(1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit
1. von Gesetzen
a) auf Antrag eines Gerichtes;
b) von Amts wegen, wenn er das Gesetz in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte;
c) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist;
d) auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels;
2. von Bundesgesetzen auch auf Antrag einer Landesregierung, eines Drittels der Mitglieder des Nationalrates oder eines Drittels der Mitglieder des Bundesrates;
3. von Landesgesetzen auch auf Antrag der Bundesregierung oder, wenn dies landesverfassungsgesetzlich vorgesehen ist, auf Antrag eines Drittels der Mitglieder des Landtages.
Auf Anträge gemäß Z 1 lit. c und d ist Art. 89 Abs. 3 sinngemäß anzuwenden.
(1a) Wenn dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist, kann die Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 1 lit. d durch Bundesgesetz für unzulässig erklärt werden. Durch Bundesgesetz ist zu bestimmen, welche Wirkung ein Antrag gemäß Abs. 1 Z 1 lit. d hat.
(1b) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 1 lit. c oder d bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
(2) Wird in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Rechtssache, in der der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz anzuwenden hat, die Partei klaglos gestellt, so ist ein bereits eingeleitetes Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes dennoch fortzusetzen.
(3) Der Verfassungsgerichtshof darf ein Gesetz nur insoweit als verfassungswidrig aufheben, als seine Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als der Verfassungsgerichtshof das Gesetz in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zu der Auffassung, dass das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen oder in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben. Dies gilt nicht, wenn die Aufhebung des ganzen Gesetzes offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei zuwiderläuft, die einen Antrag gemäß Abs. 1 Z 1 lit. c oder d gestellt hat oder deren Rechtssache Anlass für die amtswegige Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat.
(4) Ist das Gesetz im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten und wurde das Verfahren von Amts wegen eingeleitet oder der Antrag von einem Gericht oder von einer Person gestellt, die durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, so hat der Verfassungsgerichtshof auszusprechen, ob das Gesetz verfassungswidrig war. Abs. 3 gilt sinngemäß.
(5) Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wird, verpflichtet den Bundeskanzler oder den zuständigen Landeshauptmann zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft, wenn nicht der Verfassungsgerichtshof für das Außerkrafttreten eine Frist bestimmt. Diese Frist darf 18 Monate nicht überschreiten.
(6) Wird durch ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes ein Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben, so treten mit dem Tag des Inkrafttretens der Aufhebung, falls das Erkenntnis nicht anderes ausspricht, die gesetzlichen Bestimmungen wieder in Kraft, die durch das vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig erkannte Gesetz aufgehoben worden waren. In der Kundmachung über die Aufhebung des Gesetzes ist auch zu verlautbaren, ob und welche gesetzlichen Bestimmungen wieder in Kraft treten.
(7) Ist ein Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben worden oder hat der Verfassungsgerichtshof gemäß Abs. 4 ausgesprochen, dass ein Gesetz verfassungswidrig war, so sind alle Gerichte und Verwaltungsbehörden an den Spruch des Verfassungsgerichtshofes gebunden. Auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles ist jedoch das Gesetz weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht in seinem aufhebenden Erkenntnis anderes ausspricht. Hat der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist gemäß Abs. 5 gesetzt, so ist das Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.
(8) Für Rechtssachen, die zur Stellung eines Antrages gemäß Abs. 1 Z 1 lit. d Anlass gegeben haben, ist durch Bundesgesetz zu bestimmen, dass das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, mit dem das Gesetz als verfassungswidrig aufgehoben wird, eine neuerliche Entscheidung dieser Rechtssache ermöglicht. Dies gilt sinngemäß für den Fall eines Ausspruches gemäß Abs. 4.
