Spruch
I416 2298310-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, Goldschmiedgasse 6/6, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.07.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, stellte nach seiner unrechtmäßigen Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 22.05.2023 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 23.05.2023 wurde der Beschwerdeführer hinsichtlich seines Antrags auf internationalen Schutz von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu seinen Fluchtgründen befragt im Wesentlichen an, dass er aktives Mitglied der Gruppierung Biafra und gegen die Verwendung von Waffen gewesen sei. Kurz vor seiner Ausreise habe er erfahren, dass er von der Polizei gesucht werde, da die nigerianischen Behörden glauben würden, dass er an einem Angriff beteiligt gewesen sei. Im Falle seiner Rückkehr befürchte er eine Haftstrafe.
3. Am 20.02.2024 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) und wiederholte er darin im Wesentlichen die im Rahmen der Erstbefragung angeführten Fluchtgründe in detaillierter Form. Darüber hinaus führte er eine Bedrohung aufgrund seiner Mitgliedschaft bei IPOB sowie eine Verfolgung aufgrund des Verdachts einer Mitgliedschaft bei ESN an.
4. Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 09.07.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ihm keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.). Ihm wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen den Bescheid der belangten Behörde erhob der Beschwerdeführer durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 12.08.2024 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie mangelhafte Führung des Ermittlungsverfahrens.
6. Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 30.08.2024 vorgelegt.
7. Am 02.12.2024 fand in Anwesenheit und unter Einvernahme des Beschwerdeführers im Beisein seiner Rechtsvertretung und einer Dolmetscherin für die englische Sprache eine mündliche Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht statt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Ibo an. Er bekennt sich zum christlichen Glauben und steht seine Identität fest. Er leidet an keinen physischen oder psychischen Beeinträchtigungen, welche einer Rückkehr in den Herkunftsstaat entgegenstehen, und ist erwerbsfähig.
Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in Delta State in Nigeria geboren und wuchs dort auf. In seinem Herkunftsstaat besuchte er sechs Jahre die Grundschule, sechs Jahre die Mittelschule sowie anschließend den Lehrgang „Science Laboratory Technology“, woraufhin er seinen Lebensunterhalt mit seiner Mithilfe in der familiären Geflügelfarm ins Verdienen brachte. Gegenwärtig leben seine Schwester sowie sein Bruder in Nigeria, wobei der Beschwerdeführer auch regelmäßigen Kontakt zu seinen Angehörigen pflegt.
Der Beschwerdeführer reiste nach einem etwa drei- bis viermonatigen Aufenthalt in Abuja im Jahr 2023 schließlich legal mit einem Visum C aus Nigeria aus und hält sich jedenfalls seit seiner Asylantragstellung in Österreich am 22.05.2023 im Bundesgebiet auf. Er ist seit 31.05.2023 – mit einer kurzen Unterbrechung – mit Hauptwohnsitz melderechtlich in Österreich erfasst.
Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Sorgepflichten und führt keine Beziehung. Familienangehörige des Beschwerdeführers leben keine in Österreich, jedoch hat er sich Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet aufgebaut.
Der Beschwerdeführer weist grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache auf, besuchte Sprachkurse auf den Niveaus A1 und A2 und absolvierte erfolgreich eine Sprachprüfung auf dem Niveau A1. Ansonsten besuchte er den Kurs „Dig XXXX “, übt ehrenamtliche Tätigkeiten beim Verein „ XXXX “ sowie der XXXX aus und nimmt in seiner Freizeit an Gottesdiensten teil. Der Beschwerdeführer geht seit 25.09.2024 einer legalen Erwerbstätigkeit als gastgewerbliche Hilfskraft nach, ist als selbstständiger Zeitungsverkäufer tätig und erhält darüber hinaus Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer ist strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Nigeria aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war.
Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, dass ihm in Nigeria Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Nigeria wird der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und auch keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein.
Es existieren keine Umstände, welche einer Abschiebung des Beschwerdeführers aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden. Es spricht nichts dafür, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine Verletzung von Art. 2, Art. 3 oder auch der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention nach sich ziehen würde. Der Beschwerdeführer ist auch nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer wurde vorab der mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Nigeria übermittelt. Daraus ergeben sich folgende entscheidungswesentliche Feststellungen:
Politische Lage
Nigeria ist eine föderale Republik (ÖB Abuja 10.2023). Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist der Präsident der Republik (ÖB Abuja 10.2023; vgl. AA 21.12.2023), der für vier Jahre gewählt wird; eine einmalige Wiederwahl ist möglich (ÖB Abuja 10.2023; vgl. FH 2024). Der Staatspräsident führt den Vorsitz der von ihm ernannten Bundesregierung (Federal Executive Council) (ÖB Abuja 10.2023).
Nigeria ist in 36 Bundesstaaten und das Federal Capital Territory (FCT, Abuja) (ÖB Abuja 10.2023; vgl. AA 21.12.2023) mit insgesamt 774 LGAs (Local Government Areas, dt. Bezirke) unterteilt (AA 21.12.2023). Jeder der 36 Bundesstaaten wird von einer Regierung unter der Leitung eines direkt gewählten Gouverneurs (State Governor) geführt (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023). Polizei und Justiz werden vom Bund kontrolliert (AA 21.12.2023).
Die Verfassung vom 29.5.1999 enthält alle Elemente eines demokratischen Rechtsstaates, einschließlich eines Grundrechtskataloges, und orientiert sich insgesamt am US-Präsidialsystem. Einem starken Präsidenten und einem Vizepräsidenten stehen ein aus Senat und Repräsentantenhaus bestehendes Parlament und eine unabhängige Justiz gegenüber. Die Justiz ist jedoch der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 21.12.2023).
Nigeria verfügt über ein Mehrparteiensystem. Die Parteienzugehörigkeit orientiert sich meist an Führungspersonen und machtstrategischen Gesichtspunkten. Parteien werden primär als Zweckbündnisse zur Erlangung von Macht angesehen. Politische Führungskräfte wechseln die Partei, wenn sie andernorts bessere Erfolgschancen sehen. Entsprechend repräsentiert keine der Parteien eine eindeutige politische Richtung (AA 21.12.2023). Gewählte Amtsträger setzen im Allgemeinen ihre Politik um. Ihre Fähigkeit, dies zu tun, wird jedoch durch Faktoren wie Korruption, parteipolitische Konflikte und schlechte Kontrolle über Gebiete, in denen militante Gruppen aktiv sind (FH 2024).
Präsidentschafts-, Parlaments-, Gouverneurs- und Landesparlamentswahlen fanden zuletzt im Frühjahr 2023 statt. Aus den von zahlreichen organisatorischen Mängeln und niedriger Wahlbeteiligung von etwa 27 Prozent geprägten Präsidentschaftswahlen ging der ehemalige Gouverneur von Lagos, Bola Ahmed Tinubu, mit rund 36,6 Prozent der Stimmen siegreich hervor (ÖB Abuja 10.2023; vgl. AA 21.12.2023, HRW 11.1.2024, FH 2024). Die Regierungspartei All Progressives Congress (APC) bleibt somit an der Macht und gewann bei den am selben Tag durchgeführten Parlamentswahlen erneut eine deutliche Mehrheit der Abgeordnetensitze in beiden Häusern der Nationalversammlung (Repräsentantenhaus und Senat) (ÖB Abuja 10.2023) und stellt seit den Gouverneurswahlen im März 2023 in 20 der 36 Bundesstaaten den Gouverneur (APC Nigeria o.D.).
Obwohl Nigeria seit dem Übergang zur Demokratie im Jahr 1999 die Qualität seiner Wahlen deutlich verbessert hat, waren die Wahlen zum Präsidenten und zur Nationalversammlung 2023, bei denen Bola Tinubu zum Präsidenten gewählt wurde und der All Progressives Congress (APC) seine Mehrheit in der Legislative behielt, von Unregelmäßigkeiten geprägt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2023 kam es zu erheblichen Unregelmäßigkeiten, darunter Gewalt in einer Reihe von Wahllokalen, Vorwürfe der Wahlmanipulation und der Unterdrückung von Wählern sowie technische und verfahrenstechnische Fehler, die die Öffnung der Wahllokale und die Bekanntgabe der Ergebnisse verzögerten. Einheimische und internationale Beobachter äußerten sich besorgt über die Verwaltung der Wahl durch die Unabhängige Nationale Wahlkommission (INEC), die durch ein äußerst geringes öffentliches Vertrauen in die INEC und einer Wahlbeteiligung von nur 27 Prozent, einem Rekordtief, gekennzeichnet war (FH 2024).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- APC Nigeria - All Progressives Congress Nigeria (o.D.): All Progressives Congress (APC) Official Website, https://apc.com.ng, Zugriff 9.8.2024
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
Sicherheitslage
Nigeria sieht sich mit einer beispiellosen Welle unterschiedlicher, sich überschneidender Sicherheitskrisen konfrontiert. Fast jeder Teil des Landes ist aktuell von Gewalt und Kriminalität betroffen (ÖB Abuja 10.2023; vgl. EUAA 6.2024). Dies umfasst Banditentum (EUAA 6.2024), (Kindes)Entführungen (ÖB Abuja 10.2023; vgl. EUAA 6.2024, FH 2024), Raub, Klein- und Cyberkriminalität (ÖB Abuja 10.2023; vgl. EUAA 6.2024), Verbrechen, Terrorismus/Aufstände, Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen, Landstreitigkeiten (ÖB Abuja 10.2023; vgl. EUAA 6.2024, FH 2024), Ausbruch von Krankheiten, Proteste und Demonstrationen. In jüngster Zeit konnte eine Eskalation von einigen Konflikten beobachtet werden: So löste Nigeria mit April 2022 den Irak mit den meisten vom sog. Islamischen Staat (IS) beanspruchten Attentaten ab. Allein in den ersten 45 Tagen unter dem neugewählten Präsidenten Bola Tinubu wurden 230 Todesopfer verschiedener Krisenherde gezählt. Es handelt sich hierbei um eine konservative Zählung (ÖB Abuja 10.2023). Den nigerianischen Sicherheitskräften wurden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, darunter wahllose Luftangriffe (EUAA 6.2024).
Im Nordosten, im Nordwesten und im Zentrum Nigerias verschlechtert sich die Sicherheitslage (AA 21.12.2023). ISWAP (Islamischer Staat Westafrika Provinz), Boko Haram und Ansaru setzen ihre Angriffe auf nigerianische Regierungs- und Sicherheitskräfte und Zivilisten in den nördlichen und zentralen Regionen Nigerias fort. Bei den Angriffen der Boko Haram wird offenbar nicht zwischen Zivilisten und Regierungsbeamten unterschieden, während die ISWAP ihre Angriffe im Allgemeinen auf die Regierung und die Sicherheitskräfte konzentriert und ihre Bemühungen um die Einrichtung von Schattenregierungsstrukturen ausweitet. Im Jahr 2022 bekämpften sich Boko Haram und ISWAP weiterhin gegenseitig, wobei Boko Haram erheblich geschwächt wurde, während ISWAP seine geografische Präsenz ausgeweitet hat (USDOS 30.11.2023).
Im Jahr 2023 wurden im Nordwesten Banditenbanden für Entführungen, sexuelle Gewalt und Plünderungen verantwortlich gemacht, während im Nordosten ein Wiedererstarken des ISWAP zu verzeichnen war. Die Nord-Zentral-Region und der Nordwesten waren die beiden geopolitischen Zonen, die am stärksten vom Banditentum betroffen waren (EUAA 6.2024). Im Nordwesten des Landes ist organisierte Bandenkriminalität präsent, v. a. in den Bundesstaaten Zamfara, Katsina und Kaduna. Bei schweren Überfällen auf Dörfer werden dabei regelmäßig Zivilisten getötet, verschleppt und vertrieben (AA 21.12.2023). Der Nordwesten Nigerias (Bundesstaaten: Kaduna, Kano, Jigawa, Kebbi, Sokoto, Zamfara) erlebt einen komplexen, multidimensionalen Konflikt, den verschiedene Banden und ethnische Milizen gegen die Regierung führen. Die Zahl an Todesopfern durch Bandenkriminalität im Nordwesten gleichen mittlerweile jener im Nordosten durch Terrorismus (ÖB Abuja 10.2023).
Im Nordosten erfolgen Angriffe vorwiegend durch Boko Haram sowie ISWAP, die ihre Basis in den Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa haben. Seit 2021 gibt es auch Angriffe von Terrorgruppen in den Bundesstaaten Niger, Kaduna, Kogi, Bauchi, Ondo, Zamfara, Taraba, Jigawa, Sokoto, Edo und Kano, wie auch im Federal Capital Territory (FCT) (FCDO 26.7.2024).
Seit vielen Jahren gibt es in Nigeria gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen nomadischen Viehhirten (muslimische Hausa und Fulani) und sesshaften Bauern (überwiegend christlich). Der Konflikt breitet sich im ganzen Land aus, aber vor allem der „Middle Belt“ in Zentralnigeria ist besonders betroffen (ÖB Abuja 10.2023; vgl. FH 2024). Im Middle Belt und in der Nord-Zentral-Region setzte sich der Konflikt zwischen Bauern und Hirten fort, bei dem es zu Todesfällen kommt (EUAA 6.2024). Beide Seiten machen sich Hassreden und Gewaltverbrechen schuldig (AA 21.12.2023). Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 21.12.2023). Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits Tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB Abuja 10.2023). Es handelt sich hierbei inzwischen um den Konflikt mit den meisten Todesopfern im Land (AA 21.12.2023).
Die Lage im Südosten des Landes („Biafra“) bleibt latent konfliktanfällig. In Nigeria selbst haben die Auseinandersetzungen zwischen Regierung und der seit 2017 als „terroristische Vereinigung“ verbotenen IPOB (Indigenous People of Biafra) zugenommen (AA 21.12.2023). Es besteht eine hohe Gefahr für Entführungen und anderen bewaffneten Angriffen auf Öl- und Gasanlagen im Nigerdelta. Dies gilt auch für Anlagen auf See (FCDO 26.7.2024). Im Niger-Delta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption (AA 21.12.2023).
Die Kriminalitätsrate in Nigeria ist sehr hoch, die allgemeine Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren laufend verschlechtert. In allen Regionen können unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser, gesellschaftlicher oder ethnischer Art. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das westliche Taraba und das östliche Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger und Kebbi sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen. In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen am 19.5.2021 die "Operation Restore Peace" in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen. In den nordöstlichen Landesteilen werden fortlaufend terroristische Gewaltakte, wie Angriffe und Sprengstoffanschläge von militanten Gruppen auf Sicherheitskräfte, Märkte, Schulen, Kirchen und Moscheen verübt. Auch Angriffe auf dort tätige humanitäre Hilfsorganisationen waren zu verzeichnen. In den nördlichen bzw. nordwestlichen Bundesstaaten, insbesondere im Grenzgebiet zu Niger, kommt es verstärkt zu Entführungen und schweren Gewaltakten, deren Urheberschaft nicht eindeutig ist, die aber unter Umständen ebenfalls terroristischen Gruppen zuzuschreiben sind (AA 5.6.2024).
Im Jahr 2023 berichtete Nigeria Watch, dass die Hauptursachen für Gewalt und Todesfälle im Land kriminelle Aktivitäten waren, gefolgt von politischen und religiösen Problemen und Verkehrsunfällen. Im Jahr 2023 sank die Zahl der Todesopfer durch Banditentum auf dem Land und Gegenmaßnahmen der Regierung auf 892 gegenüber 5.725 Todesopfern im Jahr 2022. Im Jahr 2023 war der Bundesstaat Borno mit 29,03 Todesopfern pro 100.000 Einwohner der gefährlichste Bundesstaat Nigerias, was vor allem auf den Boko-Haram-Konflikt zurückzuführen ist. Dicht darauf folgten die Bundesstaaten Plateau (14,29) und Benue (12,68). In krassem Gegensatz dazu erwies sich Ekiti mit nur 0,73 Todesopfern pro 100 000 Einwohner als der friedlichste Bundesstaat. Weitere Staaten mit niedrigen Todesraten waren Kano (1,12), Akwa Ibom (1,25) und Oyo (1,3) (NiWa o.D.).
Die nigerianische Armee ist in allen 36 Bundesstaaten des Landes im Einsatz; im Nordosten führt sie Operationen zur Aufstandsbekämpfung und Terrorismusbekämpfung gegen die Terrorgruppen Boko Haram und ISWAP durch, wo sie zeitweise bis zu 70.000 Soldaten eingesetzt hat und seit 2009 schätzungsweise 35-40.000 Menschen, zumeist Zivilisten, durch dschihadistische Gewalt getötet wurden; im Nordwesten sieht sie sich einer wachsenden Bedrohung durch kriminelle Banden - im Volksmund Banditen genannt - und Gewalt im Zusammenhang mit langjährigen Konflikten zwischen Bauern und Hirten sowie durch Boko Haram- und ISWAP-Terroristen ausgesetzt. Die Zahl der Banditen im Nordwesten Nigerias wird auf etwa 10.000 geschätzt, und die Gewalt dort hat seit Mitte der 2010er-Jahre mehr als 10.000 Menschen getötet. Das Militär schützt auch weiterhin die Ölindustrie in der Region des Nigerdeltas vor militanten und kriminellen Aktivitäten; seit 2021 wurden zusätzliche Truppen und Sicherheitskräfte in den Osten Nigerias entsandt, um die erneute Agitation für einen Staat Biafra zu unterdrücken (CIA 28.5.2024).
