Spruch
W208 2279018-1/28E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über den Antrag von XXXX , geboren XXXX , auf Gewährung der Verfahrenshilfe für die Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichtes WIEN vom 18.09.2023, Zl Jv XXXX -33a/23:
A)
Der Antrag auf Verfahrenshilfe wird gemäß § 8a VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Sachverhalt
1. Mit dem im Spruch genannten Antrag vom 26.09.2023, beim BVwG eingelangt am 05.10.2023, hat die antragstellende Partei (aP) die Gewährung der Verfahrenshilfe gemäß § 8a VwGVG für die im Spruch genannte Rechtssache beantragt und ein Vermögensbekenntnis (§ 66 ZPO) beigelegt.
Die Verfahrenshilfe wurde im Umfang der Befreiung von den Gerichtsgebühren (§ 64 Abs 1 Z 1 lit a ZPO), den Gebühren der Zeugen, Sachverständigen, Dolmetscher, Übersetzer und Beisitzer (§ 64 Abs 1 Z 1 lit c ZPO), den notwendigen Barauslagen, die von dem vom Gericht bestellten gesetzlichen Vertreter oder von dem der Partei beigegebenen Rechtsanwalt oder Vertreter gemacht worden sind (§ 64 Abs 1 Z 1 lit f ZPO), der Sicherheitsleistung für die Prozesskosten (§ 64 Abs 1 Z 2 ZPO), sowie der Befreiung von den Kosten für Vertretung durch einen Rechtsanwalt (§ 64 Abs 1 Z 3 ZPO), beantragt.
Begründet wurde der Antrag damit, dass die Einbringungsstelle des Oberlandesgerichtes WIEN (belangte Behörde in dem zugrundeliegenden Nachlassverfahren) Sachverhalte und Beweise ignoriere und den Antragstext des Nachlassantrages rechtsmissbräuchlich verändert habe. Es sei davon auszugehen, dass sich dies im Beschwerdeverfahren wiederhole, wenn nun ohne anwaltliche Vertretung eine Beschwerde selbst verfasst würde.
2. Die aP beabsichtigt eine Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid der Präsidentin des Oberlandesgerichtes WIEN (Einbringungsstelle), beim BVwG einzubringen.
Mit dem genannten Bescheid vom 18.09.2023 wurde dem Antrag der bP auf Nachlass (in eventu auf Stundung) von vorgeschriebenen Gerichtsgebühren in einer Gesamthöhe von € 156.759,00 gem § 9 Abs 1 und Abs 2 GEG nicht stattgegeben.
Begründend wurde darin zur Versagung des Nachlasses ausgeführt, dass es die aP in ihrem Gesuch versäumt habe, die für den Nachlass erforderliche besondere Härte, insbesondere die Bekanntgabe ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen. Weiter sei im Verfahren betreffend Nachlass der Gerichtsgebühren kein Raum dafür, die Richtigkeit der Gebührenbemessung aufzurollen (VwGH 2005/16/0025). Die Argumentation der bP, es bestehe keine Gebührenpflicht, da der Antrag auf Verfahrenshilfe zurückgewiesen und daher auch keine Klage eingebracht worden sei, gehe somit ins Leere. Hinsichtlich des Stundungsantrages wurde darauf hingewiesen, dass die aP im gegenständlichen Fall weder eine gemäß § 9 Abs 1 GEG erforderliche Sicherheitsleistung angeboten habe, noch ein Vorbringen erstattet hätte, warum die Einbringung im gegenständlichen Fall nicht gefährdet sei. Es fehle somit im gegenständlichen Fall neben der erforderlichen besonderen Härte, an der für eine Stundung unabdingbaren zweiten Voraussetzung, dass entweder eine Sicherheit geleistet werde oder der Gebührenschuldner darlegen könne, warum die Einbringung in dieser Sache gerade nicht gefährdet sei.
3. Dem Nachlassantrag vorausgegangen ist, dass der aP in einem zivilgerichtlichen Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen XXXX (im Folgenden: LG) zu XXXX Gerichtsgebühren in einer Gesamthöhe von € 156.759,00 mit Lastschriftanzeige vom 03.08.2023, zu XXXX – 1 – VNR 3 – vorgeschrieben wurden (OZ 2).
II. Rechtliche Beurteilung
1. Gemäß § 8a Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF (VwGVG) ist einer Partei, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies
* aufgrund des Art 6 Abs 1 EMRK oder des Art 47 GRC geboten ist,
* die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und
* die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig
* oder aussichtslos erscheint.
Für die Gewährung von Verfahrenshilfe müssen alle vier Voraussetzungen kumulativ vorliegen (vgl Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltunggerichte2, § 8a K5).
2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 03.10.2024, G 3504/2023, die Wort- und Zeichenfolge „dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäi-schen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist," in § 8a Abs 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I 33/2013, idF BGBl. I 109/2021 als verfassungswidrig aufgehoben.
