IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Barbara EBNER, Bakk.phil. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. SYRIEN, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (in der Folge: BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.10.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit dem verfahrensgegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA/belangte Behörde) vom 01.10.2024 zu der Zl. XXXX wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF), eines syrischen Staatsbürgers, auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, es habe nicht festgestellt werden können, dass dem BF in Syrien eine asylrelevante Verfolgung drohe. Der BF habe keinen Einberufungsbefehl zum Reservedienst erhalten und könne sich aufgrund des mehrjährigen Auslandsaufenthaltes vom Reservemilitärdienst freikaufen. Der BF habe im Jahr 2012 versucht aus Syrien, auszureisen, was ihm wegen der verpflichtenden Ableistung des Reservemilitärdienstes verwehrt worden sei. 2013 sei er dennoch in den Libanon ausgereist, um 2017 nach Syrien zurückzukehren. Der BF habe bis zur nunmehrigen Ausreise weitere sechs Jahre in Syrien gelebt und dabei mit den Behörden keine Probleme gehabt.
2. Mit dem am 22.10.2024 beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des vorangeführten Bescheides. Zusammengefasst wurde im Wesentlichen vorgebracht, der BF sei 2013 illegal aus Syrien in den Libanon ausgereist um der Reservedienstverpflichtung zu entgehen. Nach der Rückkehr im Jahr 2017 habe er als Landwirt und Viehzüchter gelebt. Den Reservedienst lehne er aus Gewissensgründen ab und befürchte im Falle einer Rückkehr festgenommen und zum Reservedienst, der auch zwingend zu verübende Kriegsverbrechen beinhalte, eingezogen zu werden. Auch würde ihm aufgrund seiner Asylantragstellung bei Rückkehr eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden. Auf eine detaillierte Darstellung des Beschwerdevorbringens wird verzichtet, da im Entscheidungszeitpunkt das Assad-Regime nicht mehr an der Macht ist und die in der Beschwerde vorgebrachten Fluchtgründe somit nicht mehr aktuell sind.
Abschließend wurden die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung anberaumen, alle zu Lasten des BF gehenden Rechtswidrigkeiten aufgreifen, den angefochtenen Bescheid im angefochtenen Umfang beheben und dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu das Verfahren an die belangte Behörde zurückverweisen.
3. Die gegenständliche Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden in weiterer Folge vom BFA vorgelegt und sind am 18.11.2024 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
4. Mit Ladungen vom 07.08.2025 wurden die belangte Behörde, der BF vertreten durch die BBU GmbH und des Dolmetschers für die arabische Sprache zur mündlichen Verhandlung am 03.10.2025 geladen.
5. Mit Schreiben vom 13.08.2025 teilte die belangte Behörde mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der mündlichen Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen, werde die Abweisung der Beschwerde beantragt.
6. Am 03.10.2025 fand die mündliche Verhandlung in Anwesenheit des BF und seines Rechtsvertreters unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen
II.1.1. Identität und Herkunftsstaat
Der volljährige BF heißt XXXX und wurde am XXXX in XXXX (auch: XXXX ) im Bezirk XXXX in der Provinz XXXX in Syrien geboren. Er ist syrischer Staatsangehöriger, Angehöriger der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Er ist verheiratet und hat sieben Kinder.
Seine Identität steht nicht fest.
Der BF leidet an keiner psychischen oder physischen Beeinträchtigung und ist erwerbsfähig.
II.1.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise
Der BF beherrscht die arabische Sprache auf dem Niveau der Muttersprache in Wort und Schrift.
Der BF hat in seinem Geburtsort sechs Jahre lang die Schule besucht. Von 01.09.2004 bis 01.10.2006 leistete der BF seinen Militärdienst als Rekrut ab und arbeite anschließend bis 2013 als Landwirt und Hirte.
Der BF heiratete im Jahr 2007.
Er hielt sich von 2013 bis 2017 illegal im Libanon auf und war dort als Bauarbeiter tätig. Danach kehrte er in seinen Geburtsort zurück und war wiederum bis zur Ausreise im Juli 2023 als Landwirt und Hirte erwerbstätig.
Der BF besitzt in Syrien ein Haus, eine Landwirtschaft und eine Viehzucht.
II.1.3. aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat
In Syrien leben die Mutter, die Ehefrau sowie drei Töchter und vier Söhne des BF. Außerdem leben ein Bruder sowie fünf Schwestern des BF in Syrien. Ein Bruder und eine Schwester des BF leben in der Türkei.
Die Mutter, die Kinder und die Ehefrau des BF leben nach wie vor im Herkunfts- und Geburtsort des BF. Seine Familie lebt von der Landwirtschaft und Viehzucht. Auch sein in Syrien lebender Bruder ist im Herkunftsort des BF aufhältig und arbeitet dort als Bauarbeiter. Die fünf in Syrien lebenden Schwestern des BF sind verheiratet und leben bei deren Männern ebenso im selben Ort.
Der BF hat regelmäßig Kontakt mit seinen Angehörigen über WhatsApp.
II.1.4. Ausreisemodalitäten
Der BF fasste den Entschluss zur Ausreise aus Syrien nach seiner Rückkehr aus dem Libanon im Jahr 2017. Da er jedoch nicht über die erforderlichen finanziellen Mittel verfügte, reiste er erst 2023 aus.
Der BF reiste am 20.07.2023 illegal aus Syrien in die Türkei aus. Dort hielt er sich etwa zehn Tage lang auf, bevor er schlepperunterstützt weiterreiste. Über Bulgarien, Serbien und Ungarn reiste er illegal und schlepperunterstützt am 18.08.2023 in Österreich ein. Noch am selben Tag stellte er gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Er durchreiste auf dem Weg nach Österreich mehrere als sicher geltende Staaten. In diesen suchte er nicht um Schutz an. Es wurde nicht dargelegt, dass ihm dort die Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht auch möglich gewesen wäre oder, dass Flüchtlinge dort keinen Schutz erlangen könnten.
II.1.5. Strafrechtliche und verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen bzw. sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei und Einwanderungsrechts
In der Datenbank des österreichischen Strafregisters scheinen keine Vormerkungen wegen rechtskräftigen gerichtlichen Verurteilungen auf. Das Vorliegen von rechtskräftigen Verwaltungsstrafen wurde dem Bundesverwaltungsgericht von der Polizei bzw. den Verwaltungsstrafbehörden einschließlich dem Bundesamt nicht mitgeteilt und ergeben sich auch nicht aus dem Akteninhalt der belangten Behörde.
II.1.6. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen; Erlebnisse im Zusammenhang mit staatlichen/nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von dem BF vorgebrachten Problemen, die ihn persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwarten:
XXXX , der Herkunftsort des BF, wird von den Kräften der neuen syrischen Übergangsregierung unter der Führung von Ahmed al Sharaa als Übergangspräsident und der SNA kontrolliert.
Der BF ist aus Syrien ausgereist, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
In Syrien bestand zur Zeit, als der BF ausreiste und Präsident Assad noch an der Macht war, ein verpflichtender Wehrdienst für männliche Staatsbürger ab dem Alter von 18 Jahren, welche bis zum Alter von 42 Jahren zum Wehr- bzw. Reservedienst eingezogen werden konnten. Der BF ist nunmehr 40 Jahre alt und hat den Wehrdienst (s. Punkt II.1.2) abgeleistet. Die syrische Armee ist seit dem Machtwechsel im Dezember 2024 inaktiv, ihre Soldaten wurden außer Dienst gestellt. Einberufungen erfolgen nicht.
Die neuen Machthaber (HTS) verkündeten eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen und die Abschaffung der Wehrpflicht.
Der BF wird in Herkunftsstaat nicht aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung asylrelevant verfolgt und droht ihm eine solche Verfolgung, auch nicht im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat.
II.1.7. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat
II.1.7.1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI CMS, Version 12, 08.05.2025
Im angefochtenen Bescheid wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI-CMS, Version 11, vom 27.03.2024 zitiert. Nunmehr steht das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien aus dem COI-CMS, Version 12, 08.05.2025 zur Verfügung. Auszugsweise wird daraus soweit entscheidungsrelevant wiedergegeben:
Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen (AJ 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt (VB Moskau 10.12.2024). Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte (BBC 8.12.2024a). Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war (NTV 9.12.2024). Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen (BBC 8.12.2024a). Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten (BBC 9.12.2024). Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt (Al-Monitor 8.12.2024). Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich (BBC 8.12.2024b), etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS (Tagesschau 8.12.2024). Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein (Al-Monitor 8.12.2024). Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums (Arabiya 11.12.2024).
Die Karte zeigt die Aufteilung Syriens unter den bewaffneten Gruppierungen Ende Februar 2025:

TWI 28.2.2025
In der ersten Woche nach der Flucht al-Assads aus dem Land gelang es Syrien, ein vollständiges Chaos, zivile Gewalt und den Zusammenbruch des Staates abzuwenden (MEI 19.12.2024). Ehemalige Regimeoffiziere sollen viele Regierungsgebäude niedergebrannt haben, um Beweise für ihre Verbrechen zu verstecken, nachdem sie nach dem Sturz des Regimes von Präsident Bashar al-Assad aus dem Innenministerium geflohen waren (Araby 16.12.2024). Die neuen de-facto-Führer Syriens bemühten sich um Sicherheit, Stabilität und Kontinuität. Obwohl es Berichte über Plünderungen in der Zentralbank und über Menschen gab, die den persönlichen Wohnsitz al-Assads und die Botschaft des Iran, seines Hauptunterstützers, durchwühlten, standen am 9.12.2024 Rebellenkämpfer vor Regierungsgebäuden in der gesamten Hauptstadt Wache. Die neuen Behörden verbreiteten auch Bilder von Sicherheitspersonal, das durch die Straßen von Damaskus patrouillierte, in den sozialen Medien (NYT 12.12.2024).
Der HTS-Anführer Mohammed al-Joulani, der mittlerweile anstelle seines Kampfnamens seinen bürgerlichen Namen Ahmad ash-Shara' verwendet (Nashra 8.12.2024), traf sich am 9.12.2024 mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten und Vizepräsidenten von al-Assad, um die Modalitäten für eine Machtübergabe zu besprechen (DW 10.12.2024). Bis zu ihrer Übergabe blieben die staatlichen Einrichtungen Syriens unter seiner Aufsicht (REU 8.12.2024). Die Macht des Assad-Regimes wurde auf ein Übergangsgremium übertragen, das vom Premierminister der SSG, Mohammed al-Bashir, geleitet wurde (MEI 9.12.2024). Al-Bashir kündigte am ersten Tag seiner Ernennung an, dass die Prioritäten seiner Regierung folgende seien: Gewährleistung von Sicherheit, Bereitstellung von Dienstleistungen und Aufrechterhaltung der staatlichen Institutionen. (AJ 27.1.2025a). Am 29.1.2025 wurde de-facto-Herrscher Ahmed ash-Shara' zum Übergangspräsidenten ernannt (Standard 29.1.2025).
Ash-Shara's Regierung kontrolliert begrenzte Teile Syriens, darunter die meisten westlichen Städte und Teile des ländlichen Raums (TWI 28.2.2025). Nordostsyrien wird von einer Kombination aus den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Focres - SDF) und arabischen Stammeskräften regiert (MEI 19.12.2024). Die SDF führen Gespräche mit ash-Shara', bleiben aber vorsichtig, was seine Absichten angeht (TWI 28.2.2025). Nord-Aleppo wird von der von der Türkei unterstützten Syrischen Übergangsregierung kontrolliert (MEI 19.12.2024). Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen innerhalb der SNA kontrollieren Teile Nordsyriens nahe der türkischen Grenze, darunter 'Afrin, Suluk und Ra's al-'Ain. Diese Gebiete hat die SNA 2018 und 2019 von den kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF) erobert (Al-Monitor 8.12.2024). Am 29.1.2025 zwang die Türkei den Anführer dieser Gruppe, Sayf Abu Bakr, nach Damaskus zu reisen und dem neuen Präsidenten persönlich zu gratulieren, aber dies ist das einzige Zugeständnis, das er ash-Shara' bisher gemacht hat. Die beiden Anführer haben eine lange Geschichte gegenseitiger Feindseligkeit, insbesondere da viele Kämpfer der Syrischen Nationalarmee Veteranen des blutigen Krieges sind, den HTS 2017–2020 um die Kontrolle über die Provinz Idlib führte (TWI 28.2.2025). Südsyrien wird von einer halbunabhängigen Struktur in Suweida zusammen mit ehemaligen Oppositionsgruppen in Dara'a kontrolliert (MEI 19.12.2024). Im Euphrat-Tal ist die Loyalität der sunnitischen Stämme gegenüber HTS weniger sicher, während in Dara'a die vom ehemaligen Rebellen Ahmad al-'Awda und anderen südlichen Fraktionen kontrollierten Truppen sich der Integration in die neue syrische Armee widersetzen (TWI 28.2.2025). Während HTS die Integration aller ehemaligen Oppositionsgruppen unter einem neuen Verteidigungsministerium nach al-Assad anstrebt, wuchs der Druck auf al-'Awda, der sich unter den bisherigen Bedingungen gegen die Auflösung gewehrt hatte (Etana 17.1.2025). Am 13.4.2025 gab die Gruppierung dem politischen und militärischen Druck schließlich nach und ihre Auflösung bekannt. Die Waffen werden an die Regierung übergeben (National 14.4.2025), schwere Waffen wurden von den Sicherheitskräften der Regierung beschlagnahmt (Etana 16.4.2025). Ash-Shara's politisches Projekt eines zentralisierten Syriens steht im Widerspruch zur aktuellen Realität vor Ort. Er glaubt, dass der Föderalismus die „Nation“ spalten könnte – eine Auffassung, die zum Teil auf der antiisraelischen Stimmung in der syrischen Bevölkerung beruht (TWI 28.2.2025).
Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Trotz des Sturzes der 54-jährigen Diktatur der Familie al-Assad ist der Bürgerkrieg noch lange nicht vorbei (Leb24 13.2.2025). Trotz der Bemühungen der neuen syrischen Regierung bleibt die Sicherheitslage fragil, und die Zukunft Syriens ist von zahlreichen Unsicherheiten geprägt (VB Amman 9.2.2025). Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, Grandi, beschreibt die Lage vor Ort als "fluid". Sie könne sich nach derzeitigem Stand in alle Richtungen entwickeln (ÖB Amman 6.2.2025). Die neue syrische Übergangsregierung ist nicht in der Lage, das gesamte syrische Staatsgebiet zu kontrollieren (AlHurra 6.2.2025a). Seit Jahresbeginn 2025 hat sich die Sicherheitslage in Syrien nach dem Sturz von Bashar al-Assad weiterhin als instabil erwiesen. Die neuen Machthaber, dominiert von islamistischen Gruppierungen, bemühen sich um die Etablierung von Ordnung und Sicherheit, stoßen jedoch auf erhebliche Herausforderungen (VB Amman 9.2.2025). Außenminister ash-Shaybani gibt Sicherheitsprobleme in Teilen Syriens zu, bezeichnete sie aber als Einzelvorfälle: Offenbar hat die Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), die offiziell aufgelöst wurde, Schwierigkeiten, ihre teils sehr radikalen islamistischen Untergruppen in den Griff zu bekommen. Zwischen Verfolgung von Regimestraftätern und Racheakten vor allem gegen die Volksgruppe der Alawiten, aus der die al-Assads stammen, ist nicht immer leicht zu unterscheiden (Standard 23.1.2025). Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind bei ihrem Versuch, das Land zu stabilisieren, mit zunehmenden Bedrohungen konfrontiert, darunter gewalttätige Überreste des Regimes, sektiererische Gewalt und Entführungen. Im Nordosten sind die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) gezielten Angriffen von Zellen des Islamischen Staates (IS) und anhaltenden Feindseligkeiten mit der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) ausgesetzt (Etana 22.2.2025). Die fragile Sicherheitslage bedroht weiterhin den politischen Fortschritt, warnte der Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, und verwies auf die anhaltenden Feindseligkeiten im Nordosten, einschließlich täglicher Zusammenstöße, Artilleriebeschuss und Luftangriffe, die Zivilisten und die Infrastruktur treffen (UN News 12.2.2025).
In den Gouvernements Syriens kam es weiterhin zu einer Zunahme von Entführungen. Die Civil Peace Group dokumentierte seit dem Sturz des Regimes 64 Entführungsfälle – 19 Opfer wurden später hingerichtet aufgefunden, nur drei führten zu Lösegeldforderungen. Auch Vorfälle sektiererischer Gewalt, die sich hauptsächlich gegen schiitische und alawitische Gemeinschaften richten, sind weit verbreitet (Etana 22.2.2025). Das Middle East Institute berichtet auch von eindeutig sektiererischen Verstößen, wie die Zerstörung eines Schreins im ländlichen Hama durch zwei sunnitische Zivilisten und Fälle von Schikanen an Kontrollpunkten, konstatiert aber, dass die meisten Verstöße, die von Sicherheitskräften in ganz Syrien begangen wurden, sich gegen bestimmte Anhänger des ehemaligen Regimes zu richten scheinen. Eines der drängendsten Probleme sind nicht sektiererisch motivierte Angriffe, sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben (von denen die meisten aufgrund der Natur des Regimes Alawiten sind) (MEI 21.1.2025). Die Kriminalität ist dramatisch gestiegen, nicht zuletzt auch aufgrund der Freilassung nicht nur politischer Gefangener aus den Gefängnissen (SYRDiplQ1 5.2.2025). Kriminelle Banden und Einzelpersonen suchen weiterhin nach Sicherheits- und Autoritätslücken, die sie in dieser neuen Ära ausnutzen können. Die schwereren Verbrechen ereignen sich in der Regel auf dem Land, wo die Sicherheitspräsenz geringer ist und sich eine höhere Konzentration von Ex-Shabiha [Shabiha sind die irregulären, bewaffneten pro-Assad-Gruppierungen Anm.] befindet (MEI 21.1.2025).
Seit islamistische Rebellen im Dezember den langjährigen repressiven Machthaber Bashar al-Assad stürzten, kam es in mehreren Gebieten zu Zusammenstößen und Schießereien, wobei Sicherheitsbeamte bewaffnete Anhänger der vorherigen Regierung beschuldigten (FR24 1.3.2025). In mehreren Gebieten in Syrien kommt es weiterhin zu Zwischenfällen mit verirrten Kugeln. Im Februar sind bei solchen Vorfällen 18 Menschen, darunter drei Frauen und vier Kinder, getötet und vier weitere, darunter zwei Kinder, verwundet worden. Die Opfer verteilen sich auf die von der Regierung in Damaskus, der Demokratischen Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) kontrollierten Gebiete. Diese Zwischenfälle werden durch die Verbreitung von Waffen unter der Zivilbevölkerung verschärft (SOHR 24.2.2025b). Sicherheitskräfte sind immer noch dabei, Überbleibsel des Regimes im ganzen Land auszuheben, die häufig Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit und Checkpoints ins Visier genommen haben. ETANA verzeichnete Angriffe von Pro-Regime-Gruppen auf Mitglieder der Allgemeinen Sicherheit in Rif Dimashq, Ost-Dara'a und West-Homs. Auch in Hama und Jableh, in der Nähe der Hmeimim-Basis, kam es zu Zusammenstößen. Sicherheitskräfte haben in ehemaligen Regimegebieten von Deir ez-Zour mehrere Operationen durchgeführt (Etana 22.2.2025). Während Zehntausende auf die Initiative der Versöhnungsprozesse eingingen, lehnten bewaffnete Gruppierungen von Regimeüberbleibseln sie ab, vor allem an der syrischen Küste, wo hohe Offiziere des Assad-Regimes stationiert waren. Im Laufe der Zeit flohen diese Gruppierungen in die Bergregionen und begannen, Spannungen zu schüren, die Lage zu destabilisieren und sporadische Angriffe auf die Regierungstruppen zu verüben (AJ 10.3.2025c). Bis Anfang März 2025 beschränkten sich solche Übergriffe auf kleine Ausbrüche von willkürlicher Selbstjustiz und waren nicht Teil von groß angelegter, organisierter Gewalt. Am 6.3.2025 jedoch überfielen Aufständische des Assad-Regimes die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung in der westlichen Küstenstadt Jableh im Gouvernement Latakia und töteten 30 von ihnen (viele wurden später verbrannt oder in flachen Massengräbern aufgefunden) (TWI 10.3.2025). Die Anhänger des gestürzten Assad-Regimes riefen zu einem Aufstand auf. Ungefähr zur Zeit der ersten Angriffe gab eine Gruppierung, die sich selbst als "Militärrat für die Befreiung Syriens" bezeichnet, eine Erklärung ab, in der sie schwor, die Regierung zu stürzen (FT 10.3.2025). Unmittelbar nach dem Hinterhalt riefen die syrischen Sicherheitskräfte zu einer allgemeinen Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus auf und zur Ausrottung ehemaliger Regimegegner (TWI 10.3.2025). Sicherheitskräfte, die durch Verstärkung unterstützt wurden, begannen, gegen die Loyalisten des Assad-Regimes zu kämpfen und sie aus den Dörfern an der Küste Syriens zurückzudrängen. Die Loyalisten zogen sich aufs Land zurück, wobei sie Staatseigentum niederbrannten und mordeten. Als syrische Regierungstruppen und bewaffnete Zivilisten begannen, in alawitische Dörfer im Nordwesten Syriens einzudringen, tauchten Videos von Misshandlungen auf. Zivilisten berichteten von Massenmorden durch Sicherheitskräfte, was von Menschenrechtsgruppen bestätigt wurde (Guardian 10.3.2025). Laut dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights - SOHR) war es ein Fehler, dass die Regierung in Damaskus in den Moschen zur Mobilisierung aufgerufen hatte. Dies habe zu einem Zustrom von Kämpfern von außerhalb der Region geführt, um Alawiten zu massakrieren (Sky News 9.3.2025a). Laut einem Freiwilligen der Nichtregierungsorganisation Weißhelme kamen Menschen aus allen Städten Syriens, um Rache zu üben (C4 9.3.2025). Die überwiegende Mehrheit der rechtswidrigen Tötungen von Zivilisten und Gefangenen durch syrische Sicherheitskräfte wurde laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR) von zwei bestimmten Fraktionen sowie von Personen begangen, die sich Militärkonvois angeschlossen hatten. Konkret waren die beiden Fraktionen, die für die meisten Tötungen von Zivilisten verantwortlich sind, die Suleiman Shah Division [auch: Abu Amsha-Division oder Amsha-Division] und die Hamza-Division. Beide Fraktionen und ihre Anführer stehen wegen mutmaßlicher schwerer Menschenrechtsverletzungen, darunter Vergewaltigung und Folter, unter US-Sanktionen (Guardian 10.3.2025). Laut Washington Institute for Near Eeast Policiy umfasste die Mobilisierung drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA: Jaysh ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah Division und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA gelisteten Gruppierung Ansar at-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten (TWI 10.3.2025). Die Gruppierungen stehen nominell unter der Schirmherrschaft des neuen Staates, wobei Abu Amsha zum Leiter der Militärbrigade der Provinz Hama ernannt wurde. In Wirklichkeit übt der Staat jedoch nur begrenzte Kontrolle über sie aus. Die Bewaffneten, die die Massaker verübten, seien keine Bewohner der syrischen Küste, sondern stammten aus anderen Gouvernements und seien teilweise ausländischer Herkunft wie Usbeken, Tschetschenen und zentralasiatische Kämpfer (Sky News 9.3.2025a). Am 9.3.2025 gab eine syrische Sicherheitsquelle an, dass sich die Kämpfe in der Umgebung der Städte Latakia, Jabla und Baniyas etwas beruhigt hätten, während die Streitkräfte die umliegenden Berggebiete durchsuchten, in denen sich schätzungsweise 5.000 pro-Assad-Aufständische versteckt hielten (Sky News 9.3.2025b). Der Sprecher des Verteidigungsministeriums gab am 10.3.2025 das Ende der Militäroperation gegen die Überreste des Regimes in den Küstengebieten bekannt. Er betonte, dass die öffentlichen Einrichtungen ihre Arbeit wieder aufnehmen können, um die Rückkehr zum normalen Leben vorzubereiten, und dass die Sicherheitskräfte weiter daran arbeiten werden, die Stabilität und die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten (SANA 10.3.2025a). Der Gouverneur von Tartus betonte am 9.3.2025, dass die Provinz nach dem Sieg über die Überreste des untergegangenen Regimes eine allmähliche Rückkehr ins öffentliche Leben erlebt (SANA 9.3.2025a). In den meisten Vierteln der Stadt Latakia hat am 10.3.2025 das normale Leben wieder begonnen, nachdem die Angriffe der Überreste des ehemaligen Regimes vereitelt und die Sicherheit in der Stadt wiederhergestellt wurde (SANA 10.3.2025b). Nach der Ankündigung der Regierung in Damaskus über den Abschluss der Sicherheitskampagne an der syrischen Küste stürmten Gruppen von bewaffneten Männern, die dem Verteidigungsministerium angehören, die Stadt Harison in der Umgebung von Baniyas, wo sie Häuser und Eigentum von Zivilisten plünderten und in Brand setzten (SOHR 10.3.2025c). Die Lage in den Städten mag stabiler sein, aber in ländlicheren Gegenden finden abseits der Medien eklatante Rechtsverletzungen statt. Die Zwangsumsiedlungen gehen weiter (Sky News 9.3.2025a).
