Spruch
I422 2298310-2/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas Burgschwaiger über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Gregor Klammer, Goldschmiedgasse 6/6, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2025, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid zur Gänze behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Ein Staatsangehöriger Nigerias (im Folgenden Beschwerdeführer) reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.05.2023 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit einer Stammesproblematik mit Hausa-Fulani und seiner Verfolgung durch die IPOB begründete. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde / BFA) vom 09.07.2024 negativ entschieden. Eine dagegen fristgerechtet erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis als unbegründet ab. Die Entscheidung erwuchs am 19.12.2024 in Rechtskraft.
Am 17.02.2025 stellte der Beschwerdeführer einen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete der Beschwerdeführer bei seiner am selben Tag stattfindenden Erstbefragung durch die Organe öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen damit, dass er homosexuell sei. Er habe nicht gewusst hätte, dass Homosexualität in Österreich akzeptiert werden würde. Dies hätte er nach einem Gespräch mit einem Arbeitskollegen in Erfahrung bringen können. Homosexualität würde in Nigeria mit Gefängnis bestraft werden.
Am 13.03.2025 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde und wiederholte er darin im Wesentlichen die im Rahmen der Erstbefragung angeführten Fluchtgründe in detaillierter Form. Darüber hinaus führte er aus, dass er an Bluthochdruck und gelegentlichem Nasenbluten leiden würde. Der Beschwerdeführer hätte vom Arzt diesbezüglich Medikamente erhalten. Zudem wäre er sehr depressiv.
Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 28.03.2025 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria ebenso gemäß § 68 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde keine Frist zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.).
Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 16.04.2025 fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte Rechtswidrigkeit sowie die mangelhafte Führung des Ermittlungsverfahrens.
Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 23.04.2025 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und zu den Anträgen auf internationalen Schutz:
Der volljährige Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger. Seine Identität fest.
Der Beschwerdeführer stellte erstmalig mit 22.05.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Wesentlichen begründete er das damalige Fluchtvorbringen damit, dass er aktives Mitglied der Gruppierung Biafra sei und gegen die Verwendung von Waffen gewesen sei. Er hätte kurz vor seiner Ausreise erfahren, dass er von der Polizei gesucht werden würde. Die nigerianischen Behörden hätten geglaubt, dass er an einem Angriff beteiligt gewesen sei, weswegen er im Fall einer Rückkehr eine Haftstrafe befürchtete. Die belangte Behörde wies mit Bescheid vom 09.07.2024 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria als unbegründet ab. Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 12.08.2024 durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit Erkenntnis durch das Bundesverwaltungsgericht vom 18.12.2024 wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft.
Mit seinem gegenständlichen Antrag vom 17.02.2025 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, dass er erst jetzt zu seiner Homosexualität stehen könnte, da er bisher nicht gewusst hätte, dass dies in Österreich erlaubt wäre.
Damit brachte der Beschwerdeführer einen geänderten Sachverhalt in Bezug auf sein bisheriges Fluchtvorbringen vor, welchen nicht von Vorherein der glaubhafte Kern abgesprochen werden kann.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.
Dabei stellt sich Lage im Wesentlichen wie folgt dar:
Homosexualität:
Homosexuelle Handlungen jeglicher Art sind - unabhängig vom Geschlecht der betroffenen Personen - sowohl nach säkularem Recht als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar (AA21.12.2023; vgl. ÖBAbuja 10.2024, EUAA 6.2024, HRW 16.1.2025). Nigeria ist eines der Länder, die auch Geschlechtsverkehr zwischen Frauen ausdrücklich unter Strafe stellen. In den Antidiskriminierungsgesetzen wird die sexuelle Ausrichtung nicht als eigener Schutzgrund genannt (EUAA 6.2024).
Der Criminal Code (Strafgesetz, südliche Staaten) aus dem Jahr 2004, das in den meisten südlichen Bundesstaaten als staatliches Gesetz gilt, sieht für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und für „grobe Unsittlichkeit“ drei Jahre vor. In den nördlichen Bundesstaaten sieht der Penal Code (Strafgesetz, nördliche Staaten) von 1959 eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren für einvernehmliche gleichgeschlechtliche Beziehungen vor (EUAA 6.2024). Darüber hinaus gilt in zwölf nördlichen Bundesstaaten das Scharia Recht, wo homosexuelle Handlungen mit Tod durch Steinigung bestraft werden können (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2024, EUAA 6.2024). Obwohl dieses Gesetz von den Behörden aktiv angewendet wurde, kam es im Laufe des Jahres 2023 zu keiner Hinrichtung (USDOS 23.4.2024)
Der im Jänner 2014 verabschiedete Same Sex Marriage Prohibition Act (SSMPA) sieht vor, dass homosexuelle Paare, die heiraten oder öffentlich ihre Zuneigung zeigen, mit Haft bestraft werden können. Das Gesetz sieht bis zu 14 Jahre Haft für Eheschließungen und zivilrechtliche Partnerschaften zwischen zwei Frauen oder zwei Männern vor.
