JudikaturJustiz10Ob237/02d

10Ob237/02d – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Mai 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manuel K*****, vertreten durch Dr. Oswin Lukesch, Dr. Anton Hintermeier und Mag. Michael Pfleger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch Dr. Angelika Truntschnig, Rechtsanwältin in Wien, wegen 19.480,43 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 9.740,22 EUR sA), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Teil- und Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13. Mai 2002, GZ 13 R 74/01z-14, womit das Urteil des Landesgerichtes Krems an der Donau vom 20. Februar 2001, GZ 3 Cg 31/00g-10, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das hinsichtlich der teilweisen Bestätigung der Abweisung des Feststellungsbegehrens (Feststellung der Haftung der beklagten Parteien im Umfang von 50 %) als unbekämpft unberührt bleibt, wird hinsichtlich des Zahlungsbegehrens dahin abgeändert, dass die Entscheidung unter Einschluss der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Zahlungsbegehrens von 9.740,21 EUR sA wie folgt zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die Beklagte schuldig zu erkennen, dem Kläger 19.480,43 EUR samt 4 % Zinsen seit 21. 1. 2000 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz bleibt der Endentscheidung vorbehalten."

Der Kläger ist schuldig, der Beklagten die mit 1.726,66 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon 110,94 EUR USt und 1.061 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Rechtsvorgängerin der Beklagten (künftig: Beklagte) hatte im Jahr 1999 über Auftrag des Amtes der Niederösterreichischen Landesregierung, Abteilung Brückenbau, auf der Bundesstraße 3 bei Krems an der Donau die Brücke über die Krems in Stand zu setzen. Dieser Abschnitt der Bundesstraße 3 im Ortsgebiet von Krems an der Donau ist generell für Fußgängerverkehr nicht zugelassen (Autostraße).

Am 10. 9. 1999 stürzte der Kläger gegen zwei Uhr früh in eine aufgrund der Brückensanierungsarbeiten vorhandene Baugrube und verletzte sich dabei schwer.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Zahlung von 268.056,50 S sA an Schmerzengeld, Verdienstentgang und Fahrtkosten sowie die Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger alle in Zukunft aus dem Vorfall vom 10. 9. 1999 entstehenden Schäden zu ersetzen habe, weil aufgrund seiner Verletzungen künftige Spätfolgen in medizinischer Hinsicht keineswegs ausgeschlossen werden könnten und er zum Zeitpunkt der Klagseinbringung immer noch behandelt werde, da er nachwievor unter Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und Konzentrationsstörungen leide. Der Kläger sei durch die Verkettung unglücklicher Umstände gezwungen gewesen, gemeinsam mit einem Freund die ansonsten für Fußgänger gesperrte B3 als Fußgänger zu benützen. Die von der Beklagten errichtete Baugrube sei nicht abgesichert gewesen. Wegen der herrschenden Dunkelheit und der nicht vorhandenen Absicherung sei er in die Baugrube gestürzt. Die Beklagte habe nicht sämtliche vorgeschriebenen Verkehrssicherungsmaßnahmen im Sinne der behördlichen Auflagen vorgenommen. Die Baugrube sei lediglich entlang der Fahrbahn mit in großem Abstand aufgestellten gestreiften Stehern kenntlich gemacht, allerdings entgegen den behördlichen Auflagen nicht standfest abgeschrankt worden. Die Baugrube sei auch nicht beleuchtet gewesen. Weil auf der Brücke eine Einrichtung für Fußgängerverkehr vorhanden gewesen sei, habe die Beklagte im Baustellenbereich mit Fußgängerverkehr rechnen müssen. Der Kläger habe wegen der Dunkelheit die Anlage auf der Brücke für den Fußgängerverkehr nicht wahrnehmen können.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Die Beklagte sei ihren Absicherungspflichten nachgekommen. Sie habe nicht mit einem unbefugten Betreten der für Fußgänger generell gesperrten B3 rechnen müssen. Das Vorliegen der Fußgängeranlage auf der Brücke schließe noch keine Berechtigung eines Fußgängerverkehrs auf der Autostraße mit ein. Der Kläger habe die Baustelle widerrechtlich betreten und gehöre nicht in den zwischen der Beklagten und ihrem Auftraggeber abgeschlossenen Vertrag geschützten Personenkreis. Die Verpflichtung der Beklagten, die Baugruben standfest abzusichern und zu beleuchten beziehe sich nur auf jene Flächen, die dem allgemeinen Verkehr und dem Fußgängerverkehr dienten. Den Kläger treffe das Alleinverschulden am Unfall.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es traf folgende wesentlichen Feststellungen:

