Spruch
W299 2289826-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Dr. Elisabeth NEUHOLD über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen - BBU GmbH, 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.02.2024, Zl. 1362838705/231463330, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.03.2025, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 29.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 30.07.2023 fand unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache die Erstbefragung der Beschwerdeführerin vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt. Dabei gab sie zu ihren Fluchtgründen befragt an, dass sie aufgrund des Krieges und der vielen Schiiten aus dem Iran, welche Kinder und kleine Mädchen vergewaltigen würden, aus Syrien geflohen sei, um in Europa ein neues Leben aufzubauen. Weitere Fluchtgründe habe sie nicht. Bei Rückkehr habe sie Angst vor dem Krieg.
3. Am 07.09.2023 übermittelte die Beschwerdeführerin über ihren in Österreich ansässigen Bruder XXXX dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ( in der Folge: BFA) per E-Mail ihre syrischen Nachweise, insbesondere ihren Personalausweis, den Personalregisterauszug und das Familienbuch in Kopie.
4. Am 04.12.2023 wurde die Beschwerdeführerin vor dem BFA in einer niederschriftlichen Einvernahme unter Beiziehung eines Dolmetschers für die arabische Sprache befragt. Zu ihren Fluchtgründen gab die Beschwerdeführerin an, dass sie Syrien verlassen habe, weil die Lage in XXXX aufgrund des Krieges instabil gewesen sei. Frauen würden entführt und vergewaltigt. Zudem habe der IS das Nachbardorf angegriffen und ihren Onkel väterlicherseits vor ihren Augen getötet. Es gäbe keine Sicherheit. Des Weiteren sei Ende 2022 eine Freundin von ihr von iranischen Milizen entführt worden. In Österreich sei es sicher, es gebe Freiheit und Menschenrechte und sie könne in die Schule gehen.
Im Zuge der Einvernahme vor dem BFA legte die Beschwerdeführerin dem BFA ihren Personalausweis im Original sowie ein weiteres Mal die Kopie des Personenregisterauszugs vor. Zudem wurden Fotos von einem Luftangriff auf ihre Herkunftsregion im Jahr 2019 und ein Grundschulzeugnis in Kopie zum Verwaltungsakt des BFA aufgenommen.
5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 07.02.2024 wies das BFA den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihr den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).
Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status als Asylberechtigte wurde seitens des BFA im Wesentlichen damit begründet, dass die Beschwerdeführerin keine systematische oder intensive persönliche Verfolgung geltend gemacht habe. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin eine Frau sei, führe nicht automatisch zu der Annahme, dass ihr eine Verfolgung drohe. Zudem handle es sich bei der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien nicht um eine alleinstehende Frau, zumal sie in ihrer Herkunftsregion über Eltern und Geschwister verfüge.
6. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass sie zur sozialen Gruppe der Frauen zähle und im Falle der Rückkehr als Familienangehörige mehrerer in Europa aufgrund eines Asylverfahrens aufenthaltsberechtigter Personen, insbesondere ihrer Brüder, sowie aufgrund ihrer illegalen Ausreise und der damit unterstellten regimekritischen Gesinnung verfolgt werde.
7. Die belangte Behörde legte die Beschwerde am 05.04.2024 dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo diese samt Verwaltungsakten am 08.04.2024 einlangten.
8. Aufgrund der Unzuständigkeitsanzeige vom 11.04.2024 wurde die gegenständliche Rechtssache der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.
9. Zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes fand am 13.03.2025 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und der Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung statt. Das BFA gab mit Schreiben vom 19.02.2025 die Nichtteilnahme an der Verhandlung bekannt. In der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin ausführlich zu ihren persönlichen Lebensumständen in Syrien und ihren Fluchtgründen sowie zu ihrer Situation im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befragt.
10. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13.03.2025 wurden weitere Länderberichte, allen voran die Anfragebeantwortung zur „Änderung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht in der Demokratischen Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyrien (DAANES) aufgrund der Kämpfe zwischen den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) und der Syrischen Nationalarmee (SNA); Änderungen der Strafen; Durchsetzung des Gesetzes zur Selbstverteidigungspflicht im kurdisch kontrollierten Teil von Deir ez-Zor, auch gegenüber Arabern; Intensivierung von Rekrutierungsbemühungen; Mobilisierung von Selbstverteidigungs-Einheiten und Heranziehen von Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen; Aktueller Meinungsstand zur Verweigerung der Selbstverteidigungspflicht durch Araber [a-12555-2]“ vom 24. Februar 2025 und ein ORF-Auszug zum Thema „Syriens Führung einigt sich mit Kurden im Nordosten“, welcher als Anlage ./B zum Akt genommen wurde, in das Verfahren eingebracht und der Beschwerdeführerin binnen zwei Wochen die Möglichkeit eingeräumt, eine Stellungnahme zu erstatten.
Mit Schreiben vom 25.03.2025 wurde seitens der Beschwerdeführerin im Wege ihrer Rechtsvertretung eine Stellungnahme hierzu erstattet, aus der im Wesentlichen hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin unverheiratet und in ihrem Herkunftsort über keine ausreichende familiäre oder gesellschaftliche Schutzstruktur verfüge. Es sei allgemein bekannt, dass in den vom HTS kontrollierten Gebieten Frauen massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt seien. Die Machtübernahme der HTS in der Herkunftsregion der Beschwerdeführerin habe dazu geführt, dass Frauen, Mädchen und Minderheiten (sexuelle, religiöse und ethnische) einer Vielzahl von Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien. Dazu gehören unter anderem Hinrichtungen, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, Kleidervorschriften und die damit verbundene körperliche Bestrafung bei Verstößen gegen die auferlegten Vorschriften.
Mit Schreiben vom 28.03.2025 wurden der Bericht der EUAA, Syria Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025, sowie zwei Anfragebeantwortungen in das Verfahren miteinbezogen und im Rahmen des Parteiengehörs mit der Möglichkeit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen an die Parteien übermittelt. Eine gesonderte Stellungnahme hierzu wurde nicht erstattet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
1.1.1. Die Beschwerdeführerin führt den Namen XXXX und wurde am XXXX geboren. Ihre Identität steht fest. Sie ist Staatsangehörige Syriens, Angehörige der arabischen Volksgruppe und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Ihre Muttersprache ist Arabisch, welches sie in Wort und Schrift beherrscht.
1.1.2. Die Beschwerdeführerin wurde im Dorf XXXX nördlich der Stadt XXXX geboren und wuchs dort im Familienverband bis zum Jahr 2019 auf. Der Vater bestritt den Lebensunterhalt der Familie durch seine Tätigkeit als Fleischhauer.
Im November 2019 begab sie sich aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen rund um XXXX nach XXXX , wo sie bis Anfang 2022 in verschiedenen Flüchtlingscamps lebte.
Anfang 2022 verließ die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrem Bruder XXXX ihren Herkunftsstaat in Richtung Türkei, konkret in die Stadt XXXX , wo sie sich bis Sommer 2023 aufhielt.
1.1.3. In Syrien hat die Beschwerdeführerin neun Jahre die Grundschule besucht. In der Türkei sorgte ihr Bruder XXXX für ihren Lebensunterhalt und die gemeinsame Mietwohnung.
1.1.4. Die Beschwerdeführerin ist ledig und hat keine Kinder. Ihre Eltern, zwei ihrer Brüder XXXX sowie ihre zwei Schwestern leben nach wie vor im Heimatdorf XXXX in Syrien. In der Türkei hält sich ein weiterer volljähriger Bruder XXXX auf.
In Österreich leben drei volljährige Brüder: XXXX Die Beschwerdeführerin steht regelmäßig in Kontakt mit ihren Angehörigen in Syrien über das Internet.
1.1.5. Über Griechenland, Nordmazedonien, Serbien und Ungarn reiste die Beschwerdeführerin in Begleitung ihres Bruders XXXX von der Türkei aus unter Umgehung der Grenzkontrollen, schlepperunterstützt, nach Österreich, wo sie am 29.07.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Mit Bescheid des BFA vom 07.02.2024 wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
1.1.6. In Österreich ist die Beschwerdeführerin strafgerichtlich unbescholten. Sie leidet unter keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ist arbeitsfähig.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
1.2.1. Der Herkunftsort der Beschwerdeführerin, XXXX im Gouvernement Deir ez-Zor, befindet sich unter ausschließlicher Kontrolle der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS).
Die Herrschaft Bashar al-Assads ist Anfang Dezember 2024 im Zuge einer monatelang vorbereiteten Offensive unter Führung der oppositionellen „Hay`at Tahrir ash-Sham“ (HTS) binnen weniger Tage zusammengebrochen; Bashar al-Assad ist mit seiner Familie nach Russland geflohen; die syrische Armee und der Geheimdienst wurden von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. und II.1.3.3.). Nach dem Sturz des Regimes unter Bashar al-Assad verfügt das Regime über keine Zugriffsmöglichkeit auf die Herkunftsregion der Beschwerdeführerin.
1.2.2. Der Beschwerdeführerin droht keine Reflexverfolgung aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit zu Wehrdienstverweigerern und zu auf Grund von Asylverfahren aufenthaltsberechtigten Personen in Europa durch das vormalige syrische Regime oder eine andere Gruppierung.
Der Beschwerdeführerin droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund ihrer Herkunft, ihres Aufenthalts in oppositionellen Gebieten, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime.
Im Falle einer Rückkehr ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gewärtigen hat.
1.2.3. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine (de facto) alleinstehende Frau. Sie kann auf die Unterstützung ihrer Familienmitglieder, einschließlich des männlichen Familienoberhauptes, zurückgreifen.
1.2.4. Der Beschwerdeführerin droht bei ihrer Rückkehr nach Syrien keine individuell-konkrete Gefahr einer geschlechtsspezifischen Verfolgung oder Entführung. Sie ist aufgrund ihres Geschlechts keinen psychischen oder physischen Eingriffen in ihre körperliche Integrität oder Lebensgefahr ausgesetzt. Der Beschwerdeführerin droht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen in Syrien. Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich nicht um eine verwestlichte Frau.
1.2.5. Die Beschwerdeführerin ist nicht in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten. Weder die Beschwerdeführerin selbst noch ihre Familienangehörigen in Syrien sind als (politische) Gegner der derzeitigen Machthaber in Erscheinung getreten. Die Beschwerdeführerin hat keine als oppositionell eingestuften Handlungen gesetzt und weist keine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die HTS oder einen anderen Akteur in Syrien auf.
1.2.6. Auch auf Grund ihrer Ausreise aus Syrien, ihrer Asylantragstellung und ihrem Aufenthalt in Österreich droht der Beschwerdeführerin nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung auf Grund der Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung oder aus sonstigen Gründen. Der Beschwerdeführerin droht bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsgebiet in Syrien wegen ihrer Ausreise oder der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz in Österreich keine Lebensgefahr und auch kein Eingriff in ihre körperliche Integrität. Die Beschwerdeführerin ist auch auf Grund ihrer Herkunft aus einem ehemaligen Oppositionsgebiet nicht der Gefahr ausgesetzt, mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.2.7. Auch sonst ist die Beschwerdeführerin nicht der Gefahr ausgesetzt, aufgrund ihrer Rasse, ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer Religion, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht zu werden.
1.2.8. Die Beschwerdeführerin hat Syrien wegen der allgemeinen schlechten Situation und aufgrund des Bürgerkrieges verlassen.
1.2.9. Der Beschwerdeführerin stehen für die Einreise nach Syrien alle offenen Grenzübergänge nach Syrien offen. Insbesondere auch die ehemals vom syrischen Regime kontrollierten Flughäfen, die nunmehr unter Kontrolle der HTS stehen und für den zivilen Personenverkehr geöffnet sind. Eine Weiterreise der Beschwerdeführerin ist möglich, ohne dass ihr dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gerichtete Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Nationalität, politischen Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder einer etwaigen Verwestlichung in Syrien mit der Anwendung von physischer und/oder psychischer Gewalt droht.
1.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Aufgrund der jüngsten Ereignisse im Dezember 2024 in Syrien, insbesondere des Sturzes sowie der Flucht des Staatspräsidenten Bashar al-Assad und kann das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien mit Stand vom 27.03.2024 nur teilweise herangezogen werden:
1.3.1. Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024, Version 11:
1.3.1.1. Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung 2024-03-12 13:44
Der IS kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghouz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen SDF erobert (DZ 24.3.2019). Im Oktober 2019 wurde der Gründer und Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, bei einem US-Spezialkräfteeinsatz in Nordwest-Syrien getötet (AA 19.5.2020). Sein Nachfolger Abu Ibrahim al-Hashimi al-Quraishi beging im Februar 2022 beim Eintreffen einer US-Spezialeinheit im Gouvernement Idlib Selbstmord. Als sein Nachfolger wurde Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi ernannt (EUAA 9.2022; vgl. DS 10.3.2022). Am 30.11.2022 bestätigte die Dschihadistenmiliz den Tod von Abu Hassan al-Hashemi al-Quraishi (BAMF 6.12.2022; vgl. CNN 30.11.2022). Das Oberkommando der US-Streitkräfte in der Region bestätigte, dass al-Quraishi Mitte Oktober 2022 bei einer Operation von syrischen Rebellen in der südlichen syrischen Provinz Dara’a getötet wurde (BAMF 6.12.2022). Der IS ernannte Abu al-Husain al-Husaini al-Quraishi zu seinem Nachfolger (CNN 30.11.2022; vgl. BAMF 6.12.2022). Im August 2023 wurde dieser bei Kampfhandlungen mit der HTS getötet und der IS musste zum dritten Mal innerhalb von zwei Jahren einen neuen Führer ernennen. Als Nachfolger wurde Abu Hafs al-Hashimi al-Qurayshi eingesetzt (WSJ 3.8.2023). Die Anit-Terror-Koalition unter der Führung der USA gibt an, dass 98 Prozent des Gebiets, das der IS einst in Syrien und Irak kontrollierte, wieder unter Kontrolle der irakischen Streitkräfte bzw. der SDF sind (CFR 24.1.2024).
Der Sicherheitsrat der VN schätzt die Stärke der Gruppe auf 6.000 bis 10.000 Kämpfer in ganz Syrien und im Irak, wobei die operativen Führer der Gruppe hauptsächlich in Syrien stationiert sind (EUAA 9.2022). Die Terrororganisation IS kann in Syrien selbst in ihren Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien weiterhin keine territoriale Kontrolle mehr ausüben. Mit mehreren Tausend Kämpfern sowie deren Angehörigen, die sich in Gefängnissen und Lagern in Nordostsyrien in Gewahrsam der SDF befinden, sowie einer vermutlich dreistelligen Zahl von im Untergrund aktiven Kämpfern bleibt der IS jedoch ein relevanter asymmetrischer Akteur (AA 2.2.2024). Nach dem Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielte Angriffe, u.a. Autobomben, Überfälle und Attentate (DIS 29.6.2020). Der IS verübte immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien (AA 2.2.2024). IS-Kämpfer sind in der Wüste von Deir ez-Zor, Palmyra und Al-Sukhna stationiert und konzentrieren ihre Angriffe auf Deir ez-Zor, das Umland von Homs, Hasakah, Aleppo, Hama und Raqqa (NPA 15.5.2023). In der ersten Jahreshälfte 2023 wurde von 552 Todesopfer durch Angriffe des IS berichtet (NPA 8.7.2023).
Trotz der starken Präsenz syrischer und russischer Streitkräfte in Südsyrien sind mit dem IS verbundene Kämpfer in der Region aktiv und das syrische Regime ist derzeit nicht in der Lage, IS-Aktivisten in Gebieten zurückzudrängen, die vollständig unter der Kontrolle der Regierung stehen (VOA 24.10.2022). Der IS ist im Regimegebiet stärker, weil die syrische Armee weniger kompetent bei Anti-Terror-Operationen auftritt als die SDF (Zenith 11.2.2022). Nach Angaben der International Crisis Group verübten IS-Zellen Ende 2021 durchschnittlich zehn bis 15 Angriffe auf die Regierungsstreitkräfte pro Monat, die meisten davon im Osten von Homs und im ländlichen westlichen Deir Ez-Zour. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2022 fort (EUAA 9.2022). Mitte 2020 gehörten zu den Zielpersonen des IS vor allem lokale Behörden und Personen, die mit den Behörden, Kräften und Gruppen, die gegen den IS kämpfen, zusammenarbeiten oder als mit ihnen kooperierend wahrgenommen werden (DIS 29.6.2020). Der IS profitierte auch von einem Sicherheitsvakuum, das dadurch entstand, dass die verschiedenen militärischen Kräfte ihre Aktivitäten aufgrund der COVID-19-Pandemie reduzierten (USDOS 30.3.2021).
1.3.1.2. Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern
Letzte Änderung 2024-03-12 13:44
In dieser Frage gehen die Meinungen zum Teil auseinander: Manche Experten gehen davon aus, dass Wehrdienstverweigerung vom Regime als Nähe zur Opposition gesehen wird. Bereits vor 2011 war es ein Verbrechen, den Wehrdienst zu verweigern. Nachdem sich im Zuge des Konflikts der Bedarf an Soldaten erhöht hat, wird Wehrdienstverweigerung im besten Fall als Feigheit betrachtet und im schlimmsten im Rahmen des Militärverratsgesetzes (qanun al-khiana al-wataniya) behandelt. In letzterem Fall kann es zur Verurteilung vor einem Feldgericht und Exekution kommen oder zur Inhaftierung in einem Militärgefängnis (Üngör 15.12.2021). Loyalität ist hier ein entscheidender Faktor: Wer sich dem Wehrdienst entzogen hat, hat sich als illoyal erwiesen (Khaddour 24.12.2021). Rechtsexperten der Free Syrian Lawyers Association (FSLA) mit Sitz in der Türkei beurteilen, dass das syrische Regime die Verweigerung des Militärdienstes als schweres Verbrechen betrachtet und die Verweigerer als Gegner des Staates und der Nation behandelt. Dies spiegelt die Sichtweise des Regimes auf die Opposition wie auch jede Person wider, die versucht, sich seiner Politik zu widersetzen oder ihr zu entkommen (STDOK 25.10.2023). Der Syrien-Experte Fabrice Balanche sieht die Haltung des Regimes Wehrdienstverweigerern gegenüber als zweischneidig, weil es einerseits mit potenziell illoyalen Soldaten, die die Armee schwächen, nichts anfangen kann, und sie daher besser außer Landes sehen will, andererseits werden sie inoffiziell als Verräter gesehen, da sie sich ins Ausland gerettet haben, statt "ihr Land zu verteidigen". Wehrdienstverweigerung wird aber nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das syrische Regime ist sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen haben, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich frei zu kaufen, damit die Regierung zumindest Geld in dieser Situation einnehmen kann. Hinzu kommen Ressentiments der in Syrien verbliebenen Bevölkerung gegenüber Wehrdienstverweigerern, die das Land verlassen haben und sich damit "gerettet" haben, während die verbliebenen jungen Männer im Krieg ihr Leben riskiert bzw. verloren haben (Balanche 13.12.2021). Ein für eine internationale Forschungsorganisation mit Schwerpunkt auf den Nahen Osten tätiger Syrienexperte, der allerdings angibt, dazu nicht eigens Forschungen durchgeführt zu haben, geht davon aus, dass das syrische Regime möglicherweise am Anfang des Konflikts, zwischen 2012 und 2014, Wehrdienstverweigerer durchwegs als oppositionell einstufte, inzwischen allerdings nicht mehr jeden Wehrdienstverweigerer als oppositionell ansieht (STDOK 25.10.2023). Gemäß Auswärtigem Amt legen einige Berichte nahe, dass Familienangehörige von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern ebenfalls Verhören und Repressionen der Geheimdienste ausgesetzt sein könnten (AA 2.2.2024).