Demonstrationen und Proteste sind insbesondere in Abuja und Lagos, aber auch in anderen großen Städten möglich und können zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen (AA 5.6.2024). Politische Kundgebungen, Proteste und gewalttätige Demonstrationen können im ganzen Land unangekündigt stattfinden (FCDO 26.7.2024).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.6.2024): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 29.7.2024
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (28.5.2024): The World Factbook: Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/#military-and-security, Zugriff 6.6.2024
- EUAA - European Union Agency for Asylum (6.2024): Nigeria - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2112320/2024_07_EUAA_COI_Report_Nigeria_Country_Focus.pdf, Zugriff 29.7.2024
- FCDO - Foreign, Commonwealth Development Office [United Kingdom] (26.7.2024): Safety and security - Nigeria travel advice, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria/safety-and-security, Zugriff 29.7.2024
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- NiWa - Nigeria Watch (o.D.): Thirteenth report on violence in Nigeria, https://www.nigeriawatch.org/media/html/Reports/NGA-Watch-Report23VF.pdf, Zugriff 29.7.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (30.11.2023): Country Report on Terrorism 2022 - Chapter 1 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2101586.html, Zugriff 29.7.2024
Sicherheitslage Nigerdelta
Im Nigerdelta (Zentrum der Erdöl- und Erdgasindustrie) klagt die dortige Bevölkerung über massive, auch durch internationale Ölförderkonzerne verursachte, Umweltdegradation, jahrzehntelange Benachteiligung, kaum vorhandene Infrastruktur oder Bildungseinrichtungen und Korruption. Die politische Bewegung für das Überleben der Ogoni, MOSOP („Movement for the Survival of the Ogoni People“), oder der Rat der Ijaw-Jugend, IYC („Ijaw Youth Council“) erheben Forderungen nach größerer Autonomie und Entschädigung für verursachte Umweltschäden. Erst im August 2021 hat ein niederländisches Gericht die Firma Shell verurteilt, 111 Millionen US-Dollar für in den 1970er-Jahren verursachte Umweltschäden durch Ölförderungen an betroffene Gemeinden im Süden Nigerias zu zahlen (AA 21.12.2023).
Das Nigerdelta (Bundesstaaten: Abia, Akwa Ibom, Bayelsa, Cross River, Delta, Edo, Imo, Ondo und Rivers) ist zu einem Zentrum von Gewalt mit mehreren aktiven Terrorgruppen geworden, beispielsweise die Niger Delta Avengers, Niger Delta Revolutionary Crusade, Movement for the Emancipation of Niger Delta, Reformed Niger Delta Avengers und Niger Delta Greenland Justice Movement. Diese Milizen sind für die Bombardierung wichtiger Ölpipelines, Entführungen, Erpressungen und Morde verantwortlich. Ihr Ziel ist es, das Nigerdelta und seine Erdölvorkommen, die Haupteinnahmequelle des Staates, zu kontrollieren. Trotz der Verkündung eines (relativ ineffektiven) präsidentiellen Amnestieprogrammes im Jahr 2009 zur Verhinderung des totalen Zusammenbruchs der nigerianischen Erdölindustrie (und in weiterer Folge der gesamten Wirtschaft) haben die illegale Ölbunkerung und Raffinierung zugenommen. Entführungen zur Erpressung von Lösegeld stehen auf der Tagesordnung, wobei Geschäftsleute, Verwandte von politisch exponierten Personen und Expats die Hauptziele sind. Zudem sind die Bundesstaaten Abia und Imo geprägt von Spill-Over-Aktivitäten des radikalen Flügels der seperatistischen Indigenous People of Biafra (IPOB), der bestrebt ist, die Erdölvorkommen in seinen Einflussbereich zu bekommen. Das Niger-Delta dient als operative Basis für die Piraterie-Angriffe im Golf von Guinea (ÖB Abuja 10.2023).
Der 2016 erzielte Waffenstillstand mit Militanten im Nigerdelta hält weiterhin, die Lage bleibt aber sehr fragil, da kaum nachhaltige Verbesserung für die Bevölkerung erkennbar ist (AA 21.12.2023). Verstärkt wird die Gewalt in der Region durch irreguläre Migrationsrouten und Menschenhandel sowie neuerdings durch Entführungen für rituelle Tötungen (ÖB Abuja 10.2023).
Die Menschenrechtsverstöße bewaffneter Gruppen hielten auch 2023 an. Im Südosten des Landes waren unbekannte Bewaffnete aktiv [Anm.: unknown gunmen] (AI 24.4.2024). In den südöstlichen und südlichen Bundesstaaten Imo, Rivers, Anambra, Enugu, Ebonyi und Akwa-Ibom kommt es derzeit gehäuft zu bewaffneten Angriffen auf Institutionen staatlicher Sicherheitskräfte. Die nigerianische Polizei hat nach einem erheblichen Anstieg von Sicherheitsvorfällen 2021 die „Operation Restore Peace“ in diesen Bundesstaaten begonnen. Dies kann lokal zu einer höheren polizeilichen Präsenz führen (AA 5.6.2024).
Das Militär hat auch die Federführung bei der zivilen Bürgerwehr Civilian Joint Task Force inne, die u. a. gegen militante Gruppierungen im Nigerdelta eingesetzt wird. Auch wenn sie stellenweise recht effektiv vorgeht, begeht diese Gruppe häufig selbst Menschenrechtsverletzungen oder denunziert willkürlich persönliche Feinde bei den Sicherheitsorganen (AA 21.12.2023).
Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) strebt die Abspaltung von einigen Bundesstaaten im Südosten (einschließlich dem ölreichen Nigerdelta), die hauptsächlich aus Angehörigen der ethnischen Gruppe der Igbo (Christen) besteht, und die Ausrufung der unabhängigen Nation Biafra an. IPOB wurde 2014 von Nnamdi Kanu gegründet. Er muss sich derzeit wegen Terrorismus und Hochverrats vor Gericht verantworten (ÖB Abuja 10.2023).
Seit dem Beginn der Militäroperation Operation Python Dance im Jahr 2016 und der Exercise Golden Dawn haben sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der IPOB, ihrem paramilitärischen Arm ESN, und den nigerianischen Sicherheitskräften in der Region verschärft (ÖB Abuja 10.2023). 2020 wurde der bewaffnete Arm der IPOB, das Eastern Security Network (ESN), gegründet. Das ESN wird mit zahlreichen tödlichen Anschlägen auf Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen in Verbindung gebracht (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023). Im Jahr 2020 und 2021 gab es eine Welle von Angriffen auf Polizeistationen und öffentliche Gebäude im Südwesten Nigerias, die dem ESN zugeschrieben werden (BBC 4.7.2021; vgl. AA 21.12.2023). Nigerianische Regierungsstellen und andere Behörden sehen die Verantwortung für Gewalttaten im Südosten des Landes regelmäßig bei der Gruppierung IPOB und deren bewaffnetem Flügel ESN. Entsprechende Vorwürfe werden von diesen jedoch ebenso regelmäßig abgestritten. Bei immer wieder vorkommenden Sit-at-home-Anordnungen der IPOB handelt es sich um eine Art von "freiwilligen" Ausgangssperren (Lockdown) der Bevölkerung in bestimmten Regionen Südostnigerias, die immer wieder angeordnet werden. Mit solchen Maßnahmen versuchte IPOB bereits in der Vergangenheit, Druck auf die nigerianische Regierung auszuüben. Wer Sit-at-home-Anordnungen missachtet, riskiert Repressalien. Meldungen bzgl. in der Region zerstörter Separatistenlager kamen in den Jahren 2023 und 2024 mehrfach vor (BAMF 3.6.2024a).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.6.2024): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 29.7.2024
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Nigeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107991.html, Zugriff 7.6.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.6.2024a): Briefing Notes KW 23 2024, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw23-2024.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 30.7.2024
- BBC - British Broadcasting Corporation (4.7.2021): Nnamdi Kanu’s arrest leaves Nigeria’s Ipob separatists in disarray, https://www.bbc.com/news/world-africa-57693863, Zugriff 30.7.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
Konflikt zwischen Hirten und Bauern
Im Middle-Belt gibt es einen jahrelangen Konflikt zwischen sesshaften Bauern und nomadischen Hirten (ACCORD 2.4.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2023), bei dem es im Grunde genommen um Landnutzungsrechte geht, der aber zunehmend an ethnischen/religiösen Identitäten – mit größtenteils christlichen Bauern und muslimischen Fulani-Hirten – festgemacht wird (ACCORD 2.4.2024).
Der seit Jahrzehnten schwelende und immer wieder aufflammende Konflikt zwischen Hirten und Bauern im sog. „Middle Belt“ in Zentralnigeria (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023, EUAA 6.2024, HRW 11.1.2024) und in der Nord-Zentral-Region (EUAA 6.2024, HRW 11.1.2024) um knapper werdende Ressourcen dauert weiter an (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023, EUAA 6.2024). In einigen Bundesstaaten ist die Lage der jeweiligen christlichen bzw. muslimischen Minderheit problematisch, insbesondere wo der Kampf um Ressourcen zunehmend religiös und politisch instrumentalisiert wird (AA 21.12.2023). Die Meinungsverschiedenheiten über die Nutzung von Land und Wasser sowie über Weiderouten haben sich durch den Klimawandel und die Ausbreitung der Sahara verschärft, da die Hirten auf der Suche nach Weideland immer weiter in den Süden ziehen (ÖB Abuja 10.2023).
Standen zu Beginn vor allem die Bundesstaaten Kaduna und Plateau im Zentrum der Auseinandersetzungen, haben sich diese südlich nach Nasarawa, Benue, Taraba und Adamawa ausgeweitet (AA 21.12.2023). Nach anderen Angaben sind derzeit insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, der westliche Teil von Taraba, der östliche Teil von Nasarawa, das nördliche Sokoto und die Bundesstaaten Plateau, Kaduna, Benue, Niger sowie Kebbi von bewaffneten Auseinandersetzungen bzw. inner-ethnischen Konflikten zwischen nomadisierenden Viehzüchtern und sesshaften Farmern sowie organisierten kriminellen Banden betroffen (AA 5.6.2024).
Bei Zusammenstößen um begrenzte Ressourcen wurden bereits Tausende Menschen getötet sowie Sachbeschädigungen, Brandschatzungen und Vergewaltigungen begangen (ÖB Abuja 10.2023). Es werden weiterhin Todesopfer gemeldet (EUAA 6.2024). Im Jahr 2023 stieg die Zahl der Todesopfer bei Zusammenstößen zwischen Landwirten und Hirten in Nigeria auf 860, ein Anstieg gegenüber den 579 im Vorjahr. Der Bundesstaat Benue meldete die meisten Todesopfer, gefolgt von den Bundesstaaten Plateau und Taraba, während Kano, Ebonyi, Kwara und Bayelsa die niedrigsten Zahlen verzeichneten. Wie in den Vorjahren ereigneten sich die Tötungen auf Weideflächen und bei Überfällen auf Farmen oder Fulani-Gemeinden (NiWa o.D.).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (5.6.2024): Nigeria: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/205788#content_5, Zugriff 29.7.2024
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (2.4.2024): Nigeria - Übersicht zum Land - ecoi.net, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/uebersicht, Zugriff 18.7.2024
- EUAA - European Union Agency for Asylum (6.2024): Nigeria - Country Focus, https://www.ecoi.net/en/file/local/2112320/2024_07_EUAA_COI_Report_Nigeria_Country_Focus.pdf, Zugriff 29.7.2024
- HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024
- NiWa - Nigeria Watch (o.D.): Thirteenth report on violence in Nigeria, https://www.nigeriawatch.org/media/html/Reports/NGA-Watch-Report23VF.pdf, Zugriff 29.7.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
Rechtsschutz / Justizwesen
Die Verfassung sieht die Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit der Justiz vor (AA 21.12.2023; vgl. FH 2024, ÖB Abuja 10.2023, USDOS 23.4.2024). In der Realität ist die Justiz allerdings der Einflussnahme von Exekutive und Legislative sowie einzelner politischer Führungspersonen ausgesetzt (AA 21.12.2023; vgl. USDOS 23.4.2024, FH 2024). Vor allem auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) versuchen Politiker die Justiz zu beeinflussen (USDOS 23.4.2024). Die insgesamt zu geringe personelle und finanzielle Ausstattung sowie mangelnde Ausbildung behindern die Funktionsfähigkeit des Justizapparats und machen ihn chronisch korruptionsanfällig (AA 21.12.2023; vgl. FH 2024, ÖB Abuja 10.2023). Auf allen Ebenen kann die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz durch Bestechung, die Vorenthaltung von Mitteln und die Androhung von Korruptionsverfolgung untergraben. Die Bundesregierung versucht, durch Bestechung oder Verfolgung von Korruption Einfluss auf die Justiz zu nehmen, wobei es ihr nicht immer gelingt, die Justiz zu ihren Gunsten zu beeinflussen (BS 2024). Trotz allem hat die Justiz in der Praxis ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und Professionalität erreicht (FH 2024).
Die Verfassung sieht vor, dass die Staaten neben den Zivilgerichten des Common Law auch Gerichte auf der Grundlage der Scharia oder des (traditionellen) Gewohnheitsrechts einrichten können, wobei die Zivilgerichte Vorrang vor allen anderen Gerichten haben (USDOS 15.5.2023). Die Verfassung unterscheidet zwischen Bundesgerichten (Supreme Court, Federal Court of Appeal, Federal High Court), Gerichten des Hauptstadtbezirks sowie Gerichten der 36 Bundesstaaten (ÖB Abuja 10.2023). Letztere haben die Befugnis, per Gesetz erstinstanzliche Gerichte einzusetzen (AA 21.12.2023). Daneben bestehen noch für jede der 774 LGAs eigene Bezirksgerichte (District Courts) (ÖB Abuja 10.2023).
Die Justiz stützt sich auf drei Rechtsquellen: staatliches Recht, Scharia und Gewohnheitsrecht. Diese können unter bestimmten Voraussetzungen gleichberechtigt zur Anwendung gelangen, sofern in den 36 einzelnen Bundesstaaten entsprechende Gerichtshöfe für Scharia- bzw. Gewohnheitsrecht eingerichtet werden. Das Eherecht gestattet nach staatlichem Recht nur die Einehe, Scharia-Recht vier und Gewohnheitsrecht eine unbegrenzte Anzahl von Ehefrauen (ÖB Abuja 10.2023).
Laut Bundesverfassung wird die Verfassung und Zuständigkeit der Gerichte seit 1999 betreffend das anzuwendende Rechtssystem (Common Law oder Customary Law) durch Gesetze der Bundesstaaten festgestellt. Einzelne Bundesstaaten haben neben Gerichten für Common Law und Customary Law auch Scharia-Gerichte geschaffen. Mehrere Bundesstaaten, einschließlich die gemischt-konfessionellen Bundesstaaten Benue und Plateau, haben auch Scharia-Berufungsgerichte eingerichtet (ÖB Abuja 10.2023). Zwölf nördliche Bundesstaaten (Bauchi, Borno, Gombe, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kebbi, Niger, Sokoto, Yobe und Zamfara) haben neben Gerichten, die staatlich kodifiziertes Recht anwenden, für personenstandsrechtliche Angelegenheiten Scharia-Gerichte eingesetzt. 2000/2001 haben diese Gerichte zusätzlich strafrechtliche Befugnisse erhalten (AA 21.12.2023).
Eine willkürliche Strafverfolgung bzw. Strafzumessungspraxis durch Polizei und Justiz, die Rasse, Nationalität oder Ähnliches diskriminiert, ist nicht erkennbar. Das bestehende System benachteiligt jedoch tendenziell Ungebildete und Arme, die sich weder von Beschuldigungen freikaufen noch eine Freilassung auf Kaution erwirken oder sich einen Rechtsbeistand leisten können. Zudem ist vielen eine angemessene Wahrung ihrer Rechte aufgrund von fehlenden Kenntnissen selbst elementarster Grund- und Verfahrensrechte nicht möglich (AA 21.12.2023). Die Verfassung sieht das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren vor, aber die Justiz setzt dieses Recht nicht immer durch. In einigen Fällen hielt die Polizei Verdächtige fest, ohne sie über die gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu informieren oder ihnen Zugang zu einem Rechtsbeistand zu gewähren. Menschenrechtsgruppen erklärten, die Regierung gewähre nicht allen vom Militär inhaftierten Terrorismusverdächtigen das Recht auf einen Rechtsbeistand, ein ordnungsgemäßes Verfahren und eine Anhörung vor einer Justizbehörde. Einige Personen, deren Fälle abgewiesen wurden, blieben Berichten zufolge ohne klare rechtliche Begründung in Haft. Die Scharia-Gerichte messen den Aussagen von Frauen und Nicht-Muslimen in der Regel weniger Gewicht bei als den Aussagen muslimischer Männer. Einige Scharia-Richter lassen zu, dass für den Nachweis von Ehebruch oder Unzucht unterschiedliche Anforderungen an die Beweisführung für männliche und weibliche Angeklagte gelten (USDOS 23.4.2024). Vor allem das Recht auf ein zügiges Verfahren wird kaum gewährleistet. Auch der gesetzlich garantierte Zugang zu einem Rechtsbeistand oder zu Familienangehörigen wird nicht immer ermöglicht (AA 21.12.2023).
Der Zugang zu staatlicher Prozesskostenhilfe ist in Nigeria beschränkt: Das Institut der Pflichtverteidigung wurde erst vor Kurzem in einigen Bundesstaaten eingeführt. Lediglich in den Landeshauptstädten existieren NGOs, die sich zum Teil mit staatlicher Förderung der rechtlichen Beratung von Beschuldigten bzw. Angeklagten annehmen. Gerade in den ländlichen Gebieten gibt es jedoch zahlreiche Verfahren, bei denen Beschuldigte und Angeklagte ohne rechtlichen Beistand mangels Kenntnis ihrer Rechte schutzlos bleiben. Dauerinhaftierungen ohne Anklage oder Urteil, die sich teils über mehrere Jahre hinziehen, sind weit verbreitet. Entgegen gesetzlicher Vorgaben ist die Untersuchungshaft nicht selten länger als die maximal zu erwartende gesetzliche Höchststrafe des jeweils infrage stehenden Delikts. Außerdem bleiben zahlreiche Häftlinge auch nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen in Haft, weil ihre Vollzugsakten unauffindbar sind (AA 21.12.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Nigeria Country Report, https://bti-project.org/en/reports/country-report/NGA, Zugriff 3.6.2024
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
- USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091928.html, Zugriff 4.6.2024
Sicherheitsbehörden
Die allgemeinen Polizei- und Ordnungsaufgaben obliegen der rund 370.000 (ÖB Abuja 10.2023; vgl. CIA 28.5.2024) bzw. 360.000 Mann starken (Bundes-)Polizei [Anm.: National Police Force - NPF], die dem Generalinspekteur der Polizei in Abuja untersteht (AA 21.12.2023). Das Verhältnis von Polizei zu Bevölkerung, etwa ein Polizist pro 600 Nigerianer, ist im UN-Vergleich sehr niedrig (ÖB Abuja 10.2023).
