Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie die Hofräte Mag. Stickler, Mag. Cede und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des G G in N, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Domplatz 16, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. März 2022, Zl. W209 2241720 1/2E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Gewährung einer Versehrtenrente (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Mit Bescheid vom 8. August 2019 sprach die (damalige) Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (BVA) aus, die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung (§§ 88 ff Beamten Kranken und Unfallversicherungsgesetz B KUVG) an den Revisionswerber aus Anlass seiner Lungenerkrankung werde mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt. Begründend führte die BVA aus, der Revisionswerber leide zwar an einer Lungenerkrankung, es liege jedoch keine exogene allergische Alveolitis durch Schimmelpilzexposition vor. Seine Erkrankung sei nicht unter eine der in der Anlage 1 zum ASVG bezeichneten Krankheiten zu subsumieren. Auch liege kein Fall der Generalklausel vor, nach der eine Erkrankung im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt werden könne. Das Vorliegen einer Berufskrankheit sei daher zu verneinen. Leistungen aus der Unfallversicherung seien daher nicht zu gewähren.
2 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Klage beim Landesgericht Wiener Neustadt als Arbeits und Sozialgericht. Am 10. Oktober 2019 zog er die Klage in einer mündlichen Verhandlung zurück.
3 In dem dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Akt befindet sich im Weiteren ein Bescheid der BVA vom 17. Oktober 2019, mit dem „gemäß § 72 ASGG [...] aufgrund der Zurücknahme der Klage am 10.10.2019“ erneut ausgesprochen wurde, die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung an den Revisionswerber aus Anlass seiner Lungenerkrankung werde mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt. Die Begründung entspricht wortgleich der des Bescheids vom 8. August 2019. In der Rechtsmittelbelehrung wurde festgehalten, gegen den Bescheid könne beim zuständigen Landesgericht Wiener Neustadt als Arbeits und Sozialgericht nur Klage erhoben werden, sofern der Bescheid von dem durch die „seinerzeitige Klage außer Kraft getretenen Bescheid“ abweiche.
4 Mit Bescheid vom 18. Februar 2021 sprach die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau (BVAEB) die Rechtsnachfolgerin der BVA gegenüber dem Revisionswerber aus, sein „am 8. Oktober 2020 eingelangter“ Antrag auf Gewährung von Leistungen gemäß §§ 88 ff B KUVG aus Anlass seiner Lungenerkrankung werde gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. In der Begründung stützte die BVAEB sich darauf, dass der Bescheid vom 17. Oktober 2019 in Rechtskraft erwachsen sei. Der Revisionswerber habe nun „mit Antrag vom 8. Oktober 2020“ weitere medizinische Befunde übermittelt und um nochmalige Ausstellung eines Bescheids ersucht. Nachdem die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse jedoch keine Änderung erfahren hätten, sei der Antrag zurückzuweisen gewesen.
5 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber vor, sein Gesundheitszustand habe sich im Herbst 2019 verschlechtert. In der Folge sei von seiner ihn im Landesklinikum H behandelnden Ärztin ein Operationstermin im AKH Wien organisiert worden. Dort sei eine Lungenbiopsie durchgeführt worden, wobei eine histologisch gesicherte exogene allergische Alveolitis J67.9 mit Fibrose diagnostiziert worden sei. Daher habe das Landesklinikum H aufgrund der nunmehr geänderten Verhältnisse am 11. März 2020 neuerlich eine ärztliche Meldung einer Berufskrankheit vorgenommen. Der Bescheid vom 8. August 2019 habe zum Gegenstand gehabt, dass damals keine Berufskrankheit vorgelegen sei. Aus den vorgelegten Befunden ergebe sich aber, dass nunmehr die genannte Berufskrankheit vorliege.
6 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.
7 Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, die BVA habe die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung mit Bescheid vom 8. August 2019 mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt. Seine gegen diesen Bescheid erhobene Klage habe der Revisionswerber zurückgezogen, weil der gerichtlich bestellte Sachverständige ausgeführt habe, dass das Krankheitsbild nicht eindeutig sei. Im Herbst 2019 habe sich der Gesundheitszustand des Revisionswerbers verschlechtert. Bei einer in Hinblick auf eine deshalb geplante Operation durchgeführten Lungenbiopsie sei eine histologisch gesicherte exogene allergische Alveolitis J67.9 mit Fibrose diagnostiziert worden.