Die Zahl der Todesopfer der Kämpfe variierte stark (Guardian 9.3.2025). Laut dem Syrian Network for Human Rights (SNHR), das umfassende Dokumentationsstandards anwendet und als unabhängig gilt, haben Anhänger des Assad-Regimes 383 Menschen getötet, darunter 211 Zivilisten und 172 syrische Sicherheitskräfte, während syrische Sicherheitskräfte 396 Menschen getötet haben, darunter Zivilisten und entwaffnete Kämpfer (Guardian 10.3.2025). Syrische Sicherheitsquellen gaben an, dass mehr als 300 ihrer Mitglieder bei Zusammenstößen mit Angehörigen der ehemaligen Syrischen Arabischen Armee, bei koordinierten Angriffen und Hinterhalten auf ihre Streitkräfte getötet wurden (Sky News 9.3.2025b). Es wurden Massengräber mit Dutzenden von toten Mitgliedern gefunden (AJ 9.3.2025). Die syrischen Sicherheitskräfte töteten 700 ehemalige Soldaten und bewaffnete Männer, die dem ehemaligen Präsidenten Bashar al-Assad treu ergeben waren, oder sogenannte Regimeüberreste (Arabiya 9.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Darüber hinaus wurden 125 Mitglieder der Sicherheitskräfte und 150 alawitische Kämpfer getötet (Sky News 9.3.2025a). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). Laut der Vereinten Nationen kam es zu Tötungen ganzer Familien (UN News 9.3.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) zog am 11.3.2025 Bilanz und verzeichnete eine Gesamtzahl von 1.093 Todesopfern vom Eintreffen bewaffneter Männer zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bis zum 11.3.2025. Insgesamt wurden 44 Massaker verübt (SOHR 11.3.2025). Eine nicht näher genannte Beobachtungsgruppe verzeichnete der BBC zufolge mehr als 1.500 Todesopfer, darunter 1.068 Zivilisten (BBC 10.3.2025). Laut Aussage des Leiters von SOHR wurden Zehntausende Häuser geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). Ein Freiwilliger der syrischen NGO Weißhelme (White Helmets) berichtete, dass seine Organisation am 5.3.2025 auf mehr als 40 Brände im Küstengebiet reagieren musste, bevor in der darauffolgenden Nacht die Schießerei begonnen hatte. Es wurde auch einer der Krankenwagen der Weißhelme angegriffen, ebenso das Krankenhaus und Kontrollpunkte (C4 9.3.2025).
Diese Eskalation war nicht auf Latakia im Westen Syriens beschränkt, denn auch in anderen Gebieten am Rande der Hauptstadt Damaskus und in Dara'a kam es zu bewaffneten Zusammenstößen (AlHurra 8.3.2025). Unbekannte bewaffnete Männer in einem Auto warfen am 10.3.2025 Granaten und eröffneten das Feuer mit Maschinengewehren auf das Hauptquartier der allgemeinen Sicherheitskräfte im Stadtteil al-Mezzeh in Damaskus. Es kam zu Zusammenstößen zwischen den Angreifern und den Sicherheitskräften (SOHR 10.3.2025d).
Übergangspräsident ash-Shara' richtete einen dreißigtägigen Untersuchungsausschuss, der die tatsächlichen Geschehnisse untersuchen soll, ein. Im Gegensatz zu den früheren Ernennungen der Übergangsregierung für Ausschüsse, Ministerien und Provinzämter sind die sieben Mitglieder dieses neuen Ausschusses nicht mit HTS oder ihrer Verbündeten in Verbindung gebracht worden (TWI 10.3.2025). Der Ausschuss soll seinen Bericht dem Chef der syrischen Übergangsregierung, Ahmad ash-Shara', spätestens 30 Tage nach der Entscheidung zur Bildung des Ausschusses vorlegen (BBC 9.3.2025a). Er hat zur Aufgabe, die Ursachen, Umstände und Bedingungen aufzudecken, die zu diesen Ereignissen geführt haben, die Verletzungen zu untersuchen, denen die Zivilbevölkerung ausgesetzt war, die Verantwortlichen zu identifizieren, die Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Mitarbeiter der Sicherheitskräfte und der Armee zu untersuchen, die Verantwortlichen zu identifizieren und diejenigen, die nachweislich an den Verbrechen und Verletzungen beteiligt waren, an die Justiz zu verweisen (SANA 9.3.2025b). Am 9.3.2025 begannen die Behörden, gegen diejenigen vorzugehen, die Gewalttaten gegen Zivilisten begangen hatten. Die syrische Übergangsregierung verhaftete sogenannte undisziplinierte Gruppen, die in den letzten Tagen während der Säuberungsaktionen Sabotageakte begangen hatten. Sie sollen strafrechtlich verfolgt werden, weil sie die Anweisungen des Kommandos missachteten (Arabiya 9.3.2025).
Nordsyrien
Die Sicherheitslage in Nordsyrien ist nach wie vor instabil, da verschiedene Fraktionen um Kontrolle und Einfluss konkurrieren (SCR 30.1.2025). Nach al-Assads Sturz und der Machtübernahme islamistischer Gruppierungen bleibt der Nordwesten Syriens eine der unruhigsten und komplexesten Regionen des Landes. Die neuen Machthaber bestehen aus einem Bündnis verschiedener islamistischer Fraktionen, wobei insbesondere Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) in Idlib und Teilen Aleppos eine führende Rolle einnehmen. Trotz der formellen Übernahme der Macht kommt es in der Region weiterhin zu Machtkämpfen zwischen rivalisierenden islamistischen Gruppen, Widerstandszellen Assad-treuer Kräfte und externen Bedrohungen durch Luftangriffe und Grenzkonflikte (VB Amman 9.2.2025). Teile des Nordostens Syriens, insbesondere Ost-Aleppo, ar-Raqqa und al-Hasaka, sind von Feindseligkeiten, Zusammenstößen und Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern (Improvised Explosive Devices - IED) betroffen (UNOCHA 12.2.2025). Idlib ist nun das Zentrum der islamistischen Verwaltung in Syrien, bleibt aber eine hochgradig instabile Region. Während HTS als dominierende Kraft die Kontrolle beansprucht, gibt es weiterhin Konflikte mit anderen Fraktionen sowie Widerstand durch kleinere Gruppierungen, die nicht vollständig in die neue Ordnung integriert wurden. Trotz des Sturzes al-Assads bleiben die syrischen Lufträume gefährdet durch israelische Angriffe auf iranische oder mit Iran verbundene Gruppierungen, während Russland gelegentlich gezielte Angriffe auf dschihadistische Gruppierungen in der Region durchführt. Spannungen zwischen HTS, anderen islamistischen Gruppierungen und lokalen Milizen sorgen für eine fragile Sicherheitslage mit regelmäßigen Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die anhaltende Instabilität, fehlende Grundversorgung und wirtschaftliche Notlage haben die humanitäre Situation in Idlib weiter verschärft. Aleppo bleibt eine der strategisch wichtigsten Städte Syriens, ist jedoch weiterhin zwischen verschiedenen Akteuren umkämpft. Während islamistische Gruppierungen Teile der Stadt kontrollieren, gibt es in anderen Bezirken noch Präsenz ehemaliger regierungstreuer Milizen oder autonomer kurdischer Einheiten. In nördlichen Teilen Aleppos gibt es weiterhin Spannungen zwischen türkisch unterstützten Milizen und kurdischen Einheiten der SDF. In Teilen Aleppos kommt es weiterhin zu gezielten Attentaten, Entführungen und Sprengstoffanschlägen gegen islamistische Führungspersonen, was auf eine aktive Widerstandsbewegung hindeutet. Die Stadt bleibt schwer beschädigt, und der Wiederaufbau schreitet nur schleppend voran, da sich die neuen islamistischen Machthaber auf militärische Kontrolle und weniger auf infrastrukturelle Erholung konzentrieren (VB Amman 9.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium gab bekannt, dass es einen Angriff der SDF an der Ashrafiya-Front Anfang März 2025 in Aleppo-Stadt zurückgeschlagen hat. Das syrische Verteidigungsministerium hat aus mehreren Gebieten militärische Verstärkung an die Kampffronten gegen die SDF in Aleppo geschickt (AJ 10.3.2025c). Die syrische Armee hat nach eigenen Angaben Mitglieder der kurdisch geführten SDF festgenommen, als diese aus dem Viertel al-Ashrafiya nach Aleppo eindrangen (BBC 9.3.2025a).
Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Der Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) fehlt es an ausreichendem Personal, um das ganze Land zu verwalten und die Posten zu bemannen. Es werden entweder andere Gruppierungen mit an Bord geholt werden müssen, oder möglicherweise auch ehemalige Soldaten (PBS 16.12.2024). Die einzigen Ordnungskräfte sind diejenigen Gruppierungen, die aus Idlib mitgekommen sind und die sich – personell überlastet – um ein Minimum an Ordnung in den Städten bemühen (SYRDiplQ1 5.2.2025).
Ash-Shara' versprach, dass die bewaffneten Gruppierungen und Milizen entwaffnet würden (HB 16.12.2024), und kündigte an, dass die bewaffneten Gruppierungen aufgelöst und die Kämpfer ausgebildet werden, um in die Reihen des Verteidigungsministeriums einzutreten. Sie werden dem Gesetz unterworfen sein (DW 17.12.2024).
Die bewaffnete Landschaft Syriens besteht aus einem komplexen Geflecht von über 60 Fraktionen, von denen jede ihre eigene Geschichte, ihre eigenen Loyalitäten und ihre eigene Agenda hat. Mehr als die Hälfte sind der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) angeschlossen. Andere Fraktionen agieren unabhängig oder innerhalb kleinerer Allianzen, mit Ideologien, die von säkular bis islamistisch reichen, und Finanzierungsquellen, die verschiedene regionale und internationale Akteure umfassen. Dieses Flickwerk an Macht stellt ein erhebliches Hindernis für die Schaffung einer einheitlichen nationalen Armee dar (DNewsEgy 3.2.2025). Obwohl die Kämpfer nominell unter der Schirmherrschaft der neuen syrischen Regierung stehen, gibt es nach wie vor Milizen, von denen einige in Menschenrechtsverletzungen verwickelt waren und relativ undiszipliniert sind (Guardian 9.3.2025). Die Kernkräfte der Gruppierung, die die neue Regierung anführt, HTS, sind bekanntermaßen weitaus disziplinierter als andere Akteure, was auf jahrelanger Beobachtung ihrer Aktivitäten in der Provinz Idlib und während des Sturzes von al-Assad beruht. Dennoch waren auch einige HTS-Kräfte an den Massakern im März 2025 in der syrischen Küstenregion beteiligt. Darüber hinaus trägt die neue Regierung weiterhin die Verantwortung für alle Tötungen, die von Gruppen unter ihrem formellen Kommando, einschließlich der SNA, begangen wurden. Ihre Unfähigkeit, diese Verbrechen zu verhindern, verdeutlicht, dass sie über Gebiete und Fraktionen außerhalb ihrer traditionellen Basis nach wie vor nur begrenzt befehligen und kontrollieren kann. Nachdem Berichte über Massaker aufgetaucht waren, gab das Innenministerium eine doppelte Erklärung ab, in der es die Zivilbevölkerung aufforderte, sich nicht einzumischen und die Reaktion der Regierung zu überlassen, und allen regierungsfreundlichen Kräften befahl, sich an die Verfahren zu halten, die während der Offensive zum Sturz des Assad-Regimes angewendet wurden, nämlich keine Zivilisten ins Visier zu nehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch bereits zahlreiche Morde verübt worden, und die Erklärung enthielt keinen Hinweis auf den notwendigen Prozess der Rechenschaftspflicht, der auf solche Vorfälle folgen muss, um weitere Vergeltungsmaßnahmen und Gräueltaten zu verhindern (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen im März 2025 finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).] In den Reihen der neuen syrischen Armee finden sich auch islamistische Kämpfer aus anderen arabischen Staaten, Zentralasien und dem Kaukasus (Standard 9.3.2025). Es gibt große Probleme bei der Integration der Gruppierungen, die bereits unter dem Verteidigungsministerium zusammengelegt wurden. Zu nennen ist hier der Top-Down-Ansatz, bei dem die Priorität auf Loyalität statt auf Leistung gelegt wird. Es gelingt nicht die ideologischen und klassenbasierten Unterschiede zwischen – und innerhalb – der Gruppierungen, die jetzt unter dem Kommando ash-Shara's stehen, abzumildern (NLM 25.2.2025).
Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA)
Mehr als die Hälfte der über 60 in Syrien bestehenden bewaffneten Gruppierungen gehört zur von der Türkei unterstützten Syrian National Army. Ihre Stärke beträgt mindestens 80.000 Mann und ihre Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) (DNewsEgy 3.2.2025). Die Jabhat ash-Shamiya, die Bewegung Nour ad-Din-Zenki, die islamische Bewegung Ahrar ash-Sham im nördlichen Umland von Aleppo und die Gruppe ash-Shahba beteiligten sich an den Vorbereitungen für die Operation "Abschreckung der Aggression" im Sommer 2024, während die übrigen Fraktionen auf direkte Anweisungen aus Ankara warteten, wie die Nationale Befreiungsfront in Idlib, die Tausende von Kämpfern aus allen Untergruppierungen der Abteilung für militärische Operationen zur Verfügung stellte (Quds 11.1.2025). Sie könnte ca. 50.000 Kämpfer umfassen. Die SNA steht grundsätzlich in Konkurrenz mit der HTS. Ihre Anführer haben erklärt, dass sie schwere Waffen abgeben würde im Gegenzug für hohe Funktionen in der neuen syrischen Armee. Ihre Kleinfeuerwaffen werden sie behalten. Manche Anführer möchten ihr Einkommen, das sie durch Schmuggel über die türkisch-syrische Grenze erhalten, nicht aufgeben (Economist 14.1.2025). Im Widerspruch dazu wird die HTS von der von Ankara unterstützten Nationalen Befreiungsfront (National Liberation Front - NLF) unterstützt, die von Oberst Fadlallah al-Hajji angeführt wird, dem militärischen Befehlshaber der Faylaq ash-Sham und gleichzeitig stellvertretenden Verteidigungsminister in der Übergangsregierung (Quds 11.1.2025). Die NLF schloss sich im Oktober 2019 der SNA an ( MEE 7.12.2024).