Die nigerianischen Streitkräfte [Anm.: die dem Verteidigungsministerium unterstehen], haben wesentliche Aufgaben im Bereich der inneren Sicherheit. Die Streitkräfte umfassen 2023 schätzungsweise 135.000 Mann, davon 100.000 in der Armee, 20.000 bei Marine und Küstenwache, sowie 15.000 in der Luftwaffe. Paramilitärische Gruppen werden auf eine Gesamtstärke von 80.000 geschätzt (CIA 28.5.2024).
Einige Landesregierungen schufen quasi-unabhängige Sicherheitskräfte. Diese Kräfte stammen in der Regel aus demselben geografischen Gebiet oder derselben ethnischen Gruppe. Die Bundesregierung steht solchen Kräften in Abstufungen von stillschweigender Akzeptanz bis hin zu offener Feindseligkeit gegenüber (USDOS 23.4.2024). Anhaltende Kapazitätsprobleme in Verbindung mit der Politisierung der Sicherheitsvorkehrungen haben zur Entstehung einer Reihe von informellen Bürgerwehr-Gruppen mit unterschiedlichen ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten und Verbindungen zu lokalen Gemeinschaften und offiziellen staatlichen Stellen geführt (ÖB Abuja 10.2023).
Etwa 100.000 Polizisten sollen bei Personen des öffentlichen Lebens und einflussreichen Privatpersonen als Sicherheitskräfte tätig sein. Alle Sicherheitsorgane (Militär, Staatsschutz sowie paramilitärische Einheiten, die sogenannten Rapid Response Squads) werden neben der Polizei auch im Innern eingesetzt (AA 21.12.2023).
Die National Drug Law Enforcement Agency (NDLEA) ist für alle Straftaten in Zusammenhang mit Drogen zuständig. Der NDLEA wird im Vergleich zu anderen Behörden mit polizeilichen Befugnissen eine gewisse Professionalität attestiert. In den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fällt Dekret 33, welches ein zusätzliches Verfahren für im Ausland bereits wegen Drogendelikten verurteilte, nigerianische Staatsbürger vorsieht. Dagegen zeichnen sich die NPF und die Mobile Police (MOPOL) durch geringe Professionalität, mangelnde Disziplin, häufige Willkür und geringen Diensteifer aus (ÖB Abuja 10.2023). Die Polizei ist durch niedrige Besoldung sowie schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet (AA 21.12.2023).
Die Straflosigkeit ist nach wie vor ein großes Problem bei den Sicherheitskräften, insbesondere bei der Polizei, dem Militär und dem Inlandsgeheimdienst (DSS). Die Regierung ermittelt regelmäßig gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte und zieht sie für im Dienst begangene Straftaten zur Rechenschaft, aber die Ergebnisse werden nicht immer veröffentlicht (USDOS 23.4.2024).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (28.5.2024): The World Factbook: Nigeria, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/nigeria/#military-and-security, Zugriff 6.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Vigilantengruppen, Bürgerwehren, Hisbah
In verschiedenen Regionen des Landes haben sich bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet, z. B. der Odua People’s Congress (OPC) im Südwesten oder die Bakassi Boys im Südosten. Bei diesen Gruppen kann man sich gegen Zahlung eines Schutzgeldes "Sicherheit" erkaufen. Die Behörden reagieren unterschiedlich auf diese Gruppen: Im Bundesstaat Lagos ging die Polizei gegen den OPC vor, im Osten des Landes wurde die Existenz dieser Gruppen dagegen von einigen Gouverneuren begrüßt. Die Polizei arbeitet zum Teil mit ihnen zusammen. Generell scheint die Bedeutung von Vigilantengruppen in Städten etwas abzunehmen, in einigen ländlichen Regionen haben sie aber weiterhin eine dominante Machtposition. Im Kampf gegen Boko Haram hat sich im Nordosten eine inter-ethnische Vigilantengruppe – die Civilian Joint Task Force (CJTF) – herausgebildet (AA 21.12.2023).
Die Bemühungen der Regierung zur Bewältigung der Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen umfassen in der Regel gezielte Sicherheitsmaßnahmen unter Einbeziehung von Polizei, Militär und anderen Sicherheitsdiensten, häufig in Form einer gemeinsamen Task Force (USDOS 23.4.2024). Vigilantengruppen misshandeln regelmäßig Angehörige sexueller Minderheiten, v. a. in Scharia-Staaten (BS 2024).
In verschiedenen Bundesstaaten überwacht die Hisbah-Polizei die Einhaltung der religiösen Vorschriften (AA 21.12.2023). Vier Staaten mit erweitertem Scharia-Geltungsbereich (Zamfara, Niger, Kaduna, Kano) haben private Gruppen, wie die Hisbah, zur Rechtsdurchsetzung ermächtigt und gewähren hierfür staatliche Zuschüsse. In bestimmten Fällen sind diese Gruppen ermächtigt, Verhaftungen vorzunehmen. Bislang beschränkt sich ihre Zuständigkeit in erster Linie auf Verkehrsdelikte und die Marktaufsicht (ÖB Abuja 10.2023). Die Hisbah reglementiert in den Bundesstaaten Kano, Zamfara und Sokoto islamische religiöse Angelegenheiten und Predigten, lizenziert Imame, und versucht Konflikte unter Muslimen zu lösen, sowie gemeinsam mit der Polizei die jeweiligen strafrechtlichen Bestimmungen der Scharia umzusetzen (USDOS 15.5.2023). In Kano wird die Hisbah direkt vom Bundesstaat betrieben, während sie in anderen Bundesstaaten ähnlich den nicht-staatlichen Bürgerwehren organisiert ist. Die Hisbah wurde vom Obersten Gericht zwar als verfassungswidrig bezeichnet, da polizeiliche Aufgaben ausschließlich in die Zuständigkeit des Bundes fallen. Sie hat ihre Tätigkeit jedoch bisher nicht eingestellt, sondern wurde lediglich umorganisiert. Der Gouverneur von Kano begründete dies damit, dass die Hisbah keine polizeilichen, sondern gesellschaftlich-moralische Aufgaben und Befugnisse wahrnimmt (AA 21.12.2023).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Nigeria Country Report, https://bti-project.org/en/reports/country-report/NGA, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
- USDOS - United States Department of State [USA] (15.5.2023): 2022 Report on International Religious Freedom: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2091928.html, Zugriff 4.6.2024
Folter und unmenschliche Behandlung
Gesetzlich sind Folter und grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung von Festgenommenen verboten, es sind aber keine Strafen für Verstöße vorgesehen. Es gibt glaubwürdige Berichte, dass Regierungsbeamte diese Praktiken anwenden. Das Gesetz zum Verbot von Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung von Festgenommenen gilt nur für das Bundeshauptstadtterritorium (FCT) und die Bundesbehörden, es sei denn, die einzelnen Bundesstaaten verabschiedeten Gesetze, die mit dem Gesetz im Einklang stehen. Dreißig der 36 Bundesstaaten des Landes hatten zum Jahresende 2023 entweder das Gesetz selbst oder entsprechende Rechtsvorschriften verabschiedet (USDOS 23.4.2024).
Das Vertrauen in den Sicherheitsapparat ist durch immer wieder gemeldete Fälle von widerrechtlichen Tötungen, Folter und unmenschlicher Behandlung in Polizeihaft unterentwickelt. Zudem ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert, und es besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte (ÖB Abuja 10.2023). Zum Teil kommt es zu exzessiver Gewaltanwendung, willkürlichen Verhaftungen, Folter und Tötungen bzw. Verschwindenlassen von Untersuchungshäftlingen. Dies betrifft besonders Schiiten, Biafra-Aktivisten und mutmaßliche Bandenkriminelle (AA 21.12.2023). Die Sicherheitskräfte wenden exzessiv Gewalt an, auch bei der Auflösung von friedlichen Protesten und Versammlungen (AI 24.4.2024).
Militär und Strafverfolgungsbehörden sind häufig an außergerichtlichen Tötungen, Folter und anderen Misshandlungen beteiligt (FH 2024). Polizei und Militär gehen bei Großeinsätzen - wie der Bekämpfung der islamistischen Gruppe Boko Haram - häufig mit unverhältnismäßiger Härte vor. Dabei bleiben Tötungen zumeist straflos (AA 21.12.2023).
In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Protesten von den Sicherheitskräften, die häufig Gewalt anwenden, gewaltsam aufgelöst. Im Oktober 2022 setzte die Polizei Tränengas ein, um eine friedliche Demonstration anlässlich des zweiten Jahrestags der #EndSARS-Proteste von 2020 gegen Polizeibrutalität aufzulösen; bei den Protesten von 2020 sind mindestens zwölf Menschen getötet worden, als Sicherheitskräfte in eine Menschenmenge schossen (FH 2024). Politische Konsequenzen nach einem im November 2021 von einer unabhängigen Untersuchungskommission erstellten, nicht veröffentlichten Untersuchungsbericht zum gewaltsamen Vorgehen gegen #EndSARS-Demonstranten in Lagos wurden bislang noch nicht gezogen (AA 21.12.2023).
Folter ist in Polizei- oder Militärgewahrsam z. B. im Nordosten Nigerias und im Nigerdelta weiterhin weit verbreitet. Auch wenn die nigerianische Verfassung Folter verbietet, kommt es oft zu teilweise schweren Misshandlungen von (willkürlich) Inhaftierten, Untersuchungshäftlingen, Gefängnisinsassen und anderen Personen in Gewahrsam der Sicherheitsorgane. Die Gründe für dieses Verhalten liegen zum einen in der nur schwach ausgeprägten Menschenrechtskultur der Sicherheitskräfte, zum anderen in der mangelhaften Ausrüstung, Ausbildung und Ausstattung insbesondere der Polizei, was sie in vielen Fällen zu dem illegalen Mittel der gewaltsamen Erpressung von Geständnissen führt. Die große Zahl glaubhafter und übereinstimmender Berichte über die Anwendung von Folter in Gefängnissen und Polizeistationen im ganzen Land, die von forensischen Befunden gestützt und von der Polizei teilweise zugegeben werden, bestätigen den Eindruck, dass die Anwendung von Folter einen integralen Bestandteil der Arbeit der Sicherheitsorgane darstellt (AA 21.12.2023).
Verfassung und Gesetze verbieten willkürliche Verhaftungen, dennoch nutzen Polizei und Sicherheitskräfte diese Praktik. Die Polizei und andere Sicherheitsdienste sind befugt, Personen ohne vorherige Einholung eines Haftbefehls festzunehmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass eine Person eine Straftat begangen hat. Das Gesetz schreibt vor, dass Festgenommene auch während des Ausnahmezustands innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden müssen und Zugang zu Anwälten und Familienangehörigen haben. In einigen Fällen hielten sich die Mitarbeiter der Regierung und des Sicherheitsdienstes nicht an diese Vorschrift (USDOS 23.4.2024).
Die Regierung des nordöstlichen Bundesstaats Borno schätzt die Zahl der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen auf insgesamt 3.000. Boko Haram setzt Kinder gezielt als Lastenträger, in Kampfhandlungen und insbesondere Mädchen für Selbstmordattentate ein. Mädchen werden zudem häufig sexuell missbraucht und an Mitglieder der Boko Haram zwangsverheiratet. Kinder und Jugendliche, die sich von den Terroristen befreien können, werden häufig nicht in ihren Gemeinden akzeptiert, da man sie nun als Teil der Miliz ansieht (AA 21.12.2023).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Nigeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107991.html, Zugriff 7.6.2024
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Allgemeine Menschenrechtslage
Die 1999 in Kraft getretene Verfassung Nigerias enthält einen umfassenden Grundrechtskatalog (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023). Dieser ist zum Teil jedoch weitreichenden Einschränkungen unterworfen (AA 21.12.2023). Seit Amtsantritt der Zivilregierung im Jahr 1999 hat sich die Menschenrechtssituation zwar verbessert (Freilassung politischer Gefangener, relative Presse- und Meinungsfreiheit, nur vereinzelte Vollstreckung der Todesstrafe) (ÖB Abuja 10.2023), doch bleibt die Umsetzung der eingegangenen menschenrechtlichen Verpflichtungen in vielen Bereichen deutlich hinter internationalen Standards zurück (AA 21.12.2023), und viele Probleme bleiben ungelöst, wie etwa Armut, Analphabetentum, Gewaltkriminalität, ethnische Spannungen, die Scharia-Rechtspraxis, Entführungen und Geiselnahmen sowie das Problem des Frauen- und Kinderhandels. Zudem ist der Schutz von Leib und Leben der Bürger gegen Willkürhandlungen durch Vertreter der Staatsmacht keineswegs verlässlich gesichert, und es besteht weitgehend Straflosigkeit bei Verstößen der Sicherheitskräfte und bei Verhaftungen von Angehörigen militanter Organisationen. Das hohe Maß an Korruption auch im Sicherheitsapparat und der Justiz wirkt sich negativ auf die Wahrung der Menschenrechte aus (ÖB Abuja 10.2023).
Zu den schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gehören glaubwürdige Berichte über: rechtswidrige und willkürliche Tötungen; gewaltsames Verschwindenlassen; Folter und Fälle von grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024, AI 24.4.2024); harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftungen oder Inhaftierungen; politische Gefangene; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre; schwerwiegende Misshandlungen in einem Konflikt, einschließlich Tötungen, Entführungen und Folter von Zivilisten (USDOS 23.4.2024; schwerwiegende Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt oder Drohungen gegen Journalisten und die Existenz von Verleumdungsgesetzen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024, AI 24.4.2024); Eingriffe in die friedliche Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024); schwerwiegende Korruption in der Regierung; fehlende Ermittlungen und Rechenschaftspflicht bei geschlechtsspezifischer Gewalt, einschließlich, aber nicht beschränkt auf häusliche und intime Partnergewalt, sexuelle Gewalt, Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung, weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung und andere schädliche Praktiken (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024); das Vorhandensein oder die Anwendung von Gesetzen, die einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen unter Strafe stellen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024) - zahlreiche Männer wurden aufgrund des Gesetzes zum Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe angeklagt (AI 24.4.2024); und das Vorhandensein der schlimmsten Formen von Kinderarbeit (USDOS 23.4.2024). Frauen und Angehörige sexueller Minderheiten sind allgegenwärtiger Diskriminierung ausgesetzt (FH 2024).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- AI - Amnesty International (24.4.2024): The State of the World’s Human Rights; Nigeria 2023, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107991.html, Zugriff 7.6.2024
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Die Versammlungsfreiheit wird durch die Verfassung garantiert (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023, USDOS 23.4.2024, FH 2024). Allerdings wird sie bisweilen durch das Eingreifen der Sicherheitsorgane gegen politisch unliebsame Versammlungen (z. B. von Schiiten oder Biafra-Aktivisten) in der Praxis eingeschränkt (AA 21.12.2023; vgl. FH 2024). Die Regierung verbietet gelegentlich gezielt Versammlungen, wenn sie zu dem Schluss kommt, dass deren politischer, ethnischer oder religiöser Charakter zu Unruhen führen könnte. Die Regierung schränkt öffentliche Versammlungen ein (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024). Im Jahr 2023 haben sich die Bedingungen für Demonstrationen erheblich verbessert. Die im Laufe des Jahres abgehaltenen Demonstrationen - einschließlich großer regierungsfeindlicher Proteste - konnten im Allgemeinen ohne Einmischung oder Unterbrechung durch die Sicherheitskräfte stattfinden (FH 2024).
Die Vereinigungsfreiheit wird durch die Verfassung ebenso garantiert (AA 21.12.2023; vgl. ÖB Abuja 10.2023, USDOS 23.4.2024) wie das Recht, einer politischen Partei oder einer Gewerkschaft anzugehören (AA 21.12.2023; vgl. USDOS 23.4.2024). Dies wird auch praktiziert (ÖB Abuja 10.2023) und hat zur Herausbildung einer lebendigen Zivilgesellschaft mit zahlreichen NGOs geführt. Gleichzeitig gibt es verschiedene Versuche der Regierung, zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum durch repressive Gesetzgebung und Verwaltungspraxis einzuschränken. Gewerkschaften können sich grundsätzlich frei betätigen (AA 21.12.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Opposition, inkl. IPOB und IMN und Yoruba-Seperatisten
In Nigeria kann sich die politische Opposition grundsätzlich frei betätigen. Das gilt nicht nur für die parlamentarische Opposition, sondern auch für außerparlamentarische Parteien und Gruppen. Bislang sind auch – meist marginale – Gruppen mit sezessionistischen Zielen (etwa Biafra) weitgehend toleriert worden (AA 21.12.2023).
Die Indigenous People of Biafra (IPOB) sind im September 2017 und die schiitische „Islamic Movement of Nigeria“ (IMN) im August 2019 verboten worden (AA 21.12.2023). Bewaffnete, die die Abspaltung der Südost-Region anstreben, töteten im Jahr 2022 weiterhin Einwohner und Regierungsbeamte in der Region. Sicherheitskräfte und Bürgerwehren, die gegen die Separatisten vorgehen, sind in Misshandlungen, einschließlich außergerichtlicher Tötungen, in der Region verwickelt. Nigerianische Medien berichteten, dass zwischen Jänner und Mai 2022 über 287 Menschen im Südosten des Landes getötet wurden (HRW 12.1.2023). Die Staaten im Südosten versuchten, die von der IPOB im Jahr 2021 eingeführte "Sit at Home Order" zu beenden, die die Bürger der Region dazu verpflichtet, zu Hause zu bleiben und öffentliche Einrichtungen montags und an jedem anderen angekündigten Tag, einschließlich der Tage, an denen Kanu vor Gericht erscheinen sollte, geschlossen zu halten. Obwohl die IPOB sagt, dass sie den Befehl ausgesetzt hat, versuchen bewaffnete Männer, ihn durchzusetzen, und töten, verstümmeln und zerstören weiterhin Eigentum von Bürgern in der Region, die sich dem Befehl widersetzen (HRW 11.1.2024).