8 In rechtlicher Hinsicht sei zu beachten, dass mit dem „in Rechtskraft erwachsenen Bescheid“ vom 8. August 2019 eine Leistung aus der Unfallversicherung mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt worden sei. Eine entschiedene Sache liege im Sinn von § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt nachträglich geändert hätten und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren decke. Bei der Prüfung der Identität der Sache sei vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu überprüfen. Bei nach Erlassung des Bescheids hervorgekommenen Umständen, durch welche dessen Unrichtigkeit dargetan würde, wie sie „im vorliegenden Fall vorgebracht worden“ seien, handle es sich nicht um eine Änderung des Sachverhalts. Solche Umstände könnten lediglich unter den Voraussetzungen des § 69 AVG einen Wiederaufnahmegrund bilden. „Daran“ ändere „auch der Umstand nichts, dass nach den Angaben des [Revisionswerbers] seit der Erlassung des Vorbescheids eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands eingetreten“ sei. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse könne nämlich zwar gemäß § 94 B KUVG zu einer Neufeststellung einer Rente führen. Das setze jedoch voraus, dass bereits eine Rente festgestellt worden sei. Die „vorgebrachte Verschlechterung“ sei daher „nicht entscheidungsrelevant“, weshalb sich auch eine Auseinandersetzung mit der Frage erübrige, ob diese als wesentlich zu qualifizieren sei. Insgesamt sei eine neuerliche inhaltliche Entscheidung über „den Antrag vom 8. Oktober 2020“ in Hinblick auf den bereits rechtskräftig entschiedenen Sachverhalt nicht möglich, sodass die Zurückweisung des Antrages zurecht erfolgt sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
10 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof hat die BVAEB eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragte.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
12 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird geltend gemacht, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zum Vorliegen einer entschiedenen Sache im Sinn von § 68 Abs. 1 AVG abgewichen, indem es keine dieser Bestimmung entsprechende Auseinandersetzung damit vorgenommen habe, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten sei. Der Vorentscheidung sei zugrunde gelegen, dass keine exogene allergische Alveolitis durch Schimmelexposition vorgelegen sei. Diese Erkrankung sei nunmehr diagnostiziert worden. Insoweit habe das Verwaltungsgericht das Vorbringen des Revisionswerbers missverstanden. Behauptet worden sei von ihm nämlich nicht bloß, dass sich sein Zustand zum Vorverfahren verschlechtert hätte, sondern dass sich das genannte Krankheitsbild und damit eine Berufskrankheit nunmehr entwickelt habe. Dazu habe das Bundesverwaltungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen und keinen Vergleich des nunmehrigen Zustands mit demjenigen, der dem Vorbescheid zugrunde gelegen sei, vorgenommen.
13 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.
14 Den weiteren Überlegungen ist zunächst voranzustellen, dass das Bundesverwaltungsgericht und die Parteien aus folgenden Gründen zutreffend von der Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts ausgegangen sind.
15 Nach § 129 B KUVG kommt hinsichtlich des Verfahrens zur Durchführung dieses Bundesgesetzes der siebente Teil des ASVG nach der geltenden Rechtslage somit §§ 352 bis 416 ASVG mit bestimmten Maßgaben, denen vorliegend keine Relevanz zukommt, zur Anwendung.
16 Gemäß § 362 Abs. 1 ASVG ist der Antrag zurückzuweisen, wenn die Zuerkennung des Anspruches auf eine Versehrtenrente oder der Antrag auf eine Erhöhung der Versehrtenrente mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit abgewiesen oder eine solche Rente aus dem gleichen Grunde entzogen worden ist und vor Ablauf eines Jahres nach Rechtskraft der Entscheidung der Antrag auf Zuerkennung (Erhöhung) der Versehrtenrente neuerlich eingebracht wird, ohne dass eine wesentliche Änderung (§ 183 Abs. 1 zweiter Satz) der zuletzt festgestellten Unfallsfolgen glaubhaft bescheinigt ist oder innerhalb einer vom Versicherungsträger gesetzten angemessenen Frist bescheinigt wird.
17 Nach § 68 Abs. 1 ASGG ist das gerichtliche Verfahren ohne Rücksicht auf den § 67 Abs. 1 Z 1 ASGG durchzuführen und in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Versicherungsträger in den Fällen des § 362 ASVG den Antrag zurückgewiesen hat und der Versicherte dem Gericht eine wesentliche Änderung des zuletzt festgestellten Gesundheitszustandes glaubhaft zu machen vermag.