Handhabung
Manche Quellen berichten, dass Wehrdienstverweigerung und Desertion für sich genommen momentan nicht zu Repressalien für die Familienmitglieder der Betroffenen führen. Hingegen berichten mehrere andere Quellen von Repressalien gegenüber Familienmitgliedern von Deserteuren und Wehrdienstverweigerern, wie Belästigung, Erpressung, Drohungen, Einvernahmen und Haft. Eine Quelle berichtete sogar von Folter. Betroffen sind vor allem Angehörige ersten Grades (DIS 1.2024). Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von "high profile"-Deserteuren der Fall sein, also z. B. solche Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018; vgl. DIS 1.2024). Weitere Einflussfaktoren sind der Rang des Deserteurs, Wohnort der Familie, der für dieses Gebiet zuständige Geheimdienst und zuständige Offizier sowie die Religionszugehörigkeit der Familie (DIS 5.2020; vgl. DIS 1.2024). Insbesondere die politische oder militärische Haltung gegenüber der Syrischen Regierung wirkt sich auf die Art der Behandlung der Familie des Deserteurs bzw. Wehrdienstverweigerer aus. Familien von Deserteuren sind dabei einem höheren Risiko ausgesetzt als jene von Wehrdienstverweigerern (DIS 1.2024).
Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen berichtete im zweiten Halbjahr 2022 weiterhin von willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen durch die Regierungskräfte, darunter auch von Personen, die sich zuvor mit der Regierung "ausgesöhnt" hatten. Andere wurden vor der am 21.12.2022 angekündigten Amnestie für Verbrechen der "internen und externen Desertion vom Militärdienst" aufgrund von Tatbeständen im Zusammenhang mit der Wehrpflicht inhaftiert (UNHRC 7.2.2023).
1.3.1.3. Frauen
Allgemeine Informationen
Letzte Änderung 2024-03-13 16:02
Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen (NMFA 6.2021). Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, und Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte. Diese Risiken steigen unvermeidlicherweise angesichts von mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, die im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es einen Anstieg an Selbstmorden unter Frauen und Mädchen, was laut ExpertInnen auf den fehlenden Zugang von Heranwachsenden zu Möglichkeiten und entsprechenden Hilfsleistungen liegt (UNFPA 28.3.2023).
Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt (FH 9.3.2023). Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen (UNFPA 28.3.2023).
Frühe Heiraten nehmen zu (UNFPA 28.3.2023): In Syrien lässt sich in den letzten Jahren ein sinkendes Heiratsalter von Mädchen beobachten, weil erst eine Heirat ihnen die verloren gegangene, aber notwendige rechtliche Legitimität und einen sozialen Status, d. h. den 'Schutz' eines Mannes, zurückgibt (ÖB Damaskus 1.10.2021), denn die Angst vor sexueller Gewalt und ihr Stigma könnte die Mädchen zu Ausgestoßenen machen. Überdies müssen die Eltern durch eine möglichst frühe Verheiratung ihrer Töchter nicht mehr für deren Unterhalt aufkommen. Die Verheiratung von Minderjährigen gilt als die häufigste Form von Gewalt gegen heranwachsende Mädchen. Einige Frauen und Mädchen werden auch gezwungen, die Täter, welche ihnen sexuelle Gewalt angetan haben, zu heiraten. Bei Weigerung droht Isolation, weil sie nicht zu ihren Familien zurückkehren können, bzw. kann ein 'Ehrenmord' drohen. Hintergrund ist, dass rechtliche Mittel gegen den Täter zuweilen nicht leistbar sind, und so mangels eines justiziellen Wegs die Familien keine andere Möglichkeit als eine Zwangsehe sehen (UNFPA 28.3.2023). Dieses Phänomen ist insbesondere bei IDPs (FH 9.3.2023) (und Flüchtlingen in Nachbarländern) zu verzeichnen. Das gesunkene Heiratsalter wiederum führt zu einem Kreislauf von verhinderten Bildungsmöglichkeiten, zu frühen und mit Komplikationen verbundenen Schwangerschaften und in vielen Fällen zu häuslicher und sexueller Gewalt (ÖB Damaskus 1.10.2021). Auch geschiedene oder verwitwete Frauen gelten als vulnerabel, denn sie können Druck zur Wiederverheiratung ausgesetzt sein (UNFPA 28.3.2023). Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Bereits vor 2011 waren Frauen aufgrund des autoritären politischen Systems und der patriarchalischen Werte in der syrischen Gesellschaft sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Häuser geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Es wird angenommen, dass konservative Bräuche, die Frauen in der Gesellschaft eine untergeordnete Rolle zuweisen, für viele Syrer maßgeblicher waren als das formale Recht (FH 3.3.2010). Doch selbst die formellen Gesetze legen für Frauen nicht denselben Rechtsstatus und dieselben Rechte fest wie für Männer, obwohl die Verfassung die Gleichstellung von Männern und Frauen vorsieht (USDOS 20.3.2023). Frauen werden vor allem durch das Personenstandsgesetz bezüglich Heirat, Scheidung, Sorgerecht und Erbschaft weiterhin diskriminiert (HRW 11.1.2024).
Per legem haben Männer und Frauen dieselben politische Rechte. Der Frauenanteil im syrischen Parlament liegt je nach herangezogener Quelle zwischen 11,2 und 13,2 %. Auch manche der höheren Regierungspositionen werden derzeit von Frauen besetzt. Allerdings sind sie im Allgemeinen von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen und haben wenig Möglichkeiten, sich inmitten der Repression durch Staat und Milizen unabhängig zu organisieren. Im kurdisch-geprägten Selbstverwaltungsgebiet werden alle Führungspositionen von einem Mann und einer Frau geteilt, während außerhalb der PYD-Strukturen die politische Autonomie für die Bevölkerung eingeschränkt ist (FH 9.3.2023).
Die Gewalt zusammen mit bedeutendem kulturellem Druck schränkt stark die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten ein. Zusätzlich erlaubt das Gesetz, bestimmten männlichen Verwandten Frauen ein Reiseverbot aufzuerlegen. Bewegungseinschränkungen wurden einem UN-Bericht von Februar 2022 zufolge in 51 % der untersuchten Orte ermittelt (USDOS 20.3.2023). Obwohl erwachsene Frauen keine offizielle Genehmigung brauchen, um das Land zu verlassen, reisen viele Frauen in der Praxis nur dann ins Ausland, wenn der Ehemann oder die Familie dem zugestimmt hat (NMFA 5.2022).
1.3.1.4. Frauen in Wirtschaft und medizinischer Versorgung
Letzte Änderung 2024-03-13 16:14
Wirtschaft
Durch den anhaltenden Konflikt und die damit einhergehende Instabilität sowie sich verschlechternde wirtschaftliche Situation hat sich die Situation der Frauen zunehmend erschwert (ÖB Damaskus 1.10.2021). Der Global Gender Gap Report stuft Syrien 2021 auf Platz 152 ein, dem fünftletzten Platz (WEF 3.2021). Aufgrund fehlender Daten ist Syrien im diesjährigen Bericht (2022) nicht erfasst (WEF 7.2022).
Während weiterhin Vorstellungen, welche Berufe für Frauen passend sind, die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen einschränken oder ihnen Arbeitsmöglichkeiten verwehrt werden (UNFPA 28.3.2023), hat der Krieg auch ihre Rolle in der Arbeitswelt verändert, und ihnen Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnet, die zuvor Männern vorbehalten waren (HART 2.8.2022): So wurden Frauen in einigen Haushalten zu denjenigen, die Lebensunterhalt für ihre Familien verdienen (UNFPA 28.3.2023), weil viele Männer getötet wurden oder sich aus Angst vor der Einberufung zur Armee, vor Verhaftung oder Inhaftierung versteckt hielten. So lag die Beteiligung von Frauen an der syrischen Erwerbsbevölkerung im Jahr 2018 in Damaskus, Lattakia und Tartus im Durchschnitt zwischen 40 und 50 Prozent, während in anderen Teilen des Landes der Anteil an erwerbstätigen Frauen zwischen 10 und 20 Prozent betrug und in den Provinzen Idlib, Raqqa und Quneitra sogar noch niedriger war. Insgesamt waren Schätzungen zufolge im Jahr 2018 11,6 Prozent der Frauen erwerbstätig, gegenüber 69,75 Prozent der Männer (NMFA 5.2020). Mittlerweile stieg im Jahr 2022 die Erwerbsquote auf insgesamt 16,8 Prozent der weiblichen Bevölkerung, sie ist aber noch immer niedriger als im Jahr 1990 (WB o.D.). Während der Anteil der erwerbstätigen Männer im Alter von 25 bis 54 Jahren im Jahr 2021 auf 95 Prozent stieg, wurde die Zahl der Erwerbstätigen vor allem durch Frauen, Jugendliche und ältere Leute vergrößert - d.h. Menschen mit relativ begrenzten Verdienstmöglichkeiten. Die Weltbank sieht die steigende Zahl an Vulnerablen am Arbeitsmarkt als einen Indikator für die Notlage der Betroffenen, die darauf angewiesen sind, jedwede Einkommensmöglichkeit unabhängig von den Bedingungen anzunehmen (WB 2023): Geschlechtsbasierte Gewalt hat zugenommen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht einschließlich Ausbeutung bei der Arbeit wie auch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit. 'Finanzielle Gewalt' in der Terminologie von UNFPA hat zugenommen, darunter die Vorenthaltung finanzieller Mittel, Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und von Gehältern. Wenn Frauen das Nachgehen einer Erwerbsarbeit erlaubt wird, kann es zum Beispiel vorkommen, dass ihr Einkommen von männlichen Familienangehörigen an sich genommen wird (UNFPA 28.3.2023). Umgekehrt gibt es nun Frauen, die mehr an den finanziellen Entscheidungen ihrer Familie beteiligt sind (CARE 3.2016).
Neben der großen Kluft zwischen den Geschlechtern bei der Erwerbsbeteiligung existiert außerdem eine geschlechtsspezifische Benachteiligung bei Sozialleistungen. Dem Besitz von Grund durch Frauen stehen gesellschaftliche Praktiken gegenüber, welche davon abschrecken (FH 9.3.2023). Seit einer Änderung des Personenstandsrechts im Jahr 2019 ist es möglich, dass eine Frau fordert, dass in ihrem Ehevertrag das Recht auf Arbeit enthalten ist (SLJ 3.10.2019).
Frauen sind in verschiedenen öffentlichen und politischen Positionen tätig. Dies kann entweder aus freiem Willen geschehen oder aus der Notwendigkeit heraus, die Familie in Abwesenheit eines männlichen Versorgers zu unterstützen (NMFA 5.2022).
Frauen und frauengeführte Haushalte haben allgemein besonders unter den Folgen des Konfliktes zu leiden, (AA 2.2.2024) wie auch Haushalte mit behinderten Personen. 16 Prozent der von Frauen geleiteten Haushalte sowie 12 Prozent von Haushalten mit Menschen mit Behinderung sind überhaupt nicht in der Lage, ihren Lebensbedarf zu decken (UNFPA 28.3.2023).
Öffentliche Räume wie besonders Kontrollpunkte, aber auch Märkte, Schulen oder Straßen stellen potenzielle Risiken dar, wo Frauen und Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt sind (UNFPA 28.3.2023).
In Fällen, in denen der Zugang zu Bildung eingeschränkt ist, kompensieren Frauen den Verlust von Bildung, indem sie ihre Kinder zu Hause unterrichten. In Fällen, in denen der Zugang zu Infrastrukturgütern wie Wasser oder Strom eingeschränkt ist, legen die Frauen lange Wege zurück, um Wasser oder Diesel für den Betrieb ihrer eigenen Generatoren zu beschaffen. Darüber hinaus erhöht der Mangel an Grundnahrungsmitteln und anderen Gütern die Arbeitsbelastung der Frauen zu Hause, weil die Aufgaben arbeitsintensiver geworden sind (z. B. backen Frauen zu Hause Brot, wenn es keine Bäckereien mehr gibt) (CARE 3.2016).
Alleinstehende Frauen
Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Die gesellschaftliche Akzeptanz alleinstehender Frauen ist jedoch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen (STDOK 8.2017). Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Mädchen, Witwen und Geschiedene werden als besonders gefährdet eingestuft. Auch Überlebende sexueller Gewalt sind besonders vulnerabel (UNFPA 10.3.2019, vgl. für aktuelle Beispiele UNFPA 28.3.2023). Vor 2011 war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich, allein zu leben, z. B. für Frauen mit Arbeit in städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konflikts ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat. In den meisten Fällen würde eine Frau nach einer Scheidung zu ihrer Familie zurückkehren. Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, ihrer individuellen Situation und ihren bisherigen Erfahrungen ab. Für ältere Frauen, die immer zu Hause waren, ist es beispielsweise schwierig, Zugang zu Dokumenten zu erhalten, wenn sie nicht von jemandem begleitet werden, der mehr Erfahrung mit Behördengängen hat (STDOK 8.2017). Die Wahrnehmung alleinstehender Frauen durch die Gesellschaft variiert von Gebiet zu Gebiet, in Damaskus-Stadt gibt es mehr gesellschaftliche Akzeptanz als in konservativeren Gebieten (SD 30.7.2018).
Da die syrische Gesellschaft als konservativ beschrieben wird, gibt es strenge Normen und Werte in Bezug auf Frauen, obwohl es durchaus auch säkulare Einzelpersonen und Familien gibt. Es gibt zwar keine offizielle Kleiderordnung, bestimmte gesellschaftliche Erwartungen bestehen aber dennoch. In den Großstädten wie Damaskus oder Aleppo und in der Küstenregion haben Frauen mehr Freiheiten, sich modern zu kleiden. Trotzdem kann die eigene Familie einer Frau in dieser Hinsicht ein hinderlicher Faktor sein (NMFA 5.2022).
In Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand besteht ein höheres Risiko, sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, insbesondere für die Mädchen in diesen Familien. Witwen und geschiedene Frauen sind in der Gesellschaft mit einem sozialen Stigma konfrontiert (NMFA 5.2020).
1.3.1.5. Sexuelle Gewalt gegen Frauen und 'Ehrverbrechen'
Letzte Änderung 2024-03-13 16:16
Ausmaß und Berichtslage zu sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen
Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen (AA 2.2.2024). Der UN Population Fund (UNFPA) und weitere UN-Organisationen, NGOs und Medien stufen das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt als 'endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert' ein (USDOS 20.3.2023). Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als 'Ernährer der Familie' auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist (ÖB Damaskus 1.10.2021). 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - kommen in ländlichen Gegenden bei fast allen Glaubensgemeinschaften vor (AA 29.3.2023).
Im November 2021 schätzte das Syrian Network for Human Rights (SNHR), dass die Konfliktparteien seit März 2011 sexuelle Gewalt in mindestens 11.526 Fällen verübt haben. Die Regimekräfte und mit ihr verbündete Milizen waren für den Großteil dieser Straftaten verantwortlich - mehr als 8.000 Fälle, darunter mehr als 880 Straftaten in Gefängnissen und mehr als 440 Übergriffe auf Mädchen unter 18 Jahre. Fast 3.490 Fälle sexueller Gewalt wurden vom sogenannten Islamischen Staat (IS) begangen und 13 Verbrechen durch die Syrian Democratic Forces (SDF) (USDOS 20.3.2023). Die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) im Jahr 2019, Rückschläge für andere extremistische Gruppen und der Rückgang an Kampfhandlungen haben dazu geführt, dass die Bevölkerung nicht mehr derart den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheit ausgesetzt ist (FH 9.3.2023).
Sexuelle Gewalt durch bewaffnete Gruppen in Gebieten außerhalb der Regimekontrolle
In den Gebieten unter Kontrolle von oppositionellen Kräften im Norden und Nordwesten Syriens, laufen insbesondere Aktivistinnen erhöhte Gefahr, Opfer von Repressionen zu werden. So gehe, laut Berichten der CoI und des SNHR, z.B. die Türkei-nahe SNA besonders rigoros gegen zivilgesellschaftliche Akteure vor, die sich zu Genderthemen äußern und auf sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt aufmerksam machen. Sexualisierte Gewalt wird daneben, laut früheren CoI-Berichten, aber auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) und durch HTS. Sexualisierte Gewalt wird daneben nach früheren CoI-Berichten auch von anderen bewaffneten Gruppierungen systematisch ausgeübt, wie etwa den Terrororganisationen Hay'at Tahrir ash-Sham - HTS und IS (AA 2.2.2024). Frauen sind, bzw. waren, zudem in den vom IS und HTS kontrollierten Gebieten massiven Einschränkungen ihrer Freiheitsrechte ausgesetzt (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Der Niedergang von Recht und Ordnung setzt Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen aus, besonders durch extremistische Gruppen, die der Bevölkerung ihre eigenen Interpretationen des Religionsrechts auferlegen (FH 9.3.2023): Vergewaltigungen und sexuelle Gewalt gegen Frauen durch Mitglieder nicht-staatlicher bewaffneter Gruppen sind zwar dokumentiert, kommen aber schätzungsweise weniger häufig vor als durch die Regierungstruppen und ihre Verbündeten. Berichten zufolge stehen Fälle von sexueller Gewalt dort im Zusammenhang mit sozialen Phänomenen wie Ausbeutung, Konfessionalismus und Rache, wobei Fälle dokumentiert sind, die Opfer mit kurdischem Hintergrund, vermeintliche Schiiten oder regierungstreue Personen sowie Minderheitengruppen wie Drusen und Christen betreffen (UNCOI 8.3.2018).
Sexuelle Gewalt ebenso wie Ausbeutung und Hürden beim Zugang zu Hilfsleistungen betreffen besonders oft geschiedene Frauen, Witwen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023). Neben Fällen von Versklavung, dem sinkenden Heiratsalter und Fällen von Zwangsheirat wurden offenbar vor allem in IS-kontrollierten Gebieten auch zunehmend Fälle von Genitalverstümmelung beobachtet, eine Praxis, die bis zum Ausbruch der Krise in Syrien unbekannt war und auf die Präsenz von Kämpfern aus Sudan und Somalia zurückzuführen war (ÖB Damaskus 1.10.2021).