Wer seine Liebesbeziehung zu einem Menschen des gleichen Geschlechts direkt oder indirekt öffentlich zeigt, soll dem Gesetz zufolge mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden können (ÖB Abuja 10.2024; vgl. HRW 16.1.2025, USDOS 23.4.2024). Die gleiche Strafe ist für die Gründung und Unterstützung von Clubs, Organisationen oder anderen Einrichtungen für Schwule und Lesben vorgesehen (ÖB Abuja 10.2024; vgl. AA 21.12.2023, HRW 16.1.2025).
Im Jahr 2022 wurde ein Gesetzentwurf des Parlaments zum Verbot von Crossdressing in zweiter Lesung als „verfassungswidrig“ eingestuft. Im April 2024 zitierten Quellen den PR-Beauftragten der Polizei mit der Aussage, dass Menschen wegen Crossdressing nicht verhaftet werden können, da es sich nicht um eine Straftat handelt. In den nördlichen Bundesstaaten, in denen die Scharia gilt, ist Cross-Dressing jedoch nach wie vor illegal (EUAA 6.2024).
Insgesamt gibt es keine systematische staatliche Verfolgung oder aktive Überwachung von Angehörigen sexueller Minderheiten (STDOK 15.9.2020; vgl. ÖB Abuja 10.2024). Die Rechtsänderung durch den SSMPA hat bisher nicht zu einer flächendeckenden verschärften Strafverfolgung geführt (AA 21.12.2023). Von Zeit zu Zeit wird von Verhaftungen ganzer Feiergesellschaften auf „homosexuellen Geburtstagsparties“ berichtet. In diesen Fällen kommt es auch zu Anklagen und Gerichtsverfahren, die jedoch nicht in Verurteilungen münden (ÖB Abuja 10.2024; vgl. EUAA 6.2024).
Die Anwendung von Strafgesetz und Scharia gestaltet sich schwierig, denn es gilt der Nachweis gleichgeschlechtlichen Sexualverkehrs. Auch unter dem SSMPA gab es kaum Anklagen. Üblicherweise verlaufen Gerichtsfälle unter diesen Gesetzen im Sand. Allerdings werden manchmal andere Vergehen vorgeschoben, um eine Verurteilung zu vereinfachen. Zudem schafft die Existenz der spezifisch auf sexuelle Minderheiten anwendbaren Gesetze die Basis dafür, dass Personen von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren drangsaliert, bedroht oder erpresst werden können. Verhaftungen wiederum ziehen kaum jemals Anklagen nach sich, sondern dienen in erster Linie der Erpressung (STDOK 15.9.2020).
Seit der Verabschiedung des SSMPA werden Angehörige sexueller Minderheiten noch häufiger Opfer von Mob-Angriffen und Polizeigewalt (AA 21.12.2023). Die Menschenrechtsverletzungen reichen von Massenverhaftungen unter dem Vorwand einer Ehe gleichgeschlechtlicher Partner, illegale Durchsuchungen, Erpressung, Entführung, Mob-Gewalt, Erpressung, Körperverletzung, Diebstahl, Vergewaltigung, Verletzung der Privatsphäre, Bekehrungspraktiken, gewaltsame Zwangsräumung, unrechtmäßige Entlassung, Diskriminierung in allen Bereichen der Gesellschaft bis zu verschiedenen Formen der Belästigung durch staatliche und nicht-staatliche Akteure.
Der Standort und die sozioökonomische Schicht der betroffenen Personen haben einen erheblichen Einfluss auf den Umgang mit diesen und das Ausmaß dieser Übergriffe (TIERS 3.2024).
Angehörige sexueller Minderheiten sind Gewalt durch die Polizei ausgesetzt, darunter willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen, körperliche Misshandlungen und Erpressung (EUAA 6.2024).
Am 27.8.2023 führte die Polizei im Bundesstaat Delta eine Razzia bei einer Party durch, die von Angehörigen sexueller Minderheiten organisiert worden war, und nahm mehr als 200 Personen fest. Die Polizei behauptete, dass es sich bei der Veranstaltung um eine gleichgeschlechtliche Hochzeit gehandelt hat, aber einige Vertreter von Organisationen der Zivilgesellschaft erklärten, die Behörden hätten diese Behauptung erfunden, um die Razzia zu rechtfertigen. Am 28.9.2023 wurden alle Festgenommenen gegen Kaution freigelassen, obwohl die Anklagen am Jahresende noch offen waren (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 11.1.2024).