IPOB: Der in der Region seit 2012 herrschende radikale Separatismus belastet den nationalen Zusammenhalt. Die separatistische Gruppe Indigenous People of Biafra (IPOB) strebt die Abspaltung von einigen Bundesstaaten (Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo und Rivers, sowie Regionen in Benue und Kogi) im Südosten (einschließlich dem ölreichen Niger Delta) an. IPOB besteht hauptsächlich aus Angehörigen der ethnischen Gruppe der Igbo (Christen) und strebt die Ausrufung der unabhängigen Nation Biafra an. Die Idee von Biafra ist nicht neu; im Jahr 1967 riefen die regionalen Führer einen unabhängigen Staat aus, wodurch ein brutaler Bürgerkrieg begann, der zum Tod von bis zu einer Million Menschen führte. IPOB wurde 2014 von Nnamdi Kanu gegründet. Dieser befindet sich seit 2021 wegen Terrorismus und Hochverrats in Untersuchungshaft und musste sich im September 2023 vor Gericht verantworten (ÖB Abuja 10.2023). Ein Ad-hoc-Ausschuss des Repräsentantenhauses, der die kommunalen Zusammenstöße im Bundesstaat Abia untersucht, forderte im Jahr 2023 die Freilassung von Nnamdi Kanu, dem Anführer der IPOB. Kanu wurde vom nigerianischen Berufungsgericht vom Vorwurf des Hochverrats und des Terrorismus freigesprochen, befindet sich aber weiterhin in Haft, nachdem die Bundesregierung vor dem Obersten Gerichtshof gegen diese Entscheidung geklagt hat (HRW 11.1.2024).
Die Bewegung ist geprägt von dem Gefühl der „collective victimisation“ der Igbos durch die Unterrepräsentation in der von den (muslimischen) Fulani geprägten Bundesregierung. Seit dem Beginn der Militäroperation Operation Python Dance im Jahr 2016 und der Exercise Golden Dawn haben sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der IPOB und ihrem paramilitärischen Arm Eastern Security Network (ESN) und den nigerianischen Sicherheitskräften in der Region verschärft. IPOB hat für jeden Montag sowie für jeden Gerichtstag Kanus eine stay-at-home order ausgerufen, die mit teils brutaler Gewalt durchgesetzt wird; auch ist die Wirtschaft durch die angeordnete Schließung von Geschäften sehr belastet. Seit 2021 kommt es verstärkt zu Guerilla-Angriffen gegen Vertreter der nigerianischen Regierung und deren Sympathisanten. Im Gegenzug sind in der Region Sicherheitskräfte in Gewalttaten - einschließlich außergerichtlicher Tötungen von Separatisten - verwickelt. Lokale Führungspersönlichkeiten versuchen, die Freilassung von Kanu zu erwirken, um die Situation zu entspannen und die stay-at-home order zu beenden (ÖB Abuja 10.2023).
2020 wurde der bewaffnete Arm der IPOB, das ESN, gegründet. Dieses wird mit zahlreichen tödlichen Anschlägen auf Polizeistationen und andere öffentliche Einrichtungen in Verbindung gebracht (ÖB Abuja 10.2021). Die Mitgliederzahl des ESN beläuft sich nach Angaben der nigerianischen Armee auf etwa 50.000. Das ESN unterhält in verschiedenen Teilen des Südostens Nigerias Ausbildungslager. Es behauptet auch, Ausbildungslager in anderen Teilen der Süd-Süd-Region zu haben. Es gibt eine Kommandostruktur. Der Anführer der IPOB, Mazi Nnamdi Kanu, kann als sein Oberbefehlshaber angesehen werden (VA der ÖB Abuja 27.5.2022). Im Südosten waren in jüngster Zeit die Bundesstaaten Imo und Anambra von Gewalt betroffen. Im Juli 2023 haben Sicherheitskräfte mehrere Lager der IPOB und des ESN zerstört. Die Operation war Teil einer wieder aufgenommenen Kampagne gegen IPOB-Mitglieder in den Zonen Süd-Süd und Südost (BAMF 31.7.2023). Die Gruppierung IPOB hatte eine Sit-at-home-Anordnung für den 30.5.2024 in den fünf südöstlichen Bundesstaaten ausgerufen. An diesem Tag wurde die Ortschaft Aba in Abia State von Bewaffneten angegriffen und zumindest vier Armeeangehörige wurden getötet. Nigerianische Regierungsstellen und andere Behörden sehen die Verantwortung für Gewalttaten im Südosten des Landes regelmäßig bei der Gruppierung IPOB und deren bewaffnetem Flügel ESN. Entsprechende Vorwürfe werden von diesen jedoch ebenso regelmäßig abgestritten. Meldungen bzgl. in der Region zerstörter Separatistenlager kamen in den Jahren 2023 und 2024 mehrfach vor (BAMF 3.6.2024b).
Der Konflikt der Regierung mit der Islamischen Bewegung von Nigeria (IMN), einer schiitischen muslimischen Gruppe, die für eine islamische Herrschaft in Nigeria eintritt (FH 2024), eskalierte 2019, als ein Gericht in Abuja die IMN verbot (FH 2024; vgl. AA 21.12.2023) und sie als terroristische Organisation einstufte. Die IMN betrachtet ihren Anführer, Sheikh Ibrahim el-Zakzaky, als die letzte Autorität in Nigeria und erkennt die Regierung in Abuja nicht an. Die Regierung hat in den letzten Jahren gewaltsam auf die Aktivitäten der IMN reagiert (FH 2024). Die seit Ende 2015 andauernde Inhaftierung von Ibrahim Zakzaky führte immer wieder zu Straßenprotesten in der Hauptstadt Abuja, in deren Folge es bei gewaltsamen Zusammenstößen mit Sicherheitskräften zu Dutzenden Toten gekommen war. Nach fast sechs Jahren in Haft wurden Ibrahim Zakzaky und seine Ehefrau am 28.7.2021 infolge eines Freispruchs durch den Obersten Gerichtshof des Bundesstaats Kaduna freigelassen. Die Staatsanwaltschaft soll die Freilassung des Paares bestätigt und Berufung gegen den Freispruch angekündigt haben. Nach zahlreichen Freisprüchen von Mitgliedern der IMN in den Jahren 2019 und 2020 war zuletzt nur noch das Ehepaar in Haft gesessen. Vorgeworfen wurde dem Paar u. a. Mord, Verschwörung und Störung des Friedens (BAMF 3.8.2021).
Yoruba-Separatisten: Auch der Südwesten Nigerias, lange Zeit die friedlichste Region des Landes, blieb von den jüngsten Spannungen und Unruhen zwischen den Volksgruppen nicht verschont. Anders als in anderen Teilen des Landes beruhen die Konflikte nicht auf religiösen Extremismus oder Terrorismus, sondern werden als Ausdruck der versuchten Unterdrückung der Yoruba durch die (muslimischen) Fulani gesehen, die demnach aufgrund ihrer Vertretung in der Bundesregierung im Verdacht stehen, Immunitäten für ihre Straftaten zu genießen. Durch die zunehmenden Spannungen wurde das – bisher inaktive – Engagement der Yoruba-Separatisten verschärft. Sie streben die Ausrufung der "Oduduwa-Republik" an (ÖB Abuja 10.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.6.2024b): Briefing Notes KW 23 2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.7.2023): Briefing Notes KW 31 2023, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw31-2023.pdf?__blob=publicationFile v=7, Zugriff 17.6.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.8.2021): Briefing Notes KW 31 2021
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2023): World Report 2023 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2085483.html, Zugriff 17.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2021
- VA der ÖB Abuja - Vertrauensanwalt der ÖB Abuja (27.5.2022): Bericht des VA der ÖB Abuja
Ethnische Minderheiten
Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie ist durch die Verfassung verboten (AA 21.12.2023; vgl. FH 2024, USDOS 23.4.2024). Trotzdem werden viele ethnische Minderheiten von staatlichen Behörden und anderen Gruppen der Gesellschaft in Bereichen wie Beschäftigung, Bildung und Wohnen benachteiligt (FH 2024). Die meisten ethnischen Gruppen beklagen eine Marginalisierung bei der Zuweisung von Staatseinnahmen, der politischen Vertretung oder beidem. Die Bundes- und Landesregierungen unternehmen einige Anstrengungen zur Durchsetzung der Gesetze (USDOS 23.4.2024).
Der nigerianische Rechtsrahmen sieht im Allgemeinen eine gleichberechtigte Teilhabe der verschiedenen kulturellen, religiösen und ethnischen Gruppen des Landes am politischen Leben vor. Politiker und Parteien verlassen sich jedoch häufig auf die ethnische Loyalität der Wähler. Die Interessen einer bestimmten Gruppe werden in Gebieten, in denen sie eine Minderheit bildet, oder wenn die ihr nahestehenden Parteien nicht an der Macht sind, möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt (FH 2024).
Die Verfassung unterscheidet bei der Bevölkerung in den Bundesstaaten zwischen "Einheimischen" ("indigenes") und "Zuwanderern" ("settlers"). Diese Unterscheidung sollte die einheimische Bevölkerung und die kleineren Ethnien vor den drei großen Ethnien schützen (AA 21.12.2023). Zwar haben alle Staatsbürger prinzipiell das Recht in jedem Teil des Landes zu leben, doch diskriminieren Bundes- und Bundesstaatsgesetze jene ethnischen Gruppen, die an ihrem Wohnsitz nicht indigen im eigentlichen Sinne sind (USDOS 23.4.2024). Die Realität in Nigeria ist von der Ausstellung sogenannter Certificates of State of Origin geprägt. Sie regeln den Zugang zu Stellen im öffentlichen Dienst, staatlichen Stipendien, die Wahl in ein öffentliches Amt und viele andere offizielle Interaktionen (Ausstellung eines Reisepasses). Problematisch ist allerdings, dass der Terminus "indigene" in der nigerianischen Verfassung nicht genauer definiert wird. In der Praxis werden Certificates of State of Origin ausgestellt, die bescheinigen, dass die jeweilige Person ein Angehöriger des dort ansässigen Stammes/Ethnie ist. Angesichts des Fehlens von Leitlinien zur Ausstellung eines Certificate of State of Origin liegt es im völligen Ermessen der lokalen und staatlichen Regierungen, diesen Status zu gewähren oder nicht (ÖB Abuja 10.2023). In einigen Bundesstaaten ist die Lage von Minderheiten problematisch, zumal selbst den Nachfahren der Zuwanderer oft die Teilnahme an Wahlen (aktiv wie passiv) verwehrt wird und sie nur eingeschränkten Zugang zu Ressourcen wie etwa Subventionen und öffentlichen Aufträgen, Arbeits-, Ausbildungs- und Studienplätzen haben (AA 21.12.2023). Manchmal werden Einzelpersonen sogar dazu veranlasst, in die ursprüngliche Heimat ihrer Ethnie zurückzukehren, obwohl sie dorthin keinerlei persönliche Verbindungen mehr haben. Fallweise veranlassen Bundesstaats- und LGA-Verwaltungen Nicht-Indigene durch Drohungen, Diskriminierung am Arbeitsmarkt oder die Zerstörung von Häusern zur Abwanderung. Jene, die trotzdem am Wohnort verbleiben, sind manchmal weiterer Diskriminierung ausgesetzt (Verweigerung von Stipendien, Ausschluss einer Anstellung beim öffentlichen Dienst) (USDOS 23.4.2024).
Menschen mit Albinismus werden oftmals bei ihrer Geburt umgebracht, von ihren Familien diskriminiert oder zu rituellen Zwecken getötet. Gerade in jüngster Zeit haben rituelle Tötungen, basierend auf dem Glauben, dass bestimmte Körperteile in Ritualen verwendet werden können, um Macht, Geld und Erfolg zu erlangen, zugenommen. Obwohl rituelle Tötungen im Allgemeinen, das heißt nicht nur Menschen mit Albinismus betreffend, in Nigeria zuletzt ein alarmierendes Ausmaß angenommen haben, führen die bisherigen polizeilichen und justiziellen Maßnahmen zu keiner Trendwende (ÖB Abuja 10.2023). Medienberichten zufolge töten einige Gemeinden Kinder, die als Zwillinge oder mit Geburtsfehlern oder Albinismus geboren wurden (USDOS 23.4.2024).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Minderheitengruppen
In Nigeria gibt es mehr als 250 ethnische Gruppen (AA 21.12.2023; vgl. ACCORD 2.4.2024, CIA 28.5.2024), die über 500 Sprachen sprechen (ACCORD 2.4.2024). Die drei größten ethnischen Gruppen, die in der Summe rund zwei Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachen, sind die Hausa-Fulani im Norden (ACCORD / CIA: 30 Prozent), die Yoruba im Südwesten (ACCORD / CIA: 15,5 Prozent) und die Igbo im Südosten (ACCORD / CIA: 15,2 Prozent) (AA 21.12.2023; vgl. ACCORD 2.4.2024, CIA 28.5.2024). Eine vierte große, durch den Konflikt im Nigerdelta ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückte Ethnie, die Ijaw, lebt überwiegend in den ölreichen Regionen des Nigerdeltas (AA 21.12.2023).
Quellen
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (2.4.2024): Nigeria - Übersicht zum Land - ecoi.net, https://www.ecoi.net/de/laender/nigeria/uebersicht, Zugriff 18.7.2024
- CIA - Central Intelligence Agency [USA] (28.5.2024): The World Factbook: Nigeria, https://www.cia.gov/the-world--factbook/countries/nigeria/#military-and-security, Zugriff 6.6.2024
Bewegungsfreiheit
Die Verfassung sowie weitere gesetzliche Bestimmungen gewährleisten Bewegungsfreiheit im gesamten Land (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024) sowie Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung. Die Behörden respektieren diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 23.4.2024).
In Gebieten, die häufig von Angriffen oder Plünderungen durch Boko Haram, ISWAP (Islamischer Staat Westafrika Provinz) oder mit ihnen verbundenen Gruppen betroffen sind, sehen sich die Bewohner häufig Straßensperren, Durchsuchungen und anderen restriktiven Sicherheitsmaßnahmen durch Behörden und andere bewaffnete Gruppen ausgesetzt (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2024).
Bürger dürfen sich in jedem Teil des Landes niederlassen (USDOS 23.4.2024). Grundsätzlich besteht in den meisten Fällen die Möglichkeit, staatlicher Verfolgung, Repressionen Dritter sowie Fällen massiver regionaler Instabilität durch Umzug in einen anderen Teil des Landes auszuweichen (AA 21.12.2023). In den vergangenen Jahrzehnten hat eine fortgesetzte Durchmischung der Wohnbevölkerung auch der „Kern“-Staaten der drei Hauptethnien (Hausa-Fulani, Yoruba, Igbo) stattgefunden. So ist insbesondere eine starke Nord-Süd-Wanderung feststellbar, wodurch Metropolen wie Lagos heute weitgehend durchmischt sind. Es bestehen daher innerstaatliche Fluchtalternativen (ÖB Abuja 10.2023). Ein innerstaatlicher Umzug kann allerdings mit gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen verbunden sein, wenn sich Einzelpersonen an einen Ort begeben, an dem keine Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder der Dorfgemeinschaft leben. Angesichts der Wirtschaftslage, ethnischem Ressentiment und der Bedeutung großfamiliärer Bindungen in der Gesellschaft ist es für viele Menschen schwer, an Orten ohne ein bestehendes soziales Netz erfolgreich Fuß zu fassen. Für alleinstehende Frauen besteht zudem die Gefahr, bei einem Umzug in die Großstadt von der eigenen Großfamilie keine wirtschaftliche Unterstützung mehr zu erhalten (AA 21.12.2023).
Bundesstaats- und Lokalregierungen diskriminieren regelmäßig ethnische Gruppen, die in ihrem Gebiet nicht einheimisch sind. Dies nötigt gelegentlich Personen dazu, in jene Regionen zurückzukehren, aus denen ihre ethnische Gruppe abstammt, obwohl sie dort über keine familiäre Bindung mehr verfügen (USDOS 23.4.2024).
Für Überlandfahrten stehen mehrere Busunternehmen zur Verfügung, so z. B. ABC Transport, Cross Country Limited, Chisco und GUO Transport. Die Busse bieten Komfort, sind sicher, fahren planmäßig und kommen in der Regel pünktlich am Zielort an. Die nigerianische Eisenbahn gilt als preisgünstiges, aber unzuverlässiges Transportmittel. Günstige Inlandflüge zwischen den Städten werden von mehreren nigerianischen Fluggesellschaften angeboten. Um innerhalb einer der Städte Nigerias von einem Ort zum anderen zu gelangen, stehen Taxis, Minibusse, Dreirad, die Keke und Motorradtaxis, die Okada genannt werden, zur Verfügung (GIZ 9.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- FH - Freedom House (2024): Freedom in the World 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2105060.html, Zugriff 3.6.2024
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (9.2020): Nigeria - Alltag
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- USDOS - United States Department of State [USA] (23.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices: Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2107771.html, Zugriff 3.6.2024
Grundversorgung
Nigeria befindet sich in einer Wirtschaftskrise mit hoher Inflation. Für den starken Anstieg der Lebenshaltungskosten machen viele die Wirtschaftsreformen von Präsident Tinubu verantwortlich. Die Verdoppelung der Kraftstoffpreise, steigende Lebensmittel- und Transportkosten sowie eine erhebliche Verteuerung importierter Waren sind Folgen dieser Reformen (BAMF 10.6.2024).