18 § 362 Abs. 1 ASVG sieht somit für Fälle, in denen die Zuerkennung des Anspruches auf eine Versehrtenrente oder der Antrag auf eine Erhöhung der Versehrtenrente mangels einer entsprechenden Einbuße an Erwerbsfähigkeit abgewiesen oder eine solche Rente aus dem gleichen Grunde entzogen worden ist, modifizierte Regeln für die Wirkung der Rechtskraft der abweisenden Bescheide vor (vgl. Kneihs in SV Komm [236. Lfg] § 361 ASVG Rz 1), wobei die Sperrwirkung der rechtskräftigen Entscheidungen vermindert ist (vgl. VwGH 4.10.2001, 2001/08/0057). Hat der Versicherungsträger in den Fällen des § 362 ASVG einen Antrag zurückgewiesen somit insbesondere nach Abs. 1 dieser Bestimmung die Zurückweisung auf die Rechtskraft einer von der Regelung erfassten Entscheidung gegründet , obliegt nach § 68 Abs. 1 ASGG die Überprüfung der Zurückweisung im Rahmen der sukzessiven Kompetenz den Sozialgerichten (vgl. Neumayr in ZellKomm 3 § 68 ASGG Rz 2).
19 § 362 Abs. 1 ASVG kommt auf abweisende Bescheide dagegen nicht zur Anwendung, wenn die Abweisung der Ansprüche aus der Unfallversicherung nicht aufgrund in dieser Bestimmung genannter Umstände, sondern aus anderen Gründen wie insbesondere das Fehlen der Anwartschaft oder das Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erfolgt ist (vgl. nochmals Kneihs aaO § 361 ASVG Rz 1). Wird die Zurückweisung eines Antrags wegen entschiedener Sache auf die Rechtskraft eines solchen von § 362 Abs. 1 ASVG nicht erfassten Bescheids gegründet, liegt eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG vor. Die Bekämpfung erfolgt durch Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (vgl. die auf die Rechtslage nach der Verwaltungsgerichtsbarkeitsreform übertragbaren Erkenntnisse VwGH 6.6.2012, 2009/08/0226, sowie nochmals VwGH 2001/08/0057, jeweils mwN). Im vorliegenden Fall gründete die BVAEB die Ablehnung der Ansprüche des Revisionswerbers auf die rechtskräftige Abweisung der Ansprüche des Revisionswerbers mangels Vorliegens einer Berufskrankheit. Da somit kein Fall des § 362 Abs. 1 ASVG vorlag, war das Bundesverwaltungsgericht zur Behandlung der Beschwerde gegen den Bescheid vom 18. Februar 2021 zuständig.
20 Nach dem mit dem Verwaltungsgerichtsbarkeits Anpassungsgesetz Sozialversicherung, BGBl. I Nr. 87/2013, eingeführten § 360b Abs. 1 ASVG sind auf die Verfahren der Versicherungsträger in Leistungssachen insbesondere die §§ 63 bis 68 AVG über den Rechtsschutz nicht anzuwenden. Dies entsprach auch bereits dem mit BGBl. I Nr. 87/2013 aufgehobenen § 357 ASVG. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch daraus, dass wie auch nach der geltenden Rechtslage die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 69, 70 AVG) und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG) auch in den Verfahren in Leistungssachen anwendbar sind, geschlossen, dass auch Bescheide der Versicherungsträger in Leistungssachen der Rechtskraft zugänglich sind und daher die Grundsätze der Rechtskraft behördlicher Entscheidungen im Sinn von § 68 Abs. 1 AVG zur Anwendung kommen (vgl. nochmals VwGH 2001/08/0057; sowie VwGH 19.3.1987, 86/08/0239, mwN). Diese Überlegungen sind auf die geltende Rechtslage zu übertragen (vgl. idS auch Kneihs in SV Komm [276. Lfg] § 360b ASVG Rz 8).
21 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidungsbegründung die Zurückweisung des Antrages des Revisionswerbers auf den nach seinen Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung „in Rechtskraft erwachsenen“ Bescheid der BVA vom 8. August 2019 gestützt. Mit diesen Ausführungen wird jedoch übergangen, dass der Revisionswerber nach den vom Bundesverwaltungsgericht selbst getroffenen Feststellungen und dem unstrittigen Akteninhalt gegen den Bescheid vom 8. August 2019 eine Klage beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebracht hat. Mit Erhebung der Klage ist der Bescheid vom 8. August 2019 gemäß § 71 Abs. 1 ASGG im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft getreten. Auch durch die folgende Zurücknahme der Klage kam es nach § 72 Z 1 ASGG nicht zu einem erneuten Inkrafttreten der Entscheidung. Das Bundesverwaltungsgericht konnte die Zurückweisung des Antrages des Revisionswerbers daher nicht auf die Rechtskraft des Bescheids vom 8. August 2019 gründen (vgl. idS ebenfalls zu einem durch Klage außer Kraft getretenen Bescheid VwGH 30.5.1995, 93/08/0207).