Die überwiegende Mehrheit von Menschenrechtsverletzungen gegenüber Angehörigen sexueller Minderheiten geht jedoch von nicht-staatlichen Akteuren aus. Staatlicher Schutz ist diesbezüglich nicht zu erwarten (TIERS 28.6.2021; vgl. STDOK 15.9.2020). Im aktuellen TIERS-Bericht für das Jahr 2023 wird erwähnt, dass in 137 Fällen von Menschenrechtsverletzungen im Bereich sexueller Minderheiten staatliche Akteure die Täter waren, in 854 Fällen nicht-staatliche Akteure (TIERS 3.2024). Zu Ermittlungen kommt es nicht. Dieses Phänomen betrifft aber nicht nur Angehörige sexueller Minderheiten, vielmehr ist der Standard der Polizei allgemein niedrig. Allerdings kommt es bei dieser Personengruppe mitunter sogar zur Nötigung oder Verhaftung des Opfers (STDOK 15.9.2020). Laut TIERS zeigen staatliche Beamte, einschließlich der Strafverfolgungsbehörden, oft einen Mangel an Bereitschaft oder Kapazität, Fälle zu bearbeiten, die sexuelle Minderheiten betreffen. Opfer suchen keine Hilfe aufgrund von Stigmatisierung und Diskriminierung oder aus Angst, angegriffen oder verhaftet zu werden (EUAA 6.2024).
Eine andere Möglichkeit, Gerechtigkeit zu suchen, besteht in der Anrufung der National Human Rights Commission (NHRC). Zwar bleibt der offizielle staatliche Diskurs bezüglich sexueller Minderheiten von Homophobie geprägt. Trotzdem gibt es in staatlichen Bereichen Anknüpfungspunkte - v. a. im Gesundheitsbereich und eben bei der NHRC. Positive Trends sind hier sichtbar im Bereich der Kooperation mit der NHRC und der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen durch diese Behörde (STDOK 15.9.2020). Im Jahresbericht der NHRC für das Jahr 2022 heißt es, dass sie mit NGOs zusammenarbeitet, um Schulungen für Strafverfolgungsbeamte zu Angelegenheiten sexueller Minderheiten abzuhalten, um deren Schutz zu verbessern (EUAA 6.2024).
Die Zustimmung der Bevölkerung zum SSMPA und anderen Strafmaßnahmen gegenüber sexuellen Minderheiten ist immer noch hoch, doch ist diese zugleich innerhalb weniger Jahre auch drastisch gesunken. Immer mehr Menschen sind zudem bereit, ein homosexuelles Familienmitglied zu akzeptieren. Mit vermehrter Toleranz sinkt die Radikalität der Homophobie. Allerdings ist die Gewaltschwelle in Nigeria generell niedrig. Während in den Medien eine negative Berichterstattung über sexuelle Minderheiten weiterhin vorherrscht, ist auch dort ein Trend zur Liberalisierung bemerkbar. Immer wieder kommt es nun zu sachlicher Berichterstattung, auch Filme zur Thematik wurden veröffentlicht (STDOK 15.9.2020).
Das Gesetz verbietet die Diskriminierung durch staatliche oder nicht-staatliche Akteure aufgrund der sexuellen Ausrichtung oder der Geschlechtsidentität nicht. Angehörige sexueller Minderheiten berichten von Diskriminierungen bei der Beschäftigung, bei der Wohnungssuche und beim Zugang zur Gesundheitsversorgung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität oder -ausdruck (USDOS 23.4.2024).
Gesellschaftliche Diskriminierung bei offenem Zurschaustellen der sexuellen Orientierung ist vorhanden (ÖB Abuja 10.2024) bzw. „allgegenwärtig“ (EUAA 6.2024). Das gesellschaftliche Klima Homosexuellen gegenüber ist feindselig (AA 21.12.2023). Konservative religiöse gesellschaftliche Normen werden als Hauptgrund für die Homophobie in Nigeria beschrieben. Religiöse Institutionen und Persönlichkeiten verbreiten homophobe Botschaften. Homophobe Einstellungen sind in der nigerianischen Gesellschaft tief verwurzelt (EUAA 6.2024).
Es kann nach wie vor riskant sein, sich gegenüber der Familie als homosexuell zu outen. Es kann zum Verstoßen, zum Einsperren, zu Gewalt oder zur Zuführung zu einer „Konversionstherapie“ („conversion therapy“) kommen. Allerdings sinkt die Ablehnung homosexueller Familienmitglieder und gleichzeitig steigt deren Akzeptanz. Generell gehen viele Nigerianer mit ihrer Sexualität nicht offen um. Das gesellschaftliche Umfeld führt zur Geheimhaltung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Zahlreiche Angehörige sexueller Minderheiten sind „normal“ verheiratet. Dies dient einerseits der Verschleierung, andererseits dem Entsprechen sozialer Normen (STDOK 15.9.2020).