Die Suleiman Shah Division (auch: al-Amshat) wird von Mohammad Hussein al-Jassim, bekannt als Abu Amsha, angeführt, einer umstrittenen Figur, die sich schweren Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sieht. Seine Truppen haben ihren Sitz in Sheikh al-Hadid in 'Afrin und erstrecken sich auf Teile des nördlichen Landesteils von Aleppo. Die Hamza-Division (auch: Hamzat) kontrolliert al-Bab, Jarablus und 'Afrin und steht unter dem Kommando von Saif Bolad (Abu Bakr), einem prominenten Führer der von der Türkei unterstützten SNA. Im Jahr 2023 verhängte das US-Finanzministerium direkte Sanktionen gegen die beiden Fraktionen und beschuldigte sie, in den von ihnen kontrollierten Gebieten „Kriegsverbrechen und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen“ zu begehen. Menschenrechtsberichten zufolge waren diese von der Türkei unterstützten Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banias, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025).
Die syrischen Sicherheitskräfte forderten Anfang März 2025 nach Zusammenstößen mit Anhängern des Assad-Regimes eine allgemeine Mobilisierung über die bereits in der Küstenregion stationierten Einheiten hinaus an. Drei von den USA sanktionierte Milizen der von der Türkei unterstützten SNA folgten diesem Aufruf: Jaish ash-Sharqiya, Sultan Suleiman Shah und die Hamza-Division. Sie wurden zuvor wegen Menschenrechtsverletzungen an Kurden im Nordwesten Syriens angeklagt. An den Kämpfen waren auch ausländische Dschihad-Kämpfer der von den USA benannten Gruppe Ansar al-Tawhid und lokale syrische Zivilisten beteiligt, die die Kriegsverbrechen des Regimes rächen wollten. Die meisten lokalen Berichte deuten darauf hin, dass die überwiegende Zahl der von Regierungstruppen verursachten zivilen Todesfälle Anfang März 2025 in der Küstenregion von einer Mischung aus SNA-Fraktionen, ausländischen Kämpfern und zufälligen Zivilisten begangen wurde (TWI 10.3.2025). [Details zu den Vorfällen Anfang März 2025 in der Küstenregion sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]
Alle Gruppierungen der Syrischen Nationalen Armee sind an der Operation "Morgenröte der Freiheit" gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (Syrian Democratic Forces - SDF) beteiligt (Quds 11.1.2025).
Fahim 'Issa, einer der prominentesten Militärkommandeure in Nordsyrien, sagte, dass die Fraktionen der SNA derzeit nicht bereit sind, sich zusammenzuschließen, weil sie sich in den Kämpfen gegen die SDF mit türkischer Unterstützung engagieren, was im Gegensatz zu ash-Shara's Ansatz steht, die Angelegenheit mit den kurdischen Kämpfern zu regeln (Quds 11.1.2025).
Die Motivationen der Kämpfer in der SNA sind alles andere als einheitlich. In Interviews wurden drei Hauptmotive im gesamten Korps der SNA hervorgehoben: Erstens sind die Kämpfer von Loyalität und Stammesverbundenheit angetrieben und verlassen sich auf verwandtschaftliche Bindungen und das Vertrauen in die lokale Führung. Zweitens werden sie eher durch wirtschaftliche Faktoren motiviert, wobei viele von ihnen im Schmuggel und in der Kontrolle des lokalen Marktes tätig sind. Drittens sind einige Kämpfer, insbesondere an der Levante-Front, ideologisch motiviert und vertreten revolutionäre Ideale und umfassendere Visionen des gesellschaftlichen Wandels (NLM 25.2.2025).
Wehr- und Reservedienst - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Die Syrische Arabische Armee wurde noch von al-Assad vor seiner Flucht nach Mitternacht am 8.12.2024 per Befehl aufgelöst. Die Soldaten sollten ihre Militäruniformen gegen Zivilkleidung tauschen und die Militäreinheiten und Kasernen verlassen (AAA 10.12.2024). Aktivisten des Syrian Observatory for Human Rights (SOHR) in Damaskus haben berichtet, dass Hunderte von Regimesoldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie darüber informiert wurden, dass sie entlassen wurden, da das Assad-Regime gestürzt war (SOHR 8.12.2024). Ca. 2.000 syrische Soldaten sind in den Irak geflohen. Einem Beamten aus dem Irak zufolge sollen 2.150 syrische Militärangehörige, darunter auch hochrangige Offiziere, wie Brigadegeneräle und Zollangestellte, in einem Lager in der Provinz al-Anbar untergebracht sein. Die Mehrheit soll nach Syrien zurückkehren wollen (AlMada 15.12.2024). Syrischen Medien zufolge verhandelte die syrische Übergangsregierung mit der irakischen Regierung über die Rückführung dieser Soldaten (ISW 16.12.2024). Am 19.12.2024 begannen die irakischen Behörden damit, die syrischen Soldaten nach Syrien auszuliefern (TNA 19.12.2024). Die Mehrheit der führenden Soldaten und Sicherheitskräften des Assad-Regimes sollen sich noch auf syrischem Territorium befinden, jedoch außerhalb von Damaskus (Stand 13.12.2024) (AAA 10.12.2024). Nach der Auflösung der ehemaligen Sicherheits- und Militärinstitutionen verloren Hunderttausende ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen – vor allem in den Küstenregionen. Zehntausende wurden auch aus staatlichen und zivilen Einrichtungen entlassen, ohne alternative Einkommens- oder Arbeitsmöglichkeiten. Darüber hinaus wurden Mitgliedern der aufgelösten Armee, Polizei und Sicherheitsdienste Umsiedlungsmaßnahmen aufgezwungen, was zu wachsender Unzufriedenheit und Wut in den Reihen dieser Männer führte (Harmoon 17.3.2025).
Nach dem Umsturz in Syrien hat die von Islamisten angeführte Rebellenallianz eine Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen verkündet. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie seien untersagt, teilte die Allianz auf Telegram mit (Presse 9.12.2024). HTS-Anführer ash-Shara' kündigte in einem Facebook-Post an, dass die Wehrpflicht der Armee abgeschafft wird, außer für einige Spezialeinheiten und "für kurze Zeiträume". Des Weiteren kündigte er an, dass alle Gruppierungen aufgelöst werden sollen und über Waffen nur mehr der Staat verfügen soll (CNBC Ara 15.12.2024a; vgl. MEMRI 16.12.2024). Unklar ist, wie eine Freiwilligenarmee finanziert werden soll (ISW 16.12.2024). Auch die Auflösung der Sicherheitskräfte kündigte ash-Shara' an (REU 11.12.2024a). In einem Interview am 10.2.2025 wiederholte ash-Shara', dass er sich für eine freiwillige Rekrutierung entschieden habe und gegen eine Wehrpflicht. Bereits Tausende von Freiwilligen hätten sich der neuen Armee angeschlossen (Arabiya 10.2.2025a; vgl. AJ 10.2.2025a). Wehrpflichtigen der Syrischen Arabischen Armee (Syrian Arab Army - SAA) wurde eine Amnestie gewährt (REU 11.12.2024b). Ahmed ash-Shara' hat versprochen, dass die neue Führung die höchsten Ränge des ehemaligen Militärs und der Sicherheitskräfte wegen Kriegsverbrechen strafrechtlich verfolgen wird. Was dies jedoch für die Fußsoldaten des ehemaligen Regimes bedeuten könnte oder wo die diesbezüglichen Grenzen gezogen werden, bleibt unklar (Guardian 13.1.2025). Die neue Übergangsregierung Syriens hat sogenannte "Versöhnungszentren" eingerichtet, sagte Abu Qasra, neuer syrischer Verteidigungsminister. Diese wurden bereits gut genutzt, auch von hochrangigen Personen, und die Nutzer erhielten vorübergehende Niederlassungskarten. Eine beträchtliche Anzahl habe auch ihre Waffen abgegeben (Al Majalla 24.1.2025). Der Hauptsitz des Geheimdienstes in Damaskus ist jetzt ein "Versöhnungszentrum", wo die neuen syrischen Behörden diejenigen, die dort gedient haben, auffordern, sich zu stellen und ihre Waffen im Geheimdienstgebäude abzugeben. Im Innenhof warten Menschenschlangen darauf, Zettel zu erhalten, die besagen, dass sie sich offiziell ergeben und mit der neuen Regierung versöhnt haben, während ehemalige Aufständische in neuen Uniformen im Militärstil die abgegebenen Pistolen, Gewehre und Munition untersuchen. Ehemalige Offiziere, die sich für die neue Regierung Syriens als nützlich erweisen könnten, beispielsweise, weil sie Informationen über Personen haben, die international gesucht werden, haben wenig zu befürchten, solange sie kooperieren (Guardian 13.1.2025). In diesen "Versöhnungszentren" erhielten die Soldaten einen Ausweis mit dem Vermerk "desertiert". Ihnen wurde mitgeteilt, dass man sie bezüglich ihrer Wiedereingliederung kontaktieren würde (Chatham 10.3.2025). Die Rolle der übergelaufenen syrischen Armeeoffiziere in der neuen Militärstruktur ist unklar. Während ihr Fachwissen beim Aufbau einer Berufsarmee von unschätzbarem Wert sein könnte, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich ihrer Marginalisierung innerhalb der neuen Machtstruktur (DNewsEgy 3.2.2025). Unter al-Assad war die Einberufung in die Armee für erwachsene Männer obligatorisch. Wehrpflichtige mussten ihren zivilen Ausweis abgeben und erhielten stattdessen einen Militärausweis. Ohne einen zivilen Ausweis ist es schwierig, einen Job zu finden oder sich frei im Land zu bewegen, was zum Teil erklärt, warum Zehntausende in den "Versöhnungszentren" in verschiedenen Städten aufgetaucht sind (BBC 29.12.2024). Ehemalige Soldaten und Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes, ca. 4.000 bis 5.000 Männer in Latakia und Tartus, haben sich diesen "Versöhnungsprozessen" entzogen. Einige von ihnen wurden im Rahmen einer landesweiten Kampagne mit täglichen Suchaktionen und gezielten Razzien gefasst, andere jedoch haben sich zu bewaffnetem Widerstand gegen die Übergangsregierung entschlossen (MEI 13.3.2025).
Der Übergangspräsident Ahmed ash-Shara' hat die Vision einer neuen „Nationalen Armee“ geäußert, die alle ehemaligen Oppositionsgruppen einbezieht. Diese Vision beinhaltet einen Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, bei dem Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeblich die Führung übernehmen soll (DNewsEgy 3.2.2025). Der syrische Verteidigungsminister Abu Qasra kündigte am 6.1.2025 den Beginn von Sitzungen mit militärischen Gruppierungen an, um Schritte zu deren Integration in das Verteidigungsministerium zu entwickeln (Arabiya 6.1.2025b). Hochrangige Beamte des neuen Regimes führten Gespräche über die Eingliederung von Milizen in das Verteidigungsministerium und die Umstrukturierung der syrischen Armee mit Vertretern unterschiedlicher bewaffneter Gruppierungen, wie Fraktionen der von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) (MAITIC 9.1.2025). Die Behörden gaben Vereinbarungen mit bewaffneten Rebellengruppen bekannt, diese aufzulösen und in die vereinte syrische Nationalarmee zu integrieren (UNSC 7.1.2025). Die einzige Möglichkeit, eine kohärente militärische Institution aufzubauen, besteht laut Abu Qasra darin, die Gruppierungen vollständig in das Verteidigungsministerium unter einer einheitlichen Struktur zu integrieren. Die Grundlage für diese Institution muss die Rechtsstaatlichkeit sein (Al Majalla 24.1.2025). Es bleibt abzuwarten, wie die neue Armee Syriens aussehen wird und ob sie auf einer anderen Struktur als die Armee des Assad-Regimes basieren wird. Dazu gehören Fragen in Bezug auf Brigaden, Divisionen und kleine Formationen sowie Fragen in Bezug auf die Art der Bewaffnung, ihre Form und die Art der Mission. (AlHurra 12.2.2025).
Die Umstrukturierung des syrischen Militärs hat gerade erst begonnen. Der neue de-facto-Führer hat versprochen, die neue Armee in eine professionelle, auf Freiwilligen basierende Truppe umzuwandeln, um die Professionalität in den Reihen zu fördern und sich von der Wehrpflichtpolitik zu entfernen, die das zusammengebrochene Assad-Regime charakterisierte (TR-Today 8.1.2025). Medienberichten zufolge wurden mehrere ausländische islamistische Kämpfer in hohe militärische Positionen berufen. Ash-Shara' hatte Berichten zufolge außerdem vorgeschlagen, ausländischen Kämpfern und ihren Familien aufgrund ihrer Rolle im Kampf gegen al-Assad die Staatsbürgerschaft zu verleihen (UNSC 7.1.2025).