Gemäß Art 140 Abs 7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art 140 Abs 7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988); darüber hinaus muss der das Verwaltungsgerichtsverfahren einleitende Antrag vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 1.1. genannten Erkenntnis zugrundeliegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes gestellt worden sein (VfSlg. 17.687/2005).
Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 18. 06.2024; der dieses Gesetzesprüfungsverfahren einleitende Beschluss wurde am 08.01.2024 bekannt gemacht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die aP – am 04.12.2023 – bereits einen Verfahrenshilfeantrag beim Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang gestellt. Die nach Bewilligung der Verfahrenshilfe durch einen Rechtsanwalt fristgerecht eingebrachte Beschwerde galt gemäß § 73 Abs 2 und § 464 Abs 3 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages, somit also noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und beim Verfassungsgerichtshof anhängig (vgl zB VfSlg. 11.748/1988, 13.665/1994).
Der dem Verfahrenshilfeantrag zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten und hatte bzw hat das BVwG die aufgehoben Wort- und Zeichenfolge „dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist," nicht anzuwenden.
Aus diesem Grund wurde das im 1. Rechtgang vom BVwG gefasste Erkenntnis vom 29.11.2023, GZ W208 2279018-1/2E vom VfGH mit Erkenntnis vom 03.10.2024, E 3787/2023 aufgehoben.
3. Daraus folgt, dass im fortgesetzten Verfahren der Verfahrenshilfeantrag daher nur mehr auf die Erfüllung der drei verbliebenen Voraussetzungen zu prüfen ist. Die aP muss daher
* außerstande sein, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und
* die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig
* oder aussichtslos erscheinen.
Im vorliegenden Fall ist Gegenstand der beabsichtigten Beschwerde ein aufgrund des Gerichtlichen Einbringungsgesetz (GEG) erlassener Bescheid. Konkret geht es um die Abweisung des Antrages auf Stundung und Nachlass von mit Lastschriftanzeige vorgeschriebenen Gerichtsgebühren gemäß § 9 Abs 1 und Abs 2 GEG (wie bereits oben ausgeführt).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist. Es bedarf einer Prüfung im Einzelfall. Die Prüfungskriterien sind die Vermögensverhältnisse der aP und ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden, die Erfolgsaussichten einer Beschwerde, die Komplexität des Falles und die Bedeutung der Angelegenheit für die aP (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018], § 8a, Seite 95).
Daraus folgt für den vorliegenden Fall:
Für die Einbringung einer Beschwerde nach § 9 VwGVG beim BVwG ist kein Rechtsanwalt erforderlich und gem § 9 Abs 4 iVm § 7 Abs 7 GEG keine Beschwerdegebühr zu entrichten.
Es entstehen der aP daher für ihre beabsichtigte Beschwerde keine Kosten und liegt auch keine komplexe Rechtsfrage vor, für deren Vorbringen in einer Beschwerde die Heranziehung eines Rechtsanwaltes erforderlich wäre. Die aP hat – das zeigen ihre Formulierungen im Antrag und die Tatsache, dass sie seit Jahren über einen ERV-Zugang verfügt, wie sie selbst im Antrag ausführt – durchaus über den Durchschnitt hinausgehende Fähigkeiten, ohne Rechtsvertretung ihre Beschwerdegründe darzulegen und ihre Anträge zu stellen. Die inhaltlichen Anforderungen gem § 9 VwGVG, sind so zu verstehen, dass ein durchschnittlicher Bürger sie auch ohne Unterstützung durch einen berufsmäßigen Parteienvertreter erfüllen kann (vgl Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren [2018], § 9, Anm 2).
Hinsichtlich der beabsichtigten Beschwerde ist festzustellen, dass einer Lastschriftanzeige noch keine Rechtswirkung zukommt (VwGH 04.12.2003, 2003/16/0122). Es ist gem § 6a GEG ein Zahlungsauftrag zu erlassen, der vor dem BVwG (wiederum) mit Beschwerde bekämpft werden kann. Die Rechtskraft dieses Zahlungsauftrages ist entscheidend, weil erst damit eine Zahlungspflicht der aP entsteht und diese im Nachlass- und/oder Stundungsverfahren, nicht mehr neu beurteilt werden kann (VwGH 11.01.2016, Ra 2015/16/0132).
Mangels gemeinsamen Vorliegens der in § 8a Abs 1 VwGVG – nach der Entscheidung des VfGH noch verbleibenden Erfordernisse – ist daher der Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe für die beabsichtigte Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung eines Nachlasses (Stundung) abzuweisen, weil die aP in der Lage ist kostenfrei eine Beschwerde einzubringen.
Die Beschwerdefrist von 4 Wochen dafür beginnt gem § 8a Abs 7 VwGVG mit Zustellung dieses Beschlusses an die aP.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.