Angehörige sexueller Minderheiten werden durch eine kriminelle Praxis namens Kito ins Visier genommen, bei der sie über Online-Dating-Apps angelockt und später, meist von einer Gruppe von Männern, angegriffen und ausgeraubt werden. Die Angriffe werden manchmal gefilmt und zur Erpressung der Opfer verwendet. Einige dieser Videos werden im Internet veröffentlicht und können zum Verlust des Arbeitsplatzes, zur Räumung der Wohnung, zur Ablehnung durch Familienmitglieder und zur Verschlechterung der psychischen Gesundheit führen. TIERS bezeichnete Zwangsräumungen im Anschluss an Erpressungen als einen „anhaltenden Trend“. Es handelt sich bei den Opfern meist um Schwule und queere Männer, aber auch Frauen, die sexuellen Minderheiten angehören, werden durch Kito ins Visier genommen, einschließlich Fälle, in denen der Täter vorgab, von der Polizei zu sein (EUAA 6.2024).
Praktiken zur Änderung der sexuellen Orientierung sind in Nigeria üblich, einschließlich medizinischer und religiöser Therapien. Laut TIERS praktizieren einige religiöse Führer Konversionstherapien, um homosexuelle Personen zu „heilen“, während CNN über die Geschichte einer lesbischen Frau berichtete, die von ihrer Familie in eine Kirche geschickt wurde, um sie „von Dämonen zu befreien“. Zwischen Dezember 2022 und November 2023 dokumentierte TIERS 15 Fälle von Konversionspraktiken. Es gibt auch Berichte über unangemessene Operationen, die an intersexuellen Menschen vorgenommen wurden, manchmal ohne deren Zustimmung (EUAA 6.2024).
In mehreren Großstädten können Angehörige und Communities sexueller Minderheiten freier leben. Zudem gibt es dort ein größeres Ausmaß an möglicher Unterstützung. Der maßgebliche Vorteil ist die Anonymität. Diese sinkt naturgemäß im ländlichen Raum - aber auch in den Slums der Großstädte. Es gibt aber auch konträre Meinungen, wonach nämlich die Gesellschaft in bestimmten ländlichen Gebieten toleranter sei als in der Stadt. Die meisten dokumentierten Fälle von Menschenrechtsverletzungen betreffen Städte. Dies kann aber freilich auch damit zu tun haben, dass dort Vorfälle eher gemeldet und dokumentiert werden (STDOK 15.9.2020).
Homosexuellen-NGOs arbeiten weiter, die Netzwerke sind sogar ausgebaut und sichtbarer geworden. Die Zahl an Organisationen hat sich nahezu verdreifacht. Nur in seltenen - dokumentierten -Ausnahmefällen kam es zu staatlichen Maßnahmen gegen NGOs. Fördergelder werden weiterhin gezahlt und sind nach Angaben einer Quelle sogar gestiegen (STDOK 15.9.2020).
Lokale NGOs sammeln Informationen zu Menschenrechtsverletzungen an Angehörigen sexueller Minderheiten. Ein Beispiel für eine umfangreiche Datensammlung dieser Art stellt der jährlich aktualisierte Menschenrechtsbericht von TIERs und kooperierenden NGOs dar. Einige NGOs betreiben Hotlines bzw. stellen Telefonnummern für Notfälle zur Verfügung. Die meisten Quellen gehen davon aus, dass etwa in Polizeigewahrsam geratene Personen wissen, wen sie zur Unterstützung anrufen können. Die Unterstützung wird in erster Linie zwecks Kautionszahlung („bail out") geleistet (STDOK 15.9.2020). Dennoch sind Organisationen, die sich für die Rechte sexueller Minderheiten einsetzen, in Nigeria faktisch verboten, mit Ausnahme von Organisationen, die Rechtsberatung anbieten oder über HIV und AIDS aufklären. Die Initiative für Frauengesundheit und Gleichberechtigung (Women’s Health and Equal Rights Initiative, WHER) bietet psychosoziale Unterstützung für lesbische, bisexuelle und queere Frauen, während Love Is a Crime auch rechtliche und psychologische Unterstützung für Angehörige sexueller Minderheiten bietet, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen sind (EUAA 6.2024).
Einige Anwälte und Vereinigungen stellen Angehörigen sexueller Minderheiten Rechtshilfe zur Verfügung. Diese kommt u. a. beim sogenannten „bail out" aus dem Polizeigewahrsam zu tragen. Gelangt ein Fall tatsächlich vor Gericht, kommt es üblicherweise zur (juristischen) Intervention von NGOs (STDOK 15.9.2020).
