JudikaturJustiz10Ob47/22t

10Ob47/22t – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Faber und die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. J*, und 2. C*, beide vertreten durch die Hochleitner Rechtsanwälte GmbH in Perg, gegen die beklagte Partei J*, vertreten durch Mag. Manfred Sigl, Rechtsanwalt in Amstetten, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 22. Juni 2022, GZ 21 R 51/22s 21, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Melk vom 21. Dezember 2021, GZ 12 C 542/20i 17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 551,86 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 91,98 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger sind E igentümer dreier Grundstücke (idF dienende Grundstücke), die auf bestimmten, einen Feld- bzw Wiesenweg bildenden Teilflächen (in der Folge Servitutsweg) mit der (ersessenen) Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit landwirtschaftlichen Fahrzeugen und Maschinen zum Zwecke der Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks belastet sind.

[2] Der Beklagte ist Miteigentümer mehrerer, aneinander angrenzender Grundstücke, darunter einer Wiesenparzelle (in der Folge herrschendes Grundstück), und fährt regelmäßig über den Servitutsweg auf das herrschende Grundstück, um dort nach dem Rechten zu sehen. In diesen Fällen fährt er über den Servitutsweg zu und danach wieder von dieser Parzelle weg; dass er nach Zufahrt über den Servitutsweg auch eines oder mehrere seiner anderen Grundstücke angefahren oder bewirtschaftet hätte, steht nicht fest.

[3] Das Düngen des herrschenden Grundstücks verbindet der Beklagte mit dem Ausbringen der Gülle auf anderen Grundstücken, wobei er von seiner Hofstelle losfährt, zunächst auf anderen Grundstücken und als letztes auf dem herrschenden Grundstück Gülle ausbringt und unmittelbar danach über den Servitutsweg zu seiner Hofstelle zurückkehrt. Dass der Beklagte weniger häufig, mit kleineren Gerätschaften, einem kleineren Güllefass oder mit einem geringer befüllten Güllefass über den Servitutsweg fahren würde, wenn er nur das herrschende Grundstück allein düngen würde, steht nicht fest.

[4] Die Kläger begehren vom Beklagten die Unterlassung der Verwendung des Servitutswegs schlechthin, in eventu der Verwendung außer zum Zweck der Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks. Der Beklagte nutze den Servitutsweg nicht nur zur Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks, sondern auch zur Bewirtschaftung anderer Grundstücke und weite die Dienstbarkeit somit unzulässigerweise aus.

[5] Die Vorinstanzen wiesen die Klagebegehren ab. Richtig sei, dass der Beklagte den Servitutsweg nur für Tätigkeiten auf dem herrschenden Grundstück und nicht auch für Tätigkeiten auf seinen anderen Grundstücken benützen dürfe. Der Beklagte versuche aber nicht, die Dienstbarkeit auf seine anderen Grundstücke auszudehnen, weil er unmittelbar vor Benützung des Servitutswegs das herrschende Grundstück bewirtschafte und es nicht zu einer höheren Nutzungsfrequenz gegenüber einer gesonderten Bewirtschaftung (Düngung) nur des herrschenden Grundstücks allein komme.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob im vorliegenden Fall von einer unzulässigen Erweiterung einer Wegeservitut auszugehen sei.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[8] 1. Die Frage des Ausmaßes bzw des Umfangs einer Dienstbarkeit ist grundsätzlich einzelfallbezogen zu lösen und erfüllt daher – von einer den Beurteilungsspielraum überschreitenden Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen abgesehen – nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (RS0011720 [T7]; RS0011664 [T11]; RS0016364 [T7]; RS0016369 [T10]). Insbesondere begründet es noch nicht das Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung, wenn ein völlig gleichgearteter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde (RS0107773).

[9] 2. Der Inhalt einer ersessenen Dienstbarkeit richtet sich danach, zu welchem Zweck das dienstbare Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Guts während dieser Zeit benötigte (RS0011664 [T2]). Die einmal eingeräumte Dienstbarkeit für die Bewirtschaftung einer bestimmten Fläche darf nicht um weitere herrschende Grundstücke ergänzt werden. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wurde bei einem nur geringfügigen Teilstück auf dem infolge Verlegung der öffentlichen Straße zugeschriebenen Grund gemacht (RS0104358).