Syrische Medien berichten, dass die neue Regierung aktiv Personen für die Armee und die Polizei rekrutiert. Damit soll der dringende Bedarf an Kräften gedeckt werden. Neue Soldaten, Unteroffiziere und Offiziere werden Berichten zufolge durch intensive Programme rekrutiert, die von den traditionellen akademischen und Ausbildungsstandards abweichen. Der Prozess der Vorbereitung von Militär- und Sicherheitskadern wird beschleunigt, um den Bedürfnissen des neuen Staates gerecht zu werden (SCI o.D.). Am 10.2.2025 gab Übergangspräsident ash-Shara' an, dass sich Tausende von Freiwilligen der neuen Armee angeschlossen haben (Arabiya 10.2.2025a). Viele junge Männer ließen sich einem Bericht des syrischen Fernsehsenders Syria TV zufolge für die neue Armee rekrutieren. Insbesondere seien junge Männer in Idlib in dieser Hinsicht engagiert. Die Rekrutierungsabteilung der neuen syrischen Verwaltung in der Provinz Deir ez-Zour gab bekannt, dass wenige Wochen nach der Übernahme der Kontrolle über die Provinz durch den Staat etwa 1.200 neue Rekruten in ihre Reihen aufgenommen wurden. In den den ländlichen Gebieten von Damaskus treten junge Männer vor allem der Kriminalpolizei bei (Syria TV 21.2.2025). Die Rekrutierungsabteilung von Aleppo teilte am 12.2.2025 mit, dass bis zum 15.2.2025 eine Rekrutierung in die Reihen des Verteidigungsministeriums läuft. Dort ist die Aufnahmebedingung für junge Männer, dass sie zwischen 18 und 22 Jahre alt, ledig und frei von chronischen Krankheiten und Verletzungen sein müssen (Enab 12.2.2025). Das syrische Verteidigungsministerium hat am 17.3.2025 mehrere Rekrutierungszentren im Gouvernement Dara'a in Südsyrien eröffnet (NPA 17.3.2025). Das Innenministerium hat seitdem Rekrutierungszentren in allen von der Regierung kontrollierten Gebieten eröffnet (ISW 16.4.2025). Berichten zufolge verlangt die neue Regierung von neuen Rekruten eine 21-tägige Scharia-Ausbildung (FDD 28.1.2025).
Ende Februar 2025 verbreiteten Facebook-Seiten die Behauptung, die Allgemeine Sicherheit habe in Jableh, Banyas und Qardaha Checkpoints eingerichtet, um jeden zu verhaften, der eine Siedlungskarte besitzt. Die Seiten behaupten, dass die Allgemeine Sicherheit die Verhafteten nach Südsyrien verlegt, wo es zu einer Eskalation durch die israelische Besatzung kommt. Die syrische Regierung dementierte die Durchführung von Rekrutierungskampagnen in den Provinzen Latakia und Tartus. Die Rekrutierung basiere weiterhin auf Freiwilligkeit (Syria TV 26.2.2025).
Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes
Die sunnitischen Muslime machen die Mehrheit der Bevölkerung des Landes aus. Obwohl die offiziellen Bevölkerungsstatistiken keine Angaben zu Religion oder ethnischer Zugehörigkeit enthalten, sind laut dem Bericht des US-Außenministeriums über Religionsfreiheit aus dem Jahr 2022 74 % der Bevölkerung Sunniten, mit einer vielfältigen ethnischen Mischung aus mehrheitlich Arabern, Kurden, Tscherkessen, Tschetschenen und einigen Turkmenen. Sunniten sind in den meisten syrischen Städten und Dörfern vertreten, mit bemerkenswerten Konzentrationen in Damaskus, Aleppo und Homs. Neben den Sunniten gibt es weitere islamische Gruppen, darunter Alawiten, Ismailiten und andere schiitische Sekten, die nach Schätzungen des US-Außenministeriums zusammen 13 % der Bevölkerung ausmachen. Die Vielfalt Syriens beschränkt sich nicht auf die konfessionelle Dimension, sondern erstreckt sich auf zahlreiche ethnische Gruppen wie Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen und andere. Araber sind die überwältigende Mehrheit in Syrien, gefolgt von Kurden (BBC 12.12.2024). Die Übergangsregierung in Syrien will sich nach Aussagen ihres Außenministers ash-Shaybani für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land einsetzen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft, seines sozialen oder religiösen Hintergrunds oder einer Zugehörigkeit zu bestimmten Bevölkerungsgruppen bestraft werden, sagte er beim Weltwirtschaftsforum in Davos (Zeit Online 23.1.2025). Demografische Daten für Syrien sind unzuverlässig, und die derzeitigen Standorte von Minderheitengemeinschaften sind aufgrund der erheblichen Umwälzungen, die das Land unter der Herrschaft von Bashar al-Assad erlebte, ähnlich schwer zu ermitteln (MRG 1.2025).
Abkürzungsverzeichnis
II.1.7.2. UNHCR position on returns to the Syrian Arab Republic
Der Standpunkt des United Nations High Commissioner for Refugees (in der Folge: UNHCR) von Dezember 2024 beinhaltet in Punkt 5. folgende (aus dem Englischen übersetzte) Empfehlung:
„Angesichts der derzeit unsicheren Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Bescheide über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen oder staatenlosen Personen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen.“
II.1.7.3. UNHCR: Persons in need of international protection
Das UNHCR zählt zu den Personen, die internationalen Schutz benötigen, die folgendermaßen definierten Flüchtlinge (aus dem Englischen übersetzt):
„Als Flüchtlinge gelten im weitesten Sinne alle Personen, die sich außerhalb ihres Herkunftslandes befinden und aufgrund einer ernsthaften Bedrohung ihres Lebens, ihrer körperlichen Unversehrtheit oder ihrer Freiheit in ihrem Herkunftsland infolge von Verfolgung, bewaffneten Konflikten, Gewalt oder schweren öffentlichen Unruhen internationalen Schutzes bedürfen.“
II.1.7.4. Interim Country Guidance: Syria der EUAA von Juni 2025
Die Analyse Interim Country Guidance: Syria der European Union Agency for Asylum (in der Folge: EUAA) von Juni 2025 beinhaltet aus dem Englischen übersetzt) folgende Ausführungen (Hervorhebungen wie im Original):
Jüngste Entwicklungen in Syrien
Ende November 2024 starteten syrische Rebellen unter der Führung von Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) eine bedeutende Offensive, die am 8. Dezember 2024 zum Sturz des Assad-Regimes führte. Die Rebellen eroberten rasch wichtige Städte wie Aleppo, Hama und Damaskus und führten damit zum Ende der jahrzehntelangen Herrschaft der Assad-Familie, die ins Ausland floh.
Eine von HTS und anderen Milizen gebildete Übergangsregierung versprach, das Land zu stabilisieren und innerhalb von drei Jahren eine neue Verfassung auszuarbeiten. Ahmad al-Sharaa, auch bekannt als Abu Mohamed al-Jolani, wurde am 29. Januar 2025 zum Übergangspräsidenten ernannt und skizzierte Pläne zur Förderung von Versöhnung und Inklusivität, wobei er gleichzeitig die Bedeutung der Wahrung der nationalen Einheit betonte. Ende Januar annullierte die Übergangsregierung die syrische Verfassung von 2012 und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsbehörden der ehemaligen Regierung auf. Al-Sharaa kündigte die Einrichtung eines Übergangsgesetzgebungsrates an, verhängte eine Generalamnestie für syrische Armeesoldaten, schaffte die Wehrpflicht ab und leitete einen Reintegrationsprozess für ehemalige Regierungs- und Militärangehörige, darunter auch hochrangige Beamte, ein.
Am 13. März unterzeichnete der syrische Interimspräsident Ahmad al-Sharaa eine Verfassungserklärung, die eine fünfjährige Übergangszeit vorsah. Die Erklärung legt fest, dass der Islam die Religion des Präsidenten und die islamische Rechtsprechung die wichtigste Quelle der Gesetzgebung ist. Sie garantiert außerdem die Unabhängigkeit der Justiz, Meinungs- und Medienfreiheit sowie politische, bildungsbezogene und arbeitsrechtliche Rechte für Frauen. Am 29. März kündigte Sharaa die Bildung einer Übergangsregierung an, die sich aus 23 Ministern unterschiedlicher ethnischer und religiöser Herkunft zusammensetzt, darunter Alawiten, Christen, Drusen und Kurden. Eine Frau wurde zur Ministerin für Soziales und Arbeit ernannt. Die Übergangsregierung hat keinen Premierminister, und Sharaa wird voraussichtlich in seiner Rolle als Interimspräsident die Exekutive führen.6). Die Regierung wird von Ministern dominiert, die mit HTS in Verbindung stehen. Dazu gehören auch Minister, die vor 2011 in der Assad-Regierung dienten. Kein Mitglied der Demokratischen Autonomen Verwaltung für Nord- und Ostsyrien (DAANES) oder der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) ist im Kabinett vertreten.7).
Die politische Zukunft Syriens bleibt aufgrund ethnischer Spannungen und der Integration verschiedener Milizen ungewiss. Berichte über Angriffe auf ethnische und religiöse Minderheiten, insbesondere in der Küstenregion sowie den Provinzen Homs und Hama, haben zugenommen. Im Norden ringen Fraktionen um Einfluss und Kontrolle. Es kommt zu anhaltenden Zusammenstößen zwischen den von der Türkei unterstützten Milizen der Syrischen Nationalarmee (SNA) und den von den USA unterstützten, kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF). Im März 2025 einigten sich die SDF-Führer darauf, ihre Streitkräfte und Institutionen in die neue syrische Regierung zu integrieren. Zuvor hatte die Übergangsregierung bis Ende Januar alle Oppositionsparteien und Militärgruppen aufgelöst. Im Nordosten Syriens kam es zu Angriffen des Islamischen Staates im Irak und der Levante (ISIL) auf SDF-Truppen.
Der Bürgerkrieg und die Rebellenoffensive haben zu erheblichen Binnenvertreibungen geführt (siehe Verschiebe- und Rückbewegungen). Die Übergangsregierung hat Wirtschaftsreformen eingeleitet, darunter Stellenabbau im öffentlichen Dienst, Steuerreformen und die Wiedereröffnung von Grenzübergängen. Die Vereinigten Staaten und der EU-Rat haben verschiedene Sanktionen aufgehoben, um humanitäre Hilfe und die wirtschaftliche Erholung zu erleichtern.
Die humanitäre Lage in Syrien ist nach wie vor äußerst kritisch. Nach mehr als 13 Jahren Bürgerkrieg leben rund 90 % der Bevölkerung in Armut und sind weitgehend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Hälfte der Infrastruktur des Landes, darunter Krankenhäuser, Schulen und Wasserversorgungssysteme, wurde schwer beschädigt oder zerstört. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie medizinischer Versorgung und Bildung ist vielerorts eingeschränkt. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen und NGOs leisten Nothilfe, doch die finanziellen Mittel sind begrenzt. Letztlich hängen die langfristige Stabilisierung und der Wiederaufbau Syriens von politischen Entwicklungen und internationaler Unterstützung ab.
Akteure der Verfolgung oder der ernsthaften Bedrohung
In Syrien kommt ein breites Spektrum an Gruppen und Einzelpersonen in Betracht, die als Täter gelten, die Verfolgung oder schweren Schaden anrichten. Dazu gehört eine Vielzahl interner und externer Akteure, die jeweils eigene Interessen und Ziele verfolgen.
Das Assad-Regime, das als Hauptverursacher von Verfolgung und schwerem Schaden in Syrien galt, ist verschwunden. Am 27. November 2024 führte die militante islamistische Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) unter der Führung von Ahmad Al-Sharaa eine groß angelegte Offensive im Nordwesten Syriens durch. Sie stieß auf minimalen Widerstand, da die syrischen Streitkräfte ihre Stellungen aufgaben. HTS und ihre Verbündeten Fraktionen erlangten am 8. Dezember 2024 die Kontrolle über die Hauptstadt.
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts kontrollierte die von der HTS geführte Koalition die meisten Gebiete, die zuvor vom Assad-Regime kontrolliert wurden, und damit etwas mehr als 60 Prozent des syrischen Territoriums. Im Norden kämpften verschiedene Fraktionen um Einfluss und Kontrolle. Die Zusammenstöße zwischen von der Türkei unterstützten Milizen, die unter dem Dach der Syrischen Nationalarmee (SNA) operieren, und den von den USA unterstützten, kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) dauerten an.
Nach der Machtübernahme etablierte die HTS eine Übergangsregierung, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte [siehe Sicherheitslage 2023, 2.1.2(a)]. Bis Mitte Februar hatte die Übergangsregierung rund hundert bewaffnete Gruppierungen, darunter die von den USA unterstützte Freie Syrische Armee, erfolgreich in ein neues syrisches Militär und Verteidigungsministerium integriert. Einige Gruppierungen leisten weiterhin Widerstand. Anfang März 2025 unterzeichneten die SDF ein Abkommen zur Integration ihrer Streitkräfte und zivilen Institutionen in die neue syrische Regierung.
Kurz nach dem Sturz des Assad-Regimes rückte das israelische Militär in die von den Vereinten Nationen patrouillierte Pufferzone auf den Golanhöhen und darüber hinaus auf syrisches Gebiet im Süden von Quneitra und im Südwesten von Dar'a ein. Darüber hinaus führte Israel Anfang Dezember Hunderte von Luftangriffen zur Zerstörung von Waffenstandorten in ganz Syrien durch, mehr als die Hälfte davon in den Gouvernements Dar'a, Damaskus, Damaskus-Umland und Latakia. Bis zum 20. Februar 2025 dauerten die israelischen Einfälle in und außerhalb der Pufferzone an.