Netzwerke sexueller Minderheiten sind v. a. in großen Städten präsent und aktiv. Vormals gab es im ländlichen Bereich wenn, dann aus dem Gesundheitsbereich heraus aktive Organisationen. Nunmehr versuchen einige städtische Netzwerke, ihre Arbeit auch auf ländliche Gegenden auszudehnen. Insgesamt hat sich die Reichweite der Netzwerke in den letzten Jahren verbessert. Sprachgrenzen und Infrastruktur stellen allerdings Barrieren dar. In den meisten Fällen wissen Angehörige sexueller Minderheiten, wen bzw. welche Organisation sie bei Bedarf kontaktieren können. Angehörige sexueller Minderheiten können sich durch einen Umzug in eine (andere) Stadt oder einen anderen Stadtteil aus einer direkten Risikolage befreien. Netzwerke und NGOs der Community unterstützen Personen bei diesem Schritt. In einigen Städten gibt es auch von NGOs organisierte Notquartiere (safe house / shelter). Es kommt mitunter auch zu „Zuweisungen“ bedrohter Personen von einer Stadt in eine andere (STDOK 15.9.2020).
Grundsätzlich ist weibliche Homosexualität weniger stark tabuisiert als männliche. Homosexuelle Frauen sind in geringerem Ausmaß von Verhaftungen und Menschenrechtsverletzungen bedroht und betroffen. Allerdings sind ihre Netzwerke schwächer. Mitunter kommt es zu Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt. Manche Frauen werden von ihren Familien eingesperrt oder zwangsweise zu „Therapien“ gezwungen (STDOK 15.9.2020).
Sichtbarkeit im Auftreten und im Verhalten stellt einen Risikofaktor dar. Dies betrifft insbesondere Männer, die sich feminin geben, doch auch Frauen, die diesbezüglich gegen gesellschaftliche
Normen verstoßen, können betroffen sein. Das gemeinsame Wohnen alleine stellt für gleichgeschlechtliche Personen kein Problem dar, dies ist in Nigeria - von der Wohnung bis hin zum Hotelzimmer-aus Kostengründen nicht unüblich. Der Einfluss des Alters oder des Familienstandes auf die Frage des persönlichen Risikos von Angehörigen sexueller Minderheiten ist unklar. Einen maßgeblichen Einfluss hat hingegen der sozioökonomische Status einer Person. Mit zunehmender Finanzkraft, Bildung und Vernetzung - also mit zunehmenden Privilegien - sinkt das Risiko gegen null. Hauptrisikogruppe sind hingegen jene Personen, deren Alltag in einem Umfeld mit niedrigem sozialen und ökonomischen Status verankert ist (STDOK 15.9.2020).
Medizinische Versorgung
Nigeria verfügt über ein pluralistisches Gesundheitssystem, in dem die Gesundheitsfürsorge gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor sowie durch moderne und traditionelle Systeme erbracht wird. Die Verwaltung des nationalen Gesundheitssystems ist dezentralisiert in einem dreistufigen System zwischen Bundes-, Landes- und Lokalregierungen (EUAA 4.2022). Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung - vor allem auf dem Land - mangelhaft (AA 21.12.2023). Die Bundesregierung gibt weniger für Gesundheit und Bildung aus als fast jedes andere Land der Welt (fünf Prozent -1,33 Billionen NGN - des Staatshaushaltes für Gesundheit) (ÖB Abuja 10.2024). Das öffentliche Gesundheitswesen gilt als unterfinanziert und geprägt von zum Teil sehr begrenzter Infrastruktur. Auch besteht bzgl. medizinischer Versorgung ein Leistungsgefälle zwischen städtischen und ländlichen Gebieten (BAMF 9.12.2024.
Obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt gestiegen ist (53,6 Jahre laut Human Development Report 2023/24), hat die Verbesserung des Zugangs zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung in Nigeria keine hohe Priorität. Aufgrund von Konflikten, Terroranschlägen, sozioökonomischen Bedingungen, Unterernährung, Klimawandel, Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene gibt es nach wie vor große Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen den Bundesstaaten und geopolitischen Zonen (ÖB Abuja 10.2024).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern (z. B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 21.12.2023).
Wie die meisten afrikanischen Länder leidet auch Nigeria unter einem kritischen Mangel an Fachkräften beim Gesundheitspersonal (human resources for health - HRH). Obwohl das Land einen der größten Bestände an Gesundheitspersonal hat, ist die Dichte an Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen unzureichend (1,95 pro 1.000). Nach Schätzungen der Weltbank kamen im Jahr 2018 etwa 0,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner, während die Zahl der Krankenschwestern und Hebammen im Jahr 2019 auf 1,5 pro 1.000 Einwohner geschätzt wurde. Weitere Herausforderungen im Bereich der Humanressourcen sind die ungleiche Verteilung des Gesundheitspersonals auf die Bundesstaaten, Finanzierungslücken und Abwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal in andere Länder (EUAA 4.2022).