Dazu kamen Berichte aus Afrin über die Auferlegung strenger Bekleidungsvorschriften für Frauen und Mädchen und die Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit sowie die Belästigung durch Mitglieder der bewaffneten Gruppen, insbesondere beim Passieren von Kontrollpunkten (UNCOI 15.8.2019). Die Angst vor Entführung und sexueller Gewalt wird als ein wichtiger Faktor genannt, der die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen auch in den türkischen Einflussgebieten einschränkt, wobei auch die Angst vor Schande und Stigmatisierung im Zusammenhang mit sexueller Belästigung eine Rolle spielt (UNPFA 10.3.2019) (Anm.: Siehe auch weiter unten).
Ungefähr 12.715 Personen bestehend aus verwitweten und geschiedenen Frauen und Mädchen leben mit ihren Kindern in 42 Witwenlagern, was ihrem Schutz und dem Erhalt ihrer 'Ehre' dienen soll, aber ihre Isolierung basiert auf der Einstellung, dass unverheiratete Frauen Schande über ihre Familie bringen (UNPFA 28.3.2023).
Anzeige und Strafverfolgung
Eine Anzeige wegen sexueller Gewalt in Syrien muss durch ein medizinisches Gutachten eines Gerichtsmediziners untermauert werden, aus dem die Schwere der körperlichen Verletzung hervorgeht. Dieses Verfahren sowie soziale Normen und Stigmata machen es Frauen, die missbraucht wurden, schwer, Hilfe zu suchen (NMFA 6.2021). Zudem besteht das Risiko, dass man ihr die Schuld für das Vorgefallene gibt (NMFA 5.2022). Die Anzeige von Gewalt durch Regierungsbeamte ist noch schwieriger, weil sie rechtlich gegen Anklagen für Handlungen geschützt sind, die sie im Rahmen ihrer Arbeit vornehmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass jemand es wagen würde, Sicherheitsbeamte wegen Gewaltanwendung trotz der Angst vor Verschwindenlassen, der Verhaftung oder der Anschuldigung des Terrorismus anzuzeigen (NMFA 6.2021). Obwohl Vergewaltigung außerhalb der Ehe strafbar ist, setzt die Regierung diese Bestimmungen nicht wirksam um. Darüber hinaus kann der Täter eine Strafminderung erhalten, wenn er das Opfer heiratet, um das soziale Stigma der Vergewaltigung zu vermeiden. Dem stimmen manche Familien wegen des sozialen Stigmas durch Vergewaltigungen zu (USDOS 20.3.2023). Eine Frau in Furcht vor einem 'Ehrverbrechen' kann keinen Schutz von den Behörden wie etwa in Form eines Frauenhauses erwarten. Ihre Optionen für eventuellen Schutz hängen gänzlich von ihren persönlichen und gesellschaftlichen Umständen ab (NMFA 5.2022), denn offizielle Mechanismen zum Schutz von Frauenrechten funktionieren Berichten zufolge nicht (FH 9.3.2023).
Wenn eine Frau aus Anlass angeblicher 'illegitimer sexueller Handlungen' zu Schaden kommt, wird dies aus rechtlicher Sicht seit 2020 nicht mehr als mildernder Umstand anerkannt. Allerdings bleiben andere Gesetze statt des Artikels 548 des Strafgesetzes in Kraft, welche trotzdem eine Strafmilderung erlauben (HRW 11.1.2024). Es kommt nur zu wenigen Strafverfolgungen wegen Mordes oder versuchten Mordes aus Gründen der 'Ehre' (NMFA 5.2022). Auch können sich Vergewaltiger durch die Heirat des Opfers vor Strafe schützen (FH 9.3.2023).
Bei 'Ehrverbrechen' in der Familie - meist gegen Frauen - besteht laut deutschem Auswärtigen Amt kein effektiver staatlicher Schutz (AA 29.3.2023). So stellt Vergewaltigung nach syrischem Recht zwar eine Straftat dar, allerdings nicht in der Ehe. Ebenso kennt das syrische Strafrecht keinen expliziten Straftatbestand für häusliche Gewalt (AA 2.2.2024). Es gibt zwar Frauenhäuser in verschiedenen Gegenden des Landes, aber diese sind vor allem für Witwen und geschiedene Frauen gedacht. Auch ist die Suche nach Zuflucht schwierig, denn die Schutz suchenden Frauen müssen in ein anderes Gebiet umziehen und den Kontakt zu ihrer Familie abbrechen. Es gibt zwar Organisationen zur Unterstützung von Frauen in Not, aber die Dauer des Schutzes hängt von der Laufzeit des Projekts ab. Die Wahrscheinlichkeit ist nach Einschätzung des niederländischen Außenministeriums groß, dass die Frauen zu ihren Familien zurückkehren müssen (NMFA 5.2022). Die Finanzierung von Projekten gegen geschlechtsbasierte Gewalt ging im Jahr 2022 zurück - mit Auswirkungen auf die Sicherheit von Frauen und Mädchen (UNPFA 28.3.2023).
1.3.2. Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN „Sicherheitslage, politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht“ vom 10.12.2024:
1. Zusammenfassung der Ereignisse
Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure am 26.11.2024 vor Beginn der Großoffensive:
Wien, 10.12.2024
Quelle: AJ 8.12.2024
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).
Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch ر ال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).
Die folgende Karte zeigt die Gebietskontrolle der einzelnen Akteure nach der Machtübernahme durch die Oppositionsgruppierungen:
Quelle: AJ 8.12.2024
Die untere Karte zeigt die Gebietskontrolle der Akteure mit Stand 10.12.2024:
Quelle: Liveu 10.12.2024
Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).
In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024). Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).
2. Die Akteure
Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).
Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).
Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).
Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).
• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).
Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).
• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).
• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).
• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).
• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).
• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).
• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).
• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).
3. Aktuelle Lageentwicklung
Sicherheitslage:
Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).
Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).
Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024).
Sozio-Ökonomische Lage:
Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).
Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).
Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).
Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).
1.3.3. Auszug aus dem EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025:
Zur aktuelle Lage in Syrien wird anhand des Berichts der EUAA, Syria: Country Focus, Country of Origin Information Report vom März 2025 folgendes festgestellt (Nummerierung der Überschriften des englischen Original-Berichts beibehalten):
„[….]
1.2.2. Regierungsführung unter der Übergangsverwaltung (S. 20-23)
(a) Politischer Übergang (S. 20-21)
Nach dem Sturz der Regierung von Bashar Al-Assad am 8. Dezember 2024 wurde eine Übergangsverwaltung geschaffen. Der ehemalige Premierminister Mohammed Al-Jalali übertrug die Macht formell an Mohammed al-Bashir, den neu ernannten Übergangspremierminister, um die Fortführung der staatlichen Aufgaben einschließlich der Zahlung der Gehälter im öffentlichen Dienst zu gewährleisten, wie Al-Jalali erklärte.
Al-Sharaa erklärte, dass die Organisation nationaler Wahlen bis zu fünf Jahre dauern könnte, da die Wahlinfrastruktur erst wieder aufgebaut werden müsse. Er versicherte ferner, dass Syrien als „Republik mit einem Parlament und einer Exekutivregierung“ strukturiert sein werde.
Am 29. Dezember skizzierte Ahmad al-Sharaa einen mehrjährigen Fahrplan, der die Ausarbeitung einer neuen Verfassung innerhalb von drei Jahren und anschließende Wahlen vorsieht, sowie Pläne für eine Konferenz des nationalen Dialogs zur Förderung von Versöhnung und Inklusion. Als Teil des Übergangsprozesses betonte Al-Sharaa die Bedeutung der Bewahrung der nationalen Einheit und lehnte den Föderalismus ab. Erste Verhandlungen wurden mit den SDF und dem Kurdischen Nationalrat (KNC) geführt, um die kurdischen Gruppierungen in den politischen Prozess einzubeziehen. Die ursprünglich für Anfang Januar geplante Konferenz für den nationalen Dialog wurde jedoch verschoben, um ein breiteres Vorbereitungskomitee einzusetzen, in dem alle Teile der syrischen Gesellschaft vertreten sind. Die Konferenz fand schließlich am 25. Februar 2025 statt, der vorbereitende Workshops auf lokaler Ebene vorausgegangen waren. Sie trat in Damaskus mit rund 600 Teilnehmern zusammen und betonte in ihrer Abschlusserklärung die territoriale Integrität Syriens, verurteilte die israelischen Angriffe und forderte einen Rückzug. Ferner wurde die Annahme einer vorläufigen Verfassungserklärung, die Bildung eines vorläufigen Legislativrats und die Ausarbeitung eines Entwurfs für eine ständige Verfassung mit Schwerpunkt auf Menschenrechten und Freiheit festgelegt. In der Abschlusserklärung wurde ferner die Bedeutung der Beteiligung von Frauen, der friedlichen Koexistenz und der Einrichtung von Mechanismen für den laufenden nationalen Dialog hervorgehoben. Die Konferenz wurde jedoch als übereilt organisiert und unzureichend repräsentativ kritisiert.
Ende Januar erklärte die Übergangsregierung die Verfassung Syriens aus dem Jahr 2012 für ungültig und löste das Parlament, das Militär und die Sicherheitsorgane der früheren Regierung auf. Al-Sharaa erklärte, er werde einen legislativen Interimsrat einrichten, der die Regierung bis zur Verabschiedung einer neuen Verfassung unterstützen soll.
(b) Regierungsbildung (S.21-22)
Nach der Machtübernahme in Damaskus setzte die HTS eine geschäftsführende Regierung ein, die sich hauptsächlich aus Beamten der ehemaligen Syrischen Heilsregierung (SSG) in Idlib zusammensetzte, was Al-Sharaa als eine vorübergehende Maßnahme zur Aufrechterhaltung der Stabilität und Wiederherstellung der wichtigsten Dienste bezeichnete. Zunächst übernahmen Minister der SSG nationale Ministerposten, wobei einige Beamte und Staatsbedienstete der früheren Regierung in ihren Positionen blieben, um die Kontinuität zu gewährleisten.
Am 10. Dezember 2024 wurde Mohammed Al-Bashir, ein Ingenieur aus dem Gouvernement Idlib und ehemaliger Leiter der SSG im Nordwesten Syriens, die zusammen mit der HTS gegründet wurde, zum Interimspremierminister ernannt. Seine Amtszeit und die der Übergangsregierung sollte am 1. März 2025 enden, aber Ende Januar 2025 gab es noch keinen Termin für Wahlen in Syrien. In der Zwischenzeit wurde Ahmad Al-Sharaa, der Anführer der HTS, zum De-facto-Führer Syriens ernannt. Am 29. Januar 2025 wurde Al-Sharaa zum Präsidenten für die Übergangszeit ernannt.
Am 21. Dezember ernannte die Übergangsregierung Asaad Hassan Al-Shibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister, die beide als Verbündete von Al-Sharaa bekannt waren. Weitere Ernennungen betrafen Mohamed Abdel Rahman als Innenminister, Mohammed Yaqoub Al-Omar als Informationsminister, Mohamed Taha Al-Ahmad als Minister für Landwirtschaft und Bewässerung, Nazir Mohammed Al-Qadri als Bildungsminister und Shadi Mohammed Al-Waisi als Justizminister, die alle zuvor in der Heilsregierung tätig waren. Darüber hinaus übernahmen Fadi Al-Qassem, Mohamed Abdel Rahman Muslim, Hossam Hussein und Basil Abdul Aziz das Amt des Ministers für Entwicklung, des Ministers für lokale Verwaltung und Dienstleistungen, des Ministers für Stiftungen und des Wirtschaftsministers. Anas Khattab (auch bekannt unter seinem Pseudonym Abu Ahmad Hudood), ein früherer Führer der Nusra-Front, wurde zum Leiter des Allgemeinen Nachrichtendienstes ernannt.
(c) Militärische Reformen (S.22-23)
Vor ihrem Einzug in Damaskus am 8. Dezember verpflichtete sich die HTS, den institutionellen Rahmen Syriens beizubehalten, und erklärte später eine Generalamnestie für die Soldaten der syrischen Armee. Die Übergangsregierung leitete daraufhin einen Beilegungsprozess ein, der die Wiedereingliederung zahlreicher ehemaliger Regierungs- und Militärangehöriger erleichterte, darunter auch hochrangige Beamte, von denen einige, wie z. B. Fadi Saqr, in schwerwiegende Übergriffe während des Krieges verwickelt waren. Neben den Verfahren zur freiwilligen Wiedereingliederung verfolgte die Military Operations Administration (MOA), die übergeordnete Kommandozentrale der neuen HTS-geführten Übergangsverwaltung, Personen, die sich der Wiedereingliederung entzogen. Im Rahmen dieser Kampagnen wurden frühere Offiziere verhaftet, während andere wieder freigelassen wurden, nachdem festgestellt worden war, dass sie nicht an Übergriffen beteiligt gewesen waren. Nach Angaben von Etana gab es Bedenken wegen fehlender Verfahren, da Berichten zufolge Hinrichtungen von Milizionären auf niedriger Ebene stattfanden, die von den Behörden als vereinzelte Racheakte der Gemeinschaft dargestellt werden. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), eine im Vereinigten Königreich ansässige Überwachungsorganisation, berichtete Mitte Januar, dass innerhalb weniger Tage 8.000 Personen in den MOA-Zentren in Sallamiyah, Hama, Versöhnungsabkommen geschlossen haben. Die Zahl der Offiziere und Angehörigen der Streitkräfte der früheren Regierung in Gefängnissen wie Adra, Hama und Harim stieg auf über 9.000, darunter 2.000, die aus dem Irak zurückgekehrt waren. Die meisten wurden verhaftet, nachdem sie bei Razzien oder an Checkpoints erwischt worden waren.
Die Übergangsregierung schaffte außerdem die Wehrpflicht ab, außer in Situationen wie dem nationalen Notstand. Laut Samir Saleh, Mitglied des Militärkommandos im Umland von Damaskus, wird die syrische Armee eine Freiwilligenarmee sein, an der sich die Bevölkerung beteiligen soll, um die Grenzen des Landes zu sichern. Frühere Überläufer, wie z. B. Offiziere der Freien Syrischen Armee (FSA), werden in der Struktur des Verteidigungsministeriums einen besonderen Status erhalten, je nach ihrer Expertise. Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 neuen militärischen Befehlshabern veröffentlicht, darunter Mitglieder der HTS, übergelaufene Offiziere der syrischen Armee und mindestens sechs Nicht-Syrer, wobei die sieben höchsten Positionen Berichten zufolge mit HTS-Mitgliedern besetzt sind.
Schließlich verpflichtete sich die Übergangsregierung, alle Rebellengruppen in das Verteidigungsministerium zu integrieren. Zwischen Januar und Februar 2025 bemühten sich die Interimsministerien für Verteidigung und Inneres, alle bewaffneten Gruppen in einer einzigen Militär- und Polizeitruppe zu vereinen. Das Verteidigungsministerium berichtete, dass über 70 Gruppierungen aus sechs Regionen der Integration zugestimmt hätten, und es wurde ein Oberster Ausschuss eingerichtet, der den Einsatz militärischer Mittel, einschließlich Personal, Stützpunkte und Waffen, steuern sollte.
[…]
1.3. Behandlung bestimmter „Profile“ und Gruppen der Bevölkerung (S.26-42) 1.3.1. Personen, die der Regierung von Bashar Al-Assad nahestanden (S.26-29)
Nach der Machtübernahme verfolgte die Übergangsregierung keinen umfassenden Entbaathifizierungsprozess nach dem Vorbild der Nachkriegspolitik des Irak, und die Büros der Baath-Partei wurden nicht systematisch ins Visier genommen. Im Dezember stellte die Führung der Baath-Partei ihre Aktivitäten ein.
Ende Januar wurde bekannt gegeben, dass die Partei aufgelöst wurde. Von Anfang an verkündeten die neuen Behörden, dass die Soldaten, die im Rahmen der Wehrpflicht rekrutiert worden waren, sicher seien und dass es verboten sei, sie anzugreifen. Am 9. Dezember erließ das MOA eine Generalamnestie für alle zwangsrekrutierten Militärangehörigen. Die neue Regierung richtete daraufhin so genannte „Versöhnungszentren“ ein, in denen ehemalige Angehörige der Polizei, des Militärs, der Nachrichtendienste und der Pro-Assad-Milizen, die ihre Waffen abgegeben haben, vorübergehend zivile Ausweise erhalten. Diese Versöhnungszentren überwachen den Prozess, bei dem ehemalige Regimeangehörige ihre Waffen abgeben und ihre persönlichen Daten im Austausch gegen vorläufige Personalausweise registrieren. Diese Karten gewähren einen begrenzten Rechtsschutz und sicheres Reisen, aber das Verfahren ist nicht transparent, folgt uneinheitlichen Kriterien und wird von den Sicherheitsbehörden beeinflusst, so dass viele Antragsteller vor komplexen bürokratischen Hürden stehen. Ende Dezember berichtete die BBC von einer großen Beteiligung, bei der Hunderte von Personen vor einem Versöhnungszentrum in Damaskus Schlange standen.
Im Januar und Februar berichteten lokale Medien und Organisationen, die die Ereignisse in Syrien verfolgten, dass die neue Regierung einigen hochrangigen Persönlichkeiten, die mit der Assad-Regierung in Verbindung stehen, Amnestie gewährte, wie z. B. Fadi Saqr, dem früheren Führer der Nationalen Verteidigungskräfte. Außerdem soll die MOA Kollaborateuren von Maher Al-Assad, wie Geschäftsleuten, die seine Aktivitäten unterstützten, sowie Generalmajor Talal Makhlouf, Anführer der Republikanischen Garde der Assad-Regierung, Versöhnung gewährt haben. Gleichzeitig veranlasste der Zusammenbruch der Regierung von Bashar Al-Assad zahlreiche hochrangige Beamte und Angehörige der Herrscherfamilie zur Flucht in den Libanon. Die libanesischen Behörden wiesen jedoch syrische Offiziere und Soldaten, die illegal eingereist waren, aus und schickten sie nach Syrien zurück, wo sie von der neuen Regierung inhaftiert wurden.