Das Wachstum im Jahr 2023 wurde durch überfällige marktwirtschaftliche Reformen des seit Mai 2023 amtierenden Präsidenten Tinubu geschwächt. Die Abschaffung der Benzinpreisunterstützung und des kontrollierten Wechselkursregimes verstärkten die ohnehin bereits hohe Inflation. Durch den Währungsverfall wurden Importe noch teurer und die nigerianische Bevölkerung hat mit einem enormen Preisdruck zu kämpfen. Der Naira hat seit Juni 2023 rund 70 Prozent seines Wertes im Vergleich zum USD verloren. Das Floaten des Naira war zwar eine für längerfristiges Wirtschaftswachstum notwendige Maßnahme, der Zeitpunkt verlangte der aber ohnehin unter der hohen Inflation leidenden Bevölkerung sehr viel ab (WKO 5.2024).
Nigeria ist als bevölkerungsreichstes Land Afrikas (ÖB Abuja 10.2023; vgl. ABG 4.2024) mit geschätzten mehr als 230 Millionen Einwohnern neben Ägypten und Südafrika eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents (ÖB Abuja 10.2023). Vor einigen Jahren zog das westafrikanische Land in puncto Wirtschaftsleistung an Südafrika vorbei. Trotz der zahlreichen Herausforderungen ist das Land ein vielversprechender Wirtschaftsstandort. Neben Öl und Gas spielen der Handel und vermehrt der Konsumgüterbereich eine Rolle. Alleine aufgrund seiner Bevölkerungsgröße ist Nigeria ein interessanter Verbrauchermarkt (ABG 4.2024) - die Vereinten Nationen gehen von einer Verdoppelung der Einwohnerzahl auf 400 Millionen bis zum Jahr 2050 aus (ABG 4.2024; vgl. ÖB Abuja 10.2023).
Zwischen 2000 und 2014 verzeichnete die nigerianische Wirtschaft ein breit angelegtes und nachhaltiges Wachstum von durchschnittlich über sieben Prozent pro Jahr, das von günstigen globalen Bedingungen sowie makroökonomischen und strukturellen Reformen der ersten Stufe profitierte. Von 2015 bis 2022 gingen die Wachstumsraten jedoch zurück und das Pro-Kopf-BIP flachte ab, was auf geld- und wechselkurspolitische Verzerrungen, steigende Haushaltsdefizite aufgrund der geringeren Ölproduktion und eines kostspieligen Kraftstoffsubventionsprogramms, zunehmenden Handelsprotektionismus und externe Schocks wie die COVID-19-Pandemie zurückzuführen war. Die geschwächten wirtschaftlichen Fundamentaldaten führten dazu, dass die Inflation im Februar 2024 mit 31,7 Prozent den höchsten Stand seit 24 Jahren erreichte (WB 21.3.2024), und im Mai 2024 34 Prozent (WKO 5.2024), was in Verbindung mit dem schleppenden Wachstum Millionen von Nigerianern in die Armut getrieben hat (WB 21.3.2024). Für das Gesamtjahr 2023 wird die Inflation mit 24,7 Prozent angegeben. Innerhalb eines Jahres (März 2023 – März 2024) stieg der Preis von Grundnahrungsmitteln enorm: Reis +153 Prozent, Yam +141 Prozent, Garri +122 Prozent, Bohnen +106 Prozent (WKO 5.2024).
Nach einem Regierungswechsel im Mai 2023 hat das Land mutige Reformen durchgeführt, um die makroökonomischen Bedingungen für Stabilität und Wachstum wiederherzustellen. Die steuerliche Subventionierung von Benzin wurde teilweise abgeschafft, und Währungsreformen haben zur Vereinheitlichung der Devisenmärkte und zu einem marktgerechten Wechselkurs geführt. Um die inflationären Auswirkungen dieser Reformen auf die schwächsten Bevölkerungsschichten abzumildern, hat die Regierung befristete Bargeldtransfers für 15 Millionen Haushalte eingeführt. Außerdem werden Anstrengungen unternommen, um die Geldpolitik zu straffen, und die Zentralbank von Nigeria (CBN) wieder auf ihr Kernmandat, die Gewährleistung der Preisstabilität, zu konzentrieren (WB 21.3.2024).
Stärken der nigerianischen Wirtschaft: Reiche Erdöl- und Gasvorkommen; relativ breit aufgestellte Industrie in Lagos; größter Verbrauchermarkt Afrikas mit mehr als 220 Millionen Einwohnern; großer Pool an motivierten Arbeitskräften. Schwächen: schlechte Infrastruktur; Korruption und Vetternwirtschaft in der öffentlichen Verwaltung; hohe Standortkosten und steigende Sicherheitskosten; Großteil der Bevölkerung mit rückläufiger Kaufkraft (ABG 4.2024). Nigeria verfügt durch in den 1950er bzw. 1970er-Jahren entdeckte umfangreiche Öl- und Gasvorkommen, weitreichend unerschlossene Bodenschätze, eine ausreichende Agrarbasis, ein relativ günstiges Klima und fruchtbare Böden, eine vergleichsweise gut ausgebaute, jedoch unzureichend instandgehaltene Infrastruktur und einen Binnenmarkt von mehr als 200 Millionen Menschen über deutlich bessere Entwicklungschancen als die meisten anderen Staaten Westafrikas (ÖB Abuja 10.2023).
Gleichzeitig leidet Nigeria, ebenso wie andere ressourcenreiche Entwicklungsländer, unter dem sogenannten Erdöl-Fluch. Dieser hat in den letzten 40 Jahren zur Vernachlässigung vieler anderer Wirtschaftszweige geführt und die Importabhängigkeit des Landes in vielen Bereichen sehr groß werden lassen. Der Erdölsektor erwirtschaftet über 95 Prozent der Exporteinnahmen und über 60 Prozent der Staatseinnahmen Nigerias. Er stagnierte während der letzten Jahre jedoch in seiner Entwicklung und trägt lediglich ca. acht Prozent zum BIP bei. Die große Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas im Bereich des Exports und damit der Einnahme von Devisen war die grundlegende Ursache der nigerianischen Wirtschaftskrisen der Jahre 2016, 2017 und 2020. Gleichzeitig stellt der Import von raffinierten Erdölprodukten den größten Ausgabeposten bei den Importen dar. Dies ist einerseits durch die mangelnde Funktionstüchtigkeit der vier großen staatlichen nigerianischen Raffinerien zu erklären, andererseits aber auch dadurch, dass die Stromversorgung von Produktionsbetrieben und Infrastruktureinrichtungen sowie von wohlhabenderen Haushalten zum Großteil auf den Betrieb von Dieselgeneratoren beruht. Eine deutliche Verbesserung der Situation sollte sich aus den Ergebnissen der Turn-Around-Wartungsarbeiten an den großen staatlichen Raffinerien sowie aus der Inbetriebnahme der weltgrößten Einstrang-Ölraffinerie durch die private Dangote Group ergeben (ÖB Abuja 10.2023).
Die Verarmung des Großteils der nigerianischen Bevölkerung wird sich fortsetzen. Das Fehlen wirtschaftlicher Chancen bei gleichzeitig hohem Bevölkerungswachstum gilt als Hauptantrieb für Migration. Sozio-ökonomisch betrachtet gehören die Migranten eher zur wachsenden gebildeten unteren Mittelklasse und kommen oft aus Städten des Südens und Südwestens Nigerias (vor allem aus dem Bundesstaat Edo). Dort gibt es seit Jahrzehnten eine hohe Mobilität landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, Schmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke, eine prekäre Arbeitssituation und kaum Aussicht für Jugendliche, das angestrebte Lebensziel zu verwirklichen. Sozio-kulturelle Zwänge sowie ein von sozialen Medien falsches kolportiertes Bild von Europa sind weitere Push-Faktoren (ÖB Abuja 10.2023).
Nigeria ist im Bereich der Landwirtschaft keineswegs autark, sondern auf Importe, vor allem von Reis, angewiesen. Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertriebenenbewegungen als Folge der Attacken durch Boko Haram und ISWAP (Islamic State West Africa Province), herrschen lang andauernde Hungerperioden in den nördlichen, insbesondere nordöstlichen Bundesstaaten (ÖB Abuja 10.2023).
Obwohl Nigeria die größte Wirtschaft und Bevölkerung Afrikas hat, bietet es den meisten seiner Bürger nur begrenzte Möglichkeiten. Ein Nigerianer, der im Jahr 2020 geboren wurde, wird voraussichtlich nur 36 Prozent so produktiv sein, wie er es sein könnte, wenn er uneingeschränkten Zugang zu Bildung und Gesundheit hätte - der siebentniedrigste Humankapitalindex der Welt. Die schwache Schaffung von Arbeitsplätzen und die schwachen unternehmerischen Aussichten erschweren die Aufnahme von 3,5 Millionen Nigerianern, die jedes Jahr ins Erwerbsleben eintreten, in den Arbeitsmarkt, und viele Arbeitnehmer entscheiden sich auf der Suche nach besseren Möglichkeiten für die Auswanderung (WB 21.3.2024). Nach dem multidimensionalen Armutsindex, der Indikatoren zu Bildung, Gesundheit, Lebensstandard und Arbeitslosigkeit umfasst, waren im Jahr 2018 63 Prozent der Bevölkerung als arm einzustufen (BS 2024). In Nigeria leben ca. 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze von 1,9 US-Dollar pro Tag, 30 Prozent (ca 71 Millionen Menschen) in extremer Armut (ÖB Abuja 10.2023). Die hohen Inflationsraten, die unter anderem auf die Abschaffung der Benzinsubventionen zurückzuführen sind, haben zu einem Anstieg der multidimensionalen Armut und der wirtschaftlichen Ungleichheit geführt. Die hohe Inflationsrate untergrub den Zugang zu Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern in einem Land, in dem Millionen von Menschen in extremer Armut ohne ein funktionierendes Sozialschutzsystem leben (HRW 11.1.2024).
Der gesetzlich vorgesehene nigerianische Mindestlohn liegt bei 30.000 Naira (36 Euro) und kann den Mindestnahrungsbedarf einer erwachsenen Person im Monat nicht decken, da der Wert von Grundnahrungsmitteln für ein gesundes Leben eines Erwachsenen in einem Monat Anfang 2023 bei 48.120 Naira (59 Euro) lag. Dies entspricht einem Anstieg von 17,42 Prozent im Vergleich zum Jahresbeginn 2022. Weitere Steigerungen können aufgrund der hohen Inflation und Abschaffung des staatlich gestützten Wechselkurses und der Treibstoffsubvention erwartet werden. Im landwirtschaftlichen sowie im privaten (Haushaltshilfen) Bereich und im Kleingewerbe sind nach wie vor viel kleinere monatliche Zahlungen der Regelfall. Im ländlichen Bereich arbeiten Dienstnehmer zum Teil auch nur für Kost und Logis bzw. werden für Erntearbeit in Naturalien entlohnt (ÖB Abuja 10.2023).
Laut dem National Bureau of Statistics in Nigeria (NBS) betrug die Arbeitslosigkeit im 3. Quartal 2023 5,0 Prozent und 4,2 Prozent im 2. Quartal. Diese sehr niedrigen Zahlen sind auf eine Änderung der Methodik im August 2023 zurückzuführen, laut der jene Personen als erwerbstätig gelten, die innerhalb der letzten Woche zumindest eine Stunde einer bezahlten Arbeit nachgingen. Zuvor betrug die statistische Arbeitslosenrate noch 33 Prozent (WKO 5.2024). [Anm.: Zahlen beim NBS überprüft - nicht als Quelle angegeben, da die Zahlen nur in der google Suche aufscheinen, die Website des NBS selbst aber einen Ladefehler aufwies.]
Die letzten offiziellen Zahlen des nigerianischen National Bureau of Statistics (NBS) [Anm.: vor Änderung der Methodik] die Arbeitslosigkeit betreffend stammen aus dem 4. Quartal 2020. Demnach waren Ende 2020 56,1 Prozent der arbeitsfähigen nigerianischen Bevölkerung entweder arbeitslos (33,3 Prozent) oder unterbeschäftigt (22,8 Prozent). Damit hat sich die Arbeitslosigkeit laut offiziellen Daten innerhalb von fünf Jahren mehr als vervierfacht. Zumindest jeder zweite erwerbsfähige nigerianische Bürger ist völlig ohne Arbeit oder unterbeschäftigt. Verschiedene Programme auf Ebene der Bundesstaaten aber auch der Zentralregierung zielen auf die Steigerung der Jugendbeschäftigung ab (ÖB Abuja 10.2023).
Die Großfamilie unterstützt beschäftigungslose Angehörige. Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB Abuja 10.2023).
Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für "peppersoup", "garri" oder "pounded yam", für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch "mini-farming" eine Möglichkeit, selbstständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als "bushmeat" gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun "grasscutter" (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als "bushmeat" gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und "grasscutter" finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbstständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden zehn Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB Abuja 10.2021).
Im Nordosten Nigerias benötigen UN-Angaben vom 28.6.2023 zufolge rund sechs Millionen Menschen humanitäre Hilfe. In den Bundesstaaten Borno, Adamawa und Yobe sind 4,3 Millionen Menschen in den kommenden Monaten unmittelbar von Hunger bedroht. 700.000 Kinder unter fünf Jahren sind akut von lebensgefährlicher Unterernährung bedroht – doppelt so viele wie 2022 und viermal so viele wie 2021. Ursachen sind die schwierige Wirtschaftslage Nigerias mit hoher Inflation und die jahrelange Sicherheitskrise aufgrund der Bedrohungslage durch die islamistischen Gruppierungen Boko Haram und ISWAP. Die Unsicherheit hindert viele Menschen daran, Landwirtschaft zu betreiben oder ein Einkommen zu erzielen. Das UN-Nothilfeprogramm hat die Weltgemeinschaft dazu aufgefordert, eingeplante Hilfsgelder auszuzahlen (BAMF 4.7.2023).
Quellen:
- ABG - Africa Business Guide (4.2024): Länderprofil Wirtschaft in Nigeria, https://www.africa-business-guide.de/de/maerkte/nigeria, Zugriff 25.7.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (10.6.2024): Briefing Notes KW 24 2024, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2024/briefingnotes-kw24-2024.pdf?__blob=publicationFile v=4, Zugriff 25.7.2024
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (4.7.2023): Briefung Notes KW 27 2023, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2023/briefingnotes-kw27-2023.pdf?__blob=publicationFile v=10, Zugriff 25.7.2024
- BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Nigeria Country Report, https://bti-project.org/en/reports/country-report/NGA, Zugriff 3.6.2024
- HRW - Human Rights Watch (11.1.2024): World Report 2024 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2103137.html, Zugriff 17.6.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2021): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2021
- WB - Weltbank (21.3.2024): Nigeria - Overview, https://www.worldbank.org/en/country/nigeria/overview, Zugriff 25.7.2024
- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (5.2024): Wirtschaftsbericht Nigeria, https://www.wko.at/wien/aussenwirtschaft/nigeria-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 25.7.2024
Medizinische Versorgung
Nigeria verfügt über ein pluralistisches Gesundheitssystem, in dem die Gesundheitsfürsorge gemeinsam vom öffentlichen und privaten Sektor sowie durch moderne und traditionelle Systeme erbracht wird. Die Verwaltung des nationalen Gesundheitssystems ist dezentralisiert in einem dreistufigen System zwischen Bundes-, Landes- und Lokalregierungen (EUAA 4.2022). Die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten in Nigeria sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor hat sich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Trotzdem ist die Gesundheitsversorgung - vor allem auf dem Land - mangelhaft (AA 21.12.2023). Die Bundesregierung gibt weniger für Gesundheit und Bildung aus als fast jedes andere Land der Welt (0,6 Prozent des BIP für Gesundheit) (ÖB Abuja 10.2023).
Obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt gestiegen ist (54,7 Jahre laut Human Development Report 2020), hat die Verbesserung des Zugangs zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung in Nigeria keine hohe Priorität. Aufgrund von Konflikten, Terroranschlägen, sozioökonomischen Bedingungen, Unterernährung, Klimawandel, Zugang zu Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene gibt es nach wie vor große Unterschiede im Gesundheitszustand zwischen den Bundesstaaten und geopolitischen Zonen (ÖB Abuja 10.2023).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser. Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor, die im öffentlichen Gesundheitssektor allerdings in der Regel unter europäischem Standard liegt. Der private Sektor bietet hingegen in einigen Krankenhäusern (z. B. in Abuja, Ibadan, Lagos) westlichen Medizinstandard (AA 21.12.2023).
Wie die meisten afrikanischen Länder leidet auch Nigeria unter einem kritischen Mangel an Fachkräften beim Gesundheitspersonal (human resources for health - HRH). Obwohl das Land einen der größten Bestände an Gesundheitspersonal hat, ist die Dichte an Ärzten, Krankenschwestern und Hebammen unzureichend (1,95 pro 1.000). Nach Schätzungen der Weltbank kamen im Jahr 2018 etwa 0,4 Ärzte auf 1.000 Einwohner, während die Zahl der Krankenschwestern und Hebammen im Jahr 2019 auf 1,5 pro 1.000 Einwohner geschätzt wurde. Weitere Herausforderungen im Bereich der Humanressourcen sind die ungleiche Verteilung des Gesundheitspersonals auf die Bundesstaaten, Finanzierungslücken und Abwanderung von qualifiziertem Gesundheitspersonal in andere Länder (EUAA 4.2022).
Es existiert kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen (AA 21.12.2023). Es gibt so gut wie keine Dienste für die psychische Gesundheit (ÖB Abuja 10.2023 10.2023). Im ambulanten Bereich gibt es in Einzelfällen in den größeren Städten qualifizierte Psychiater, die nicht einweisungspflichtige Patienten mit klassischen Psychosen und Persönlichkeitsstörungen behandeln können (AA 21.12.2023). Es gibt weniger als 300 Psychiater für eine Bevölkerung von mehr als 200 Millionen Menschen, und angesichts der geringen Kenntnisse über psychische Störungen in der Primärversorgung sind die Familien in den ländlichen Gebieten auf sich allein gestellt, wenn es darum geht, ihre betroffenen Familienmitglieder zu versorgen. Auch die Zahlen für psychosoziale Fachkräfte sind niedrig, denn die Gesamtzahl der Fachkräfte im Bereich der psychischen Gesundheit liegt bei 0,9 pro 100.000 Einwohner, aufgeschlüsselt (jeweils pro 100.000 Einwohner) in 0,70 Krankenschwestern, 0,02 Psychologen, 0,10 Psychiater, 0,04 Sozialarbeiter und 0,01 Ergotherapeuten (EUAA 4.2022). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für den Empfang durch ein medizinisches Team des Krankenhauses direkt am Flughafen sollten im Einzelfall vorher erfragt werden. Die Behandlungskosten sind je nach Schwere der Krankheit unterschiedlich (AA 21.12.2023).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur 10 Prozent der Bevölkerung zugute (AA 21.12.2023).