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Krems vom 29. 4. 1999 wurde der Beklagten die straßenpolizeiliche Bewilligung zur Durchführung der Instandsetzungsarbeiten an der Brücke, in deren Bereich der Unfall geschah, erteilt, die mit der Auflage verbunden war, dass Künetten, Gräben, Schächte, Gerüste, Abgrabungen aller Art usw gegen Verkehrsflächen (Fahrbahnen, Gehsteige, Gehwege udgl) durch rot-weiß gestreifte Latten, Schnüre, Scherengitter oder dgl standfest abzuschranken sind.

Von der Beklagten wurde der Techniker Martin Klonner beauftragt zu veranlassen, diese und die übrigen vom Magistrat der Stadt Krems an der Donau verfügten Sicherheitsvorkehrungen zu veranlassen, wozu auch das Aufstellen von Betonleitwänden, Lauflichtanlagen und beweglichen Leitbaken zählte, die mit rückstrahlendem Material ausgeführt waren. Die Baustelle war auch bescheidmäßig großräumig abgesichert, wobei die Absicherungen von der Verkehrsabteilung der Gendarmerie überprüft wurden.

Während in beiden Fahrtrichtungen die äußerst rechten Fahrstreifen für den aktiven Verkehr verblieben, wurden im Zuge der Bauarbeiten über die jeweils linken Fahrstreifen und den Mittelstreifen zwei Künetten (Baugruben) quer zur Fahrbahnlängsachse durch die Beklagte hergestellt. Die Baugrube, in die der Kläger stürzte, hatte einen Böschungswinkel von etwa 45 Grad und eine Tiefe von 1,9 Meter bis 2 Meter, eine Scheitelbreite (auf Fahrbahnebene) von etwa 3,21 Meter und eine Breite an der Baugrubensohle von etwa 1 Meter. Im Brückenbereich befand sich außerhalb der Fahrbahnränder und der diese begrenzenden Leitschienen ein begehbarer Streifen. Im Baustellenbereich waren während der Bauarbeiten Mittelleitschienen nicht vorhanden.