Ende Dezember intensivierte die Übergangsverwaltung ihre Bemühungen, Personen festzunehmen, die mit der gestürzten Regierung in Verbindung stehen. Die Behörden behaupteten, ihre Verhaftungsaktionen zielten nur auf Personen ab, die im Namen des Assad-Regimes Verbrechen begangen hatten. Die Kampagnen in Deir Ez-Zor, Aleppo und Tartous konzentrierten sich auf die Beschlagnahmung illegaler Waffen und die Festnahme von Verdächtigen, die an illegalen Aktivitäten beteiligt waren. Allein in einer Woche wurden in Damaskus, Latakia, Tartus, Homs, Hama und Deir Ez-Zor fast 300 Personen festgenommen, darunter ehemalige Regimeinformanten, pro-iranische Kämpfer und rangniedrige Militäroffiziere. Nach Angaben des SOHR wurden einige Gefangene, die beschuldigt wurden, der Assad-Regierung Informationen geliefert zu haben, Berichten zufolge unmittelbar nach ihrer Verhaftung hingerichtet. Am 10. Januar berichtete das SOHR, dass Kämpfer, die mit der Übergangsregierung verbunden sind, Mazen Kneneh, einen lokalen Beamten, der beschuldigt wird, als Informant für den gestürzten Präsidenten Assad zu arbeiten, öffentlich hinrichteten. Im Februar wurden weitere außergerichtliche Tötungen ehemaliger Mitglieder von Milizen, die Bashar Al-Assad unterstützten, gemeldet, wie die Ermordung von vier Mitgliedern der Familie Meido, die einer lokalen Miliz angehörten, die an der Seite der früheren Regierung gekämpft hatte. Nach Angaben des SOHR wurden zwischen Anfang 2025 und Mitte Februar 2025 287 Personen durch außergerichtliche Tötungen und Racheakte getötet.
Die Operationen wurden den ganzen Januar über fortgesetzt, wobei Mitglieder der allgemeinen Sicherheitsverwaltung Häuser inspizierten und nach Waffen und Personen suchten, die sich nicht mit der Übergangsverwaltung ausgesöhnt hatten. Bei umfangreichen Militär- und Sicherheitsoperationen in Schlüsselregionen wie den Küstenstädten, Homs, Hama, Aleppo und Damaskus kam es zu Razzien, Waffendurchsuchungen und der Festnahme weiterer Hunderter von Personen. Die Operationen konzentrierten sich auf ehemalige militärische Kämpfer und Ex-Regierungsangehörige und führten zur Beschlagnahmung erheblicher Mengen an Waffen und Munition. Die festgenommenen Personen wurden in die Zentralgefängnisse von Homs, Hama und Adra im ländlichen Damaskus gebracht. Darüber hinaus wurden Videos ins Internet gestellt, auf denen zu sehen ist, wie Häftlinge, die bei diesen Operationen festgenommen wurden, körperlich und verbal misshandelt werden, einschließlich Angriffen und erniedrigender Behandlung. Nach Angaben des Syria Justice and Accountability Center kam es bei diesen Sicherheitsoperationen zu verschiedenen Menschenrechtsverletzungen, darunter dem Tod von Inhaftierten und der Verhaftung von Angehörigen gesuchter Personen, von denen sowohl ehemalige Angehörige der Assad-Regierung als auch nicht verwandte Zivilisten betroffen waren. Mitte Januar meldete das SOHR, dass über 9 000 Kämpfer und Offiziere weiterhin inhaftiert seien, wobei Foltervorwürfe erhoben und der Kontakt zu den Familien eingeschränkt wurde. Informationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte (SNHR) stimmten mit den Foltervorwürfen überein, die von Familien berichtet wurden, denen die Leichen ihrer Familienmitglieder nach ihrer Inhaftierung durch das Generaldirektorat für Sicherheit zurückgegeben wurden. Gleichzeitig berichtete das SOHR, dass 275 Häftlinge aus dem Zentralgefängnis von Homs freigelassen wurden, nachdem ihre Unschuld an Kriegsverbrechen gegen die syrische Bevölkerung festgestellt worden war. Im Januar 2025 ließ die Übergangsverwaltung rund 641 Personen, hauptsächlich aus den Gouvernements Homs, Hama und Latakia, frei, die zwischen einigen Tagen und einem Monat inhaftiert waren, wobei die meisten in kleinen Gruppen aus dem Zentralgefängnis von Homs entlassen wurden.
Anfang Februar verhängte das Informationsministerium ein Verbot, Interviews mit Personen zu führen oder Aussagen zu verbreiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung gebracht werden.
Seit der Machtübernahme durch die Übergangsregierung haben die verbliebenen Pro-Assad-Gruppen in ganz Syrien kleinere, gezielte Anschläge auf die Sicherheitskräfte der Regierung verübt. Diese Angriffe haben die Behörden dazu veranlasst, Operationen zur Ergreifung der Täter einzuleiten, die manchmal zu Opfern unter der Zivilbevölkerung führten. Anfang März führten koordinierte Angriffe von Pro-Assad-Gruppen auf Sicherheitskräfte, insbesondere in den Küstengebieten, zu einer erheblichen Eskalation, die eine große Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung, vor allem unter den Alawiten, zur Folge hatte.
Neben den Operationen der Übergangsverwaltung wurden Vorfälle von mutmaßlichen Racheakten, einschließlich Tötungen, Entführungen und Brandstiftungen, durch nicht identifizierte Gruppen dokumentiert, deren Ausmaß jedoch unklar bleibt. Ende Dezember wurden drei alawitische Richter in Masyaf, die für Eigentumsstreitigkeiten zuständig waren, getötet, eine Tat, die von der Übergangsverwaltung verurteilt wurde. Im Januar meldete das SOHR die Hinrichtung von 15 Personen, darunter Beamte der ehemaligen Regierung, durch nicht identifizierte Bewaffnete im Gouvernement Homs. Außerdem wurden 53 Personen verhaftet und an unbekannte Orte gebracht.
1.3.2. Alawiten (S.29-31)
Nach ihrer Machtübernahme betonte die HTS ihr Engagement für die Integration der Alawiten in die syrische Staatsführung und nahm Gespräche mit lokalen Vertretern der Alawiten auf. HTS-Vertreter bekräftigten, dass die Rechenschaftspflicht für Verbrechen, die unter der Assad-Regierung begangen wurden, über das formelle Rechtssystem verfolgt werden würde. Trotz dieser Zusicherungen bleiben die Alawiten von den neuen politischen und militärischen Strukturen weitgehend ausgeschlossen, und es gibt keinen Plan für die Eingliederung entlassener Soldaten in die neue Armee, da die Differenzen aus der Kriegszeit fortbestehen. Das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber ehemaligen Offizieren und Beamten des Regimes behindert ihre Wiedereingliederung zusätzlich. Die wirtschaftliche Unsicherheit stellt eine große Herausforderung dar, wobei die Massenentlassungen im öffentlichen Sektor vor allem Alawiten betreffen, darunter ehemalige Sicherheitsbeamte und ihre Familien, von denen viele auch staatlich bereitgestellte Wohnungen verloren haben.
Die Behandlung der alawitischen Gemeinschaften, insbesondere in Regionen wie Homs, Hama und den Küstengouvernements, gibt weiterhin Anlass zu großer Sorge. In der Stadt Homs errichteten Männer in Militäruniformen Kontrollpunkte an den Eingängen der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Stadtteile, was die Ängste der Bewohner schürt. Berichten zufolge wurden junge Männer, darunter ehemalige Soldaten und Wehrpflichtige, die ihre Waffen abgegeben hatten, festgenommen. Die Männer an einem Kontrollpunkt haben angeblich ein Sektenprofil erstellt, bevor der Kontrollpunkt nach Beschwerden aufgelöst wurde. Shihadi Mayhoub, ein ehemaliger Gesetzgeber, sagte, er habe bis Januar 2025 über 600 Verhaftungen im Bezirk Zahra (Gouvernement Homs) und mehr als 1.380 in der Stadt Homs dokumentiert, wobei es sich bei den meisten Verhafteten um Zivilisten und Wehrpflichtige sowie um pensionierte Offiziere gehandelt haben soll. Das SOHR schätzt, dass in der Stadt Homs und ihrem Gouvernement mindestens 1.800 Personen, überwiegend Alawiten, inhaftiert wurden. Darüber hinaus nahm die gegen Alawiten gerichtete Gewalt landesweit zu, und es wurden 150 Morde gemeldet, insbesondere in Homs und Hama.
In der Zwischenzeit verschärften nicht identifizierte extremistische Gruppierungen die Ängste, indem sie Aufrufe zur Gewalt gegen Alawiten verbreiteten, darunter auch Videos, die wahllose Angriffe befürworteten. Gezielte Tötungen von Alawiten, die mit der früheren Regierung in Verbindung standen, wurden aus den Küstenregionen gemeldet, während bewaffnete Gruppen, die Militäruniformen trugen, die denen der HTS oder anderer Oppositionsgruppen ähnelten, überfielen über 20 alawitische Dörfer im ländlichen Hama, was zu Vertreibung, Diebstahl und Todesfällen führte.
Berichte über Schikanen, Entführungen und Tötungen von Alawiten nahmen nach dem Sturz Assads zu, wobei in den sozialen Medien - wenn auch unbestätigte - HTS-Kämpfer für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Ein ehemaliger syrischer Soldat berichtete, er sei an einem HTS-Kontrollpunkt in der Nähe von Khirbet al-Ma'zah im Gouvernement Tartus festgenommen und geschlagen worden, als er unterwegs war, um Amnestie zu beantragen. Er gab an, er sei gezielt wegen seiner alawitischen Herkunft angegriffen und fünf Stunden lang körperlich misshandelt worden, bevor er freigelassen wurde. Die Vereinten Nationen bemühten sich, diese Behauptungen zu überprüfen, um eine weitere sektiererische Eskalation zu verhindern, während das SOHR schätzungsweise 150 alawitische Tötungen innerhalb eines Monats durch ungenannte Täter verzeichnete.
In Zahra, einem Viertel in Homs mit einem hohen Anteil an alawitischer Bevölkerung, nahm die Unsicherheit zu, und die Bewohner hielten sich aufgrund der Präsenz von HTS-Kräften an eine informelle Ausgangssperre. Die HTS ergriff Sicherheitsmaßnahmen in dem Gebiet, darunter Kontrollpunkte und Hausdurchsuchungen bei Personen, die sie als Überbleibsel der früheren Regierung identifizierte. In Berichten von Anwohnern wurde von Zwangsräumungen, der Erstellung von Profilen anhand von Ausweisdokumenten sowie von Gewalt, Verhaftungen, körperlichen Angriffen und Schüssen berichtet.
Ende Januar meldete das SOHR mehrere Fälle, in denen bewaffnete Gruppen, von denen einige behaupteten, mit der MOA in Verbindung zu stehen, Zivilisten aus politischen und konfessionellen Gründen angriffen und töteten. Insbesondere in Gemeinden im Umland von Homs, in denen die alawitische und schiitische Bevölkerung überwiegt, kam es zu einer drastischen Eskalation von Übergriffen, Straftaten und außergerichtlichen Tötungen von Zivilisten. In einem Dorf im Nordwesten des Gouvernements Hama, das hauptsächlich von Alawiten bewohnt wird, haben Bewaffnete Zivilisten erschossen und getötet. Nach Angaben der Behörden befanden sich unter den Getöteten ehemalige Offiziere und Soldaten.
Anfang Februar wurden weitere Angriffe auf Alawiten gemeldet. Die neuen Behörden leiteten Ermittlungen wegen unrechtmäßiger Tötungen ein und kündigten gleichzeitig Sicherheitsoperationen gegen Loyalisten der früheren Regierung an. Interimspräsident Ahmad Al-Sharaa betonte die Notwendigkeit, den zivilen Frieden zu wahren, und warnte vor den Gefahren einer Vertiefung der konfessionellen Spaltung.
Gregory Waters, Experte für syrische Sicherheitsfragen, wies auf die sehr unterschiedlichen Bedingungen in ehemaligen Regierungshochburgen wie Tartous, Latakia, Homs und Hama hin. Während von Fällen konfessioneller Einschüchterung und Belästigung durch Sicherheitskräfte berichtet wurde, beschrieben einige Alawiten in diesen Regionen den Umgang mit den Behörden als höflich und respektvoll. Laut Waters scheinen die dokumentierten Verstöße eher auf unprofessionelles Verhalten bei Verhaftungen als auf explizite konfessionelle Ziele zurückzuführen zu sein, wobei viele der begangenen Straftaten Banden und Zivilisten zugeschrieben werden, die keine Verbindung zur Übergangsregierung haben. Er stellte ferner fest, dass Menschenrechtsverletzungen manchmal im Kontext einer instabilen Sicherheitslage oder eines Sicherheitsvakuums sowie als Reaktion auf bestimmte Vorfälle begangen wurden, wie beispielsweise, als ehemalige Regierungsmilizionäre Ende Dezember in den ländlichen Gebieten von Tartus einen Hinterhalt gegen Sicherheitskräfte legten. Die Streitkräfte leiteten daraufhin eine Operation ein, die Hausdurchsuchungen, die Errichtung von Kontrollpunkten und Schießereien gegen Dörfer umfasste, die im Verdacht standen, die Kämpfer zu beherbergen, wie z. B. Khirbet Maazah, wo zahlreiche ehemalige Kämpfer der Regierungsmiliz und ein hochrangiger Gefängnisbeamter lebten, der beschuldigt wurde, an der Ermordung von Hunderten von Gefangenen beteiligt gewesen zu sein. Waters ist der Ansicht, dass zahlreiche Verbrechen von Banden und Zivilisten verübt wurden, die nicht mit der neuen Regierung verbunden sind, während einige untergeordnete Soldaten und lokale Führer an sektiererisch motivierten Einschüchterungen und Entführungen von alawitischen Zivilisten beteiligt waren.
Anfang März wurden bei Zusammenstößen zwischen pro-Assad-Gruppen und Sicherheitskräften in Latakia, Tartus und Hama Hunderte von Zivilisten getötet, die meisten von ihnen Alawiten. Dabei kam es auch zu Hinrichtungen im Schnellverfahren durch Kräfte, die mit der Übergangsregierung verbunden sind.
1.3.3. Kurden (S.31)
In Bezug auf die kurdische Gemeinschaft hielt Al-Sharaa nach der Übernahme der Kontrolle ein erstes Treffen mit einer hochrangigen SDF-Delegation ab, um die Grundlage für künftige Gespräche zu schaffen. Seine Äußerungen deuteten darauf hin, dass die Übergangsverwaltung nicht mit dem Anti-SDF-Ansatz der von der Türkei unterstützten SNA übereinstimmte. Dennoch bezeichnete Mohammed A. Salih, ein auf kurdische und regionale Fragen spezialisierter Wissenschaftler, seine Äußerungen als unklar und nicht unterstützend für die kurdischen Ziele. Nach der raschen Einnahme von Aleppo durch die von der HTS geführte Offensive Ende November zwangen die SNA-Kräfte Tausende von kurdischen Zivilisten zur Flucht westlich des Euphrat. In Aleppo hatten die Kurden in erster Linie mit der HTS zu tun, die sich moderat und offen für einen Dialog gezeigt hat. Im Gegensatz dazu geriet die SNA in Manbij immer wieder in Konflikt mit den SDF. Die durchgehende Existenz der SDF wurde von den Organisatoren der Nationalen Dialogkonferenz als Grund für den Ausschluss der halbautonomen kurdischen Verwaltung und der ihr nahestehenden Einrichtungen von der Konferenz angegeben.
Während des gesamten Januars kam es zu weiteren Wohnraums- und Eigentumsverletzungen, als vertriebene kurdische Einwohner versuchten, nach Afrin, einer mehrheitlich kurdisch bewohnten Region im Umland von Aleppo, und in die umliegenden Gebiete zurückzukehren. Berichten zufolge wurden sie von den SNA-Kräften gezwungen, bis zu 10 000 USD für die Rückgabe ihrer Häuser zu zahlen. Gleichzeitig nahmen SNA-Gruppierungen im Januar mindestens 10 Kurden in Afrin fest, wobei die Lösegeldforderungen für die Freilassung auf über 1 000 USD pro Person anstiegen. Bis Mitte Februar hatte sich für die Kurden in Afrin trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften aus Damaskus in der Stadt am 7. Februar nur wenig geändert. Berichten zufolge hielten die Misshandlungen durch verschiedene Gruppierungen in Afrin an. Zurückkehrende Bewohner stellten fest, dass ihre Häuser von Kämpfern oder Zivilisten besetzt waren, die für ihre Abreise erhebliche Geldsummen verlangten, obwohl die früheren Bewohner von der Übergangsverwaltung förmliche Zusicherungen für ihre Rückkehr erhalten hatten. Gegen Ende Februar besuchte Al-Sharaa Afrin und traf sich mit lokalen kurdischen Vertretern, die ihre Beschwerden vortrugen; daraufhin sagte er zu, die Gruppierungen in der Stadt durch offizielle Sicherheitskräfte zu ersetzen und die gegen die kurdische Gemeinschaft gerichteten Übergriffe anzugehen.
1.3.4. Andere religiöse und ethnische Minderheiten (S.32-33)
Die neue syrische Führung hat zugesagt, die Rechte von Minderheiten zu wahren und die nationale Einheit zu fördern, in Anbetracht der Befürchtung, unter der islamistischen Herrschaft marginalisiert zu werden.
Im Rahmen seiner Bemühungen, die Minderheitengemeinschaften zu beruhigen, traf Ahmad Al-Sharaa am 22. Dezember mit dem libanesischen Drusenführer Walid Jumblatt zusammen. Später kam er nach einer Reihe von Angriffen auf religiöse Minderheiten mit christlichen Führern zusammen, darunter katholische, orthodoxe und anglikanische Geistliche. Dieses Treffen fand nach Protesten statt, die durch die Verbrennung eines Weihnachtsbaums durch mit der HTS verbundene ausländische Kämpfer am 23. Dezember in einer überwiegend christlichen Stadt in Hama ausgelöst worden waren, sowie nach weiteren Berichten über Schikanen. Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsbaum nahm die Übergangsregierung die ausländischen Kämpfer fest, die sie für diesen als Einzelfall bezeichneten Vorfall verantwortlich machte. Darüber hinaus blieben die Regierungsbüros an den Weihnachtsfeiertagen und am folgenden Tag, dem 23. Dezember, geschlossen. Unterdessen berichtete France24, dass in Damaskus zwar Weihnachtsfeiern stattfanden, die christlichen Einwohner sich jedoch zurückhielten und einige aus Angst und Unsicherheit keinen Alkohol kauften.
Berichten zufolge kam es vermehrt zu gezielten Übergriffen auf christliche Gemeinschaften, darunter ein Angriff unbekannter Bewaffneter auf eine griechisch-orthodoxe Kirche in Hama am 18. Dezember, sowie zu verstärkten Spannungen in christlichen Vierteln von Damaskus aufgrund von Drohungen wie öffentlich gesungenen dschihadistischen Liedern und einer Drohbotschaft auf einem gepanzerten Fahrzeug.