Apotheken und in geringerem Maße private Kliniken verfügen über essenzielle Medikamente. Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Für Medikamente muss man selbst aufkommen. Das Preisniveau ist insgesamt uneinheitlich. Selbst Generika können bisweilen durchaus teurer als in, zum Beispiel, deutschen Apotheken sein (AA 21.12.2023). Die Kosten medizinischer Behandlung und Medikamente müssen im Regelfall selbst getragen werden; die Kosten für Medikamente sind hoch und für die meisten Nigerianer unerschwinglich. Medikamente gegen einige weitverbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben (ÖB Abuja 10.2023). Gemäß einer weiteren Quelle werden Medikamente für sogenannte vorrangige Krankheiten in staatlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos zur Verfügung gestellt, darunter antiretrovirale Medikamente sowie Medikamente gegen Tuberkulose und multiresistente Tuberkulose. Probleme in der Versorgungskette haben zur Bildung informeller Arzneimittelmärkte geführt. Die Medikamentenpreise variieren in den nördlichen und südlichen Regionen; sie sind im Norden höher, weil die Verteilung von den südlichen Häfen in die nördlichen Regionen kostenintensiver ist (EUAA 4.2022).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte vertrieben werden (bis zu 25 Prozent aller verkauften Medikamente), die nur eingeschränkt wirken (AA 21.12.2023). Der unerlaubte Verkauf von Medikamenten und die schlechte Qualität von gefälschten Arzneimitteln sind weitere große Herausforderungen (ÖB Abuja 10.2023).
Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB Abuja 10.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- EUAA - European Union Agency for Asylum (4.2022): Medical Country of Origin Report - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2071828/2022_04_EUAA_MedCOI_Report_Nigeria.pdf, Zugriff 23.7.2024
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
Rückkehr
Zum Zeitpunkt der Berichtslegung kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt keine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB Abuja 10.2023).
Die Österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations (JRO) gemeinsam mit FRONTEX und anderen EU-Mitgliedstaaten (ÖB Abuja 10.2023).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt. Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt und können danach das Flughafengelände verlassen (AA 21.12.2023). Die Rückgeführten verlassen nach einer erkennungsdienstlichen Behandlung durch die nigerianischen Behörden das Flughafengebäude und steigen zumeist in ein Taxi oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann aufgrund von fehlenden Erfahrungen jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden zu gewärtigen haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB Abuja 10.2023).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im "Decree 33" nicht zu befürchten (AA 21.12.2023). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets "overstay" angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB Abuja 10.2023).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, sodass z. B. die Angebote nicht bekannt sind oder eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne Weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure betreiben Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. IOM ist ebenfalls in Abuja und Lagos vertreten. Gleichermaßen haben im Herbst 2018 in Lagos, Abuja und Benin City Migrationsberatungszentren der GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) ihren Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert und es werden Aus- oder Weiterbildungsprojekte angeboten (AA 21.12.2023).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.12.2023): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Nigeria (Stand: November 2023), https://www.ecoi.net/en/file/local/2102769/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Nigeria,_21.12.2023.pdf, Zugriff 27.5.2024 [Login erforderlich]
- ÖB Abuja - Österreichische Botschaft Abuja [Österreich] (10.2023): Asylländerbericht Nigeria Oktober 2023 [Login erforderlich]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Der unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid, in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Nigeria.
Überdies wurde Beweis aufgenommen durch die Abhaltung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 02.12.2024 und wurden Auskünfte aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Strafregister der Republik Österreich, dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) und dem AJ-WEB ergänzend eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seiner Person, insbesondere zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seinem gesundheitlichen Zustand und seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Schulausbildung und Arbeitserfahrung in Nigeria, seinen Lebensumständen in Nigeria, seinem Familienstand, seinen Sorgepflichten und seiner familiären Situation in Nigeria gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde am 20.02.2024 (AS 57ff) und dem erkennenden Gericht am 02.12.2024 (OZ 8).
In Anbetracht dessen, dass der Beschwerdeführer der österreichischen Botschaft einen nigerianischen Reisepass mit der Nr. XXXX vorlegte, welcher für authentisch (echt) befunden wurde (IZR-Auszug), und in weiterer Folge mit einem neuen Reisepass mit der Nr. XXXX über den Luftweg legal nach Europa einreiste, steht seine Identität, somit auch seine Volljährigkeit und Staatsangehörigkeit, fest.
Die Feststellungen zu seinem Aufenthalt in Österreich sowie zur Asylantragstellung lassen sich somit dem vorliegenden Verwaltungsakt zum gegenständlichen Asylverfahren und dem aktuellen ZMR-Auszug sowie dem IZR-Auszug klar entnehmen.
Aus dem Verwaltungsakt sowie sämtlichen Angaben des Beschwerdeführers im gegenständlichen Verfahren ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass er in Österreich über familiäre Anknüpfungspunkte verfügen oder eine Beziehung führen würde (S. 3, 13 des Protokolls in OZ 8). Dass sich der Beschwerdeführer hingegen Freundschaften und Bekanntschaften in Österreich aufgebaut hat, lässt sich neben seinen dahingehenden glaubhaften Angaben vor dem erkennenden Gericht (S. 14 des Protokolls in OZ 8) dem eingebrachten Empfehlungsschreiben datiert mit 13.02.2024 (AS 79) entnehmen.
Die Feststellungen zu den grundlegenden Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers waren aufgrund des persönlich erhaltenen Eindrucks des erkennenden Richters im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlungen zu treffen, wobei der Beschwerdeführer auf die Beigabe einer Dolmetscherin angewiesen war (OZ 8). Ansonsten ergaben sich die Feststellungen zu seiner Integration in Österreich vorwiegend aus seinen Angaben im Rahmen der Beschwerdeverhandlung (OZ 8) in Zusammenschau mit den folgenden vorgelegten integrationsbegründenden Unterlagen: Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 des ÖIF datiert mit 16.01.2024 (AS 71), Kursanmeldebestätigungen der XXXX datiert mit 08.02.2024 und 13.09.2024 (AS 73, Beilage A zur OZ 8), Dienstzeugnis „ XXXX “ datiert mit 12.02.2024 (AS 75), Bestätigung des „ XXXX “ datiert mit 12.02.2024 (AS 77), Bestätigung und Nachweis der XXXX datiert mit 21.11.2024 bzw. 25.11.2024 (Beilage A zur OZ 8), Teilnahmebestätigung XXXX datiert mit 11.10.2024 (Beilage A zur OZ 8).
Seine legale Erwerbstätigkeit in Österreich sowie der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung wird neben dem aktuellen Auszug aus der Datenbank des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger und dem GVS-Auszug im vorgelegten AMS-Bescheid datiert mit 12.09.2024 (Beilage A zur OZ 8) sowie dem Dienstvertrag datiert mit 24.09.2024 (Beilage A zur OZ 8) ersichtlich. Da der Beschwerdeführer nach wie vor auf staatliche Sozialhilfeleistungen angewiesen ist, war die Feststellung der mangelnden Selbsterhaltungsfähigkeit zu treffen.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers gründet auf der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
2.3. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Im angefochtenen Bescheid kam die belangte Behörde zum Schluss, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr nach Nigeria keiner Verfolgung aus asylrechtlich relevanten Gründen ausgesetzt wäre und ihm auch keine anderen allgemeinen Gefahren drohen. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.12.2024 (OZ 8) schließt sich das erkennende Gericht den Ausführungen der belangten Behörde an und stimmt deren Beweiswürdigung dahingehend zu, dass es der Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nicht vermochte eine Asylrelevanz glaubhaft zu machen:
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es, bei den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde bzw. das Gericht muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylwerber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der auf Grund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Generell ist zur Glaubwürdigkeit eines Vorbringens auszuführen, dass eine Aussage grundsätzlich dann als glaubhaft zu qualifizieren ist, wenn das Vorbringen hinreichend substantiiert ist; der Beschwerdeführer sohin in der Lage ist, konkrete und detaillierte Angaben über von ihm relevierte Umstände bzw. Erlebnisse zu machen. Weiters muss das Vorbringen plausibel sein, d.h. mit überprüfbaren Tatsachen oder der allgemeinen Lebenserfahrung entspringenden Erkenntnissen übereinstimmen. Hingegen scheinen erhebliche Zweifel am Wahrheitsgehalt einer Aussage angezeigt, wenn der Beschwerdeführer den seiner Meinung nach seinen Antrag stützenden Sachverhalt bloß vage schildert oder sich auf Gemeinplätze beschränkt. Weiteres Erfordernis für den Wahrheitsgehalt einer Aussage ist, dass die Angaben in sich schlüssig sind; so darf sich der Beschwerdeführer nicht in wesentlichen Passagen seiner Aussage widersprechen.
Es ist anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten – z.B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z.B. VwGH 25.1.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z.B. VwGH 22.2.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Bereits eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2023 mit einem „Touristenvisum“ (S. 4 des Protokolls in OZ 8) bzw. Visum C (AS 21) legal unter Verwendung eines nigerianischen Reisepasses nach Europa einreiste, wodurch bereits eingangs Zweifel an einer tatsächlich bestandenen Angst vor einer asylrelevanten Verfolgung durch den nigerianischen Staat bestehen. Eine derartige Befürchtung dürfte er sohin weder im Zeitpunkt der legalen Ausreise aus Nigeria auf dem Luftweg, noch bei seinem Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses bei den nigerianischen Behörden im Jahr 2022 gehabt haben. Soweit der Beschwerdeführer dahingehend vor dem erkennenden Gericht anführte, dass seine legale Ausreise durch seinen Onkel organisiert worden sei, wobei dieser Unternehmer sei und Verbindungen in die Politik habe (S. 10 des Protokolls in OZ 8), wird daraus für den Beschwerdeführer aus folgenden Gründen nichts gewonnen:
Einerseits reiste der Beschwerdeführer erst einen Monat nach Beginn der Gültigkeit seines Visums tatsächlich aus Nigeria aus, wobei dies nicht für eine ihm damals akut drohende Gefahr spricht. Andererseits bleibt zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer bereits in den Jahren 2018 und 2022 jeweils einen Visumsantrag für Österreich bzw. für Frankreich gestellt hat, wobei diese mangels Glaubhaftmachung seiner Rückkehrabsicht abgelehnt wurden. Auf entsprechenden Vorhalt des erkennenden Richters führte der Beschwerdeführer aus wie folgt (S. 10 des Protokolls in OZ 8): „Bereits im Jahr 2017 gab es die Operation ,, XXXX ", bei der die Regierung die Armee in den Osten Nigerias entsandte. Damals besuchte ich noch die Schule. Angesichts der Ermordung von Mitgliedern von IPOB und der Anwesenheit der Armee im Süd-Osten des Landes hatte ich das Gefühl, ausreisen zu müssen. 2022 gab es ja dann die Bedrohung seitens ESN und durch meinen Freund.“ Auf die darauffolgende Frage des erkennenden Richters, wieso ihm sein Onkel nicht damals schon mit seiner Ausreise geholfen habe, erklärte der Beschwerdeführer: „Ich glaube, dass es ihm zuvor nicht so ernst war. Erst als das Problem sich zuspitzte, hat ihn meine Mutter um Hilfe gebeten“ (S. 11 des Protokolls in OZ 8). Dahingehend bestehen somit bereits grundsätzliche Zweifel an einer tatsächlichen Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung in Nigeria zum Ausreisezeitpunkt und drängt sich für den erkennenden Richter der Eindruck auf, der Beschwerdeführer habe über Jahre hinweg den Wunsch nach einem legalen dauerhaften Aufenthalt in einem europäischen Staat gehegt.
Als fluchtauslösendes Ereignis bezeichnete der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht eine Auseinandersetzung in seinem Heimatort, wobei die „Herdsmen“ die dort ansässige Bevölkerung angegriffen habe. Die Dorfjugend sowie die Bürgerwehr, welcher sich der Beschwerdeführer angeschlossen habe, hätten die „Herdsmen“ verjagt, wobei einige ihrer Rinder getötet worden seien. Die „Herdsmen“ hätten jedoch jemanden aus der Dorfgemeinschaft umgebracht. Zwei Tage nach dem Vorfall hätte ihm ein Freund telefonisch mitgeteilt, dass die „Herdsmen“ sich bei der Polizei beschwert hätten und die Polizei ins Dorf kommen wolle, „um alle zu verhaften“ (S. 5f des Protokolls in OZ 8).
Zunächst ist hinsichtlich dieses – nach Angaben des Beschwerdeführers im Jänner 2023 stattgefundenen – Vorfalls festzuhalten, dass das erkennende Gericht – wie schon die belangte Behörde – von einem konstruierten Erlebnis ausgeht. Da im gegenständlichen Verfahren die Aussage des Beschwerdeführers die zentrale Erkenntnisquelle darstellt, müssen seine Angaben bei einer Gesamtbetrachtung auf ihre Glaubhaftigkeit überprüft werden. Insbesondere vermochte es der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde noch vor dem erkennenden Richter in schlüssiger Art und Weise detaillierte Informationen zu seinem Erlebten mitzuteilen. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, dass Menschen über persönliche Erlebnisse unter Angabe der eigenen Gefühle und unter spontaner Rückerinnerung an unwesentliche Details und Nebenumstände berichten, dies insbesondere bei prägenden Ereignissen. Beim Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist zu erwarten, dass der Erzählende nicht nur Handlungsabläufe schildert, sondern sich selbst in die Schilderung einbaut; dass eigene Emotionen, Erlebniswahrnehmung und Verhalten zu erklären versucht werden; dass Dialoge und Interaktionen mit anderen Personen geschildert werden.
Die vom Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung angeführten Rückkehrbefürchtungen aufgrund dieses Vorfalls erscheinen in einer Gesamtschau äußerst fragwürdig, da er letztlich nicht dazu imstande war, durchgehend nachvollziehbare Angaben zu tätigen bzw. die ihm gestellten Fragen bestimmt und gleichbleibend zu beantworten. So vermochte es der Beschwerdeführer beispielsweise nicht, im gesamten Asylverfahren gleichbleibend anzugeben, inwieweit er von einer derartigen staatlichen Bedrohung durch die nigerianische Polizei persönlich erfasst worden wäre. Auf entsprechende Frage des erkennenden Richters führte der Beschwerdeführer zwar persönliche Verfolgungshandlungen an, wobei diese – wie noch in weiterer Folge näher auszuführen sein wird – vollumfänglich mit einem alternativen Fluchtvorbringen in Zusammenhang stehen (S. 6 des Protokolls in OZ 8). Im Verfahren kam letztlich nicht hervor, weshalb der Beschwerdeführer ins Visier der nigerianischen Polizei geraten sein sollte und ob es nach diesem Vorfall tatsächlich zu Festnahmen gekommen sei. Sein Vorbringen unterstützende Bescheinigungsmittel legte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Asylverfahren nicht vor.
Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die „Herdsmen“ bzw. Fulani, eine der drei größten ethnischen Gruppen Nigerias, laut dem zugrunde gelegten Länderinformationsblatt überwiegend im Norden agieren. Aus den eingebrachten Länderberichten kommt jedoch nicht hervor, dass in Delta-State, einem der südlichen Bundesstaaten Nigerias, lebende Personen von Bedrohungshandlungen von Angehörigen der Gruppe der Fulani in berücksichtigungswürdiger Weise gefährdet seien. Stattdessen ist im Südosten Nigerias die ethnische Gruppe der Ibo, welcher auch der Beschwerdeführer angehört, beheimatet, wobei zwischen diesen Gruppierungen auftretende gewalttätige Konflikte bzw. Konflikte zwischen den Fulani und IPOB-Mitgliedern nicht angeführt werden. Außerdem mangelt es an Nachvollziehbarkeit, wenn der Beschwerdeführer weiters anführt, dass sich die Fulani bei der Polizei über die Dorfbewohner beschwert hätten, woraufhin Verhaftungen der Dorfbewohner gedroht hätten. Mangels der Anführung eines schlüssigen und glaubhaften Vorbringens war eine dahingehende asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria nicht erkennbar.
Des Weiteren vermochte es der Beschwerdeführer nicht, seine Beweggründe hinsichtlich seines Beitritts zur Bürgerwehr (Vigilantengruppe) nachvollziehbar zu schildern. Vor der belangten Behörde schilderte er, IPOB verlassen und sich einer Vigilantengruppe angeschlossen zu haben, da er Gewalt ablehnen würde und die Gründung der ESN missbilligt habe (AS 63). Vor dem erkennenden Gericht schilderte er, dass im Jahr 2020 das Netzwerk ESN gegründet worden sei und er dort beitreten hätte sollen. Da er jedoch zu keinen Waffen greifen wollte, sei er aus IPOB ausgetreten und zur Bürgerwehr gegangen. Diese Gruppe sei für die Sicherheit seines Heimatdorfes zuständig gewesen sei und seien nahezu alle Jugendlichen Mitglieder gewesen (S. 6, 9 des Protokolls in OZ 8). Zunächst bleibt festzuhalten, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seines Beitritts im Jahr 2020 bereits 32 Jahre alt gewesen wäre, sodass die mehrmalige Betonung, dass „so gut wie alle Jugendliche“ Mitglieder gewesen seien, keinen Konnex zum Beschwerdeführer erkennen lässt. Zudem wird in den gegenständlich relevanten Länderberichten ausgeführt, dass sich in verschiedenen Regionen von Nigeria bewaffnete Organisationen in Form von ethnischen Vigilantengruppen gebildet hätten, welche zum Teil mit der Polizei zusammenarbeiten. Bei diesen Gruppen könne man sich auch gegen Zahlung eines Schutzgeldes „Sicherheit“ erkaufen. Es erscheint sohin nicht glaubhaft, dass sich der Beschwerdeführer, der die IPOB nach eigenen Angaben aufgrund seiner Ablehnung von Gewalt verlassen habe, anschließend einer bewaffneten Bürgerwehr angeschlossen und in weiterer Folge an einer gewaltsamen Auseinandersetzung beteiligt habe.