Die untenstehende Karte (Abbildung 1. © The Washington Institute for Near East Policy, Fabrice Balanche, Syrien, Kontrollgebiete, 28. Februar 2025) zeigt die ungefähren Kontroll- und Einflussgebiete in Syrien am 3. März 2025. Diese Karte stellt lediglich eine Orientierung dar und kann nicht als absolute Darstellung der Situation hinsichtlich räumlicher oder zeitlicher Genauigkeit angesehen werden. Die Darstellungen auf dieser Karte stellen keine Meinung der EUAA zum Rechtsstatus oder zur effektiven Kontrolle über ein Gebiet des Landes dar.

Die Übergangsregierung
HTS und seine verbündeten Fraktionen gründeten im Zuge ihrer Offensive gegen das Assad-Regime die Militäroperationsverwaltung (MOA). Nach dem Sturz von Bashar Al-Assad wurden die Truppen der MOA zur wichtigsten militärischen Kraft vor Ort. Am 24. Dezember 2024 verkündete die MOA die Auflösung aller militärischen Fraktionen und ihre Eingliederung in das Verteidigungsministerium. HTS selbst kündigte an, mit gutem Beispiel voranzugehen, sich als bewaffnete Gruppe aufzulösen und in die Streitkräfte zu integrieren.
HTS erklärte, sie hätten während ihrer Offensive versucht, die Zivilbevölkerung zu schonen. Einige Gebiete, die zuvor von den SDF kontrolliert wurden, wurden aufgrund von Vereinbarungen übernommen. Nach ihrer Machtübernahme führte die Übergangsregierung umfangreiche Militäroperationen durch, die auf (Ehemalige) Mitglieder der Streitkräfte Assads und pro-Assad bewaffneter Gruppen, die zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen führte, darunter gemeldete Todesfälle in Gewahrsam sowie Foltervorwürfe. Anfang März 2025 wurde von standrechtlichen Hinrichtungen von Zivilisten, von denen die meisten Alawiten waren, berichtet.
Der Sturz des Assad-Regimes und die de facto-Herrschaft der von der HTS dominierten Übergangsregierung über Syrien führte zu einer unerwarteten und beispiellosen Situation. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts sind die Absichten und die Regierungsform der neuen Behörden noch unklar.
Syrische Nationalarmee (SNA)
Am 29. Januar 2025 verkündete die Übergangsregierung die Auflösung ehemaliger Rebellengruppen, darunter auch der SNA. Einige SNA-Gruppen wurden nur dem Namen nach integriert, kämpften weiterhin gegen die SDF entlang des Euphrat und operierten als SNA im Nordwesten Syriens, wo sie nur schrittweise Aufgaben an das Verteidigungsministerium übergaben. Berichten zufolge zeigten sich einige Anführer der SNA-Fraktion zögerlich, das Verteidigungsministerium zu integrieren, da sie befürchteten, für frühere Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft gezogen zu werden oder ihren politischen Einfluss zu verlieren.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes waren SNA-Fraktionen Berichten zufolge an der Entführung von Zivilisten, an Schlägereien und Plünderungen sowie an Menschenrechtsverletzungen gegen Kurden. Berichten zufolge kam es auch zu Bombardierungen von Dörfern.
Flüchtlingsstatus
Der Regimewechsel in Syrien könnte für viele Antragsteller die Angst vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden beeinflusst haben. Dennoch sollten nicht alle vor dem Zusammenbruch des Assad-Regimes gestellten Anträge als hinfällig betrachtet werden, insbesondere wenn nicht das Assad-Regime, sondern andere Akteure der Verfolgung oder des ernsthaften Schadens involviert waren. In solchen Fällen könnte das Risiko fortbestehen, sich verringert oder erhöht haben. Auch die Situation im Syrien nach dem Sturz Assads könnte zu neuen Risiken der Verfolgung oder des ernsthaften Schadens führen.
Dementsprechend wird im Kapitel zum Flüchtlingsstatus zwischen drei Kategorien von Personengruppen unterschieden: Personengruppen, für die das Assad-Regime als einziger Akteur der Verfolgung galt, Personengruppen, die von Verfolgung durch mehrere Akteure bedroht sind (einschließlich des Assad-Regimes), und Personengruppen, die von Verfolgung durch andere Akteure als das Assad-Regime bedroht sind (wobei das Assad-Regime nicht als Verfolger angesehen wurde).
Der Sturz des Assad-Regimes und die de facto Die Herrschaft von HTS und der Übergangsverwaltung über Syrien hat eine unerwartete und beispiellose Situation geschaffen. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts sind die Absichten und die Regierungsform der neuen Behörden noch unklar.
In dieser sich entwickelnden politischen Situation Syriens (siehe auch Jüngste Entwicklungen in Syrien) können bestimmte Elemente für die Beurteilung des Bedarfs an internationalem Schutz besonders relevant sein und sollten daher berücksichtigt werden. So sollte beispielsweise die politische Meinung des Antragstellers oder die ihm zugeschriebene politische Einstellung sowie jegliches Verhalten, das als Verstoß gegen islamische Normen oder Gesetze wahrgenommen wird, gebührend berücksichtigt werden. Ebenso sollte die Situation von Frauen und Mädchen im Hinblick auf die sie betreffenden politischen Maßnahmen beobachtet werden, um ihren potenziellen Bedarf an internationalem Schutz zu beurteilen.
Sunnitische Araber
Sunnitische Araber waren durch das Assad-Regime, den Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL) und Dschaisch al-Islam Verfolgung (z. B. Verhaftung, Folter, Hinrichtung) und Diskriminierung ausgesetzt. Wie bereits erwähnt, ist die Gefahr durch das Assad-Regime verschwunden. ISIL und Dschaisch al-Islam sind weiterhin präsent und aktiv, und es gibt keine Informationen, die darauf hindeuten, dass sich ihr Umgang mit sunnitischen Arabern, die ihrer Interpretation der Scharia nicht folgen, geändert hat.
Während HTS auch sunnitische Muslime ins Visier nahm, die sich nicht an ihre Interpretation der Scharia hielten, wurden die meisten hochrangigen Positionen in der Übergangsregierung mit sunnitischen Arabern besetzt, und es gibt zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Berichts keine konkreten Informationen über die Behandlung von sunnitischen Muslimen, die sich nicht an die Auslegung der Scharia durch die Übergangsregierung halten. Auch gibt es keine Berichte über gezielte Angriffe irgendeiner Gruppe auf sunnitische Araber allein aufgrund der Tatsache, dass sie sunnitische Araber sind.
Daher kann man daraus schlussfolgern:
Allein die Tatsache, ein sunnitischer Araber zu sein, stellt für sich genommen kein Risiko dar, das ausreicht, um eine begründete Furcht vor Verfolgung zu begründen. Sollte ein sunnitischer Araber zum Ziel werden, hätte dies mit anderen Umständen zu tun. Zum Beispiel ISIL und Dschaisch al-Islam (eine mit der SNA verbundene bewaffnete Gruppe) haben sunnitische Muslime ins Visier genommen, die sich nicht an ihre Interpretation der Scharia halten.
Bei der individuellen Beurteilung sollten risikobeeinflussende Umstände berücksichtigt werden, wie etwa die regionalen Besonderheiten (z. B. das Leben in Gebieten, in denen ISL und Dschaisch al-Islam operativ tätig sind).
Wenn für einen Antragsteller mit diesem Profil eine begründete Furcht vor Verfolgung vorliegt, kann dies aus religiösen Gründen der Fall sein.
II.1.7.5. Syria: Country Focus der EUAA von Juli 2025
Aus dem (englischsprachigen) Bericht „Syria: Country Focus” der EUAA von Juli 2025 wird übersetzt Folgendes festgestellt:
Sicherheitsbehörden
Integration bewaffneter Gruppen
Im Januar 2025 begann das Verteidigungsministerium mit der Bildung einer neuen syrischen Armee, indem es ehemalige Oppositionsfraktionen integrierte. Viele dieser Gruppen, darunter auch solche, die mit HTS verbunden sind, haben sich der Struktur des Verteidigungsministeriums angeschlossen. Anstatt Reformen oder Umstrukturierungen zu verlangen, hat das Verteidigungsministerium diese Fraktionen weitgehend als offizielle Armeedivisionen oder Brigaden umbenannt. Das Verteidigungsministerium vereint verschiedene militärische Fraktionen wie Kernverbände von HTS, mit HTS verbündete Gruppen, von der Türkei unterstützte Einheiten der Syrischen Nationalarmee (SNA) und neu gegründete Divisionen des Verteidigungsministeriums. Diese Streitkräfte operieren unter einer fragmentierten und komplexen Befehlskette und sind in unterschiedlichem Maße mit dem Verteidigungsministerium koordiniert. Trotz der Bemühungen der Regierung, bewaffnete Gruppen in das neue Ministerium zu integrieren, haben sich die meisten einer Fusion widersetzt. Die bekanntesten davon werden in den folgenden Abschnitten behandelt.
Im Mai gab das Verteidigungsministerium bekannt, dass alle bewaffneten Gruppen in seine Struktur integriert worden seien, und erklärte, dass „verbleibende kleine militärische Gruppen“ zehn Tage Zeit hätten, um den Prozess abzuschließen, ohne jedoch zu nennen, welche Gruppen sich noch nicht darangehalten hätten. Ende Mai kam das Institute for the Study of War (ISW) jedoch zu dem Schluss, dass die Übergangsregierung „keine vollständige Kontrolle über die verschiedenen bewaffneten Fraktionen, aus denen sich das Verteidigungsministerium zusammensetzt“, ausübe.
SNA- Fraktionen
Laut ISW kontrollierten die SNA-Fraktionen im Mai weiterhin Tal Abyad und Ras al Ain. Es wurde davon ausgegangen, dass die SNA trotz ihrer formellen Integration in das Verteidigungsministerium „weiterhin in ihren bisherigen Formationen und Gebieten operiert”. Die SNA-Fraktionen behielten durch türkische Gehälter unabhängige Einnahmequellen und agierten autonom vom Verteidigungsministerium.
Trotz der Präsenz von Regierungstruppen in Afrin seit Februar 2025 berichtete STJ, dass SNA-Fraktionen, insbesondere die Suleiman-Shah-Brigade/al-Amshat, weiterhin in dem Gebiet präsent waren. Einige SNA-Fraktionen, die in die 72. Division integriert wurden, operierten westlich des Tishreen-Staudamms in der Provinz Aleppo. SNA-Fraktionen, die nominell in Armeedivisionen integriert waren, wurden im ganzen Land, insbesondere in den Provinzen Aleppo und Hama, stationiert.
Sicherheitslage

Karte 2: Einschätzung der Kontrolle über das Territorium in Syrien, © Institute for the Study of War und AEI's Critical Threats Project, 5. Juni 2025
Internationale Beteiligung
Türkei
Die Türkei behielt die Kontrolle über die nördlichen Grenzgebiete und vertiefte ihre Zusammenarbeit mit der Übergangsregierung, insbesondere durch die Erleichterung der Übertragung der Verwaltungshoheit in Afrin von der SNA an die Übergangsbehörden. Die Türkei und die Übergangsregierung haben Berichten zufolge Gespräche über ein gemeinsames Verteidigungsabkommen aufgenommen, das türkische Vorschläge zur Einrichtung neuer Stützpunkte, zur Nutzung des syrischen Luftraums und zur Leitung der Ausbildung syrischer Streitkräfte enthält.
Sicherheitslage und Auswirkungen des Konflikts auf die Zivilbevölkerung nach Provinzen
Provinz Aleppo
Territoriale Kontrolle und wichtigste bewaffnete Akteure
Ende Mai 2025 wurde der südwestliche Teil der Provinz Aleppo, der an die Provinz Idlib grenzt, vom ISW und CTP als unter der Kontrolle der Übergangsverwaltung stehend kartiert. Allerdings gab es westlich der Stadt Aleppo einen kleinen Flecken, in dem pro-Assad-Kräfte weiterhin präsent waren. In den Städten Afrin, A’zaz, Al-Bab und Menbij sowie rund um den Tishreen-Damm war die Übergangsregierung Berichten zufolge präsent. Der nordwestliche und nördliche Teil der Provinz an der Grenze zur Türkei wurde als unter der Kontrolle der von der Türkei unterstützten SNA kartiert, die zusammen mit anderen bewaffneten Gruppierungen formell unter die Kontrolle des Verteidigungsministeriums gestellt wurde. Im März 2025 erklärte die Übergangsregierung, dass die bewaffneten Gruppen des Landes, einschließlich der SNA, in die syrische Armee integriert worden seien. In der Praxis schien die SNA jedoch nicht vollständig unter dem Kommando und der Kontrolle des neuen syrischen Verteidigungsministeriums zu stehen oder aufgelöst worden zu sein.
II.2. Beweiswürdigung
Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in die Verfahrensakte des BFA unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, der von ihm vorgelegten Beweismittel, des bekämpften Bescheides, des Beschwerdeschriftsatzes, durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und die Einsichtnahme in die vom Bundesverwaltungsgericht beigeschafften länderkundlichen aktuellen Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des BF.
Auskünfte aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister, der Grundversorgungsdatenbank, dem zentralen Melderegister, dem Hauptverband österreichischer Sozialversicherungsträger und dem Strafregister wurden ergänzend zum vorgelegten Verwaltungsakt eingeholt, zuletzt am 25.09.2025. Wenn in der Beweiswürdigung auf diese Auszüge verwiesen wird, dann – außer es wird explizit anders erwähnt – auf diese aktuellste Version der im Akt befindlichen Auszüge.