Menschenrechtsorganisationen haben verschiedene Einschränkungen der religiösen Freiheiten dokumentiert. Richard Ghazal, Geschäftsführer von In Defense of Christians, wies auf Maßnahmen wie Alkoholverbote und die Präsenz von Flaggen des Islamischen Staates in Gebieten nahe Damaskus hin. In ähnlicher Weise dokumentierte Nadine Maenza vom in Washington ansässigen Sekretariat für internationale Religionsfreiheit Ende Dezember mindestens ein Dutzend Augenzeugenberichte über Angriffe gegen religiöse und ethnische Minderheiten in der Region Shehba in der Nähe von Aleppo. Rafif Jouejati, Wissenschaftler am Middle East Institute, vertrat jedoch die Ansicht, dass diese Vorfälle als Einzelfälle und nicht als Beweis für ein breiteres Muster systematischer Intoleranz betrachtet werden sollten.
Im Stadtteil Al-Qassaa, Damaskus, verteilten bewaffnete Personen Flugblätter, in denen sie Beschränkungen für die Kleidung von Frauen, das Rauchen und soziale Interaktionen forderten. Die HTS entsandte daraufhin Patrouillen, schrieb die Vorfälle nicht identifizierten Personen zu und lehnte eine Befürwortung ab. Die Häufigkeit solcher Aktionen gibt jedoch weiterhin Anlass zur Sorge.
Die neue Regierung unterstrich ihr Bekenntnis zur Inklusivität durch das Versprechen der Nationalen Dialogkonferenz, die darauf abzielte, verschiedene Gemeinschaften, darunter Christen, Kurden, Künstler und Intellektuelle, in die Gestaltung der Zukunft Syriens einzubeziehen. Als die Nationale Dialogkonferenz stattfand, konnte sie die Bedenken hinsichtlich der Inklusivität nicht zerstreuen. Von den sieben Personen, die in das Vorbereitungskomitee berufen wurden, gehörte nur eine einer religiösen Minderheit an, die christliche syrische Aktivistin Hind Kabawat, während die anderen sunnitische Muslime waren, von denen einige enge Verbindungen zu Sharaa oder HTS hatten. Kurdisch geführte Behörden aus dem Nordosten waren von der Konferenz gänzlich ausgeschlossen. Einige Christen erklärten, sie hielten ihr Urteil zurück, bis eine neue Verfassung ausgearbeitet sei und allgemeine Wahlen stattfänden. In der Übergangsregierung sind die Christen nicht vertreten, und sie setzt sich hauptsächlich aus Ministern zusammen, die zuvor in der Regierung von Idlib tätig waren.
Vor allem nach der einseitigen Reform des nationalen Lehrplans hat sich die Skepsis fortgesetzt. Der neue Bildungsminister, Nazir Mohammad Al-Qadri, versicherte, dass sowohl der Islam als auch das Christentum als Unterrichtsfächer Teil des Lehrplans bleiben würden. Anfang Januar kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung jedoch Lehrplanänderungen an, die eine stärker islamische Perspektive widerspiegeln und gleichzeitig Bezüge zur Assad-Ära beseitigen sollen. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehören die Streichung der Evolution und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht, die Streichung vorislamischer Gottheiten und ihrer Statuen aus dem Geschichtsunterricht und eine geringere Betonung der Königin Zenobia von Palmyra. Aktivisten der Zivilgesellschaft haben ihre Besorgnis darüber geäußert, dass diese Änderungen auf eine Missachtung unterschiedlicher Perspektiven hindeuten und das erklärte Engagement der Verwaltung für Inklusivität untergraben könnten. Das Ministerium wies jedoch diese Interpretationen der Änderungen zurück und betonte, dass die einzigen Änderungen „die Entfernung von Symbolen des früheren Regimes und dessen Verherrlichung sowie die Einführung von Bildern der neuen syrischen Flagge (der Flagge der Revolution) anstelle der früheren Flagge in allen Schulbüchern“ beträfen. Der Minister erläuterte, dass zu den Anpassungen auch die Korrektur „falscher“ Informationen gehörte, auf die sich die Vorgängerregierung bei der Erklärung einiger Koranverse gestützt hatte, und dass die in den Exegesebüchern für alle Bildungsstufen enthaltenen Informationen übernommen wurden.
1.3.5. Frauen (S.33-38)
a) Allgemeiner Überblick über Verstöße gegen Frauen
Laut eines SNHR Berichts wurden zwischen März 2011 und November 2024 mindestens 29.064 Frauen in Syrien getötet, und 11.268 Frauen wurden bei der Veröffentlichung des Berichts in Haft gehalten oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis 27. Dezember 2024 dokumentierte das Amt des Hohen Kommissars für Menschenrechte (OHCHR) konfliktbezogene Vorfälle, bei denen 92 Frauen in ganz Syrien getötet wurden. Berichte über die Tötung von Frauen durch bewaffnete Akteure wurden im Bezugszeitraum fortgesetzt, und Frauen wurden auch weiterhin Opfer anderer Verstöße, darunter Todesfälle durch nicht explodierte Kampfmittel und Tötungen durch unbekannte Täter. Im Februar 2025 berichtete SOHR über eine erhöhte Zahl von Entführungsfällen von Frauen und Mädchen.
Die Krise in Syrien hatte unverhältnismäßige Auswirkungen auf Frauen, was zu Gewaltrisiken, negativen Bewältigungsmechanismen, einem eingeschränkten Zugang zu Dienstleistungen, einer erhöhten Anfälligkeit für sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt („sexual and genderbased violence – SGBV“), Diskriminierung und einem eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbehelfen führte. Frauen und Mädchen waren beim Zugang zu humanitärer Hilfe benachteiligt und unverhältnismäßig stark von Ernährungsunsicherheit betroffen.
b) Legislative Entwicklungen und Maßnahmen, die Frauen betreffen
Quellen deuten darauf hin, dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts noch keine Klarheit über die Lage der Frauen in Syrien unter den HTS-Behörden besteht. Der neue Außenminister Assaad al-Shibani behauptete, dass die Behörden die Rechte der Frauen „voll und ganz unterstützen“ würden, und Ahmed al-Sharaa versprach, die Bildung von Frauen fortzusetzen. Zum 1. Januar 2025 wurden drei Frauen in offizielle Positionen unter der neuen Regierung in Syrien berufen. Die erste Frau, die ernannt wurde, war Aisha al-Dibs als Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten. Am 30. Dezember 2024 ernannten die neuen Behörden die erste weibliche Gouverneurin der syrischen Zentralbank, Maysaa Sabrine, die zuvor als stellvertretende Gouverneurin der Bank tätig war. Am 31. Dezember 2024 wurde Muhsina al-Mahithawi aus der drusischen Minderheit zur ersten weiblichen Gouverneurin der Provinz Sweida ernannt.
Auf nationaler Ebene ist der Regierungsansatz der Übergangsverwaltung nach wie vor unklar, insbesondere in Bezug auf die Rechte und die Vertretung von Frauen. Obaida Arnout, eine Regierungssprecherin, schlug vor, dass Frauen aufgrund ihrer inhärenten Merkmale für bestimmte Rollen in der Regierungsführung ungeeignet seien, während Aisha al-Dibs, die neu ernannte Ministerin für Frauen, sich gegen die Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft aussprach, die mit ihren Ansichten nicht einverstanden seien. Al-Dibs führte weiter steigende Scheidungsraten auf ein früheres Regierungsprogramm zurück und versprach, ähnliche Initiativen zu vermeiden.
Maßnahmen, die auf das öffentliche Engagement von Frauen abzielen, wurden auf Pläne für die Geschlechtertrennung in öffentlichen und privaten Bussen in Damaskus ausgeweitet. Im Januar kündigte die General Company for Internal Transport, „Zajal Transport“, an, dass in der Hauptstadt innerhalb weniger Tage, nach früheren Versuchen in Idlib, Aleppo, Hama und Homs, geschlechtergetrennte Transporte durchgeführt würden.
In Bezug auf die Arbeit von Richterinnen erklärte Obaida Arnout, dass dies „von Sachverständigen“ untersucht werden müsse, was die Situation von Richterinnen unklar lasse. Im Januar 2025 wurde berichtet, dass Shadi al-Waisi, der Justizminister in der derzeitigen Regierung, in zwei Videos gesehen wurde, in denen die Hinrichtung von zwei Frauen überwacht wurde, die 2015 im Raum Idlib wegen „Korruption und Prostitution“ verurteilt wurden. In Homs erschienen Beschilderungen, die die Geschlechtertrennung bewerben, in Bussen. In Damaskus wurden Plakate mit den „Bedingungen des schariakonformen Hijab“ im öffentlichen Raum gesehen. Laut Al-Dibs wird die Regierung syrischen Frauen jedoch keine Kleiderordnung auferlegen. In einem Interview vom 25. Dezember 2024 erklärte Ahmed al-Sharaa, dass „christliche Frauen nicht gezwungen würden, den Schleier einzuhalten“, ohne jedoch muslimischen Frauen zu erwähnen.
c) Frauen ohne männliche Unterstützung (weiblich geführter Haushalt/einzeln/verwitwet)
Der Konflikt in Syrien hat zu einem demografischen Wandel geführt, der zu mehr weiblichen Haushaltsvorständen/Familienoberhäuptern und Frauen die in die Berufswelt einsteigen geführt hat. Die Zahl der von Frauen geführten Haushalte hat aufgrund der Vertreibung zusätzlich zugenommen. Laut einer Analyse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Oktober 2024 wird in ganz Syrien „fast jede dritte Familie von einer Frau geleitet.“ Haushalte mit weiblichem „Oberhaupt“ gehören schutzbedürftigen Gruppen an, die unverhältnismäßig stark von dem Konflikt betroffen waren und deren Grundbedürfnisse wie Gesundheitsversorgung, Ernährung und Bildung nicht erfüllt wurden. Frauen wurden am Arbeitsplatz schikaniert und diskriminiert, insbesondere Frauen ohne Ehemänner, einschließlich Witwen. Die Arbeitslosenquote von Frauen in Syrien erreichte 2024 62,2 %, so das syrische Zentralamt für Statistik. Kinder von weiblichen Haushaltsvorständen waren einem erhöhten Risiko der Staatenlosigkeit ausgesetzt, da sie ihre Geburten nicht registrieren konnten. Geschiedene Frauen und Witwen waren dem Risiko von Zwangsverheiratung ausgesetzt. Schwierigkeiten bei der Rückforderung von Eigentum wurden in Bezug auf Witwen, zurückkehrende Frauen aus dem Libanon (mehr als die Hälfte dieser Haushalte waren weiblich geführt) und vertriebene Frauen im Nordosten Syriens gemeldet. Geschiedene Frauen im Nordwesten Syriens waren mit gesellschaftlicher Stigmatisierung, sozialer Ausgrenzung und mangelnder Unterstützung konfrontiert.
Ab Januar 2025 wurden etwa 40 000 Menschen im Lager al-Hol im Nordosten Syriens festgehalten, Berichten zufolge hauptsächlich Frauen und Kinder, Familienangehörige von ISIL-Mitgliedern, darunter Tausende von Ausländern. Die Bedingungen in den Lagern wurden als „unmenschlich“ und „lebensbedrohlich“ bezeichnet. Am 27. Januar ordnete die US-Regierung an, die „ausländische Entwicklungshilfe“ auszusetzen, woraufhin am nächsten Tag eine vorübergehende Ausnahmeregelung für „lebensrettende humanitäre Hilfe“ erlassen wurde. Quellen berichteten, dass das Einfrieren der humanitären Hilfe die Lebensbedingungen im Lager al-Hol weiter verschlechtert hat.
d) Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt
Der im November 2024 veröffentlichte Jahresbericht der SNHR verzeichnete seit März 2011 11.553 Fälle sexueller Gewalt gegen Frauen. Die Haupttäter sexueller Gewalt, die von der SNHR dokumentiert wurden, wurden als ehemaliges syrisches Regime (8.024 Vorfälle) und ISIL (3.487 Vorfälle) identifiziert, während HTS für zwei Vorfälle verantwortlich gemacht wurde. Das OHCHR berichtete von einem Anstieg „aller Arten sexueller Gewalt und anderer geschlechtsspezifischer Gewalt“ in Syrien während des Konflikts. Misshandlungen gegen Frauen wurden unterschätzt, auch wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung und Angst. Der Konflikt in Syrien hat zu vermehrten Fällen von Früh- und Zwangsheiraten geführt, auch als Bewältigungsmechanismus. Eine Studie der internationalen Organisation PAX ergab, dass die Verlagerung der Geschlechterrollen zu einem Anstieg häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt beigetragen hat.
Im Januar 2025 berichtete der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), dass Frauen und Mädchen in Syrien aufgrund institutionalisierter Ungleichheit der Geschlechter und des Patriarchats sowohl im öffentlichen als auch im privaten Leben mit „allgegenwärtigen Formen“ von SGBV konfrontiert waren. Die Situation war durch einen Mangel an Unterstützungsdiensten, sicheren Räumen und Rechtsschutz gekennzeichnet. Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (UNOCHA) sind 93 % der rund 8,5 Millionen Menschen, die in Syrien Hilfe bei geschlechtsspezifischen Gewalttaten benötigen, Frauen und Mädchen. Sie sahen sich einer Vielzahl von Missbräuchen ausgesetzt, darunter „Gewalt durch intime Partner, häusliche Gewalt, wirtschaftliche und emotionale Gewalt sowie sexuelle Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und sexueller Belästigung.“ Ab Januar 2025 waren im Nordwesten Syriens 67 sichere Räume für Frauen und Mädchen, die SGBV-Dienste anbieten, funktionsfähig. In Idlib wurden Ende 2024 Gesundheitseinrichtungen einschließlich einer Entbindungsklinik erheblich beschädigt. Frauen und Mädchen in Aleppo sahen sich beim Zugang zu Dienstleistungen für Opfer des SGBV mit „erheblichen Schwierigkeiten“ konfrontiert, einschließlich solcher, die den Transport und den Mangel an weiblichem Personal betrafen. Das Risiko von SGBV war Berichten zufolge für Frauen in Binnenvertriebenenlagern und in den Notunterkünften höher.
1.3.6. Kinder (S.38-41)
a) Auswirkungen von Gewalt auf Kinder
Nach Angaben des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF) wurden in den 13 Jahren des Konflikts rund 25.500 Verstöße gegen Kinder verzeichnet, darunter die Tötung und Verstümmelung von Kindern und die Rekrutierung von Kindern. SNHR gab an, dass in der Zeit vom März 2011 bis zum 10. November 2024 30.293 Kinder getötet wurden, und ab dem 20. November 2024 wurden 5.298 Kinder verhaftet, inhaftiert oder verschwanden gewaltsam. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 27. Dezember 2024 dokumentierte das OHCHR Vorfälle, bei denen 212 Kinder in ganz Syrien getötet wurden. Nach dem Regimewechsel gab es weiterhin Berichte über die Tötung von Kindern durch bewaffnete Akteure. Kinder wurden auch weiterhin durch nicht explodierte Kampfmittel verletzt, die mindestens 116 im Dezember und 136 im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 17. Februar töteten oder verletzten. Im Januar 2025 warnte das UNOCHA, dass schwerwiegende Verstöße gegen Kinder nach wie vor ein großes Problem darstellen, einschließlich der Gefahr, getötet, verletzt, rekrutiert und bei Feindseligkeiten eingesetzt zu werden.
Im Dezember 2024 waren schätzungsweise 7,5 Millionen Kinder in Syrien auf humanitäre Hilfe und rund 6,4 Millionen auf psychologische Hilfe angewiesen. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) berichtete, dass Ernährungsunsicherheit und Unterernährung bei Kindern die Gesundheitsrisiken erhöhen. Etwa 506.000 Kinder unter fünf Jahren in Idlib und Aleppo litten unter akuter Unterernährung und über 609.000 unter „Stunting“ (Wachstumsverzögerung durch z.B. schlechte Ernährung, wiederholte Infektionen, mangelnder Zugang zu sauberen Trinkwasser, magelnde Gesundheitsversorgung). Die WHO stellte fest, dass in einigen Gouvernements das Stunting ein „alarmierend hohes Niveau“ erreicht hat. UNOCHA berichtete, dass Krankenhäuser überfüllt seien und dass psychische Belastungen bei Kindern weit verbreitet seien.
b) Negative Bewältigungsmechanismen
Nach Angaben des UNOCHA sind Kinderarbeit und Kinderehen nach wie vor „weitgehend akzeptierte“ Bewältigungsmechanismen für syrische Familien und die Tragweite wird nach wie vor nicht ausreichend erfasst. Kinder in Straßensituationen waren Ausbeutung ausgesetzt und standen „in Kontakt mit dem Gesetz wegen geringfügiger und schwerer Straftaten“.
Ein im Januar 2025 veröffentlichter UNOCHA-Bericht wies darauf hin, dass die Wirtschaftskrise in Syrien das Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt bei gefährdeten Bevölkerungsgruppen, auch bei jugendlichen Mädchen, sowie das Risiko von Kinderarbeit, Kinderheirat und sexueller Ausbeutung weiter erhöht hat.
Ein Bericht der internationalen NGO Welthungerhilfe über die Gouvernements Aleppo und Idlib zur Bewertung des Schutzbedarfs auf der Grundlage der im August 2024 erhobenen Daten ergab, dass Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder, insbesondere jugendliche Mädchen, in verschiedenen Umgebungen auftraten unter anderem auch zu Hause, in der Schule, am Arbeitsplatz und in Binnenvertriebenenlagern. In dem Bericht wurde festgestellt, dass Kinderehen sowohl in Binnenvertriebenenlagern als auch in Aufnahmegemeinschaften nach wie vor „vorherrschend“ sind, wobei die Hauptgründe in erster Linie die Armut in Aleppo und die Bräuche und Traditionen in Idlib sind.