Die Baugrube, in die der Kläger stürzte, war an ihrer Schmalseite zur aktiven Fahrbahn hin nur mit einer beweglichen, aus rückstrahlendem Material gefertigten Leitbake begrenzt, jedoch zum Baustellenbereich hin (an der Längsseite) nicht abgesichert. Die Baugrube befand sich zur Gänze im für den Verkehr abgesperrten Baustellenbereich. Nach einem Diskothekenbesuch begab sich der Kläger in den Morgenstunden des 10. 9. 1999 mit einem Freund vom Gewerbegebiet von Krems an der Donau kommend zu Fuß auf die Auffahrt zur Bundesstraße 3, gelangte auf die Bundesstraße 3 und in weiterer Folge auf den Mittelstreifen der Bundesstraße und sodann in den abgesperrten Baustellenbereich. Um auf den Mittelstreifen der B3 zu gelangen, hatten sie Absperrungen (eine Baustellenabsperrung oder eine Leitplanke) überklettert. Sie gingen auf dem Mittelstreifen bzw dem abgesperrten linken Fahrstreifen der B3 auf der Brücke, bis der Kläger in die Baugrube stürzte. Sein Freund konnte unmittelbar vor der Baugrube anhalten.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, die Beklagte sei ihrer bescheidmäßig auferlegten Verpflichtung, die Baugrube gegen die Verkehrsfläche hin durch die im Bescheid vorgesehenen Maßnahmen standfest abzuschranken nicht nachgekommen, sondern habe bloß eine bewegliche Sicherheitsbake zur Verkehrsfläche hin aufgestellt. Laut Bescheid sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen, die Baugrube gegenüber dem Baustellenbereich abzusichern. Auf gesetzliche Schutzvorschriften könne sich nur derjenige berufen, der befugter Weise in den Gefahrenbereich gelangt sei. Nach § 47 StVO bestehe ein generelles Verbot des Fußgängerverkehrs auf Autostraßen, sodass davon beim Kläger nicht ausgegangen werden könne. Zwar bestehe auch der allgemeine Grundsatz, dass derjenige, der eine Gefahrenquelle schaffe, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen habe, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden, doch habe die Beklagte nicht damit rechnen müssen, dass der nicht befahrbare Teil der B3 - also der Baustellenbereich - von Fußgängern benützt werde, weil die B3 als Autostraße gekennzeichnet und es nach der Erfahrung des täglichen Lebens ausgeschlossen sei, dass auf solchen Straßen Fußgängerverkehr herrsche. Auch im Fall einer Panne hätten Autolenker bzw Fahrzeuginsassen aufgrund der vorliegenden Sicherheitsmaßnahmen sofort erkennen können, dass sie sich im Baustellenbereich befinden, was durch die Ausleuchtung der Autoscheinwerfer und die rückstrahlenden Sicherheitseinrichtungen gewährleistet gewesen sei. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers mit Teil- und Zwischenurteil teilweise Folge. Es bestätigte das angefochtene Urteil im Umfang der Abweisung von 9.740,21 EUR sA und der Abweisung des Feststellungsbegehrens im Umfang von 50 % und änderte im Übrigen das angefochtene Urteil mit Zwischenurteil dahin ab, dass das Zahlungsbegehren von 9.740,21 EUR dem Grunde nach zu Recht besteht. Hinsichtlich der Abweisung des Feststellungsbegehrens im Umfang von 50 % hob es das angefochtene Urteil auf. Es sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstandes 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es führte aus, die Beklagte habe der sie als Bauführer treffenden Absicherungspflicht nicht in ausreichendem Maße entsprochen. § 47 StVO verbiete auf Autostraßen unter anderem den Fußgängerverkehr. Darunter falle jedoch von vornherein nicht ein Betreten der Autobahn durch Personen bei einem Verkehrsunfall oder einer Fahrzeugpanne. Angesichts der von Baustellen auf Straßen grundsätzlich ausgehenden Gefahr müsse gerade in ihrem Bereich mit Unfällen im besonderem Maße gerechnet werden. Dass in solchen Fällen Personen nicht nur den nach dem Bescheid des Magistrats der Stadt Krems an der Donau im Baustellenbereich in jeder Fahrtrichtung zur Verfügung zu haltenden Fahrstreifen betreten könnten, sei daher ein Umstand, mit dem gerechnet werden musste. Ob der Kläger aufgrund der Regelung des § 47 StVO als Fußgänger zu jenen Personen gehöre, die Bestimmungen wie § 32 Abs 6 iVm § 89 Abs 1 StVO schützen wollen, könne dahinstehen, weil auch nicht positivierte allgemeine Verkehrssicherungspflichten bestünden und überdies das Ingerenzprinzip als Haftungsgrund längst anerkannt sei. Zwar seien die Sorgfaltspflichten dabei nicht zu überspannen, doch habe jeder, der - wenn auch erlaubter Weise - eine Gefahrenquelle schaffe, dafür zu sorgen, dass daraus kein Schaden entstehe und naheliegende und vorhersehbare Gefahren zu vermeiden. Ungeachtet des Verbots des Fußgängerverkehrs auf Schnellstraßen habe die Beklagte aufgrund der dargelegten Erwägungen damit rechnen müssen, dass sich bei Unfällen oder Pannen Personen im - gegen Betreten nicht deutlich erkennbar abgesicherten - Baustellenbereich bewegen. Angesichts der Größe der von der Baugrube ausgehenden Gefahr für Leib und Leben seien jedenfalls von der Beklagten zu treffende Maßnahmen angezeigt gewesen, die einen Absturz wie jenen des Klägers zu verhindern geeignet gewesen seien. Solche Maßnahmen seien nicht durch die konkret erteilten behördlichen Auflagen beschränkt. Die Beklagte könne sich auch nicht mit der Behauptung entlasten, sie beschäftige keine untüchtigen Gehilfen, weil sie die Repräsentantenhaftung treffe. Andererseits könne von Fußgängern verlangt werden, dass sie "vor die Füße schauen" und erkennbare Gefahrenstellen wie Baustellen nicht grundlos aufsuchten. Damit erscheine eine Verschuldensteilung im Ausmaß 1:1 angemessen. Gegen das Zwischenurteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinn der Wiederherstellung des Urteil des Erstgerichts abzuändern.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die außerordentliche Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt, und auch berechtigt. Auch die in einem gemäß § 90 Abs 1 und 3 StVO erlassenen Bescheid einer Verwaltungsbehörde enthaltenen Sicherungsvorschreibungen, insbesondere auch als Auflage im Bewilligungsbescheid, sind als Schutznorm im Sinn des § 1311 ABGB zu werten (SZ 52/109; ZVR 1980/149; 1983/35 ua). Entgegen der Ansicht der Revisionswerberin hat sie nach den Feststellungen der bescheidmäßigen Auflage, Künetten, Gräben usw gegen Verkehrsflächen (Fahrbahnen, Gehsteige, Gehwege udgl) durch rot-weiß gestreifte Latten, Schnüre, Scherengitter oder dgl standfest abzuschranken, nicht entsprochen, weil die Baugrube zur Fahrbahn hin nur durch eine bewegliche Leitbake gesichert war. Daraus ist für den Kläger aber nichts zu gewinnen, weil er nicht an dieser Stelle in die Grube stürzte, sodass die Verletzung der Schutznorm nicht kausal für den Schaden war. Eine Abschrankung der Baugrube innerhalb der Baustelle schrieb der Bescheid nicht vor. Verkehrssicherungspflichten bestehen nach Lehre und Rechtsprechung (ua) dann, wenn jemand eine Gefahrenquelle schafft. Die Verpflichtung zur Beseitigung der Gefahrenquelle und damit die Verpflichtung zu positivem Tun folgt aus der vorhergehenden Verursachung der Gefahrensituation. Eine gleiche Verpflichtung trifft auch denjenigen, in dessen Sphäre gefährliche Zustände bestehen. Hier folgt die Verpflichtung zur Beseitigung aus der Zusammengehörigkeit von