Die im Verfahren aufgenommenen Niederschriften mit den Aussagen des BF liefern den vollen Beweis im Sinne des § 15 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. 51/1991 in der geltenden Fassung (in der Folge: AVG) über den Verlauf und Gegenstand der Amtshandlung und können mit diesem Inhalt als zentrales Beweismittel der Beweiswürdigung unterzogen werden. Der BF traten den Gegenbeweis der Unrichtigkeit des darin bezeugten Vorganges nicht an.
Der BF legte im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA folgende Beweisurkunden vor:
- Personenregisterauszug (in Kopie s. Aktenseite 37ff, in deutscher Übersetzung s. Aktenseite 35)
- Familienregisterauszug (in Kopie s. Aktenseite 43ff, in deutscher Übersetzung s. Aktenseite 41)
- Eheregisterauszug (in Kopie s. Aktenseite 51, in deutscher Übersetzung s. Aktenseite 49)
- Syrischer Personalausweis (in Kopie s. Aktenseite 60, in deutscher Übersetzung s. Aktenseite 57, Bericht Urkundenüberprüfung, womit bestätigt wird, dass es sich um ein Originaldokument handelt, s. Aktenseite 59)
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden die Berichte über die allgemeine Lage im Herkunftsstaat, nämlich
- die Analyse „Interim Country Guidance: Syria“ der European Union Agency for Asylum (im Folgenden: EUAA) von Juni 2025 und
- der Bericht „Syria: Country Focus“ der EUAA von Juli 2025
in das Verfahren eingebracht.
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
II.2.1. Identität und Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur Identität, zum Herkunftsstaat und Geburtsort, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie zum Familienstand des BF stützen sich auf seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren und den in der Niederschrift ersichtlichen Auszug der Karte von syria.liveuamap (s. Ersteinvernahme und Niederschrift BFA Seite 4f, 11). Der BF bestätigte seine Angaben nochmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung (s. Verhandlungsprotokoll [in der Folge: VH-P] Seite 3f).
Dass die Identität des BF nicht feststeht, wurde festgestellt, da der BF im gesamten Verfahren keinen syrischen Reisepass im Original vorlegen konnte. Aus den vom BF vorgelegten Unterlagen geht jedoch seine Verfahrensidentität mitsamt seinem richtigen Geburtsdatum (s. Übersetzungen Aktenseite 35, 41, 49) eindeutig hervor.
Dass der BF gesund ist, gab er im erstinstanzlichen Verfahren an (s. Niederschrift BFA Seite 4) und bestätigte er dies nochmals im Rahmen der mündlichen Verhandlung (s. VH-P Seite 3).
II.2.2. Regionale Herkunft und persönliche Lebensverhältnisse vor der Ausreise
Die Sprachkenntnisse des BF wurden auf Basis seiner Angaben im erstinstanzlichen Verfahren festgestellt (s. Ersteinvernahme, Niederschrift BFA Seite 1). Die Ersteinvernahme, die Einvernahme vor dem BFA sowie die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden unter Beiziehung von Dolmetschern bzw. Dolmetscherinnen für die arabische Sprache durchgeführt. Der BF hat seine diesbezüglichen Sprachkenntnisse somit unter Beweis gestellt. Der BF bestätigte seine Sprachkenntnisse in der mündlichen Verhandlung (s. VH-P Seite 4).
Die Feststellungen zum Lebenslauf des BF stützen sich auf seine Angaben im erstinstanzlichen Verfahren (s. Ersteinvernahme und Niederschrift BFA Seite 5f, Seite 8f, Seite 12), den von ihm vorgelegten Eheregisterauszug (s. Übersetzung Aktenseite 49) und bestätigte er seine Angaben nochmals in der mündlichen Verhandlung (s. VH-P Seite 4).
II.2.3. Aktuelles familiäres/verwandtschaftliches bzw. soziales Netzwerk im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zum familiären Netzwerk des BF sowie zu den Lebensverhältnissen seiner Angehörigen stützen sich auf die Angaben des BF im erstinstanzlichen Verfahren (s. Ersteinvernahme und Niederschrift BFA Seite 5ff). Der BF bestätigte diese Angaben nochmals in der mündlichen Verhandlung und ergänzte, dass die Schwestern in Syrien verheiratet seien und bei deren Männern leben würden. (s. VH-P Seite 5).
Dass der BF regelmäßig Kontakt mit seinen Angehörigen hat, gab er vor dem BFA in Bezug auf Ehefrau, Kinder, Mutter und Geschwister an (s. Niederschrift BFA Seite 6ff).
II.2.4. Ausreisemodalitäten
Die Feststellung zum Ausreiseentschluss bereits nach Rückkehr aus dem Libanon 2017 sowie die fehlenden finanziellen Mittel, welche zur Ausreise erst 2023 führten, gründen sich auf die Angaben des BF in der Einvernahme vor dem BFA (s. Niederschrift BFA Seite 9).
Dass der BF am 20.07.2023 illegal aus Syrien ausreiste, gab dieser in der Einvernahme vor dem BFA an. Über Nachfrage seitens des BFA klärte er auf, dass er in der Ersteinvernahme entweder falsch verstanden worden sei oder sich versprochen habe, als er meinte, er sei am 15.03.2023 ausgereist. Die Angaben des BF vor dem BFA sind zeitlich schlüssig, weil zwischen 20.07.2023 und 18.08.2023 genau 28 Tage liegen, er Zwischenaufenthalte in der Dauer von etwa 24 Tagen („Türkei, ca. 10 Tage, dann Bulgarien, ca. 1 Woche, dann Serbien, ca. 1 Woche und zur Durchreise in Ungarn“) angab und die Reisedauer resümierend mit „ca. 28 Tage“ einschätzte (s. Niederschrift BFA Seite 8, 10). Dementgegen sind seine Angaben in der Ersteinvernahme nicht plausibel. Dort gab er Zwischenaufenthalte in der Dauer von ca. 64 Tagen an, während zwischen 15.03.2023 und 18.08.2023 155 Tage liegen (s. Ersteinvernahme). Daher wurden die Feststellungen entsprechend seinen plausiblen Angaben in der Einvernahme vor dem BFA getroffen. Dass der BF am 18.08.2023 illegal und schlepperunterstützt in Österreich einreiste, gab er ebenfalls vor dem BFA an und erscheint angesichts der Antragstellung am selben Tag als naheliegend, weshalb die Einreise auch so festzustellen war (s. Ersteinvernahme, Niederschrift BFA Seite 10).
Dass der BF auf seinem Weg nach Österreich mehrere sichere Staaten durchreiste und dort keinen Antrag auf internationalen Schutz stellte, ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Akt und der festgestellten Reiseroute. Dass der BF in den durchreisten Staaten nicht um Schutz hätte ansuchen können, wurde von ihm nicht vorgebracht. Vielmehr gab er in der Einvernahme vor dem BFA an, er habe nach Österreich wollen, weil es hier besser für die Zukunft sei (s. Niederschrift BFA Seite 10). Es ist dem Gericht auch von Amts wegen nicht bekannt, dass in den durchreisten Staaten nicht internationaler Schutz beantragt werden könnte.
II.2.5. Strafrechtliche und verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen bzw. sonstige Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl --, Fremdenpolizei und Einwanderungsrechts
Die Feststellungen zur Unbescholtenheit des BF ergeben sich aus dem Akteninhalt, insbesondere aus dem vorliegenden aktuellen Strafregisterauszug.
II.2.6. Zu den behaupteten ausreisekausalen Geschehnissen; Erlebnisse im Zusammenhang mit staatlichen/nichtstaatlichen Akteuren bzw. den von dem BF vorgebrachten Problemen, die ihn persönlich im Entscheidungszeitpunkt im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat erwarten:
Die Feststellungen zu den Machtverhältnissen in der Herkunftsregion des BF gründet sich auf die Einsicht in die Übersichtskarte syria.liveuamap (Anmerkung: Live Universal Awareness Map; https://syria.liveuamap.com/, abgerufen am 14.11.2025):

Demgegenüber zeigt die Einsichtnahme in die auf der Website des „Carter Center“ veröffentlichte Übersichtskarte (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html; Stand 01.10.2025; abgerufen am 03.11.2025), die sich im Wesentlichen mit der vom Institute for the study of war (ISW) veröffentlichten Karte vom 05.06.2025 deckt (https://www.understandingwar.org/backgrounder/iran-update-june-5-2025, abgerufen am 03.11.2025) und die auch dem unter II.1.7.5. auszugsweise festgestellten Bericht Syria: Country Focus der EUAA von Juli 2025 zugrunde gelegt wurde, eine Kontrolle der SNA. Die Eingliederung der SNA-Gruppierungen in das syrische Verteidigungsministerium ist zufolge dem zuletzt genannten Bericht nur nominell erfolgt.
Dementsprechend traf das erkennende Gericht die Feststellung, dass der Herkunftsort des BF, von den Kräften der neuen syrischen Übergangsregierung unter der Führung von Ahmed al Sharaa als Übergangspräsident und der SNA kontrolliert wird.
Dass der BF aus Syrien ausgereiste, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, gab er in der Einvernahme vor dem BFA mehrfach an. Er bestätigte über Nachfrage, dass dies sein einziger Ausreisegrund gewesen sei und ihn die wirtschaftliche Lage und die Zukunft seiner Kinder zur Ausreise bewogen hätten. Hätten die Ehefrau und die Kinder das Geld gehabt, wären sie den Worten des BF zufolge „vielleicht auch ausgereist“. Er habe den schwierigen Fluchtweg auf sich genommen, um seine Kinder nach Österreich nachholen zu können. Es sei effizienter mit dem Geld nach Europa zu kommen, als es der Regierung zu geben (s. Niederschrift BFA Seite 10, 12ff).
Der Umstand, dass der BF aus Syrien ausgereist ist, um seinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen, ergibt sich auch daraus, dass das vorgebrachte Fluchtvorbringen insgesamt nicht schlüssig ist. Im Einzelnen wird dazu wie folgt ausgeführt.
Sowohl in der Ersteinvernahme als auch in der Einvernahme vor dem BFA meinte der BF, er sei zum Militär einberufen worden. Vor dem BFA präzisierte er dies dahingehend, dass ihm 2012 beim ersten Versuch in den Libanon zu gelangen, die Einberufung zum Reservedienst mündlich mitgeteilt worden sei. Schriftlich sei ihm nie eine Einberufung zugegangen, weil das Assad-Regime in sein Heimatdorf diesen nicht zustellen habe können. Die Einberufung habe der BF lediglich für den Fall befürchtet, dass sein Heimatdorf vom Assad-Regime rückerobert würde. Dies sei seinen Angaben zufolge von 2012 bis zur Ausreise im Juli 2023 nie der Fall gewesen (s. Ersteinvernahme, Niederschrift BFA Seite 12ff).
Bereits das BFA wies im Bescheid zutreffend daraufhin, dass der BF nach seiner Rückkehr im Jahr 2017 weitere sechs Jahre ohne Probleme mit den Behörden in seinem Heimatland gelebt habe (s. Bescheid Seite 121, Aktenseite 199). Unabhängig davon, dass die Furcht des BF vor einer Einberufung schon in erster Instanz zu Recht als nicht nachvollziehbar erachtet wurde, ist mittlerweile mit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 und der Aufhebung der Wehr- bzw. Reservedienstpflicht der Verfolger weggefallen, sodass diesbezügliche Befürchtungen unbegründet sind. Diesen im Länderinformationsblatt enthaltenen aktuellen Informationen entsprechend äußerte auch der BF in der mündlichen Verhandlung keine dahingehende Furcht (s. VH-P Seite 5f). Folglich erweisen sich die in der Beschwerde vorgebrachten Befürchtungen betreffend zwingend zu verübender Kriegsverbrechen im Zuge der Ausübung des Reservedienstes ebenfalls als unbegründet. Die Feststellungen zur Inaktivität der syrischen Armee, zu nicht mehr erfolgenden Einberufungen, zur Verkündung der Generalamnestie für alle Wehrpflichtigen sowie zur Abschaffung der Wehrpflicht ergeben sich aus dem aktuellen Länderinformationsblatt.
In der mündlichen Verhandlung brachte der BF vor, er würde im Falle seiner Rückkehr verfolgt, wenn er gegen die Religion der neuen Machthaber sei. Die Machthaber im Heimatdorf gab er mit FSA und „Nusra-Front“ an (s. VH-P Seite 5). Aus welchem Grund diese Machthaber denken würden, dass er gegen den Staat oder die bzw. deren Religion sei, konnte der sunnitische BF allerdings nicht nachvollziehbar darlegen. Danach befragt, gab er an, er würde inhaftiert, wenn er seine Meinung äußere. Aufgrund welcher konkreten Meinung er inhaftiert würde, konnte er dem Gericht in Bezug auf die Themen Politik und Religion nicht schlüssig darlegen. Der BF sei Moslem, man könne ihn aber nicht zum Beten zwingen. Außerdem meinte er, wenn man im Ramadan nicht fasten oder rauchen würde, würde man verhaftet. Er würde bei Rückkehr in den Herkunftsstaat bestimmt verhaftet werden. Auch seine Kinder würden geschlagen bzw. seien ihnen die Haare kurz geschnitten worden, da sie nicht fasten würden (s. VH-P Seite 6).