Nach Angaben des USDOS gab es unter der Assad-Regierung Unterkünfte für Waisenkinder. In Syrien gab es schätzungsweise 1,2 Millionen Waisenkinder, und nach einem Regierungserlass wurden Kinder als „muslimisch angenommen, sofern nichts anderes nachgewiesen wurde“, und sie konnten nur angenommen werden, „wenn das Paar und das Kind dieselbe Religion teilen“. Ein Bericht des Global Protection Cluster (GPC), eines Netzwerks von NRO, internationalen Organisationen und UN-Agenturen, der im Dezember 2024 veröffentlicht wurde, stellte fest, dass Kinder besonders von einem Mangel an zivilen Dokumenten betroffen waren.
c) Zwangsrekrutierung durch bewaffnete Gruppen
In einem am 20. November 2024 veröffentlichten Bericht erklärte die SNHR, dass im Zeitraum von März 2011 bis 10. November 2024 2.395 Kinder in Syrien zwangsrekrutiert wurden. Im Juni 2024 unterzeichnete der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für Kinder in bewaffneten Konflikten einen Aktionsplan zur Beendigung und Verhinderung der Rekrutierung und des Einsatzes sowie der Tötung und Verstümmelung von Kindern mit der SNA und abgestimmten Fraktionen. Darüber hinaus wurde ein Fahrplan zur Umsetzung eines Aktionsplans von 2019 zwischen den Vereinten Nationen, den SDF und den Verwaltungen in Nord- und Ostsyrien angenommen, der die Rekrutierung und den Einsatz von Kindern in bewaffneten Konflikten verbietet. Dennoch wurden weiterhin Fälle von Rekrutierung von Kindern gemeldet, auch von SDF und einer kurdischen Jugendbewegung im Nordosten Syriens. Ende November 2024 dokumentierte die SNHR Operationen des ehemaligen Regimes zur Einberufung junger Männer und Jungen mit dem Ziel, sie nach Nordsyrien zu entsenden.
d) Zugang zu Bildung
Ab Januar 2025 gab es in Syrien etwa 2,4 Millionen Kinder, die die Schule verlassen hatten, und eine weitere Million, die vom Schulabbruch bedroht war. Seit Ende November 2024 wurde die Schulbildung für rund 230.000 Kinder im Nordosten Syriens aufgrund anhaltender Konflikte unterbrochen. Außerhalb der Schule waren Kinder einem erhöhten Risiko von Kinderarbeit und Kinderehen sowie Menschenhandel und Rekrutierung ausgesetzt. In einem Bericht des UNOCHA vom Januar 2025 heißt es, dass mehr als 5.200 Schulen beschädigt sind und keine Ausrüstung haben. Während die Bildung kostenlos ist, haben einige Familien negativen Bewältigungsmechanismen, die sich auf den Schulbesuch von Kindern auswirken, Priorität eingeräumt. Im Dezember 2024 berichteten die Vereinten Nationen, dass die Schulen zwar in ganz Syrien wiedereröffnet wurden, die „volatile Sicherheitslage“ jedoch den Schulbesuch in einigen Gebieten beeinträchtigte. Der Zugang zu den Schulen wurde durch nicht explodierte Kriegsreste erschwert. Einige Schulen sind nach der Offensive gegen Präsident Baschar al-Assad am 8. Dezember 2024 zu Unterkünften für neu Vertriebene geworden. Etwa 68.000 Kinder in Aleppo und anderen Gouvernements konnten keine Schule besuchen, da viele Schulen als Sammelunterkünfte für Vertriebene genutzt wurden.
Nach Angaben der International Crisis Group „setzten Interimsbeamte im Eiltempo Änderungen des Lehrplans für islamische Bildung durch.“ Im Januar 2025 wiesen Quellen darauf hin, dass die Behörden Änderungen des Lehrplans für Schulen einführten, ohne die Gesellschaft in den Prozess einzubeziehen, und in einigen Fällen Verweise auf das Assad-Regime durch religiöse Texte ersetzten.
1.3.7. LGBTIQ-Personen (S.41-42)
a) Rechtsrahmen
Nach Artikel 520 des Strafgesetzbuchs von 1949 ist „unnatürlicher Geschlechtsverkehr“ eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bedroht ist und sowohl für Männer als auch für Frauen gilt. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts deuten Quellen darauf hin, dass noch nicht klar ist, wie die neuen Behörden zu gleichgeschlechtlichen Beziehungen stehen. Bei einem Treffen mit Journalisten im Dezember 2024 wies Mohamed Khaled vom politischen Büro des HTS darauf hin, dass die Behandlung von LGBTIQ-Personen eines der Themen ist, die von der neuen Regierung erörtert werden. BBC News berichtete, dass die neuen Behörden „in Gewalt und Verfolgung gegen Schwule verwickelt sind“, und ILGA wies darauf hin, dass „einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen weiterhin kriminalisiert werden“.
b) Behandlung durch staatliche Behörden, Familie und Gesellschaft
Quellen haben Missbrauch von LGBTIQ-Personen während des syrischen Konflikts durch staatliche und nichtstaatliche Akteure dokumentiert. Darüber hinaus besteht laut Freedom House die Gefahr, dass Personen, die im Verdacht stehen, gleichgeschlechtliche Beziehungen zu haben, in Gebieten hingerichtet werden, die von extremistischen Gruppen gehalten werden. Quellen deuten darauf hin, dass Homophobie in der syrischen Gesellschaft weit verbreitet ist, auch unter Familienmitgliedern, religiösen Gruppen und der Gesellschaft insgesamt.
Im Jahr 2024 wurde eine syrische Transgender-Frau aus der Türkei in den Nordwesten Syriens deportiert und von türkisch unterstützten bewaffneten Gruppen in Zusammenarbeit mit ihrer Familie getötet. Im Februar 2025 berichteten Quellen über Angriffe auf Transgender-Personen in Syrien. Videos, die online kursierten, zeigten Berichten zufolge eine Kampagne der syrischen Behörden, die sich gegen Transgender-Personen zur Verhaftung richtete. Laut „einer anonymen Sicherheitsquelle in der Regierung von Damaskus“, die von der Jerusalem Post befragt wurde, bestand das Ziel der Operation darin, „diesen Menschen zu vermitteln, dass sie nicht ungezwungen in Erscheinung treten und ihre Aktivitäten in der Öffentlichkeit einstellen sollten.“ Laut einem Artikel der Guardians of Equality Movement (GEM), der ersten syrischen LGBTIQ-Organisation, wurden seit Dezember 2025 bewaffnete Gruppen, die mit den neuen Behörden verbunden sind, sowie nichtstaatliche Akteure in schwere Verstöße gegen LGBTIQ-Personen verwickelt, darunter „Vergewaltigung durch Dating-Apps, Hausdurchsuchungen, Entführungen, willkürliche Festnahmen, Folter, Demütigung, Androhung körperlicher Gewalt und Entstellung sowie andere gefährliche Praktiken wie erzwungenes Filmen und öffentliche Beschämung“. Die GEM wies auch darauf hin, dass „die Gesellschaft zu einer Hauptquelle der Gewalt gegen LGBTQIA+-Personen geworden ist“, während die Behörden sie nicht unterstützt haben.
[…]
4.5.5. Vertreibung und Rückkehr (S.89-91)
Die Zahl der Personen, die seit dem 27. November 2024 durch Konflikte neu vertrieben wurden, verzeichnete eine anfängliche große Welle, die am 12. Dezember mit 1,1 Millionen Menschen ihren Höhepunkt erreichte. Diese anfänglichen Vertreibungen, die von der Angst vor dem eskalierenden bewaffneten Konflikt getrieben wurden, wurden hauptsächlich in Hama und Aleppo, einschließlich der Stadt Aleppo, im Westen Aleppos und insbesondere in Tall Rifaat und Manbij, nach der Übernahme der beiden Städte durch von der Türkei unterstützte bewaffnete Fraktionen verzeichnet.
UN-Quellen schätzten anschließend die Zahl der seit Ende November 2024 neu vertriebenen Flüchtlinge, die am 18. Dezember 2024 auf 859.460, am 10. Januar 2025 auf rund 627.000 und am 5. Februar 2025 auf 650.000 zurückblieben. Anfang 2025 stellte das UNOCHA zusätzliche Wellen von konfliktbedingten Vertreibungen aus dem Gebiet von Manbij fest, mit bis zu 15.000 Vertreibungen Mitte Januar 2025, gefolgt von mehr als 25.000 Vertreibungen im selben Monat. Quellen schätzten die Zahl der Menschen, die Anfang Dezember 2024 vor der SNA-Offensive in Nordsyrien geflohen waren, auf 100.000 bis 120.000.
Nach dem Sturz Assads zogen zurückkehrende Binnenvertriebene in Gebiete, die zuvor von der ehemaligen Regierung kontrolliert wurden, darunter Aleppo, Hama, Homs und Damaskus. UN-Quellen schätzen, dass die Zahl der neu vertriebenen Menschen, die in ihre Heimatbasen zurückkehren, bis zum 10. Januar 2025 auf mehr als 522.000 gestiegen ist. Gleichzeitig blieben die Rückführungsbewegungen aus Binnenvertriebenenlagern „stabil, aber minimal“, wobei der Cluster „Camp Coordination and Camp Management“ (CCCM) Ende Januar 2025 angab, dass seit dem 3. Dezember 2024 rund 57 000 Menschen aus den Lagern abgereist seien. Diese Rückkehrer bestanden hauptsächlich aus einzelnen Familien oder Männern, die zurückkehrten, um sich mit ihren Familien zu vereinigen oder den Zustand ihrer Häuser zu beurteilen.
Schätzungen des UNHCR zufolge waren bis zum 26. Februar 2025 schätzungsweise 885.294 Binnenvertriebene zurückgekehrt, während etwa 7,4 Millionen Binnenvertriebene blieben. Die Gouvernements mit dem größten Anteil an Binnenvertriebenen waren Aleppo mit 425.705 Binnenvertriebenen, gefolgt von Hama mit 155.561 und Idlib mit 116.053 Binnenvertriebenen.
Wie das UNOCHA feststellte, betrafen die gemeldeten Bedenken, die die Rückkehrentscheidungen von Binnenvertriebenen beeinflussten, die Zerstörung von Eigentum, unzureichende Infrastruktur, Unsicherheit sowie den Zugang zu Zivildokumenten und Justizdiensten, einschließlich Dokumenten zu Wohn-, Grundstücks-und Eigentumsrechten (nicht alle Zivilregister und Gerichte waren Ende Januar 2025 in Betrieb). Ein weiteres kritisches Problem, das aufgeworfen wurde, war die Kontamination mit nicht explodierten Kriegsresten.
4.5.6. Rückkehr aus dem Ausland (S.91-92)
Nach Schätzungen des UNHCR kehrten zwischen dem 8. Dezember 2024 und Ende Februar 2025 etwa 297.292 Syrer aus dem Ausland nach Syrien zurück. Von diesen Flüchtlingen kehrten 53 % aus dem Libanon, 25 % aus der Türkei und 14 % aus Jordanien zurück. Bei der freiwilligen Rückkehr aus der Türkei, die sich nach Angaben der türkischen Regierung zum 30. Dezember 2024 auf 35.114 belief, handelte es sich hauptsächlich um Syrer, die allein zurückkehrten, einschließlich Personen, die vor der Wiedervereinigung mit ihren Familien die Lage in Syrien beurteilen wollten.
Nach Angaben des UNHCR waren von Anfang 2024 bis Ende Februar 2025 die Gouvernements, in welche Rückkehrer hauptsächlich heimkehrten Aleppo (mit schätzungsweise 143.680 Rückkehrern) und Raqqa (112.951 Rückkehrern), gefolgt von Dar’a (72.007), Homs (69.624), Rural Damascus (62.738) und Idlib (46.273).
Es ist nicht klar, ob jede Rückkehr dauerhaft ist. Laut einem Bericht von Refugees International kehren viele Syrer zurück, um ihre Grundstücke zu begutachten, die Sicherheit und die wirtschaftlichen Bedingungen nach dem Zusammenbruch des Assad-Regimes zu bewerten oder sich mit ihrer Familie wieder zu vereinigen. Für andere ist die Rückkehr eher eine Notwendigkeit als eine Wahl, da die sich verschlechternden Bedingungen in den Aufnahmeländern – gekennzeichnet durch wirtschaftliche Not, steigende Lebenshaltungskosten und begrenzte Möglichkeiten – das Leben zunehmend untragbar gemacht haben.
[…]“
2. Beweiswürdigung:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführerin (Staatsangehörigkeit, Geburtsdatum und Geburtsort) stützen sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin in Verbindung mit dem im Akt in Kopie aufliegenden syrischen Personalausweis, den die Beschwerdeführerin bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA im Original in Vorlage brachte. (Aktenseite [in Folge: AS] AS 41, AS 45, AS 71). Bei dem Dokument handelt es sich laut dem Untersuchungsbericht der Landespolizeidirektion XXXX um ein Originaldokument, bei dem keine Änderungen in den Ausfüllschriften bzw. eine Auswechslung des Lichtbildes festgestellt werden konnten (AS 113).
Ihre Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie ihre Sprachkenntnisse konnten basierend auf ihren Aussagen in der Erstbefragung, vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht sowie dem Umstand, dass diese unter Beiziehung von Dolmetschern in der Sprache Arabisch durchgeführt wurden, festgestellt werden (AS 4, AS 95, Verhandlungsprotokoll [in Folge: VHP] VHP S. 3).
2.1.2. Vor dem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes, dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht führte die Beschwerdeführerin durchgehend gleichbleibend an, im Dorf XXXX zu Welt gekommen und aufgewachsen zu sein. (AS 3, AS 45, VHP S. 20).
Die Feststellungen zu ihren Aufenthaltsorten in Syrien und der Türkei beruhen auf ihren Schilderungen in der Einvernahme durch das BFA und in der Beschwerdeverhandlung (AS 6, AS 97, VHP S. 24).
Es konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Nebendorf XXXX für zwei Jahre gewesen sei, bevor sie nach XXXX zurückkehrte und die neunte Klasse besuchte. Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin dies in der Beschwerdeverhandlung selbst anführte (VHP S. 24), jedoch erscheint es nicht plausibel, warum die Beschwerdeführerin den Aufenthalt im Nebendorf nicht vor dem BFA auf die Frage nach ihren Lebensumständen in Syrien ansatzweise dargelegt hat. Vielmehr gab sie vor der belangten Behörde an, vor November 2019 sich stets durchgängig in XXXX aufgehalten zu haben (AS 97)
2.1.3. Die Feststellungen zur Schulbildung der Beschwerdeführerin gründen sich auf ihre diesbezüglichen Angaben in der Erstbefragung, der Einvernahme sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 4, AS 67, AS 97, VHP S. 24) und auf das vorgelegte Grundschulzeugnis in Kopie (AS 89, AS 91). Die Feststellung zur Finanzierung des Lebensunterhalts in Syrien und der Türkei basieren auf den diesbezüglich gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Verfahren.
2.1.4. Die Feststellungen zum Personenstand, zur Kinderlosigkeit und zur familiären Situation der Beschwerdeführerin in Syrien und in der Türkei stützen sich auf ihre getätigten Aussagen in der Erstbefragung, vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung in Zusammenschau mit dem vorgelegten Personalausweis und dem Familienregisterauszug, welche vor dem Bundesverwaltungsgericht von der bestellten Dolmetscherin übersetzt wurden (AS 3, AS 45, AS99, AS 105, VHP S. 22ff.).
Die Beschwerdeführerin führte außerdem in der Einvernahme und vor dem Bundesverwaltungsgericht an, mit ihrer Familie in Syrien regelmäßig in Kontakt zu stehen (AS 99, VHP S. 25).
2.1.5. Die Ausreise sowie Fluchtroute der Beschwerdeführerin wurde auf Basis ihrer Angaben in der Erstbefragung und in der Einvernahme durch das BFA festgestellt (AS 7, AS 103).
Der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz beruht auf dem Protokoll der Erstbefragung (AS 4). Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführerin in Österreich subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, gründet sich auf den verfahrensgegenständlichen Bescheid (AS 129).
2.1.6. Die strafgerichtliche Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin in Österreich kann dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszug entnommen werden. Die Feststellung zum Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin gründet sich auf ihre gleichlautenden und unwiderlegt gebliebenen Angaben in der Einvernahme und in der Beschwerdeverhandlung und stützt sich zusätzlich auf den Umstand, dass keine medizinischen Unterlagen vorgelegt wurden, aus welchen Gegenteiliges hervorgehen würde. (AS 6, AS 95, VHP S. 5 und VHP S. 20).
2.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
2.2.1. Die Feststellung zu den Einfluss- und Kontrollverhältnissen im Herkunftsort der Beschwerdeführerin stützen sich auf die diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin in Verbindung mit den diesbezüglichen Angaben der Länderinformation, der Einsichtnahme in die tagesaktuelle Karte der SyriaLive Map (https://syria.liveuamap.com/) (siehe VHP S. 12) in Übereinstimmung mit den aktuellen Informationen nach dem Zerfall des Assad-Regimes im Dezember 2024, die durch die mediale Berichterstattung notorisch bekannt sind.
Die Feststellung, dass nach dem Sturz des Regimes unter Bashar al-Assad das Regime keine Zugriffsmöglichkeit auf die Herkunftsregion der Beschwerdeführerin hat, beruht auf dem Umstand, dass betreffendes Regime nach dem Sturz keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt mehr in Syrien hat (vgl. unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.3.). Auch die SyriaLive Map weist keinerlei Gebiete unter der Führung der vormaligen syrischen Regierung unter Bashar al-Assad mehr auf. Wie oben dargelegt, liegt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt die Herkunftsregion der Beschwerdeführerin unter der Kontrolle der HTS; eine gegenteilige Annahme ist anhand der zur Verfügung stehenden Länderinformationen nicht möglich. Ausgehend von den oben zitierten Länderfeststellungen zeichnet sich in der zu treffenden Prognose eine zeitnahe und großflächige Rückeroberung der Herkunftsregion der Beschwerdeführerin durch das vormalige syrische Regime aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ab.
Eingangs ist festzuhalten, dass das Gericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und aufgrund des persönlichen Eindrucks der Beschwerdeführerin insgesamt davon ausgeht, dass ihr hinsichtlich ihres Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukommt. Die Beschwerdeführerin präsentierte im gesamten Verfahren nur bloße Rahmengeschichten, ohne auf konkrete Vorfälle spezifisch einzugehen. Dass die Beschwerdeführerin die Ereignisse jedoch in derart unspezifischen Weise vorbringen würde, wäre allerdings nicht anzunehmen, hätten sich die Ereignisse tatsächlich so zugetragen und wären sie von fluchtauslösender Intensität.
Insbesondere der Umstand, dass die Beschwerdeführerin durchgehend widersprüchliche Angaben bezüglich des konkreten Ausreisjahres aus Syrien tätigte, mindert die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin. In der Erstbefragung nannte die Beschwerdeführerin das Ausreisejahr aus Syrien mit 2020 (AS 6), im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA und der Datenaufnahme im Vorfeld widersprach sich die Beschwerdeführerin dahingehend, indem sie zu Beginn Anfang 2021 (AS 63) und im späteren Verlauf Anfang 2022 als Jahr anführte, in dem sie aus Syrien ausgereist sei (AS 97). Vor dem Bundesverwaltungsgericht gab die Beschwerdeführerin auf die Frage, wann sie sich zuletzt in Syrien aufgehalten habe, wenig überzeugend an, dass sie glaube, dass dies 2021 gewesen sei, sich jedoch nicht erinnern könne (VHP S. 9)
Punkt 9.3 Wann und womit haben Sie Ihre/n Heimat/Herkunftsstaat/Aufenthalt verlassen? – Abreise aus Wohnort: Im Jahr 2020. (vgl. AS 6)
F: Wann waren Sie zuletzt in Syrien aufhältig?
A: Im Jahr 2022.
F: Wann genau?
A: Ich glaube im Jänner und Februar 2022.
F: Bei der heutigen Datenaufnahme haben Sie angegeben, dass Sie bis Anfang 2021 in Syrien aufhältig waren. Was sagen Sie dazu?