Bei einer im Jahr 2024 durchgeführten Studie mittels Befragung eines repräsentativen Samples in drei Städten kamen folgende Ergebnisse heraus:
Was medizinische Grundversorgung, z. B. durch einen Hausarzt, betrifft, so haben 24 Prozent der Befragten immer Zugang und können sich einen Besuch leisten, während 37 Prozent Zugang haben, sich diesen aber nicht leisten können. 37 Prozent haben keinen Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Zwei Prozent haben keine Antwort gegeben. 54 Prozent der Umfrageteilnehmer haben immer Zugang zu Medikamenten und Arzneimitteln und können sie sich leisten, während 32 Prozent zwar Zugang haben, sie sich aber nicht leisten können. Zwölf Prozent haben überhaupt keinen Zugang zu Medikamenten oder Arzneimitteln. Zwei Prozent haben keine Antwort gegeben. 20 Prozent der Teilnehmer haben immer Zugang zu einem Facharzt (Zahnarzt, Augenarzt, Gynäkologe, Urologe und Kinderarzt) und können sich diesen leisten, während 38 Prozent Zugang zu einem Facharzt haben, sich den Besuch aber nicht leisten können. 39 Prozent haben überhaupt keinen Zugang zu einem Facharzt. 3 Prozent haben keine Antwort gegeben. Zehn Prozent der Teilnehmer haben immer Zugang zu fortgeschrittenen Behandlungen wie Operationen oder Krebsbehandlungen und können sie sich leisten. 38 Prozent haben Zugang zu fortschrittlichen Behandlungen, können sie sich aber nicht leisten, während 44 Prozent überhaupt keinen Zugang haben. AchtProzent haben keine Antwort gegeben. 43Pro- zent der Befragten (n = 608) haben immer Zugang zu Impfungen und können sie sich leisten, während 28Prozent zwar Zugang haben, aber nicht in der Lage sind, sie sich zu leisten. 25Pro- zent haben keinen Zugang zu Impfungen. VierProzent haben nicht geantwortet (BFA 1.2025).
Trendentwicklungen in den Jahren 2023 und 2024 (diese werden nur angegeben, wenn ein signifikanter, also mehr als vier Prozentpunkte ausmachender Unterschied feststellbar ist):
Medizinische Grundversorgung, z. B. durch einen Hausarzt: Ein Anstieg ist bei denjenigen festzustellen, die Zugang zur medizinischen Grundversorgung haben, sich diese aber nicht leisten können (26Prozent im Jahr 2023 gegenüber 37Prozent im Jahr 2024). Ein Rückgang ist bei denjenigen festzustellen, die nie Zugang zur medizinischen Grundversorgung hatten (47Prozent im Jahr 2023 gegenüber 37Prozent im Jahr 2024) (BFA 1.2025).
Facharzt: Ein Anstieg ist bei denjenigen zu verzeichnen, die Zugang zu Fachärzten haben, sich diese aber nicht leisten können: 2023 traf dies auf 31Prozent zu, während der Anteil im Jahr 2024 auf 38Prozent gestiegen ist. Der Anteil derjenigen, die keinen Zugang haben, ist dagegen von 48Prozent im Jahr 2023 auf 39Prozent im Jahr 2024 gesunken (BFA 1.2025).
Fortgeschrittene Behandlungen: Bei denjenigen, die Zugang zu einer fortgeschrittenen Behandlung haben, sich diese aber nicht leisten können, ist ein Anstieg zu verzeichnen: 2023 traf dies auf 31Prozent zu, während dieser Anteil 2024 auf 38Prozent gestiegen ist. Der Anteil derjenigen, die nie Zugang zu einer fortgeschrittenen Behandlung haben, ist dagegen von 52Prozent im Jahr 2023 auf 44Prozent im Jahr 2024 zurückgegangen (BFA 1.2025).
Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen (AA 21.12.2023). Es gibt so gut wie keine Dienste für die psychische Gesundheit (ÖB Abuja 10.2024). Im ambulanten Bereich gibt es in Einzelfällen in den größeren Städten qualifizierte Psychiater, die nicht einweisungspflichtige Patienten mit klassischen Psychosen und Persönlichkeitsstörungen behandeln können (AA 21.12.2023). Es gibt weniger als 300 Psychiater für eine Bevölkerung von mehr als 200 Millionen Menschen, und angesichts der geringen Kenntnisse über psychische Störungen in der Primärversorgung sind die Familien in den ländlichen Gebieten auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, ihre betroffenen Familienmitglieder zu versorgen. Auch die Zahlen für psychosoziale Fachkräfte sind niedrig, denn die Gesamtzahl der Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit liegt bei 0,9 pro 100.000 Einwohner, aufgeschlüsselt (jeweils pro 100.000 Einwohner) in 0,70 Krankenschwestern, 0,02 Psychologen, 0,10 Psychiater, 0,04 Sozialarbeiter und 0,01 Ergotherapeuten (EUAA 4.2022). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für den Empfang durch ein medizinisches Team des Krankenhauses direkt am Flughafen sollten im Einzelfall vorher erfragt werden. Die Behandlungskosten sind je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich (AA 21.12.2023).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur 10 Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.12.2023).