22 Die BVAEB hat mit ihrem beim Bundesverwaltungsgericht in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 18. Februar 2021 die Zurückweisung des Antrags des Revisionswerbers allerdings nicht auf den Bescheid der BVA vom 8. August 2019, sondern auf den Bescheid vom 17. Oktober 2019 gestützt und ausgeführt, dass dieser auf § 72 ASGG gegründete und dem Bescheid vom 8. August 2019 sowohl hinsichtlich Spruch als auch Begründung entsprechende Bescheid unbekämpft in Rechtskraft erwachsen sei.
23 Eine Ausfertigung des mit einer Amtssignatur versehenen Bescheids vom 17. Oktober 2019 befindet sich in dem dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Akt der BVAEB. Vor dem Hintergrund, dass dieser Bescheid sowohl in den Entscheidungsgründen des Bundesverwaltungsgerichts als auch im Vorbringen des Revisionswerbers gänzlich unerwähnt bleibt, kann allerdings auch wenn dies vor dem Hintergrund auch des Vorbringens des Revisionswerbers naheliegt nicht als außer Streit stehend angesehen werden, dass dieser Bescheid tatsächlich gegenüber dem Revisionswerber durch Zustellung wirksam erlassen und unbekämpft geblieben ist. Insofern fehlen Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts.
24 Auch wenn der Bescheid vom 17. Oktober 2019 dem Rechtsbestand angehören sollte und wovon auch die Revision ausgeht die BVA damit tatsächlich rechtskräftig ausgesprochen hat, dass die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung an den Revisionswerber aus Anlass seiner Lungenerkrankung mangels Vorliegens einer Berufskrankheit abgelehnt wird, entspricht die Prüfung des Vorliegens einer entschiedenen Sache durch das Bundesverwaltungsgericht, wie die Revision im Ergebnis zutreffend aufzeigt, aus folgenden Gründen nicht den wie dargelegt heranzuziehenden Grundsätzen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 68 Abs. 1 AVG:
25 Im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 AVG die Abänderung eines (rechtskräftigen) Bescheids begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 AVG in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach und Rechtslage) verhindern soll. Die objektive (sachliche) Grenze der Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß im Sinn der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zu § 68 AVG durch die „entschiedene Sache“, d.h. durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Von einer Identität der Sache kann nur dann gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteienbegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Liegt eine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor oder ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt eine Änderung eingetreten, so stünde die rechtskräftige Entscheidung dem neuerlichen Antrag nicht entgegen. Dabei könnte aber nur eine solche Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. zum Ganzen nochmals VwGH 2009/08/0226; vgl. zum Begriff der Identität der Sache aus der ständigen Judikatur etwa auch VwGH 6.12.2019, Ra 2017/06/0120; 27.10.2020, Ra 2020/21/0359; jeweils mwN).
26 Bei der Überprüfung, ob sich der Sachverhalt maßgeblich geändert hat, ist vom rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne dass dabei dessen sachliche Richtigkeit nochmals zu ergründen wäre, weil die Rechtskraftwirkung ja gerade darin besteht, dass die von der Behörde entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH 26.3.2021, Ra 2020/06/0119, mwN). Ist der Bescheid vom 17. Oktober 2019 wirksam erlassen und mangels Bekämpfung rechtskräftig geworden, ist daher grundsätzlich nicht zu überprüfen, ob dieser seinem Inhalt nach gemäß § 72 ASGG infolge Zurückziehung der Klage gegen den Bescheid vom 8. August 2019 erlassene Bescheid den gesetzlichen Grundlagen bzw. den im gegebenen Zusammenhang durch § 72 Z 2 lit. c ASGG gezogenen inhaltlichen Grenzen sogenannter Wiederholungsbescheide nach § 72 ASVG entsprochen hat (vgl. zu diesen Grenzen, wonach jedenfalls nicht neuerlich über den Anspruch auf Versehrtenrente abzusprechen ist, jüngst VwGH 31.1.2023, Ra 2022/08/0042 mit Hinweis auf OGH 1.3.2011, 10 ObS 10/11k).