A: Es tut mir leid, ich habe es falsch angegeben.“ (vgl. AS 97)
R: Wann gaben Sie sich zuletzt in Syrien aufgehalten?
BF: Ich glaube, das war im Jahr 2021, aber ich kann mich nicht mehr genau erinnern.“ (vgl. VHP S. 29)
Dass die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren mehrmals divergierende Jahreszahlen bezüglich des Ausreisejahres, einem einschneidenden Zeitpunkt tätigte, erscheint nicht nachvollziehbar, zumal die Beschwerdeführerin die Niederschriften und Protokolle nach Rückübersetzung hinsichtlich ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit unterschrieben hat und von sich aus nicht berichtigte (AS 9, AS 67, AS 107, VHP S. 31). Zudem wurde sie im Vorfeld der Einvernahme vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht dahingehend belehrt, stets wahrheitsgemäße Antworten abzugeben.
2.2.2. Zum Regime und zur Reflexverfolgung:
Die Beschwerdeführerin stützte ihr Asylvorbringen in der Erstbefragung und im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA im Wesentlichen auf vage Schilderungen, dass aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in Syrien, insbesondere als Frau, ein friedliches Leben schwer zu führen sei, zumal es immer wieder zu sexuellen Übergriffen oder Entführungen komme (AS 8, AS 99ff.). Festgehalten wird, dass die Beschwerdeführerin in keinerlei Weise anführte, dass sie explizit jemals von staatlicher Seite aufgrund ihrer politischen Gesinnung, Rasse, Religion, Nationalität oder Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden sei und dass sie angab, niemals in ihrer Heimat Probleme gehabt zu haben. Auch verneinte sie, im Falle einer Rückkehr, Probleme mit Polizei oder Behörden zu befürchten (AS 101).
Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erstmals davon berichtete, dass sie von Militärkräften, welche ihr damaliges Familienhaus aufgesucht und nach ihren Brüdern gefragt hätten, geschlagen worden sei, erscheint aus mehreren Gründen nicht glaubhaft (VHP S. 21). Zum einen, weil sie nur pauschale und vage Schilderungen zum konkreten Vorfall und der vermeintlichen Amtshandlung geben konnte, etwa darüber, wo sich ein Großteil ihrer Familienmitglieder zum damaligen Zeitpunkt aufhielt. Zum anderen ist es nicht nachvollziehbar, weshalb die Beschwerdeführerin ein derart einschneidendes Ereignis nicht in der Erstbefragung, spätestens jedoch vor dem BFA, erwähnte.
„R: Inwiefern wurden Sie seitens des Regimes bedroht?
BF: Ich war damals im Familienhaus, als die Militärkräfte zu uns nach Hause kamen. Sie haben nach meinen Brüdern gefragt, die im Ausland waren. Als ich dann gesagt habe, dass mich nichts angeht und dass ich nicht mit meinen Brüdern zu tun habe, haben sie mich als vorlaut empfunden und mich geschlagen, weil ich sozusagen „frech“ geantwortet habe.“ (vgl. VHP S. 21)
Das Aussageverhalten erweckt den Eindruck, dass es konstruiert und von späteren Steigerungen geprägt ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die Beschwerdeführerin, wäre sie tatsächlich Opfer von Gewalt seitens der syrischen Streitkräfte gewesen, dies bereits bei der ersten Gelegenheit erwähnt hätte und nicht die Furcht vor dem Krieg und der allgemeinen Lage in Syrien in den Vordergrund gestellt hätte.
Des Weiteren ist festzuhalten, dass - wie bereits ausgeführt - die Beschwerdeführerin aus einem Gebiet stammt, das nach der Machtübernahme durch die HTS nicht mehr unter der Kontrolle des Assad-Regimes steht. Das vormalige Regime in Syrien verfügt zudem nicht mehr über die notwendigen Macht- und Kontrollbefugnisse sowie personellen Ressourcen, um etwaige regimekritische Personen zu verfolgen.
Demzufolge ist das Vorbringen in der Beschwerde, wonach die Beschwerdeführerin als Angehörige von Wehrdienstverweigerern und von auf Grund von Asylverfahren in Europa aufenthaltsberechtigter Brüdern einer Reflexverfolgung ausgesetzt sei, aufgrund des Sturzes des Assad-Regimes objektiv auszuschließen, zumal das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert (AS 206ff.).
Vollständigkeitshalber ist auch zu erwähnen, dass sich aus den Angaben der Beschwerdeführerin ergibt, dass ihre Familie in Syrien – bestehend aus ihren Eltern, zwei Brüdern und zwei Schwestern – ein unbehelligtes Leben führt und keinerlei Verfolgungsmaßnahmen oder Repressalien aufgrund der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder oder deren Aufenthalt in Europa ausgesetzt ist.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit zu Wehrdienstverweigerern und zu auf Grund von Asylverfahren aufenthaltsberechtigten Personen in Europa keine Verfolgung durch das vormalige syrische Regime droht, fußt sohin auf dem Umstand, dass nach dem Sturz des syrischen Regimes unter der Führung von Bashar al-Assad betreffendes Regime keine Gebiets- und Herrschaftsgewalt in Syrien mehr hat (vgl. Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.3.). Auch die SyriaLiveMap weist keinerlei Gebiete unter der Führung der vormaligen syrischen Regierung unter Bashar al-Assad mehr auf. Wie oben dargelegt, liegt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt die Herkunftsregion der Beschwerdeführerin unter der Kontrolle der HTS; eine gegenteilige Annahme ist anhand der zur Verfügung stehenden Länderinformationen nicht möglich. Ausgehend von den oben zitierten Länderfeststellungen zeichnet sich auch – wie bereits dargelegt – in der zutreffenden Prognose eine zeitnahe und großflächige Rückeroberung der Herkunftsregion der Bescherwerdeführerin durch das vormalige syrische Regime aktuell nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ab. Zudem wurden die syrische Armee und der Geheimdienst von der HTS nach der Machtübernahme aufgelöst (vgl. hierzu die Feststellungen unter Punkt II.1.3.2. sowie II.1.3.3.).
Ebenso beruht die Feststellung, dass der Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Verfolgung auf Grund ihrer Herkunft, ihres Aufenthalts in oppositionellen Gebieten, der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung im Ausland oder aus sonstigen Gründen durch das vormalige syrische Regime droht, auf der Berichtslage, wonach der syrische Präsident Bashar al-Assad nach seinem Sturz am 08.12.2024 aus Syrien geflüchtet ist und dessen Regime seither nicht mehr existiert. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus dem Vorbringen keine Gefährdung im Falle einer (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat ableiten und ist eine reale Gefahr einer sonstigen, konkret und gezielt gegen ihre Person gerichteten Verfolgung durch das Regime nicht gegeben.
Die Feststellung, dass es im Falle einer Rückkehr nicht maßgeblich wahrscheinlich ist, dass die Beschwerdeführerin durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes Verfolgung zu gewärtigen hat, beruht auf den Länderberichten, wonach Angehörige des syrischen Regimes massenweise flohen oder desertierten (vgl. unter Punkt II.1.3.3.). Zudem wurden die syrische Armee und der Geheimdienst des vormaligen syrischen Regimes aufgelöst und ist eine grundlegende Neuorganisation angekündigt worden. Neueren Berichten ist ebenso zu entnehmen, dass die neuen Machthaber rigoros gegen Assad-treue Milizen vorgehen. Wie aus der ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025 zu entnehmen ist, haben Polizisten die vor dem Sturz des Assad-Regime nicht zu den Rebellen übergelaufen sind, einen „Aussöhnungsprozess“ zu durchlaufen. In diesem haben sie den Regierungswechsel anzuerkennen und müssen ihre Waffe abgeben (vgl. ACCORD Anfragebeantwortung vom 21.03.2025). Insgesamt war somit festzustellen, dass die Beschwerdeführerin nicht Gefahr läuft im Falle einer Rückkehr Verfolgung durch Anhänger des vormaligen syrischen Regimes ausgesetzt zu sein.
Auch sonst sind im Verfahren keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach die Beschwerdeführerin auf Grund der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder und deren Aufenthalt in Europa durch eine andere Gruppierung Verfolgung zu gewärtigen hat (siehe hierzu auch die Ausführungen unter II.2.2.5.).
2.2.3. Die Feststellung, dass es sich bei der Beschwerdeführerin nicht um eine (de facto) alleinstehende Frau handelt, fußt auf dem Umstand, dass in Syrien sowohl der Vater als auch zwei ihrer Brüder, einer davon volljährig, leben (AS 4 ff, AS 65ff, AS 105, VHP S.25). Zudem verfügt die Familie noch über das Familienhaus als Grundstück (AS 99, VHP S.25). Zusammenfassend würde die Beschwerdeführerin jedenfalls unter dem Schutz ihrer Familie, mit der sie auch in Kontakt steht, stehen. Ebenso ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt bis hin zur Flucht, dem Aufenthalt in der Türkei und in Österreich durchgehend eine männliche Bezugsperson innehatte, welche für ihren Lebensunterhalt gesorgt hat und nie alleine gelassen wurde (vgl. VHP S. 24, 25).
2.2.4. Dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit geschlechtsspezifische Gewalt oder Entführung drohe, war nicht festzustellen. Die Beschwerdeführerin äußerte im Verfahren die pauschale und nicht weiter substantiierte Befürchtung, vergewaltigt oder entführt zu werden. Dass es bereits in der Vergangenheit zu Vergewaltigungen oder sonstigen (sexuellen) Übergriffen konkret gekommen ist, brachte die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren nicht vor.
Wenn die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 25.03.2025 erstmals konkret die geschlechterspezifische Verfolgung durch die HTS ins Treffen führt, ist dem entgegenzuhalten, dass hinsichtlich der Beschwerdeführerin und auch ihrer in Syrien lebenden Schwestern keine Hinweise bezüglich einer asylrelevanten Gruppierung aufgekommen sind. Insbesondere war die Beschwerdeführerin niemals politisch aktiv, Mitglied einer politischen Partei oder hat sich in irgendeiner Weise oppositionell gegen die Gruppierung engagiert (AS 101, VHP S. 28)
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass Frauen in Syrien einem erhöhten Risiko von Gewalt, sexueller Ausbeutung und Zwangsheirat ausgesetzt sind. Diese Risiken betreffen jedoch vor allem Witwen, geschiedene Frauen, Menschen mit Behinderungen und (minderjährige) Mädchen, die keinen männlichen Beschützer haben.
Den festgestellten Länderberichten zufolge sind Frauen seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien Menschenrechtsverletzungen und insbesondere sexueller Gewalt durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgesetzt. Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektivem Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat, häusliche Gewalt und Vergewaltigung.
Dass Frauen in Syrien jedoch einer systematischen Verfolgung ausgesetzt wären, ist vor dem Hintergrund der Länderinformationen im Übrigen jedoch nicht zu objektivieren. Den Länderinformationen kann betreffend Frauen in Syrien entnommen werden, dass die Lage der Frauen prekär ist und Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Kampfhandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden. Eine systematische Verfolgung von Frauen, schon alleine aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit, kann den Länderinformationen jedoch nicht entnommen werden.
Es sei an dieser Stelle neuerlich darauf hingewiesen, dass es sich bei der Beschwerdeführerin nicht um eine (de facto) alleinstehende Frau handelt, sondern dass diese vielmehr auf den Schutz ihrer männlichen Familienangehörigen, insbesondere ihres Vaters, zurückgreifen kann.
Zu der erst in der Beschwerde vorgebrachten drohenden Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen in Syrien ist auszuführen, dass es sich um ein völlig unsubstantiiertes, allgemein-gehaltenes wie auch pauschales Vorbringen handelt.
Dass Frauen und Mädchen in Syrien einer systematischen Verfolgung ausgesetzt wären, ist vor dem Hintergrund der Länderinformationen im Übrigen nicht zu objektivieren. Seit dem Machtwechsel ist im Gegenteil eher anzunehmen, dass die nun die syrische Regierung stellende HTS, die – wie den Länderberichten zu entnehmen – unter internationaler Beobachtung steht, betreffend die Beschneidung von Frauenrechten zurückhaltender agieren wird als bisher. Dies bestätigt sich zumindest durch erste Aussagen der neuen Regierenden: So versicherte die HTS-geführte Opposition vor kurzem, Frauen keine Bekleidungsvorschriften auferlegen zu wollen (vgl. unter Punkt II.1.3.3.). Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur aktuellen Lage von Frauen in Syrien haben sich jedenfalls keine ausreichenden Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Fall ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen, im gesamten Staatsgebiet Syriens einer systematischen asylrelevanten (Gruppen-)Verfolgung ausgesetzt zu sein. Ein spezifisches Risikoprofil, welches auf eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen hinweist, weist die Beschwerdeführerin nicht auf.
Im gesamten Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Aufenthalts in Österreich eine westliche Orientierung vorgeworfen wird und sie dadurch einer Verfolgung ausgesetzt sein könnte. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beantragen, wenn sie aufgrund ihres gelebten „westlich“ orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat einer Verfolgung ausgesetzt wären (vgl. etwa VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018, mwN). Ein „westlich“ orientierter Lebensstil bedeutet hier, dass Frauen ihre Grundrechte anerkennen, in Anspruch nehmen und ausüben, was zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität wird. Voraussetzung ist, dass dieses Verhalten so tief in ihre Identität integriert ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, es im Heimatland zu unterdrücken, um einer drohenden Verfolgung zu entgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verfolgung vom Heimatsstaat ausgeht; auch private Verfolgung kann insoweit maßgeblich sein, wenn der Heimatstaat nicht in der Lage oder gewillt ist, Schutz zu gewähren.
Es kann im gegenständlichen Fall jedoch insgesamt nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres relativ kurzen Aufenthalts in Österreich bereits einen „westlich“ orientierten Lebensstil entwickelt hat, der ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist. Die Beschwerdeführerin gibt in der mündlichen Verhandlung lediglich an, aufgrund ihrer „Verwestlichung“ einer Verfolgung ausgesetzt zu sein, ohne jedoch detailliert darzulegen, in welcher Form sie einen westlichen Lebensstil führt. Allein der Aufenthalt in Europa begründet keine „Verwestlichung“. Ihr Vorbringen bleibt unkonkret und stereotyp, ohne spezifische, als ‚westlich‘ erachtete Verhaltensweisen zu nennen, die für sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien zu einer asylrelevanten Verfolgung führen würden und die ein so wesentlicher Bestandteil ihrer Identität wären, dass es für sie eine Verfolgung bedeuten würde, diese zu unterdrücken.
Im Rahmen ihrer Beschwerdeverhandlung beschrieb die Beschwerdeführerin ihre westliche Orientierung wie folgt:
„Man wird in Syrien als Frau diskriminiert, man hat keine Rechte. Ich hatte dort keine Aussicht, meine Ausbildung zu beenden. In Syrien gibt es neue Regelungen, wonach in Verkehrsmitteln entweder nur Frauen oder nur Männer fahren dürfen – gemischte Geschlechter sind nicht erlaubt. Ich bin mir sicher, dass man mir vorschreiben wird, mich nach der Sharia zu kleiden. Das will ich nicht, ich möchte mich so kleiden, wie ich es möchte. In Syrien habe ich keinen Schutz, hier in Österreich habe ich wenigstens Schutz durch die Republik. Ich habe dort kein Leben.“
Anmerkung: Die Beschwerdeführerin trägt einen Hijab.
„Was meinen Sie, Sie wollen sich nicht nach der Sharia kleiden? Sie tragen ein Kopftuch.
BF: Ich meine damit, dass die neue Regierung Frauen drängt, einen Niqab zu tragen. Das ist eine vollständige Verschleierung, bei der nur die Augen sichtbar sind. Es ist eine Abaya, ein langes schwarzes Kleid, das nicht figurbetont ist. Auf jeden Fall nicht, wie ich heute gekleidet bin.“ (vgl. VHP S. 26)
Es lässt sich daher aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin nicht feststellen, dass dies eine „westliche Orientierung“ oder ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, der im Falle einer Rückkehr zu einer Verfolgung führen würde. Im Übrigen gilt es auf die obigen Ausführungen zu verweisen, wonach die HTS nach der derzeitigen Berichtslage Frauen keine Bekleidungsvorschriften auferlegt.
Im gesamten Verfahren haben sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass die Beschwerdeführerin aufgrund ihres Aufenthalts in Österreich eine westliche Orientierung vorgeworfen wird und sie bei Rückkehr in ihre Heimat einer Gefahr ausgesetzt sein würde.
2.2.5. Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine Gefährdung von Seiten der syrischen Konfliktparteien, insbesondere der aktuellen Machthaber (HTS):
Aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ergeben sich keine Anhaltspunkte, die darauf schließen lassen würden, dass die Beschwerdeführerin in der Vergangenheit in das Blickfeld einer der syrischen Konfliktparteien geraten wäre oder ein Verhalten gesetzt hätte, auf Grund dessen ihr im Falle der Rückkehr in den Herkunftsstaat von einer Konfliktpartei (insbesondere der HTS) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit als politische Gegnerin wahrgenommen würde.
So gab die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren übereinstimmend an, nicht politisch aktiv und kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen politischen Gruppierung zu sein. Auch eine Demonstrationsteilnahme wurde explizit verneint (vgl. AS 99f, VHP S. 28).
Dass die Beschwerdeführerin oder ihre Familie demgegenüber öffentlich gegen die HTS oder einen anderen aktuellen Akteur in Syrien in Erscheinung getreten wären oder eine verinnerlichte politische Überzeugung gegen die HTS oder einen anderen Akteur in Syrien einnehmen würden, wurde von der Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren nicht ansatzweise behauptet.
Die Familienangehörigen der Beschwerdeführerin sind nicht mit Bedrohungen durch HTS oder andere bewaffnete Gruppierungen konfrontiert. Zu diesen steht die Beschwerdeführerin ihren Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht nach in Kontakt. Auf Grund der aufrechten familiären Bindung zu ihren nach wie vor im Herkunftsstaat lebenden Angehörigen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin von etwaigen gegen diese gerichteten Verfolgungsbedrohungen oder –handlungen Kenntnis haben müsste. Im Verfahren sind allerdings vonseiten der Beschwerdeführerin keine derartigen Schilderungen getätigt worden (VHP S. 25ff): „R: Haben Sie Kontakt zu Ihren in Syrien lebenden Familienangehörigen?
BF: Ab und zu, sie haben nicht immer eine Internetverbindung. Nur an einer gewissen Stelle gibt es Internet und wenn sie dorthin gehen können wir miteinander reden.
R: Wie geht es Ihren Familienangehörigen? Wovon leben sie?
BF: Sehr schlecht, mein Vater war Fleischhauer, aber weil es keinen Strom gibt, kann er seine Arbeit nicht mehr verrichten. Sie leben von Unterstützungen.
R: Hat Ihre Familie Ihnen etwas über die aktuellen Ereignisse aus ihrer Sicht geschildert? Wie hat Ihre Familie diese Umbrüche erlebt?