Apotheken und in geringerem Maße private Kliniken verfügen über essenzielle Medikamente. Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Für Medikamente muss man selbst aufkommen. Das Preisniveau ist insgesamt uneinheitlich. Selbst Generika können bisweilen durchaus teurer als in, zum Beispiel, deutschen Apotheken sein (AA 21.12.2023). Die Kosten medizinischer Behandlung und Medikamente müssen im Regelfall selbst getragen werden; die Kosten für Medikamente sind hoch und für die meisten Nigerianer unerschwinglich. Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖB Abuja 10.2024). Gemäß einer weiteren Quelle werden Medikamente für sogenannte vorrangige Krankheiten in staatlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter antiretrovirale Medikamente sowie Medikamente gegen Tuberkulose und multiresistente Tuberkulose. Probleme in der Versorgungskette haben zur Bildung informeller Arzneimittelmärkte geführt. Die Medikamentenpreise variieren in den nördlichen und südlichen Regionen; sie sind im Norden höher, weil die Verteilung von den südlichen Häfen in die nördlichen Regionen kostenintensiver ist (EUAA 4.2022).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die nur eingeschränkt wirken (AA 21.12.2023). Der unerlaubte Verkauf von Medikamenten und die schlechte Qualität von gefälschten Arzneimitteln sind weitere große Herausforderungen (ÖB Abuja 10.2024).
Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists" und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB Abuja 10.2024).
Rückkehr
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.vArt. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB Abuja 10.2024).
Die Österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JRO) gemeinsam mit FRONTEX und anderen EU-Mitgliedstaaten (ÖB Abuja 10.2024).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt und können danach das Flughafengelände verlassen (AA 21.12.2023). Die Rückgeführten verlassen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch die nigerianischen Behörden das Flughafengebäude und steigen zumeist in ein Taxi oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann aufgrund von fehlenden Erfahrungen jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden zu gewärtigen haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB Abuja 10.2024).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33" nicht zu befürchten (AA 21.12.2023). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB Abuja 10.2024).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z. B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne Weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. IOM ist ebenfalls in Abuja und Lagos vertreten. Gleichermaßen haben im
Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 21.12.2023).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser. Weiters wurde Einsicht genommen in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz, in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria sowie in den vorgelegten Behördenakt zur GZ: XXXX . Darüber hinaus wurde Einsicht genommen in den Gerichtsakt zu I416 2298310-1, bezüglich des vorangegangenen Asylverfahrens des Beschwerdeführers in Österreich.
Auskünfte aus dem Betreuungsinformationssystem, dem Schengener Informationssystem, dem Strafregister, dem Zentralen Fremdenregister und dem Zentralen Melderegister wurden ergänzend eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und den Anträgen auf internationalen Schutz:
In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer der österreichischen Botschaft einen nigerianischen Reisepass mit der Nr. XXXX vorlegte, welcher für authentisch (echt) befunden und in weiterer Folge mit einem neuen Reisepass mit der Nr. XXXX über den Luftweg legal nach Europa einreiste, steht seine Identität, somit auch seine Volljährigkeit und Staatsangehörigkeit, fest.
Sämtliche Feststellungen zum vorangegangenen Asylverfahren des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus dem Bescheid der belangten Behörde vom 09.07.2024 sowie der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.12.2024, GZ: I416 2298310-1/9E.
Die gegenständliche Antragstellung auf internationalen Schutz samt den nunmehr vorgebrachten Fluchtgründen des Beschwerdeführers wurde dem vorliegenden Behördenakt sowie insbesondere den darin befindlichen Protokollen zur niederschriftlichen Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.02.2025 und durch die belangte Behörde am 13.03.2025 entnommen.
Im Rahmen des gegenständlichen Verfahrens auf internationalen Schutz brachte der Beschwerdeführer erstmals im Wesentlichen vor, dass er sich zum gleichen Geschlecht hingezogen fühlen würde, dies aber in Nigeria strafbar wäre, weshalb er eine Haftstrafe in seinem Herkunftsstaat befürchte.
Der EuGH legte bereits ausdrücklich dar, dass die Asylbehörden die Aussagen eines (behauptetermaßen homosexuellen) Asylwerbers nicht allein deshalb für nicht glaubhaft erachten dürfen, weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht habe. Angesichts des sensiblen Charakters der Fragen, die die persönliche Sphäre einer Person, insbesondere seine Sexualität, betreffen, könne allein daraus, dass diese Person, weil sie zögerte, intime Aspekte ihres Lebens zu offenbaren, ihre Homosexualität nicht sofort angegeben habe, nicht geschlossen werden, dass sie unglaubwürdig sei (vgl. VwGH 25.10.2023, Ra 2023/19/0143; EuGH 02.12.2014, Rechtssache A., B., C., C-148/13, C-149/13, C-150/13; insbesondere Rn. 69 und 72).