Verantwortung und Bestimmungsgewalt (4 Ob 280/00f = EvBl 2001/67 =

ZVR 2001/59 = RdW 2001/434 = immolex 2001/50 mwN).

Die Verkehrssicherungspflicht trifft denjenigen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Wer demnach eine Gefahrenquelle schafft oder bestehen lässt, muss die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden (4 Ob 280/00f mwN). Den Bauführer, der Arbeiten auf oder neben einer Straße ausführt, trifft eine Verkehrssicherungspflicht zur Kennzeichnung und Absicherung der Baustelle (SZ 53/49; 2 Ob 2171/96w mwN). Voraussetzung ist allerdings immer, dass die Möglichkeit der Verletzung von Rechtsgütern Dritter bei objektiver sachkundiger Betrachtung zu erkennen ist. Für den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht ist entscheidend, welche Maßnahmen zur Vermeidung einer Gefahr möglich und zumutbar sind (4 Ob 280/00f mwN). Nach der neueren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (4 Ob 280/00f, auf welche der Kläger mit dem Fehlzitat 4 Ob 82/00f verweist; 8 Ob 164/00a) entfällt bei Schaffung oder Duldung einer besonderen Gefahrenquelle die Verkehrssicherungspflicht nicht schon dann, wenn jemand unbefugt in einen fremden Bereich eingedrungen ist. Grundsätzlich wird zwar jemand nicht für schutzwürdig erachtet werden können, der sich unbefugt in den Gefahrenbereich begeben hat, weil er nicht damit rechnen kann, dass Schutzmaßnahmen zugunsten unbefugt Eindringender getroffen werden (Koziol, Haftpflichtrecht II² 63; vgl RIS-Justiz RS0027526). Besteht jedoch die Möglichkeit, dass Personen versehentlich in den Gefahrenbereich gelangen (etwa weil nicht leicht erkennbar ist, dass ein Privatgrundstück betreten wird), oder dass Kinder und andere Personen, die nicht die nötige Einsichtsfähigkeit haben, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, gefährdet werden, oder besteht eine ganz unerwartete oder große Gefährdung, so kann eine Interessenabwägung ergeben, dass der Inhaber der Gefahrenquelle dennoch zumutbare Maßnahmen zur Vermeidung von Schädigungen zu ergreifen hat (4 Ob 280/00f; Koziol aaO 63).

Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 4 Ob 280/00f ausgeführt hat, zeigt die Annahme besonderer Verkehrssicherungspflichten gegenüber Kindern und bei gänzlich unerwarteter Gefährdung, dass die Möglichkeit des Selbstschutzes für die Verkehrssicherungspflicht eine Rolle spielt. Die Verkehrspflicht kann gemindert sein oder auch ganz entfallen, wenn die Gefährdung für jedermann leicht zu erkennen ist.

