rechtlichen Fragen ausreichend zu äußern und Beweise anzubieten. Art 6 EMRK regelt aber nicht, wann eine Beweisaufnahme vor den staatlichen Gerichten erforderlich ist und welche Beweismittel zulässig sind. Das zu regeln ist Sache des innerstaatlichen Rechts, darüber zu entscheiden Sachen der staatlichen Gerichte. Es bestimmt sich daher auch die Frage der Beweislast, der Verwertbarkeit von Beweismitteln und deren Erheblichkeit und Beweiswert nach innerstaatlichem Recht. Das Gericht ist daher nicht zu einer bestimmten Form des Beweisverfahrens verpflichtet (RIS Justiz RS0074938), etwa auch nicht dazu, im vorliegenden Fall die Glaselemente (selbst) zu besichtigen und anschließend durch einen Gerichtssachverständigen begutachten zu lassen (was infolge des Austauschs bereits vor Beginn des Verfahrens auch tatsächlich unmöglich gewesen wäre).

1.2 Der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem eine wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verworfen wurde, kann – auch dann, wenn er in das Berufungsurteil aufgenommen wurde – weder mit Revision noch mit Rekurs bekämpft werden (§ 519 Abs 1 ZPO; RIS Justiz RS0043405). Daran vermag auch die Behauptung des Rechtsmittelwerbers nichts zu ändern, dem Berufungsgericht sei selbst ebenfalls eine Nichtigkeit unterlaufen, indem es sich nur mit dem Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs (nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO) befasst, nicht aber mit dem Nichtigkeitsgrund der Verletzung der Waffengleichheit iSd Art 6 Abs 1 EMRK. Ob eine Nichtigkeit verneint wurde, richtet sich nur nach den beurteilten Tatsachen, nicht aber nach den angewendeten oder angesprochenen Rechtsnormen (RIS Justiz RS0042981 [T7]). Die Anfechtungsbeschränkung nach § 519 Abs 1 ZPO kann auch nicht mit der weiteren Behauptung unterlaufen werden, das Rechtsmittelgericht sei nicht ausreichend auf bestimmte Rechtsmittelargumente eingegangen, (RIS Justiz RS0042981 [T24]).

1.3 Wenn das Berufungsgericht die Vorgangsweise gebilligt hat, das von der Beklagten bereits vor Verfahrensbeginn in Auftrag gegebene Privatgutachten (als Urkunde) zu den Akten zu nehmen, sodass es auch dem Gerichtssachverständigen zur Verfügung stand und von diesem bei der Gutachtenserstellung verwertet werden konnte, liegt darin auch keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründet.

1.4 Angelegenheiten der Beweiswürdigung sind ausschließlich von den Tatsacheninstanzen zu behandeln und können nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS Justiz RS0043371 [T5]). Dazu zählt unter anderem die Frage, ob das gerichtliche Sachverständigengutachten, das mit den im Privatgutachten getätigten Schlüssen konform geht, eine ausreichende Grundlage für die Feststellungen zur Kausalität der Schadensverursachung bietet.

2.1 Aus § 1304 ABGB ergibt sich die Obliegenheit des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, wenn und soweit ihm ein entsprechendes Verhalten möglich und zumutbar ist (vgl RIS Justiz RS0027043). Diese Obliegenheit besteht auch bei Verletzung vertraglicher Pflichten ( Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB 4 § 1304 Rz 21).

2.2 Gegen die genannte Obliegenheit verstößt, wer als Geschädigter Handlungen unterlässt, die – objektiv beurteilt – geeignet gewesen wären, den Schaden abzuwehren oder zu verringern, und von einem verständigen Durchschnittsmenschen gesetzt worden wären, um eine nachteilige Veränderung des eigenen Vermögens hintanzuhalten (vgl RIS Justiz RS0023573 [T2]).