Folglich kann unter der vorzitierten Judikatur des EuGH bzw. des VwGH dem vom Beschwerdeführer behaupteten neuen Fluchtvorbringen – nämlich, dass er homosexuell sei – der glaubhafte Kern nicht von vorherein abgesprochen werden, weswegen es einer erneuten inhaltlichen Auseinandersetzung mit seinem Fluchtvorbringens sowie den bisherigen Ermittlungsergebnissen betreffend deren Glaubhaftigkeit bedarf.
Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass überdies in Hinblick auf die gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers Umstände hervorgekommen sind, die bislang noch keiner inhaltlichen Entscheidung zugeführt wurden.
2.3 Zur Situation im Herkunftsstaat:
Die getroffenen Feststellungen zur Homosexualität, der derzeitigen medizinischen Versorgungslage sowie der Rückkehr nach Nigeria ergeben sich aus dem „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Zur Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.
Identität der Sache bzw. „entschiedene Sache“ iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn gegenüber der Vorentscheidung eine unveränderte materielle Rechtslage vorliegt oder weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt sich geändert hat und das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckungsgleich ist (vgl. VwGH 11.03.2024, Ra 2022/08/0065; 13.02.2024, Ra 2024/02/0025; 19.01.2022, Ra 2020/20/0100).
In jenem Fall, in dem die belangte Behörde den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 23.09.2020, Ra 2020/14/0175).
Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom Verwaltungsgericht von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne deren sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen.
Gelangt das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Behörde nicht von entschiedener Sache hätte ausgehen dürfen, sondern aufgrund des Vorliegens neuer Sachverhaltselemente eine inhaltliche Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz hätte durchführen müssen, hat es den zurückweisenden Bescheid auf Grundlage des für zurückweisende Entscheidungen im Zulassungsverfahren anzuwendenden § 21 Abs. 3 BFA-VG zu beheben, wodurch das Verfahren vor der Behörde zugelassen ist und eine neuerliche Zurückweisung des Antrages gemäß § 68 AVG unzulässig wird. Hingegen ist dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den zugrundeliegenden Antrag auf internationalen Schutz in einem Beschwerdeverfahren über einen zurückweisenden Bescheid nach § 68 AVG verwehrt, weil diesfalls die Sache des Beschwerdeverfahrens überschritten würde (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, § 7 BFA-VG, K11, K17).
Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme. Eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“, dem Relevanz zukommt, aufweisen. Wenn die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen können, bedarf es einer Auseinandersetzung der gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse betreffend deren Glaubhaftigkeit (vgl. VwGH 05.07.2023, Ra 2021/18/0270; VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006).
Als Vergleichsbescheid ist dabei der Bescheid heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226).
Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH 04.11.2004, 2002/20/0391).
Wie umseits in der Beweiswürdigung dargelegt, führte bereits der EuGH aus, dass die Asylbehörden einen Asylwerber nicht alleine deshalb, „weil er seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht habe“, als unglaubwürdig erachten dürfen (vgl. VwGH 25.10.2023, Ra 2023/19/0143).
Im gegenständlichen Fall brachte der Beschwerdeführer ein neues – im Sinne von § 68 Abs. 1 AVG relevantes – Fluchtvorbringen vor. So gab er an, dass er bei Rückkehr nach Nigeria aufgrund seiner Homosexualität eine Haftstrafe befürchte. Im Lichte der vorgenannten Judikatur des kann dem neuen Vorbringen des Beschwerdeführers somit nicht von vornherein der glaubhafte Kern abgesprochen werden. Zudem ist es unter Berücksichtigung der Lage im Herkunftsstaat a priori nicht ungeeignet, zu einem anderen Verfahrensergebnis zu führen.
Eine zurückweisende Entscheidung wegen entschiedener Sache kommt im vorliegenden Fall somit nicht in Betracht, sondern hätte die belangte Behörde das Fluchtvorbringen inhaltlich auf seine Glaubhaftigkeit und Relevanz prüfen müssen.
Da bei einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG dem Bundesverwaltungsgericht ein inhaltlicher Abspruch über den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz verwehrt ist und es lediglich die Rechtmäßigkeit der Zurückweisung überprüfen darf, war der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid im Ergebnis stattzugeben und dieser – auch hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte – ersatzlos zu beheben.
Für das von der belangten Behörde in weiterer Folge erneut entstehende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der belangten Behörde neuerlich, nämlich meritorisch, somit in der Sache, abzusprechen ist (vgl. VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).
Im Ergebnis war daher spruchgemäß zu entscheiden.
4. Zum Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Die Verhandlung kann nach Abs. 2 entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist (Z 1) oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (Z 2).
Da der verfahrenseinleitende Antrag des Beschwerdeführers zurückzuweisen war, konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben. Der für die Zurückweisung maßgebliche Sachverhalt war zudem auf Grund der Aktenlage klar.
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.