Rückverweise
B-VG · Bundes-Verfassungsgesetz
Art. 140
…1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Verfassungswidrigkeit 1. von Gesetzen a) auf Antrag eines Gerichtes; b) von Amts wegen, wenn er das Gesetz in einer bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte; c) auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit…
Art. 140a
…Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen. Auf die politischen, gesetzändernden und gesetzesergänzenden Staatsverträge und auf die Staatsverträge, durch die die vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union geändert werden, ist Art. 140, auf alle anderen Staatsverträge Art. 139 sinngemäß mit folgenden Maßgaben anzuwenden: 1. Ein Staatsvertrag, dessen Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit der Verfassungsgerichtshof feststellt, ist mit Ablauf…
VfGG · Verfassungsgerichtshofgesetz 1953
§ 65
… 1 Z 1 lit. a B-VG), die die Entscheidung begehren, dass das angefochtene Gesetz oder bestimmte Stellen eines solchen verfassungswidrig waren (Art. 89 Abs. 3 B-VG); 2. wenn der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen von Amts wegen zu erkennen hat (Art. 140 Abs…
§ 66 I. Bei Prüfung der Rechtmäßigkeit von Staatsverträgen (Art. 140a B-VG)
…des Verfassungsgerichtshofes die Rechtswidrigkeit festgestellt, so muss in der nach Art. 140a B-VG im Zusammenhang mit Art. 139 Abs. 5 oder Art. 140 Abs. 5 B-VG zu erlassenden Kundmachung zum Ausdruck gebracht werden, dass der Staatsvertrag nach dem genau zu bezeichnenden Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von den zu seiner Vollziehung berufenen Organen…
§ 62
…unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. c B-VG), so ist auch darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist. (2) Von einem…
§ 62a
…verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. d B-VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig: 1. im Verfahren zur Anordnung oder Durchsetzung der Rückstellung widerrechtlich verbrachter oder zurückgehaltener Kinder (§ 111a AußStrG…
L-VG · Landes-Verfassungsgesetz 1999
Art. 26
…Ein Drittel der Mitglieder des Landtages kann im Sinn des Art. 140 Abs. 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof beantragen, dass ein Landesgesetz seinem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen eines Landesgesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden.…
GOG · Geschäftsordnungsgesetz 1975
§ 86 § 86
…1) Ein Drittel der Abgeordneten kann gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG begehren, daß entweder ein Bundesgesetz seinem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen eines solchen Gesetzes vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben werden. Das Begehren hat…
K-LVG · Kärntner Landesverfassung - K-LVG
Art. 36
…Artikel 36 (1) Mindestens ein Drittel der Mitglieder des Landtages ist berechtigt, beim Verfassungsgerichtshof im Sinne des Art. 140 B-VG die Aufhebung eines Landesgesetzes zur Gänze oder bestimmter Stellen eines Landesgesetzes als verfassungswidrig zu beantragen. (2) Die Mitglieder des Landtages, die einen Antrag im Sinne…
GO-BR · Geschäftsordnung des Bundesrates
§ 26 Volksabstimmung, Anfechtung eines Bundesgesetzes
…Bundesräte dem Präsidenten übergeben, so hat dieser unverzüglich für eine Weiterleitung an den Bundeskanzler zu sorgen. (2) Ein Drittel der Mitglieder des Bundesrates kann gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG begehren, daß entweder ein Bundesgesetz seinem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen eines solchen Gesetzes vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben werden. Das Begehren hat…
Bgld. LVwGG · Burgenländisches Landesverwaltungsgerichtsgesetz
§ 9 Einzelrichterinnen, Einzelrichter, Senate
…auch die Stellung von Anträgen gemäß Art. 89 Abs. 2 bis 4, Art. 139 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1 und Art. 140a Abs. 1 B-VG zu.…
WStV · Wiener Stadtverfassung
§ 138a Verlautbarungen im Landesgesetzblatt, Abweichungen
…B-VG, 7. der Kundmachungen des Landeshauptmannes über die Aufhebung von Gesetzen durch den Verfassungsgerichtshof sowie über Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes, dass ein Gesetz verfassungswidrig war (Art. 140 Abs. 5 B-VG), 8. der Kundmachungen der Landesregierung über die Aufhebung von Verordnungen durch den Verfassungsgerichtshof sowie über Aussprüche des Verfassungsgerichtshofes, dass eine Verordnung gesetzwidrig war (Art. …