[10] 3. Nach dem festgestellten Sachverhalt befährt der Beklagte den Servitutsweg unmittelbar nach dem Ausbringen der Gülle vom herrschenden Grundstück aus, sodass er den Servitutsweg zum Zweck der Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks nutzt. Nicht ersichtlich ist hingegen, inwiefern sich der Umstand, dass der Beklagte zuvor noch Gülle auf anderen Flächen ausbringt, auf die Benutzung des Servitutswegs (oder die Rechtsstellung der Kläger überhaupt) nachteilig auswirkt. Wenn die Vorinstanzen bei dieser Sachlage – ungeachtet des Größenverhältnisses dieser Flächen zum herrschenden Grundstück – nicht von einer Ausweitung der Dienstbarkeit durch den Beklagten ausgingen, ist darin keine Überschreitung des ihnen zukommenden Beurteilungsspielraums zu erkennen.

[11] 4. Die in der Revision thematisierte – im Übrigen ebenso von den Umständen des Einzelfalls abhängige (RS0105550 [T5]) – Frage, ob eine gemessene oder ungemessene Dienstbarkeit vorliegt (s dazu RS0116523; RS0105550 [T1]; RS0011752 [T1]), stellt sich hier nicht, weil der Beklagte den Servitutsweg nicht zu anderen Bedingungen oder für andere Zwecke (als in anderem „Maß“) als durch den Titel bestimmt nutzt, wenn eine fühlbare Auswirkung der auf anderen Flächen durchgeführten und vor Bewirtschaftung des herrschenden Grundstücks abgeschlossenen Tätigkeiten auf den Servitutsweg nicht erkennbar ist. Soweit die Kläger in der Revision behaupten, dass der Beklagte den Servitutsweg gesondert für andere Flächen als das herrschende Grundstück verwendet habe, gehen sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus.

[12] 5. Die von den Revisionswerbern zitierten Entscheidungen zeigen eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des vorliegenden Einzelfalls durch die Vorinstanzen ebenso wenig auf. Auch in der Entscheidung 6 Ob 175/14z verneinte der Oberste Gerichtshof – wie die Vorinstanzen im vorliegenden Fall – eine unzulässige Erweiterung der Wegeservitut, wenn der Berechtigte, der einen Servitutsweg stets für den ursprünglich vereinbarten Zweck verwendet, Tätigkeiten auf einem nicht herrschenden Grundstück miterledigt. Die Entscheidung 9 Ob 1/00p stellt ebenso auf die Ausweitung der Beanspruchung des dienenden Grundstücks ab, die sich dem hier festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen lässt. Der Entscheidung 1 Ob 516/96 lässt sich ein dem vorliegenden vergleichbarer Sachverhalt nicht entnehmen, stand dort doch lediglich fest, dass der Berechtigte ab einem bestimmten Zeitpunkt die beiden Weggrundstücke auch zur Bewirtschaftung nicht herrschender Grundstücke – also nicht notwendigerweise gemeinsam mit dem herrschenden Grundstück und ohne Auswirkung auf das dienende Grundstück – verwendete. Es war unstrittig, dass dadurch eine Ausweitung der Dienstbarkeit erfolgt war; dementsprechend behandelt die Entscheidung nur die Frage der Ersitzung von Dienstbarkeiten für die weiteren Grundstücke.

[13] 6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Kläger zurückzuweisen.

[14] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0035979 [T16, T20]). Die Kläger bewerteten ihre Begehren in erster Instanz gemäß § 56 Abs 2 JN mit insgesamt 5.000 EUR, woran das Gericht und die Parteien auch im Revisionsverfahren gebunden sind (RS0046474). Da eine solidarische Haftung der Kläger in der Hauptsache nicht vorliegt, haften sie für die Kosten nur anteilig (§ 46 ZPO; 5 Ob 4/93; Obermaier , Kostenhandbuch 3 Rz 1.358, 1.360).

Rechtssätze
6