Die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht verpflichtet nur bei Verschulden zum Schadenersatz. Für das Verschulden reicht es aus, dass der Verletzer die Möglichkeit einer Beeinträchtigung der betreffenden Art im allgemeinen hätte erkennen müssen. Nicht erforderlich ist hingegen, dass der Schadenseintritt für ihn voraussehbar war (4 Ob 280/00f mwN).

Im vorliegenden Fall kam der Kläger durch einen "widmungswidrigen" Gebrauch des nach den Feststellungen leicht erkennbar für den Verkehr abgesperrten Teils der Bundesstraße zu Schaden. Es ist daher zu prüfen, ob das Berufungsgericht dennoch eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu Recht bejahte. "Widmungswidrig" war der Gebrauch durch den Kläger deshalb, weil er von vornherein nicht zu jenem Personenkreis zählte, die befugt irgendeine Fahrbahn der Autostraße zum Fußgängerverkehr betreten durfte (§ 47 StVO iVm § 46 Abs 1 StVO). In einem solchen Fall wird, wie zuvor dargelegt, eine Verkehrssicherungspflicht nur unter besonderen Umständen bejaht. Keiner dieser Fälle ist im vorliegenden Fall verwirklicht: Der Kläger ist nicht versehentlich in den Gefahrenbereich gelangt, sondern hat offenbar bewusst, den für den Verkehr gesperrten Baustellenbereich aufgesucht, weil es sonst nicht zu erklären ist, dass er nicht einfach neben dem rechten Rand der für den aktiven Verkehr verbliebenen Fahrbahn weitergegangen ist. Er ist auch weder ein Kind noch sind Feststellungen getroffen worden, dass ihm aus anderen Gründen die Einsichtsfähigkeit fehlte, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Innerhalb großräumiger Straßenbaustellen können auch tiefe Gruben nicht als ganz unerwartete oder große Gefährdung gewertet werden, weil sich dort üblicherweise nur mit den Gegebenheiten vertraute Personen während des Baubetriebs aufhalten, die solche Gefahrenstellen kennen oder leicht erkennen können. Damit spricht gegen eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, außerhalb des Baubetriebs - in der Nacht - die Baugrube gegenüber der Fläche der Baustelle abzuschranken, dass der Kläger ohne Gestattung in den fremden Bereich, noch dazu nach Überwinden von Hindernissen eingedrungen ist.

Ähnlich wie bei der - nach den äußeren Umständen erkennbar - unerlaubten Benützung eines Weges (§ 1319a Abs 1 ABGB) kann sich der geschädigte Kläger nicht auf die Nichtabsicherung der Baugrube in einer erkennbar für den Verkehr gesperrten Straßenfläche, die er widerrechtlich und zudem ohne jedes vernünftige Eigeninteresse betreten hatte, berufen (vgl 4 Ob 551/92 für den Fall des widerrechtlichen Betretens einer Stiege auf einem Privatgrundstück, die vorübergehend ohne Geländer war).

Schließlich war mit einer Nutzung der für den Verkehr gesperrten Flächen der Autostraße durch Fußgänger auch nicht zu rechnen, weil Fußgänger, wenn Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden sind, das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen haben (§ 76 Abs 1 StVO).

Unter diesen Umständen musste die Selbstgefährdung des Geschädigten zum Entfall der Verkehrssicherungspflicht führen.

Der außerordentlichen Revision war Folge zu geben und das Ersturteil über das Leistungsbegehren, soweit es vom Berufungsgericht nicht bestätigt wurde, wiederherzustellen. Der vom Berufungsgericht hinsichtlich des verbliebenen Feststellungsbegehrens gefasste Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss unterliegt mangels Zulassung eines Rekurses an den Obersten Gerichtshof (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO) nicht der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1, 52 Abs 1 ZPO. Bemessungsgrundlage ist die - den Gegenstand das Revisionsverfahrens bildende - Hälfte des Leistungsbegehrens. Über die Kosten des Revisionsverfahren konnte trotz der ausständigen Entscheidung über einen Teil des Feststellungsbegehrens entschieden werden, weil Gegenstand des Revisionsverfahrens nur das Leistungsbegehren in seinem noch nicht rechtskräftig abgewiesenem Umfang war. Die Kosten für die Mitteilung der Kanzleisitzverlegung der Beklagtenvertreterin sind Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens.

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