Des Weiteren bleibt festzuhalten, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich die Erstbefragung nicht auf die näheren Fluchtgründe bezieht und Beweisergebnisse daraus auch nicht unreflektiert übernommen werden dürfen (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Jedoch normiert § 19 Abs. 1 AsylG kein vollständiges Beweisverwertungsverbot. Es ist nicht generell unzulässig, sich auf eine Steigerung des Fluchtvorbringens zwischen der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der weiteren Einvernahme eines Asylwerbers zu stützen (VwGH 21.11.2019, Ra 2019/14/0429; 25.06.2019, Ra 2018/19/0546).
So begründete der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 23.05.2023 seine Rückkehrbefürchtungen lediglich mit einer Bedrohung durch die nigerianische Polizei, nachdem diese davon ausgehen würde, dass er an einem Angriff „auf den Feldern“ beteiligt gewesen sei (AS 11). Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 20.02.2024 erklärte er, dass er einerseits aufgrund eines gewaltsamen Zusammenstoßes mit den Hausa-Fulani, bei welchem er deren Kühe getötet habe, von der nigerianischen Polizei verfolgt worden sei (AS 64). Zudem sei er in Nigeria von Mitgliedern von IPOB bedroht worden und habe ihn eine gemeinsame Patrouille der Polizei, des Militärs und wohl der Luftwaffe an seinem Wohnsitz gesucht, da er der ESN-Mitgliedschaft beschuldigt worden sei (AS 64). Damit steigerte der Beschwerdeführer sein Vorbringen im Laufe des Behördenverfahrens und geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass ein spätes, gesteigertes Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert werden kann. Denn kein Asylwerber würde wohl eine sich bietende Gelegenheit, zentral entscheidungsrelevantes Vorbringen zu erstatten, ungenützt vorübergehen lassen (VwGH 07.06.2000, 2000/01/0250).
Dem erkennenden Gericht erschließt sich nicht, weshalb der Beschwerdeführer derart relevante Ereignisse – insbesondere die konkrete Bedrohung seiner Person durch das nigerianische Militär aufgrund einer vermuteten ESN-Mitgliedschaft – nicht bei der erstmaligen persönlichen Schilderung seiner Fluchtgründe nannte und in der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes vollkommen unerwähnt ließ. Nach allgemeiner Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass ein Asylwerber bei Antragstellung jedenfalls bemüht ist, zur Untermauerung einer bestehenden Verfolgungsgefahr sämtliche gravierenden Vorfälle im Herkunftsstaat – wenn auch nur kurz umrissen – zur Sprache zu bringen.
Für das erkennende Gericht ergibt sein Nichterwähnen im gegenständlichen Behördenverfahren ein enormes Indiz für die Unglaubhaftigkeit des gesamten Fluchtvorbringens, schließlich müsste eine behauptete persönliche Bedrohung ein einschneidendes und prägendes Geschehnis darstellen, welches er im Zuge eines Asylverfahrens bei der erstmöglichen Gelegenheit offenbart hätte. Erst auf mehrmalige Nachfrage des erkennenden Richters gab der Beschwerdeführer befragt nach einer persönlichen Bedrohung an wie folgt: „Bedroht wurde ich von einem Freund, der Mitglied beim ESN war. Meist wurde ich zu Treffen eingeladen. Als ich ihnen dann gesagt habe, dass ich nicht mitmachen würde, erhielt ich einen Anruf. Sie meinten, ich hätte sie verraten und würde wohl wissen, welche Konsequenzen das hätte. … Sie haben mir mit dem Umbringen gedroht, da ich ja schon viel zu viel über sie wusste. Als ich nach Abschluss der Schule die ganzen Formalitäten an der Schule erledigen musste, kam mein Freund einmal mit zwei anderen und erklärte mir, dass mein Verhalten nicht richtig war und sie mir mein Leben nehmen konnten. Sie wollten, dass ich zurückkomme und mich ihnen anschließe.“ (S. 6 des Protokolls in OZ 8).
Somit schilderte der Beschwerdeführer zunächst, von Mitglieder der ESN bedroht worden zu sein, woraufhin er an anderer Stelle erklärte, dass er von einem Zusammenschluss der Armee und der Polizei aufgrund des Verdachts der ESN-Mitgliedschaft gesucht worden sei. Der Beschwerdeführer vermochte es in einer Zusammenschau nicht, die entsprechende Bedrohung durch einen Freund zeitlich konkret einzuordnen bzw. von sich aus Details zu dem Erscheinen einer Patrouille an seinem Wohnsitz zu Protokoll zu gegeben, wie auch folgender Ausschnitt aus dem Einvernahmeprotokoll des Beschwerdeführers zeigt:
„Rl: Werden Sie von staatlichen Behörden oder der Polizei gesucht? Haben Sie dafür einen Nachweis?
BF: Ja, es gab eine Zeit, da sind sie gekommen. Das war am 07. Februar, ich war aber nicht dort. lch hatte die Gemeinde ja aufgrund des Vorfalles bereits verlassen. lch war damals schon in Abuja und habe mit meinem Onkel überlegt, was zu tun war. lch erfuhr damals, dass Mitglieder der Verbindung aus Armee und Polizei zu uns nach Hause gekommen waren, mich jedoch nicht vorfanden. lch habe keine Beweise dafür; da ich ja nicht dort bin. Meine Mutter hat mir davon erzählt.
Rl: Was haben die Polizei oder Behörden lhrer Mutter gesagt?
BF: Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie nach mir suchten. Sie haben nach XXXX gesucht.“
Bis zuletzt kam nicht hervor, weshalb die nigerianischen Sicherheitsbehörden den Beschwerdeführer einer ESN-Mitgliedschaft verdächtigt hätten bzw. weshalb er ins Visier der staatlichen Behörden geraten sei, nachdem er selbst eine Mitgliedschaft beim ESN durchwegs verneinte. Beim Eastern Security Network (ESN) handelt es sich laut den Länderinformationen um den paramilitärischen Arm der IPOB, welcher im Jahr 2020 gegründet wurde. Hinweise auf ein Zutreffen des dahingehenden Vorbringens des Beschwerdeführers, wonach sich zum Gründungszeitpunkt der ESN die Polizei und die Armee zusammengetan hätten und sämtliche Personen, die in Verbindung mit der IPOB gestanden seien, an Checkpoints „ausgeschaltet“ hätten, kamen in den eingebrachten Länderberichten nicht hervor. Nachvollziehbare Gründe, weshalb er trotz der Ablehnung des ESN-Beitritts nicht Mitglied von IPOB habe bleiben können, vermochte der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht ebenso nicht nachvollziehbar zu schildern (S. 7 des Protokolls in OZ 8):
„Rl: Sind Sie offiziell ausgetreten und was war der Grund und wann war das?
BF: lch habe es jedenfalls angekündigt, normalerweise hatten wir ja Meetings. lch wusste nicht, ob es Formalitäten hinsichtlich des Austritts gegeben hätte. lch habe ihnen erklärt, dass ich nicht bei ESN mitmachen werde und auch IPOB verlassen werde. So ist das abgelaufen.
Rl: Sie hätten ja auch bei IPOB dabeibleiben können. Sie hätten ja nicht dem ESN beitreten müssen.
BF: Nein, das hätte ich nicht. IPOB ist sozusagen ja die Basis und ESN der Sicherheitsarm von IPOB. Alle Mitglieder des ESN sind auch Mitglieder von IPOB. Es wurden dann Mitglieder ausgewählt, die ein Training absolvieren mussten.“
Darüber hinaus vermochte es der Beschwerdeführer vor dem erkennenden Gericht nicht, seine Mitgliedschaft bei IPOB per se glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer brachte keine Nachweise ins Verfahren ein, die seine Mitgliedschaft bestätigen könnten, obwohl diese nach eigenen Angaben fünf Jahre andauerte (S. 7 des Protokolls in OZ 8). Zudem lässt das Aussageverhalten des Beschwerdeführers zur Gruppe der IPOB die Detailliertheit vermissen, die nach einer fünfjährigen Mitgliedschaft bei IPOB zu erwarten wäre, wie folgender Ausschnitt aus dem Verhandlungsprotokoll vom 02.12.2024 zeigt (S. 7 des Protokolls in OZ 8):
„Rl: Was können Sie mir über IPOB erzählen?
BF: Als ich IPOB kennengelernt habe, wurde mir gesagt, dass das Ziel der Gruppierung die Wiederherstellung von Biafra als unabhängiger Nation war. Man wollte die Ausgrenzung im Süd-Osten des Landes stoppen. Mein Freund erzählte mir; dass es sich um eine nicht gewalttätige Gruppierung handelte. Es ging um Unabhängigkeit und das Anwerben weiterer Personen, um friedliche Demonstrationen und evtl. auch um einen Generalstreik. lch hatte nur einen monatlichen Beitrag zu zahlen, und zwar anlässlich der einmal im Monat stattfindenden Meetings.
Rl: Wann wurden die Bewegungen IPOB gegründet?
BF: Ja, ich glaube, dass sie offiziell 2012 begonnen hat.
Rl: Erzählen Sie mir etwas über Biafra. Zeichnen Sie die Fahne auf und erklären Sie mir die Bedeutung der Fahne.
BF: Die Flagge ist rot, schwarz und grün. Rot steht für die ermordeten Helden, Schwarz steht für die Trauer um sie und Grün steht für die Zukunft. Außerdem gibt es eine aufsteigende Sonne bzw. einen Mond an der Seite. Es ist etwas wie eine Sonne.
BF zeichnet die Flagge, welche als Beilage B zum Akt genommen wird.
Rl: Was heißt IPOB?
BF: Das steht für ,,lndigeneous People of Biafra".
Rl: Welche Bedeutung hat der 30. Mai?
BF: Welchen Jahres?
Rl: ln Bezug auf IPOB.
BF: lch weiß nicht, ob es der 30. Mai ist, aber es gibt ein Datum, an dem wir die verstorbenen Helden betrauern.
Rl: Gibt es noch weitere Biafra-Organisationen?
BF: Es gibt noch eine, ich habe sie aber vergessen
Rl: Welche Staaten gehören zum Gebiet Biafras?
BF: Anambra, Enugu, lmo, Ebony, Delta und auch River-State, entsprechend der Landkarte gehört auch Kogi-State dazu und auch Benue gehört dazu.“
Wenn der Beschwerdeführer im Rahmen des Beschwerdeschriftsatzes vermeint, dass ihm bereits aufgrund seiner behaupteten Mitgliedschaft zu IPOB Schutzwürdigkeit zukommen könnte, ist dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer eine Führungsposition innerhalb der Gruppierung nicht behauptete, weshalb er wohl auch nicht von besonderem Interesse für die nigerianischen Sicherheitsbehörden sei. Damit übereinstimmend erklärte er auch im gegenständlichen Asylverfahren mit keinem Wort, dass er sich als jahrelanges Mitglied der IPOB versteckt halten habe müssen. Im Übrigen erscheint es auch wenig plausibel, dass der Beschwerdeführer ein großes politisches Engagement während seines Lebens im Nigeria für sich reklamiert hat und dann seit seiner Ankunft in Österreich jegliche politische Aktivität scheut, wobei seit seiner Ausreise aus Nigeria bereits eineinhalb Jahre vergangen sind.
Aus den eben aufgezeigten Gründen erscheint es für den erkennenden Richter nicht nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer – bei Wahrstellung seines Vorbringens –aufgrund seiner Mitgliedschaft bei IPOB bzw. des Verdachts der Mitgliedschaft bei ESN verfolgt werden sollte, insbesondere da es sich beim Beschwerdeführer jedenfalls nicht um ein höheres bzw. einflussreiches Parteimitglied von IPOB gehandelt habe. Zudem war es dem Beschwerdeführer möglich, mit einem auf seinen Namen lautenden nigerianischen Reisepass das Land zu verlassen, sodass er damals offensichtlich nicht ins Blickfeld der nigerianischen Behörden geraten war. Wenn man zudem davon ausgeht, dass für nigerianische Staatsangehörige keine zentrale Meldepflicht besteht, ist auch der Versuch einer Aufenthaltsermittlung nahezu aussichtslos, weshalb dem Beschwerdeführer jedenfalls einer – hypothetisch angenommenen – privaten oder staatlichen Verfolgung entgehen könnte.
Für den erkennenden Richter steht nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und dem darin erhaltenen persönlichen Eindruck fest, dass der Beschwerdeführer eine nachvollziehbare und glaubhafte Schilderung einer gegen ihn gerichteten Bedrohung oder Verfolgung vermissen ließ. Er war auch nicht dazu in der Lage, hinsichtlich seiner Angst vor Verfolgung durch die nigerianischen Sicherheitsbehörden bzw. sonstigen ESN-Mitgliedern ein geschlossenes und in sich stimmiges Gesamtbild bzw. eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufzuzeigen. Es war ihm insbesondere nicht möglich anzugeben, weshalb seine Person von gegenwärtigem Interesse für die nigerianischen Sicherheitsbehörden sein sollte.
Im Allgemeinen kann es auch nicht als Aufgabe des erkennenden Richters bzw. der belangten Behörde gesehen werden, jede seiner vagen und pauschalen Angaben bzw. Andeutungen durch mehrmaliges Nachfragen zu konkretisieren, sondern liegt es am Beschwerdeführer ein detailliertes und stimmiges Vorbringen zu erstatten, um die nötige Glaubwürdigkeit zu erlangen. Auch der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass es dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen (VwGH 20.01.1993, 92/01/0752; 19.05.1994, 94/19/0465) und dass weder die erstinstanzliche Behörde noch das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet ist, den Antragsteller derart anzuleiten, dass sein Antrag von Erfolg gekrönt sein muss.
Für die Asylgewährung kommt es außerdem auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinne der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person vor dem Hintergrund der zu treffenden aktuellen Länderfeststellungen im Zeitpunkt der Entscheidung des VwG bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 18.05.2020, Ra 2019/18/0503).
Der Beschwerdeführer führte dahingehend vor dem erkennenden Gericht nicht an, dass nach ihm seit seiner Ausreise ein weiteres Mal gesucht worden sei und sind seither nunmehr über eineinhalb Jahre vergangen, sodass sich keine Aktualität ableiten lässt. Eine gegenwärtige Verfolgungsgefahr kann in einer Gesamtschau nicht angenommen werden. Im Einklang damit berichtete der Beschwerdeführer auch, dass seine Angehörigen nach wie vor unbehelligt in Nigeria leben könnten, ohne einer staatlichen oder privaten Verfolgungshandlung aufgrund ihrer Verwandtschaft zum Beschwerdeführer ausgesetzt zu sein.
Zusammengefasst ergibt sich somit aus den vorangegangenen Ausführungen, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers im Gesamten keine Asylrelevanz zu begründen vermochte. In der Folge ergibt sich daraus für das Bundesverwaltungsgericht, dass der Beschwerdeführer aufgrund der aktuellen Lage in Nigeria nicht der Gefahr einer individuellen Verfolgung aus asylrelevanten Gründen, sei es ausgehend von staatlichen Organen oder von Dritten, ausgesetzt wäre.
Hierbei verkennt das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der individuellen Rückkehrsituation des Beschwerdeführers nicht, dass es in einzelnen Bereichen des Herkunftsstaates zu Gewaltausbrüchen kommt, jedoch ist nach den Länderfeststellungen Nigeria kein klassisches Bürgerkriegsland. Ein bewaffneter innerstaatlicher oder zwischenstaatlicher Konflikt besteht demnach nicht, sodass eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr aufgrund solcher Konflikte ausgeschlossen werden kann. Die allgemein herrschende Situation in Nigeria stellt generell keine Bedrohung im Sinne des Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK dar und wird entsprechend den Länderfeststellungen selbst eine alleinstehende Person, die nach Nigeria zurückgeführt wird und dort in keinem privaten Verband Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet.
Beim jungen, gesunden und arbeitsfähigen Beschwerdeführer sind im Zuge des Verfahrens auch keine besonderen Vulnerabilitäten hervorgekommen, welche es zu berücksichtigen gäbe. Vielmehr bleibt festzuhalten, dass er den Großteil seines Lebens in Nigeria verbracht hat, dort aufgewachsen ist und in Nigeria seine Enkulturation erfahren hat. Bereits deshalb kann nicht von einer Entwurzelung des Beschwerdeführers ausgegangen werden, vielmehr von einem Vertrautsein mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der nigerianischen Kultur. Letztlich besteht kein Zweifel daran, dass sich der Beschwerdeführer in die dortige Gesellschaft problemlos wieder eingliedern wird können und verfügt er nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte.
Der Beschwerdeführer wird seine existenziellen Grundbedürfnisse aus unselbständiger oder selbständiger Arbeit sichern können, insbesondere vor dem Hintergrund seines gehobenen Bildungsgrades und seiner Berufserfahrung. Gegenständlich ist damit jedenfalls davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in Nigeria wird ansiedeln können und eine (in Nigeria vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte auch sichergestellte) Grundversorgung mit Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Strom und Grundnahrungsmitteln zur Verfügung stehen wird.
Aus einer Zusammenschau der zitierten Quellen ergibt sich sohin eine Sicherheitslage, die es einer Person wie dem Beschwerdeführer erlaubt, in Nigeria relativ unbehelligt zu leben, ohne zwingend damit rechnen zu müssen, Opfer von Verfolgung, willkürlicher Gewalt oder kriegerischen Auseinandersetzungen zu werden. Abgesehen von seinem unglaubhaften Fluchtvorbringen vermochte der Beschwerdeführer selbst keine außerhalb seiner eigenen Person liegenden Gründe nennen, welche gegen eine Rückkehr bzw. für die reale Gefahr der Folter, einer unmenschlichen Bestrafung, unmenschlichen Behandlung, der Todesstrafe bzw. einer wie immer gearteten existentiellen Bedrohung sprechen würden.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben.
Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht des erkennenden Richters bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 07.06.2000, Zl. 99/01/0210) und erfolgte zuletzt einer Erörterung der Länderberichte in der mündlichen Verhandlung (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/18/0154).
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde mit dem Beschwerdeführer der wesentliche Inhalt der herkunftsstaatsbezogenen Berichte erörtert und ihm die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt. Weder der Beschwerdeführer, noch dessen Rechtsvertretung sind den getroffenen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat, die auf den in das Verfahren eingeführten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen beruhen, substantiiert entgegengetreten. Das bloße Aufzeigen von spezifischen Problemlagen im Herkunftsstaat vermag die Glaubwürdigkeit der Länderfeststellungen zudem nicht zu erschüttern. Vielmehr sparen die Länderfeststellungen die im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vorherrschenden Probleme nicht nur nicht aus, sondern legen diese ebenfalls offen.
Es wurden somit im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen und weder in der Beschwerde, noch in der mündlichen Verhandlung dem Inhalt und den Kernaussagen der Länderberichte sowie deren Quellen substantiiert entgegengetreten, sodass an der Richtigkeit und am Zutreffen der Länderfeststellungen keine Zweifel bestehen und diese der gegenständlichen Entscheidung bedenkenlos zugrunde gelegt werden konnten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde
3.1. Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233, VwGH vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279, VwGH 09.03.1999, 98/01/0318; 19.10.2000, 98/20/0233).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann aber nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 28.10.2009, 2006/01/0793).
Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie), die im Sinne einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts mit zu berücksichtigen ist, muss der Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden wirksam sein. Ein solcher Schutz ist generell gewährleistet, wenn etwa der Herkunftsstaat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung oder den ernsthaften Schaden zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, und wenn der Asylwerber Zugang zu diesem Schutz hat. Bei Prüfung (u.a.) dieser Frage berücksichtigen die Mitgliedstaaten nach Art. 8 Abs. 2 Statusrichtlinie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers.
Die Statusrichtlinie sieht daher einerseits vor, dass die staatliche Schutzfähigkeit zwar generell bei Einrichtung eines entsprechenden staatlichen Sicherheitssystems gewährleistet ist, verlangt aber anderseits eine Prüfung im Einzelfall, ob der Asylwerber unter Berücksichtigung seiner besonderen Umstände in der Lage ist, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063).
Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der GFK. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Wie in der Beweiswürdigung unter Punkt II.2.3. bereits ausführlich dargelegt, vermochte der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keine wohlbegründete Furcht vor einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen. Das erstattete Vorbringen zu einer Verfolgung in Zusammenhang mit einer Mitgliedschaft bei IPOB bzw. ESN sowie mit einer Auseinandersetzung als Mitglied der Bürgerwehr war letztlich nicht asylrelevant. Eine über sein als unglaubwürdig beurteiltes Vorbringen hinausgehende persönliche Bedrohung oder Verfolgung wurde weder von Seiten des Beschwerdeführers behauptet, noch waren von Amts wegen Anhaltspunkte für eine asylrelevante Gefährdung im Herkunftsstaat ableitbar.
Es ist zudem nicht ableitbar, dass dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft in seinem Herkunftsstaat Nigeria konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte. Dem Beschwerdeführer ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für den Beschwerdeführer war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage wird zusammengefasst ausgeführt, dass eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung darstellt (vgl. etwa VwGH 14.03.1995, 94/20/0789; 17.06.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 09.05.1996, 95/20/0161; 30.04.1997, 95/01/0529; 08.09.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gewinnung - zusammenhängt. Derartiges hat der Beschwerdeführer ebenfalls nicht glaubhaft behauptet.
Im Ergebnis gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers keine glaubhaften Anhaltspunkte dafür, dass er bei einer Rückkehr nach Nigeria maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würde, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).
Die Voraussetzungen für die Erteilung von Asyl sind daher nicht gegeben. Aus diesem Grund war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
3.2.1. Rechtslage:
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes – „real risk“ einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143).
Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK ist nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art 3 EMRK angenommen werden kann. Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 19.11.2015, Ra 2015/20/0174; 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2024/20/0347, mwN).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung für sich genommen selbst ein Leben im Herkunftsstaat in ärmlichen Verhältnissen nicht dazu führt, dass eine Verletzung des Art. 3 EMRK gegeben sein könnte (vgl. erneut VwGH Ra 2024/20/0347, mwN).
3.2.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht gegeben sind.
Wie bereits dargelegt wurde, droht dem Beschwerdeführer in Nigeria keine asylrelevante Verfolgung.
Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Nigeria die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt, dies zumal es sich im Falle des Beschwerdeführers um einen arbeitsfähigen Mann handelt, der über eine höhergradige Schulbildung und Arbeitserfahrung verfügt. Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr seinen Lebensunterhalt durch Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit finanzieren wird können. Zudem ergeben sich aufgrund seiner vorhandenen Sprachkenntnissen keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer bei seiner Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden würde. Insbesondere hat der Beschwerdeführer selbst nicht ausreichend konkret vorgebracht, dass ihm im Falle einer Rückführung nach Nigeria jegliche Existenzgrundlage fehlen würde und er in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse (wie etwa Versorgung mit Lebensmitteln oder einer Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre. Zudem verfügt er nach wie vor über familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria, sodass insgesamt von einem maßgeblichen familiären Rückhalt im Rückkehrfall ausgegangen werden kann.
Damit ist der Beschwerdeführer durch die Abschiebung nach Nigeria nicht in seinem Recht gemäß Art 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Ganz allgemein besteht in Nigeria derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre. Im Verfahren sind auch keine Umstände bekannt geworden und ergeben sich auch nicht aus dem amtliches Wissen darstellenden Länderinformationsblatt für Nigeria, die nahelegen würden, dass bezogen auf den Beschwerdeführer ein reales Risiko einer gegen Art 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung bzw. der Todesstrafe besteht.
Aufgrund der vorigen Ausführungen ist letztlich im Rahmen einer Gesamtschau davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG abzuweisen war.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
3.3.1. Rechtslage:
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) unter anderem von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
3.3.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Indizien dafür, dass der Beschwerdeführer einen Sachverhalt verwirklicht hat, bei dem ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltstitel besonderer Schutz) zu erteilen wäre, sind weder vorgebracht worden, noch hervorgekommen: Weder war der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit mindestens einem Jahr im Sinne des § 46 Abs. 1 Z 1 oder Z 1a FPG geduldet, noch ist dieser zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig, noch ist der Beschwerdeführer Opfer von Gewalt im Sinne des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG. Ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG war daher nicht zu erteilen.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie hinsichtlich des Spruchpunktes III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 57 AsylG abzuweisen war.
3.4. Zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
3.4.1. Rechtslage:
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.
3.4.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Nachdem der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen war, hat sich die belangte Behörde zutreffend auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt.
In weiterer Folge ist eine individuelle Abwägung der berührten Interessen vorzunehmen, um zu beurteilen, ob ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer durch ihre Außerlandesbringung als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig angesehen werden kann oder in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Wird durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG (nur) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung der Rechtskonformität von behördlichen Eingriffen ist nach ständiger Rechtsprechung des EGMR und VfGH auf die besonderen Umstände des Einzelfalls einzugehen. Die Verhältnismäßigkeit einer solchen Maßnahme ist (nur) dann gegeben, wenn ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Betroffenen auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens im Inland einerseits und dem staatlichen Interesse an der Wahrung der öffentlichen Ordnung andererseits gefunden wird. Bei Beurteilung dieser Frage ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 15.02.2021, Ra 2020/21/0301; VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362; VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456; VwGH 05.11.2019, Ro 2019/01/0008).
Die Aufenthaltsdauer nach § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 stellt nur eines von mehreren im Zuge der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar, weshalb auch nicht gesagt werden kann, dass bei Unterschreiten einer bestimmten Mindestdauer des Aufenthalts in Österreich jedenfalls von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen Interessen an der Beendigung des Aufenthalts im Bundesgebiet gegenüber den gegenteiligen privaten Interessen auszugehen ist. Einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren kommt für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zu (vgl. VwGH 16.02.2021, Ra 2019/19/0212 mit Verweis auf VwGH 21.01.2016, Ra 2015/22/0119; 10.05.2016, Ra 2015/22/0158; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 bis 0058; 15.03.2016, Ra 2016/19/0031; weiters VwGH 15.04.2020, Ra 2019/18/0542 und VwGH 09.01.2020, Ra 2019/18/0523).
Das vorliegende Asylverfahren erreichte, gerechnet von der Antragstellung am 22.05.2023 bis zum Datum der angefochtenen Entscheidung am 09.07.2024 lediglich eine Dauer von etwa einem Jahr und eineinhalb Monaten. Der seit der Antragstellung andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruhte dessen ungeachtet auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Insbesondere fußt sein gesamter – nunmehr etwa einem Jahr und sieben Monate dauernder – Aufenthalt im Bundesgebiet auf einem unbegründeten Asylantrag.
Der Verwaltungsgerichtshof nahm bereits bei einem Aufenthalt von drei Jahren an, dass von einer ins Gewicht fallenden Aufenthaltsdauer iSd § 9 Abs. 2 Z 1 BFA-VG 2014 keine Rede sein kann. Daher kann – in Anbetracht der noch kürzeren Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers – ein mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung verbundener Eingriff in das Privatleben nur unter „außergewöhnlichen Umständen“ die Unzulässigkeit dieser Maßnahme bewirken (vgl. VwGH 27.07.2020, Ra 2020/21/0260; VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0306; VwGH 03.12.2019, Ra 2019/18/0471; VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0191; VwGH 20.12.2018, Ra 2018/21/0143 bis 0147).
Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit die Fremden die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt haben, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen der Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422).
Hinsichtlich des Familienlebens ist auszuführen, dass das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK das Zusammenleben der Familie schützt. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Nr. 6833/74, Marckx).
Der Beschwerdeführer verfügt über keine Verwandte oder andere familiäre Beziehungen in Österreich, sodass das Bestehen eines Familienlebens iSd Art 8 EMRK nicht weiter zu prüfen war. Auch kamen keine Hinweise auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft hervor.
Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gegen Lettland, Nr. 60654/00, EuGRZ 2006, 554).
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer während seines Aufenthalts im Bundesgebiet einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Seine angegebenen freundschaftlichen Kontakte mögen für den Beschwerdeführer subjektiv von Bedeutung sein, sind jedoch objektiv beurteilt nicht geeignet, den von Art. 8 EMRK geforderten hohen Maßstab aufgrund der fehlenden Intensität zu erreichen. Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass seine privaten Beziehungen zwar durch eine Rückkehr nach Nigeria gelockert werden, es deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer hierdurch gezwungen wird, den Kontakt zu jenen Personen, die ihm in Österreich nahestehen, gänzlich abzubrechen. Es steht ihm frei, die Kontakte anderweitig (telefonisch, elektronisch, brieflich, durch Urlaubsaufenthalte etc.) aufrecht zu erhalten.
Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige, besonders ausgeprägte und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in sprachlicher, beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht sind schon im Hinblick auf die Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich seit Mai 2023 nicht erkennbar. Das erkennende Gericht verkennt nicht sein ehrenamtliches Engagement sowie seinen Besuch von Deutschkursen bzw. die Absolvierung einer Sprachprüfung, wobei er gegenwärtig nur über grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Nicht verkannt wird überdies, dass der Beschwerdeführer berufliche Integrationsschritte gesetzt hat und in Österreich sowohl einer unselbständigen als auch einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei er trotz dessen Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht. Die festgestellten Umstände sind für sich alleine jedenfalls nicht dazu geeignet eine Integration von maßgeblicher Intensität zu begründen.
Besteht insgesamt noch keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen, dass von einer „außergewöhnlichen Konstellation“ gesprochen werden kann, so muss dem Fremden allein wegen seiner Integrationsbemühungen - ungeachtet des noch nicht langen Inlandsaufenthalts und des Umstands, dass bei ihm nur ein Eingriff in das Privatleben und nicht auch in ein Familienleben zur Debatte steht - nicht unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 MRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden (VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0189; VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457, 0458). Es mag rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für derartige Fälle kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen hat. Das kann aber nicht dazu führen, dass die - im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG 2005 - strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0133; VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0032, 0033).
In diesem Zusammenhang ist ergänzend auf die höchstgerichtliche Judikatur hinzuweisen, wonach die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellen (vgl. VwGH 26.01.2009, 2008/18/0720). Wie festgestellt sind keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige und tiefgreifende Integration des Beschwerdeführers in beruflicher, sprachlicher oder sozialer Hinsicht hervorgekommen und konnte damit eine außergewöhnliche integrative Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers nicht angenommen werden.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch ihre illegale Einreise und durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrages erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11.12.2003, Zl. 2003/07/0007; vgl. dazu auch das Erkenntnis VfSlg. 19.086/2010, in dem der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang explizit erklärt, dass „eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde.“).
Gleichzeitig hat der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, sprachliche und kulturelle Verbindungen, sodass in einer Gesamtschau keine vollkommene Entwurzelung des Beschwerdeführers gegeben ist. Unter dem Gesichtspunkt nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 kann der Frage, ob sich der Fremde bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen kann, bei der Interessenabwägung Bedeutung zukommen. Er ist gesund und arbeitsfähig, sodass davon auszugehen ist, dass er sich einen zumindest bescheidenen Lebensunterhalt verdienen wird können. Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatland vermögen deren Interesse an einem Verbleib in Österreich nicht in entscheidender Weise zu verstärken, sondern sind vielmehr im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 12.03.2021, Ra 2020/19/0440 mit Verweis auf VwGH 30.06.2016, Ra 2016/21/0076; 12.11.2015, Ra 2015/21/0101; 16.12.2015, Ra 2015/21/0119).
Hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass dies nach Judikatur weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen darstellt (vgl. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253 mit Verweis auf VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070 und VwGH 13.10.2011, 2009/22/0273;), da der VwGH davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält.
Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich (bzw. Europa) stehen zudem bedeutende öffentliche Interessen entgegen. So steht ihm das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufhältig sind – gegebenenfalls nach Abschluss eines Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz – auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).
Bei einer Gesamtbetrachtung wiegt unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 30.04.2009, 2009/21/0086; 26.6.2013, 2013/22/0138; 26.04.2018, Ra 2018/21/0062), schwerer als die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.
Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen kann ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers jedenfalls als im Sinne des Art 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden. Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Außerlandesschaffung aus.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG abzuweisen war.
3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):
3.5.1. Rechtslage:
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist. Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder deren 6. bzw. 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Gemäß § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort das Leben des Betroffenen oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder persönlichen Ansichten bedroht wäre, es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative. Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung unzulässig, solange ihr die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.5.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Im vorliegenden Fall liegen keine Gründe vor, wonach die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig wäre.
Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119; 25.09.2019, Ra 2019/19/0399)
Da – wie bereits angeführt – keine Gründe für die Zuerkennung von internationalem Schutz hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten vorliegen, ist im Sinne der oben zitierten, auch nach dem Erkenntnis VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, weiterhin beachtlichen Judikatur eine neuerliche Prüfung eines Abschiebehindernisses aus Gründen der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, unmenschlichen Strafe oder Behandlung und der Gefahr durch einen innerstaatlichen bewaffneten Konflikt persönlich zu Schaden zu kommen, nicht mehr neu zu prüfen (vgl. VwGH 07.03.2019, Ra 2019/21/0044).
Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen für Nigeria nicht vor, sodass aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 und/oder 3 EMRK abgeleitet werden kann.
Ergänzend wird ausgeführt, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach erkannt hat, dass auch die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten kann, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (vgl. u.a. VwGH 06.11.2009, Zl. 2008/19/0174). Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 200/01/0443 und zuletzt VwGH, 25.05.2016, Ra 2016/19-0036-5).
Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR obliegt es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (Beschluss des VwGH vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden Nr. 61204/09; sowie Erkenntnis des VwGH 25.02.2016, Ra 2016/19/0036; 13.09.2016, Ra 2016/01/0096-3).
Dies wurde vom Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt. Es ist daher jedenfalls davon auszugehen, dass der volljährige und arbeitsfähige Beschwerdeführer, der über eine höhergradige Ausbildung sowie Berufserfahrung verfügt, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat seine dringendsten Bedürfnisse befriedigen kann und nicht in eine dauerhaft aussichtslose Lage gerät. Insbesondere beherrscht er die Landessprache und hat den Großteil seines Lebens in Nigeria verbracht, sodass von einer vollkommenen Entwurzelung jedenfalls nicht gesprochen werden kann. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation in Nigeria bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde in Nigeria keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Hierfür fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.
Ökonomische Schwierigkeiten hat der Beschwerdeführer hinsichtlich der allgemeinen Lage angedeutet, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden jedoch wirtschaftliche Gründe keine asylrechtlich relevante Verfolgung bewirken (zur fehlenden asylrechtlichen Relevanz wirtschaftlich motivierter Ausreisegründe siehe auch Erkenntnis des VwGH vom 28.06.2005, 2002/01/0414; 06.03.1996, 95/20/0110; 20.06.1995, 95/19/0040), weshalb das Vorliegen dieser Gründe eine Abschiebung nicht unzulässig macht.
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte der Abschiebung entgegen.
Die Beschwerde erweist sich insoweit als unbegründet, dass sie hinsichtlich des Spruchpunktes V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 52 Abs. 9 FPG abzuweisen war.
3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides):
Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer von der belangten Behörde vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Derartige „besondere Umstände“ wurden vom Beschwerdeführer nicht dargetan und sind auch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht hervorgekommen.
Die Beschwerde erweist sich folglich insoweit als unbegründet, dass sie auch hinsichtlich des Spruchpunktes VI. des angefochtenen Bescheides
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den obgenannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.