BF: Nicht ganz, sie haben mir nur erzählt was derzeit vor Ort passiert, mehr nicht.
R: Was passiert denn vor Ort?
BF: Jeder vor Ort ist bewaffnet, es ist nicht sicher, weil es noch keine fixe Regierung gibt, dass derzeit willkürliche Tötungen stattfinden und sich jeder an jedem rächt. In unserem Dorf gab es Minen und dabei sind drei kleine Kinder ums Leben gekommen, weil sie über diese gelaufen sind. Es gibt keine Absperre und es gibt keine Zeichen, dass man da lieber nicht hingehe sollte. Es ist ganz unsicher vor Ort.
R: Werden Ihre Familienangehörigen verfolgt oder persönlich bedroht?
BF: Nein, derzeit nicht.
R: Sind Sie nach Ihnen gefragt worden?
BF: Nein.
[…]
R: War ihre Familie politisch aktiv?
BF: Nein.
R: Ist Ihre Familie gegenwärtig politisch aktiv?
BF: Nein, sie sind ganz normale Bürger.“
Im Übrigen wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen.
Sohin finden sich keine ausreichend validen Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführerin mit verfahrensrelevanter Wahrscheinlichkeit unmittelbar konkret gefährdet ist, im Falle der (hypothetischen) Rückkehr in den Herkunftsstaat in das Blickfeld der HTS oder einer sonstigen Konfliktpartei zu geraten und von dieser wegen einer ihr zugeschriebenen oppositionellen Gesinnung unmittelbar und konkret persönlich verfolgt zu werden.
Wenn die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht angibt, dass ihr Onkel und ihre Tanten durch den IS inhaftiert und getötet worden seien, so ist dem entgegenzuhalten, dass auffällig ist, dass die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren detaillierte Schilderungen zur Person, zu den Umständen und den Gründen sowie dem Zeitpunkt der Inhaftierung ausgespart hat (VHP S. 27).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA vorbrachte, dass ihr Onkel XXXX im Jahr 2014 festgenommen worden sei und die Familie bis dato keine Informationen über ihn habe (AS 99). In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht führte die Beschwerdeführerin dahingehend befragt aus, dass die Familie wüsste, dass ihr Onkel aufgrund des Verdachts auf Terrorismus getötet worden sei und auch der Cousin ihres Vaters im Rahmen eines Interviews genau geschildert habe, wie es zum Tod gekommen sei (VHP S. 26), unterließ es jedoch, detailliertere und nachvollziehbare Angaben zur Festnahme anzuführen.
„R: In der Einvernahme vor dem BFA haben Sie gesagt, dass Ihr Onkel XXXX festgenommen wurde und Sie bis heute nichts von ihm wissen. Wer hat ihn festgenommen?
BF: Die Regierung hat ihn damals festgenommen und wir wissen, dass er getötet worden ist durch die Regierung. Sein Name war ersichtlich, nachdem die Gefängnisse, vor allem das Gefängnis Sadnaya, geleert wurden.
R: Weshalb wurde er festgenommen?
BF: Ihm wurde unterstellt, dass er ein Terrorist sei, obwohl er keiner war. Nicht nur er wurde damals inhaftiert, allein aus unserem Dorf sind 30 bis 40 Personen inhaftiert worden. Es ist auch der Cousin meines Vaters mitinhaftiert worden, er hat bei einem Interview genau geschildert, wie mein Onkel getötet worden ist. Er hat erzählt, dass sie meinen Onkel vor einer Tür positionierten und die Tür auf und zu machten, sodass sein Gehirn schlussendlich aus seinem Kopf rausspritzte. Ich habe auch einen weiteren Onkel, der hingerichtet wurde von der Regierung.“ (vgl. VHP S. 26)
Weiters steht das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 04.12.2023, wonach ihr Onkel im Jahr 2019 vor ihren Augen vom IS umgebracht wurde (AS 99), nicht im Einklang mit dem Kartenmaterial der cartercenter.org, wonach XXXX im Jahr 2019 unter der Kontrolle des Regimes stand und der IS keinen Zugriff auf das Herkunftsgebiet hatte.
Insgesamt erweisen sich die Angaben der Beschwerdeführerin bezüglich der Inhaftierungen und Tötungen ihrer Onkel und Tanten als äußerst vage und unglaubhaft.
Unschlüssig ist zudem, dass den Länderinformationen nicht zu entnehmen ist, dass der IS in XXXX aktuell über maßgeblichen Einfluss verfügt. Der Islamische Staat hat demzufolge Ende März 2019 mit Baghouz seine letzte Bastion an die kurdischen SDF (Syrian Democratic Forces) verloren. Nach Verlust der territorialen Kontrolle verlagerte der IS seine Strategie hin zu aufständischen Methoden, wie gezielten Angriffen, Autobomben, Überfällen und Attentaten. Der IS verübt immer wieder Angriffe und Anschläge, insbesondere auf Einheiten der SDF im Nordosten sowie auf Truppen des Regimes in Zentralsyrien. Selbst in seinen Rückzugsgebieten im syrisch-irakischen Grenzgebiet sowie in Zentralsyrien kann der IS keine territoriale Kontrolle mehr ausüben.
Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr eine Gefahr durch den IS drohen würde. Insgesamt verfügt der IS unter Zugrundelegung der Länderberichte nicht über eine solche Kapazität und Präsenz in Syrien, die eine aktuell bestehende, konkret und individuell die Person der Beschwerdeführerin betreffende Verfolgungsgefahr nahelegen würde.
Bezüglich einer etwaigen Verfolgung durch iranische Milizen ist zu anzumerken, dass die Beschwerdeführerin keine konkreten Angaben dazu getätigt hat, sondern lediglich im Rahmen der Erstbefragung und vor dem BFA pauschal anführte, dass viele Schiiten aus dem Iran Kinder und kleine Mädchen vergewaltigen (AS 8) bzw. eine Freundin von ihr Ende 2022 in XXXX von iranischen Milizen entführt worden sei (AS 101).
„Warum haben Sie ihr Land verlassen? – Aufgrund des Krieges und aufgrund der vielen Schiiten aus dem Iran, welche Kinder und kleine Mädchen vergewaltigen, bin ich aus Syrien geflohen, um mir in Europa ein neues Leben aufbauen zu können.“ (vgl. AS 8)
„Was hätten Sie im Falle einer eventuellen Rückkehr in Ihre Heimat konkret zu befürchten? – Ich kann nicht zurück, es gibt keine Sicherheit, ich möchte hier in die Schule gehen. Eine Freundin von mir wurde von iranischen Milizen, vor circa einem Jahr in Deir ez-Zor entführt.“ (vgl. AS 101)
Demzufolge kommt dem allgemeinen und vagen Vorbringen über die iranischen Milizen keine asylrelevante Bedeutung zu, zumal die Verfolgung seitens der iranischen Milizen in der mündlichen Verhandlung gar nicht mehr aufgegriffen wurde.
2.2.6. Hinsichtlich des Vorbringens, wonach die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer Ausreise aus Syrien oder der Asylantragstellung in Österreich in Syrien gezielt gegen sie gerichtete Verfolgungshandlungen zu gewärtigen hätte, ist festzuhalten, dass sich ihre diesbezüglichen Ausführungen auf eine potentielle Verfolgung durch das Regime von Bashar al-Assad beziehen, welches – wie bereits ausgeführt – nicht mehr existiert. Im Übrigen ergaben sich aus den Länderberichten auch keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Beschwerdeführerin in ihrem Herkunftsort seitens der aktuellen Machthaber wegen ihrer Flucht aus Syrien, der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz oder ihres Aufenthalts in Österreich eine feindliche politische Gesinnung zugeschrieben wird. Auch lässt es sich den Länderinformationen nicht entnehmen, dass Rückkehrende in Gebiete, die unter Kontrolle der HTS stehen, von dieser verübten systematischen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt wären. Ein Eingriff in die psychische und/oder körperliche Unversehrtheit der Beschwerdeführerin allein auf Grund ihrer Ausreise, ihres Aufenthalts in Österreich und der Asylantragstellung im Ausland ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Überdies geht aus den Länderinformationen hervor, dass die aktuellen Machthaber an einer Rückkehr aller Syrer aus dem Ausland interessiert sind für einen Aufbau des Landes nach dem Sturz des Regimes von Bashar al-Assad.
Darüber hinaus kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Stellung des Antrages auf internationalen Schutz einer syrischen Konfliktpartei bekannt geworden ist, da es den österreichischen Behörden untersagt ist, Daten über Asylwerber an Behörden aus deren Herkunftsstaat zu übermitteln. Ein Vorbringen, aus welchem abgeleitet werden könnte, dass die Asylantragstellung im Herkunftsstaat dennoch bekannt geworden wäre, wurde von der Beschwerdeführerin nicht erstattet und sind auch sonst keine Hinweise hervorgekommen, die auf einen solchen Sachverhalt schließen lassen würden.
2.2.7. Im Übrigen ergibt sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in Verbindung mit den amtswegig herangezogenen Länderberichten auch keine sonstige Gefährdung auf Grund ihrer ethnischen, religiösen, staatsbürgerlichen Zugehörigkeit oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe.
So sind keine konkreten Anhaltspunkte hervorgekommen, die darauf hindeuten würden, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr von asylrelevanter Verfolgung bedroht wäre. Insbesondere gab sie vor dem BFA und in der Beschwerdeverhandlung an, keiner Verfolgung aus Gründen der Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit ausgesetzt zu sein (AS 101, VHP S. 28).
Es war daher festzustellen, dass es der Beschwerdeführerin nicht gelungen ist, einen Sachverhalt glaubhaft zu machen, der darauf hindeutet, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Syrien einer konkret und individuell gegen sie gerichteten Gefahr von Verfolgung aufgrund ihrer ethnischen, religiösen oder staatsbürgerlichen Zugehörigkeit, ihrer Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder ihrer politischen Gesinnung ausgesetzt wäre. Auch sonst sind keine konkreten Anhaltspunkte aufgekommen, die darauf hinweisen, dass die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Dritten konkret bedroht wäre.
2.2.8. Die Feststellung, dass die Beschwerdeführerin Syrien wegen der allgemein schlechten Situation und aufgrund des Bürgerkrieges verlassen hat, fußt auf ihren diesbezüglich gleichbleibenden und insofern konsistenten Angaben im Laufe des gesamten Verfahrens und vor dem Bundesverwaltungsgericht (AS 8, 99, 101, VHP S.21, 23, 26, 27).
2.2.9. Zur Erreichbarkeit der Herkunftsregion:
Der Beschwerdeführerin steht für eine Rückreise sämtliche offenen Grenzübergänge des Landes zur Verfügung, wobei sie die zuvor genannten, vergleichsweise flächenmäßig kleinen regimekontrollierten Gebiete in den Gouvernements Latakia und Tartus, die insbesondere den Flughafen von Latakia und den Hafen von Tartus betreffen, umgehen kann. Es ist jedoch derzeit fraglich, ob das syrische Regime in diesen Gebieten überhaupt noch in der Lage oder gewillt ist, potenzielle Regimegegner zu verfolgen.
Eine Einreise und Weiterreise über die Türkei ist weiterhin möglich, ohne dass der Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht. Zwar kann es an der syrisch-türkischen Grenze zu temporären Einschränkungen und Sperren kommen, diese sind jedoch Teil der allgemeinen (Bürgerkriegs-)Situation und ändern nichts daran, dass Zivilpersonen grundsätzlich in der Lage sind, über Grenzübergänge wie Bab al-Hawa nach Syrien zu reisen, ohne einer Verfolgung durch das Regime ausgesetzt zu sein.
Für den Fall einer Rückkehr wäre es der Beschwerdeführerin als subsidiär Schutzberechtigter zumutbar, einen Fremdenpass gemäß § 88 Fremdenpolizeigesetz 2005 zu beantragen.
Zusammengefasst bleibt hervorzuheben, dass die Beschwerdeführerin im Laufe des Asylverfahrens keine konkreten und glaubhaften Bedrohungsszenarien ihre Person betreffend vorgebracht hat, sondern lediglich pauschale Befürchtungen ins Treffen geführt hat. Aus dem verwaltungsbehördlichen Verfahren und der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin ausreichend Zeit und Gelegenheit hatte, eventuelle Fluchtgründe umfassend und im Detail darzulegen sowie allfällige Beweismittel oder Belege vorzulegen.
2.3. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl unterschiedlicher, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht ebenfalls kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Syrien zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet auszugsweise:
„Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z. 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1. dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht
oder 2. der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.
[…]“
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine mit Vernunft begabte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 05.09.2016, RA 2016/19/0074). Die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung muss in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen stehen (VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).
Unter „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche Maßnahmen, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie, vgl. VwGH 27.09.2022, RA 2021/01/0305).
Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.05.2021, Ra 2019/19/0428 mwN).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss; auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ist demnach zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn daher der Antragsteller im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde beziehungsweise des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108 mwN).
Geht die auf einem Konventionsgrund beruhende Verfolgung von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen aus, kommt ihr nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlung hintan zu halten. Die Schutzfähigkeit und – willigkeit der staatlichen Behörden ist dabei grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die betroffenen Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VWGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).
Die Voraussetzung der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.2980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
Das Asylverfahren bietet nur beschränkt Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerber ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen (VwGH 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).
Glaubhaftmachung bedeutet, die Behörde davon zu überzeugen, dass der behauptetet Sachverhalt wahrscheinlich verwirklicht oder nicht verwirklicht worden ist (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 1zu § 45 S. 640). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (VwGH 29.04.1992, 90/13/0201; 22.12.1992, 91/04/0019; 11.06.1997, 95/01/0627; 19.03.1997, 95/01/0466).
3.2. Subsumiert man den vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalt den relevanten und im Lichte der zitierten Judikatur auszulegenden Rechtsvorschriften, ergibt sich, dass der Beschwerdeführerin der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
3.2.1. Wie sich aus der Beweiswürdigung ergibt, steht die Herkunftsregion nach dem Machtwechsel unter der Kontrolle der HTS und damit im Einflussbereich der syrischen Übergangsregierung, weshalb der Beschwerdeführerin weder eine asylrelevante Reflexverfolgung aufgrund der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder noch eine allgemeine geschlechterspezifische Verfolgung seitens des Regimes droht.
Ebenso ist es nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr als alleinstehende Frau einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt ist. Was die geschlechterspezifische Gewalt betrifft, der Frauen in Syrien grundsätzlich ausgesetzt sind, verkennt das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass Frauen dort Diskriminierungen erfahren. Die Beschwerdeführerin hat jedoch abgesehen von ihren vagen und allgemein gehaltenen Angaben im Verfahren weder beim BFA noch in ihrer Beschwerde oder in der mündlichen Verhandlung konkrete, sie betreffende Vorfälle geschildert. Eine systematische Verfolgung aller Frauen, ohne dass weitere konkrete individuelle Eigenschaften hinzukommen (wie z.B. fehlende familiäre Anknüpfungspunkte), kann den Länderberichten nicht entnommen werden.
Da die Beschwerdeführerin Familie, insbesondere einen Vater und einen volljährigen Bruder in Syrien hat, ist sie im Fall einer Rückkehr nicht als alleinstehende Frau anzusehen.
Im Übrigen ist es der Beschwerdeführerin auch nicht gelungen, glaubhaft zu machen, dass ihr aufgrund ihrer Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit eine gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung droht. Ebenso wenig ergibt sich aus den Länderberichten eine Verfolgung aller Rückkehrer, die im Ausland um Asyl angesucht haben (vgl. auch VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0147).
Die Beschwerdeführerin konnte zusammengefasst nicht glaubhaft machen, dass ihr im Herkunftsstaat seitens einer der syrischen Konfliktparteien aufgrund einer tatsächlichen oder unterstellten politischen Gesinnung – oder aus anderen Gründen – Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z. 2 GFK droht. Auch haben sich im Verfahren ansonst keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung der Beschwerdeführerin aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen.
Es ist der Beschwerdeführerin zudem nicht gelungen, eine individuelle, konkrete und nachvollziehbare Verfolgungsgefahr ihrer Person im Herkunftsland darzulegen. Es ist daher im vorliegenden Fall nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Syrien aus den in der GFK genannten Gründen (ethnische Zugehörigkeit, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) Eingriffen von erheblicher Intensität in ihre zu schützende persönliche Sphäre ausgesetzt wäre.
Eine Einreise und Weiterreise ins Herkunftsgebiet ist der Beschwerdeführerin über sämtliche offene Grenzübergänge möglich, ohne dass ihr dabei mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine konkret und gezielt gegen ihre Person gerichtete Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht (vgl. VfGH 29.06.2023, E 3450/2022: „Im fortgesetzten Verfahren wird daher auch zu prüfen sein, ob die Herkunftsregion für die Beschwerdeführerin erreichbar ist, ohne dass ihr auf dem Weg dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG 2005 droht.“).
Zur Rückkehr in die Herkunftsregion ist auf eine aktuelle Entscheidung des VwGH hinzuweisen, wonach es aus asylrechtlicher Sicht nicht darauf ankommen kann, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (vgl. VwGH 29.02.2024, Ra 2024/18/0043). Davon ist nach den getroffenen Feststellungen (und der dazugehörigen Beweiswürdigung) im Fall der Beschwerdeführerin jedenfalls auszugehen.
Zudem lässt sich aus der allgemeinen Lage in Syrien konkret für die Beschwerdeführerin kein Status einer Asylberechtigten ableiten. Denn um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung der Beschwerdeführerin, die über die gleichermaßen alle anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Eine solche Gefährdung konnte die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft machen.
Der Vollständigkeit halber wird schließlich festgehalten, dass der allgemeinen Gefährdung der Beschwerdeführerin durch die derzeitige Lage in Syrien im gegenständlichen Verfahren bereits mit der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 AsylG 2005 durch die belangte Behörde Rechnung getragen wurde.
In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass die im Dezember 2024 veröffentlichte Position der UNHCR der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht:
Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant.
Des Weiteren plädiert die UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen und Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den Informationen, auf die sich da Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist festzuhalten, dass das Vorbringen einer asylrelevanten Verfolgung infolge der Lageänderung in Syrien ab Ende November/Anfang Dezember 2024 eine entsprechende Glaubhaftmachung an der – rechtskundig vertreten und über ihre Mitwirkungspflicht mehrfach belehrten – Beschwerdeführerin liegt. Zum für die Beurteilung und Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt ist jedenfalls von keiner asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführerin durch einen der Akteure in Syrien auszugehen. Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine neuen Verfolgungsrisken ins Treffen führt, sondern sich allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass die Beschwerdeführerin ohnedies bereits den Status der subsidiär Schutzberechtigten innehat.
Der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das BFA war daher der Erfolg zu versagen.
Zu B)
Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die unter Punkt II.3. angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen, die bei den jeweiligen Erwägungen wiedergegeben wurde. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.