27 Zum Verständnis des Bescheidinhalts ist aber zu beachten, dass nach § 367 Abs. 1 ASVG u.a. über die Feststellung, dass eine Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls bzw. einer Berufskrankheit ist, auch dann mit Bescheid abzusprechen ist, wenn nach Eintritt einer Gesundheitsstörung eine Leistung aus der Unfallversicherung nicht anfällt. In diesem Sinn ist die Formulierung des Spruchs des Bescheids vom 8. August 2019 und des diesen wiederholenden Bescheids vom 17. Oktober 2019, die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung an den Revisionswerber aus Anlass seiner Lungenerkrankung werde „mangels Vorliegens einer Berufskrankheit“ abgelehnt, als missglückt anzusehen. Im Sinn des § 367 Abs. 1 ASVG ist der Ausspruch unter Beachtung der Begründung des Bescheids aber unbeschadet der Frage, aber in jeder Hinsicht rechtmäßig ist (vgl. Rn. 26) so zu deuten, dass einerseits festgestellt wurde, dass die Lungenerkrankung des Revisionswerbers keine Berufskrankheit darstelle, und andererseits (infolge dessen) die Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung nach dem B KUVG abgewiesen werde.
28 Im Sinn der dargestellten Grundsätze steht eine Rechtskraft des Bescheids vom 17. Oktober 2019 soweit gegeben (siehe Rn. 23) der Geltendmachung einer Unrichtigkeit der mit diesem Bescheid erfolgten Beurteilung des Vorliegens einer Berufskrankheit bzw. dem bloßen Verlangen nach einer nochmaligen Entscheidung in dieser Sache entgegen (vgl. allerdings hinsichtlich eines möglichen hier unstrittig aber nicht gestellten Antrags nach § 42 B KUVG zur Parallelbestimmung des § 101 ASVG nochmals VwGH Ra 2022/08/0042).
29 Dagegen wäre im Sinn der Ausführungen in der Revision eine Identität der Sache, die einer neuerlichen Entscheidung entgegensteht, dann nicht mehr gegeben, wenn erst in späterer Folge die behauptete Berufskrankheit eingetreten ist. Im Fall der Behauptung einer solchen relevanten Änderung des Sachverhalts, die einer neuen Beurteilung des Sachverhalts nicht entgegensteht, entspricht es der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, dass die Behörde sich mit der behaupteten Sachverhaltsänderung bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit der (neuerlichen) Antragstellung insoweit auseinander zu setzen hat, als von ihr gegebenenfalls auf der Grundlage eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens festzustellen ist, ob die neu vorgebrachten Tatsachen zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen (vgl. VwGH 31.7.2014, 2013/08/0163, mwN).
30 Insoweit ist auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu verweisen, wonach die bei einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts bestehende Möglichkeit, einen Anspruch, über den bereits rechtskräftig im abweisenden Sinn entschieden wurde, neuerlich vor der Behörde zu erheben, voraussetzt, dass die wesentlichen Sachverhaltsänderungen von der Partei behauptet werden. Die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft auf Grund geänderten Sachverhalts darf ausschließlich an Hand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht werden (vgl. etwa VwGH 26.2.2004, 2004/07/0014, mwN). Keiner Bedeutung kommt insoweit daher den Ausführungen in der Beschwerde zu. Fallbezogen müsste erkennbar dargelegt worden sein, dass die Berufskrankheit neu aufgetreten ist.
31 Mit dem beim Bundesverwaltungsgericht in Beschwerde gezogenen Bescheid der BVAEB vom 18. Februar 2021 erfolgte nach seinem Spruch eine Zurückweisung eines „am 8. Oktober 2020 eingelangten Antrags“ des Revisionswerbers. Was Inhalt dieses Antrags gewesen ist, wurde wie schon im Bescheid der BVAEB im angefochtenen Erkenntnis nicht erläutert. In dem dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Akt der BVAEB befinden sich wohl medizinische Unterlagen, die vom Revisionswerber offensichtlich im März und April 2020 übermittelt wurden. Der im Bescheid genannte Antrag aus dem Oktober 2020 ist jedoch auch aus dem Akt nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund wäre das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet gewesen, den Inhalt des vom Revisionswerber gestellten Antrags, der mit dem Bescheid der BVAEB vom 18. Februar 2021 zurückgewiesen wurde, zweckmäßigerweise nach Aufforderung an die Parteien zur Stellungnahme zu ergründen.
32 Insgesamt entspricht die Beurteilung des Vorliegens einer entschiedenen Sache durch das Bundesverwaltungsgericht daher nicht den genannten Vorgaben, sodass das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben war.
33 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
34 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die geltend gemachte Eingabegebühr, die im Hinblick auf die sachliche Abgabenfreiheit nach § 30 B KUVG iVm. § 110 ASVG nicht zu entrichten war.
Wien, am 11. März 2024