Mit diesem Vorbringen lässt der BF prinzipiell erkennen, dass er sich eine weniger rigide Auslegung der Religion bzw. der religiösen Riten wünscht. Den Länderinformationen zufolge gibt es jedoch aktuell keine Verfolgung sunnitischer Araber, die ihre Religion zu wenig streng gläubig ausleben. Das sunnitische Bekenntnis stellt in Syrien vielmehr die Mehrheitsreligion dar. Die SNA nimmt als lokaler Machthaber den Länderinformationen nach keine Verfolgung von Sunniten vor. Deren Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der kurdisch geführten SDF.
Als aktuelle Verfolger sunnitischer Araber werden in der Analyse Interim Country Guidance: Syria der EUAA von Juni 2025 lediglich der Islamische Staat im Irak und der Levante (ISIL) und die Gruppierung Dschaisch al-Islam genannt. Der BF brachte im gesamten Verfahren nicht vor, dass er eine Verfolgung durch eine dieser Gruppen fürchten würde. Die Familie des BF lebt nach wie vor in der Herkunftsregion des BF und wurde der BF in der mündlichen Verhandlung mehrfach befragt, von welcher Seite er eine Verfolgung fürchte. Der BF gab zunächst an: „Die Gruppierung, die die Macht übernommen hat, war auch früher an der Macht, wie die FSA und der IS. Diese Gruppierung hat die Zustimmung vom Ausland bekommen, aber nicht von innen.“ Auf Frage, wer in seinem Heimatort die Kontrolle hat, gab der BF an: „Dieselben Gruppierungen, die FSA und die Nusra-Front“ (s. VH-P Seite 5). Da die SNA aus der FSA hervorgegangen ist und die HTS ihre Wurzeln (auch) in der Al-Nusra-Front hat und diese Gruppen momentan tatsächlich die Kontrolle im Heimatort des BF ausüben, geht das erkennende Gericht davon aus, dass der BF die besagten Gruppierungen meinte.
Überdies gab der BF vor dem BFA an, er hätte mit der FSA keine Probleme im Zusammenhang mit einer Rekrutierung gehabt. Er sei vor der Ausreise zwanzig Mal an diversen Checkpoints von der FSA kontrolliert worden und hätte dort keine Probleme gehabt, da der Schlepper von der FSA gewesen sei (s. Niederschrift BFA Seite 9, 13). Somit sind die Befürchtungen des BF auch in Anbetracht der bisherigen Erfahrungen mit der SNA nicht nachvollziehbar.
Zudem schilderte der BF keine konkreten Probleme mit der „Nusra-Front“. Die nunmehrige Regierung wird von Vertretern der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) dominiert. Diese wurde ursprünglich im Jahr 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet. Wie im Punkt II.1.6. festgestellt, hat sind sowohl die syrische Übergangsregierung als auch die SNA im Herkunftsort des BF präsent. Die Übergangsregierung setzt sich nach Aussagen ihres Außenministers für die Inklusion aller Bevölkerungsgruppen im Land ein. Insofern droht dem BF von Seiten der Übergangsregierung („Nusra-Front“) aus aktueller Sicht auch keine Gefahr.
Es ist zudem darauf hinzuweisen, dass sehr viele Angehörige des BF im Herkunftsort XXXX leben. In Anbetracht dieses Umstandes konnte der BF nicht nachvollziehbar darlegen, weshalb gerade er als Einziger in seiner Familie im Herkunftsort verfolgt würde. Auch ist zu berücksichtigen, dass der BF mit den Angehörigen in regelmäßigem Kontakt steht. Es ist davon auszugehen, dass ihm allenfalls vorliegende Schwierigkeiten oder Probleme im Herkunftsstaat in irgendeiner Form mitgeteilt worden wären. In der mündlichen Verhandlung war er dennoch nicht in der Lage, einen konkreten Sachverhalt zu schildern, aus dem sich seine Verfolgung ergeben könnte. Vielmehr schilderte er die Befürchtungen in Konditionalsätzen (s. VH-P Seite 5f: „[…] wenn ich gegen ihre Religion bin. […]“; „Sollte ich meine Meinung äußern […]“; „Sollte man im Ramadan nicht fasten und auch rauchen […]“; „Sollten die Kinder nicht fasten […]“), aus denen eine explizit oppositionelle oder kritische Haltung gegenüber den aktuellen Machthabern gerade nicht hervorgeht. Schließlich verneinte der BF eine frühere politische Tätigkeit und eine Involvierung in Belange der Religion (s. VH-P Seite 6). Im Rahmen einer Gesamtwürdigung dieses Vorbringens in der mündlichen Verhandlung kann das Gericht daher keine Verfolgung aufgrund eines konkreten Sachverhaltes erkennen.
Weitere Fluchtgründe wurden vom rechtsfreundlich vertretenen BF nicht vorgebracht und haben sich auch von Amts wegen nicht ergeben. Eine dem BF drohende individuelle Gefährdung war demnach zu verneinen.
II.2.7. Zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material.
Der BF trat den Quellen und deren Kernaussagen im Verfahren nicht entgegen, insbesondere verzichtete er in der Einvernahme vor dem BFA auf die Aushändigung des damals aktuellen Länderinformationsblattes vom 27.03.2024 und eine Stellungnahme dazu (s. Niederschrift BFA Seite 15f). Überdies zitierte er in seiner Beschwerde aus dem Länderinformationsblatt in dieser Version. Schließlich meinte er in der mündlichen Verhandlung bezogen auf das aktuelle Länderinformationsblatt vom 08.05.2025 und die eingebrachten Berichte (Interim Country Guidance: Syria, Syria: Country Focus) der European Union Agency for Asylum (im Folgenden: EUAA; ehemals: European Asylum Support Office bzw. abgekürzt EASO), es stimme, dass es in Syrien einen neuen, noch schlimmeren Machthaber gäbe. Im Gegensatz zu Al-Assad sei dieser nicht alawitisch, sondern sunnitisch. Es sei schlimmer als zuvor, die Gefängnislage habe sich nicht geändert (s. VH-P Seite 7).
Die unter II.1.7.2 bis II.1.7.5. getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den öffentlich zugänglichen Positionierungen, Analysen bzw. Berichten des UNHCR und der EUAA (abgerufen jeweils am 03.11.2025), von denen jene der EUAA wie erwähnt in das Verfahren eingeführt wurden, namentlich
- dem Dokument „UNHCR position on returns to the Syrian Arab Republic“ (https://data.unhcr.org/en/documents/details/113771),
- dem Dokument des UNHCR betreffend „Persons in need of international protection“ (https://emergency.unhcr.org/sites/default/files/2023-05/UNHCR%2C%20Persons%20in%20need%20of%20international%20protection%2C%20June%202017.pdf),
- der Analyse „Interim Country Guidance: Syria“ der EUAA von Juni 2025 (https://www.ecoi.net/en/file/local/2126443/2025_Country_Guidance_Syria_interim_guidance.pdf) und
- dem Bericht „Syria: Country Focus“ der EUAA von Juli 2025 (https://www.ecoi.net/en/file/local/2127045/2025_07_EUAA_COI_Report_Syria_Country_Focus.pdf).
Aufgrund der ständigen Rechtsprechung des VwGH ist den Richtlinien des UNHCR und der EUAA besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung“). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden bzw. das Bundesverwaltungsgericht in Bindung an entsprechende Empfehlungen in den Richtlinien internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben die Asylbehörden (und dementsprechend auch das Bundesverwaltungsgericht) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen in den Richtlinien des UNHCR und der EUAA auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche gegenständlichen Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (VwGH 18.04.2023, Ra 2022/18/0219, Rz 16, mwN). Auch nach st. Rsp. des VfGH ist den Länderberichten des UNHCR sowie der EUAA bei der Beurteilung von Anträgen auf internationalen Schutz besondere Beachtung zu schenken (für viele etwa VfGH 19.09.2023, E 1668/2022 ua.).
II.3. Rechtliche Beurteilung
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling im Sinne von Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist eine Person, die aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder die sich als Staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will.
Der BF befindet sich unzweifelhaft außerhalb des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Konvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes befindet.
Das Vorbringen des BF könnte unter eine Verfolgung aus Gründen der Religion (aufgrund des aus Sicht der Machthaber zu wenig streng religiös gelebten sunnitischen Bekenntnisses) oder wegen seiner politischen Gesinnung (kritische Meinung gegenüber aktuellen Machthabern, Wehrdienstverweigerung unter dem Assad-Regime) subsumiert werden.
Zur Beantwortung der Frage, wo sich die Heimatregion des Asylwerbers befindet, bedarf es einer Auseinandersetzung damit, welche Bindungen der Asylwerber zu den in Betracht kommenden Städten – etwa in Hinblick auf familiäre und sonstige soziale Kontakte und örtliche Kenntnisse – aufweist (vgl. VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317, Rz. 10, mwN).
In Anwendung der angeführten Judikatur auf den vorliegenden Fall ergibt sich, dass der BF in XXXX in der Provinz XXXX im Bezirk XXXX beheimatet ist. Er wuchs dort auf, lebte nach einem rund vierjährigen Aufenthalt im Libanon weitere sechs Jahre bis unmittelbar vor seiner Ausreise dort, war als Landwirt und Hirte erwerbstätig und versorgte seine Familie dadurch. Der Großteil seiner Familie lebt nach wie vor dort. Dementsprechend ergeben sich keine Zweifel daran, dass XXXX als Herkunftsort des BF anzusehen ist.
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern, ob eine vernunftbegabte Person nach objektiven Kriterien unter den geschilderten Umständen aus Konventionsgründen wohlbegründete Furcht erleiden würde (VwGH 9.5.1996, Zl. 95/20/0380). Dies trifft auch dann zu, wenn die Verfolgung von der Staatsgewalt im gesamten Staatsgebiet ausgeht oder wenn die Verfolgung zwar nur von einem Teil der Bevölkerung ausgeübt, aber durch die Behörden und Regierung gebilligt wird, oder wenn die Behörde oder Regierung außerstande ist, die Verfolgten zu schützen (VwGH 4.11.1992, 92/01/0555 ua.).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, Rz. 16f, mwN).
Die Beurteilung des rechtlichen Begriffs der Glaubhaftmachung ist auf der Grundlage positiv getroffener Feststellungen von Seiten des erkennenden Verwaltungsgerichts vorzunehmen, aber im Fall der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers können derartige positive Feststellungen vom Verwaltungsgerichts nicht getroffen werden (vgl. VwGH 13.01.2022, Ra 2021/14/0386, Rz. 22 mwN).
Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005 ist eine Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie. Demnach sind darunter jene Handlungen zu verstehen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art 15 Abs 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist (Recht auf Leben, Verbot der Folter, Verbot der Sklaverei oder Leibeigenschaft, Keine Strafe ohne Gesetz) oder die in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon – wie in ähnlicher beschriebenen Weise – betroffen ist.
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 25.03.2024, Ra 2024/20/0090, Rz. 11 mwN).
Wie unter II.2.6. beweiswürdigend dargelegt, konnte der BF eine asylrelevante Verfolgung nicht glaubhaft machen und konnte das erkennende Gericht von Amts wegen keine Hinweise auf eine solche Verfolgung finden.
Die allgemeine Lage in Syrien ist auch nicht dergestalt, dass automatisch jedem Antragsteller der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste. Vielmehr ist insbesondere bei Asylwerbern, welche die Einziehung zum syrischen Wehrdienst als Fluchtmotiv vorbringen, im Dezember 2024 der Verfolger weggefallen. Der VwGH hat zudem bereits darauf hingewiesen, dass dem Schutz vor (mit realem Risiko drohenden) willkürlichen Zwangsakten bei Fehlen eines kausalen Konnexes zu einem in der GFK genannten Grund die Gewährung subsidiären Schutzes dient (VwGH 28.02.2024, Ra 2023/20/0619, Rz. 36).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes haben die Asylbehörden (somit auch das Bundesverwaltungsgericht) sich mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen in den Richtlinien des UNHCR und der EUAA auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind (VwGH 22.07.2024, Ra 2023/14/0460, Rz 15, mwN; VwGH 25.06.2024, Ra 2024/18/0151, Rz. 20, mwN).
Angesichts der Flüchtlingsdefinition des UNHCR unterfallen auch die im Sinn des § 8 AsylG 2005 subsidiär Schutzberechtigten (deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat gemäß dieser Bestimmung eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für sie als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde) dieser Gruppe, womit der Status der subsidiären Schutzberechtigung als Form des vom UNHCR angesprochenen internationalen Schutzes anzusehen ist.
Der Aufforderung des UNHCR, keine negativen Bescheide über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen zu erlassen, wird damit auch in jenen Fällen Rechnung getragen, in denen (lediglich) der subsidiäre Schutz zuerkannt wird.
Auch der Analyse Interim Country Guidance: Syria der EUAA von Juni 2025 sind keine Gründe zu entnehmen, die einer abweisenden Entscheidung in Bezug auf den Asylstatus betreffend den BF entgegenstehen würden.
Es war daher unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände in Bezug auf den BF zu Recht kein Status des Asylberechtigten zu gewähren, die Entscheidungen des BFA im Ergebnis zu bestätigen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. 10/1985 (in der Folge: VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf die Tatsache, dass der BF keinen Fluchtgrund glaubhaft machen konnte.
Rückverweise