2.3 Was dem Geschädigten im Rahmen der Obliegenheit zur Schadensminderung zumutbar ist, bestimmt sich nach den Interessen beider Teile und den Grundsätzen des redlichen Verkehrs. Eine mögliche Maßnahme der Schadensminderung ist dann angemessen, wenn sie unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben erwartet werden durfte. Dabei ist auf das Verhalten eines verständigen Ersatzberechtigten in gleicher Lage abzustellen (RIS Justiz RS0104931 [T1]). Es kommt daher wesentlich auf die Umstände des Einzelfalls an, sodass damit im Zusammenhang stehende Fragen regelmäßig keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS Justiz RS0027787).

3. Dass und welche Maßnahmen dem Geschädigten objektiv zumutbar gewesen wären, hat der Schädiger zu behaupten und zu beweisen (RIS Justiz RS0026909; Karner in KBB 4 § 1304 Rz 11).

3.1 Im vorliegenden Fall steht fest, dass ein Einigungsversuch mit der Klägerin an deren Standpunkt gescheitert war, die Kratzer auf den Glaselementen seien nicht auf die Reinigungsarbeiten zurückzuführen. Daraufhin suchte der Geschäftsführer der Beklagten im Spätsommer/Frühherbst 2010 nach einem geeigneten Fachmann als Privatgutachter, dem er im Oktober 2010 den Gutachtensauftrag erteilte. Nach Vorliegen des Gutachtens am 11. 12. 2010 begann der Geschäftsführer der Beklagten die Suche nach einem geeigneten Unternehmen, das in der Lage war, den – technisch sehr aufwendigen – Austausch der zerkratzten Glaselemente mittels Krangeräten vorzunehmen. Der Auftrag wurde im März 2011 erteilt. Bis Ende Mai/ Anfang Juni 2011 waren sämtliche mangelhaften Glaselemente ausgetauscht. Aus technischer Sicht war sowohl die Frist, in der das Gutachten erstattet worden war, als auch die Bauzeit für den Glasaustausch angemessen. Inserate wurden im Frühjahr 2011 geschaltet, die ersten Besichtigungen des „Hauses Süd“ durch Interessenten erfolgten nach dem Austausch der Glaselemente im Sommer 2011.

3.2 Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage davon ausgingen, ein Verstoß gegen die Obliegenheit zur Schadensminderung sei zu verneinen, weil es der Klägerin bzw der Nebenintervenientin nicht gelungen sei, unter Beweis zu stellen, dass sich ein verständiger Ersatzberechtigter angesichts der besonders guten Ausstattung des „Hauses Süd“ („im Luxussegment“) und des mit der Mängelbehebung einhergehenden technischen Aufwands bei der Planung und Umsetzung anders verhalten hätte, ist darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken. Dies trifft insbesondere auf die Ansicht zu, der Beklagten sei es aus wirtschaftlichen Gründen nicht zumutbar gewesen, Luxuswohnungen im obersten Preissegment potentiellen Käufern noch vor Mängelbehebung in ersichtlich schadhaftem Zustand zu präsentieren und mit diesen entsprechende Vereinbarungen zu treffen. Auch die Frage, ob der Geschäftsführer der Beklagten die Suche nach einem geeigneten Privatgutachter und einem fachkundigen Glaser- Unternehmen jeweils ausreichend rasch oder schuldhaft verzögert betrieben hat, richtet sich ausschließlich nach den Umständen des Einzelfalls.

Dass der Austausch der Glaselemente auch objektiv rascher organisierbar gewesen wäre, hätte die Klägerin (bzw deren Nebenintervenientin) zu beweisen gehabt (RIS Justiz RS0027129). Dieser Beweis wurde nicht erbracht. Auch mit dem in der Revision erhobenen pauschalen Vorwurf, die Abwicklung sei im Hinblick auf die eklatante Höhe der monatlichen Kreditzinsenbelastung nicht ehestmöglich erfolgt, wird keine schuldhafte Unterlassung einer konkreten schadensmindernden Maßnahme aufgezeigt. Mit ihrem Vorbringen, die Beklagte hätte die Beschleunigung der Glaserarbeiten betreiben müssen, entfernt sich die Revisionswerberin von der Feststellung, aus technischer Sicht sei die Bauzeit für den Austausch der Glaselemente angemessen gewesen. Die (technische) Angemessenheit kann von den Tatsacheninstanzen auch ohne Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens festgestellt werden.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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