Spruch
L510 2286322-1/8E IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Eugen INDERLIETH als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Türkei, vertreten durch Mag. Doris EINWALLNER, Rechtsanwältin in 1050 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.10.2023, Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid hinsichtlich seiner Spruchpunkte IV., V. und VI. ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 22.03.2023 stellte die beschwerdeführende Partei („bP“), ein türkischer Staatsangehöriger, einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 07.07.2023 zog die bP ihren Antrag auf internationalen Schutz zurück. Dies aufgrund der Eheschließung mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX , geb. XXXX , am 16.05.2023 und weil sie einen Aufenthaltstitel außerhalb des Asylregimes zu erlangen begehre.
3. Mit 13.07.2023 legte die bP dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl („BFA“) eine Einreichbestätigung der XXXX im Hinblick auf die Stellung eines (Erst-)Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ am 11.07.2023 vor.
4. Am 03.10.2023 wurde die bP vor dem BFA einvernommen.
5. Am selben Tag erklärte sich die bP im Rahmen eines Rückkehrberatungsgesprächs für rückkehrwillig und stellte beim BFA einen Antrag auf unterstützte freiwillige Rückkehr in die Türkei.
6. Mit Eingabe vom 09.10.2023 übermittelte die bP dem BFA - neben einem Deutschzertifikat und einer Heiratsurkunde - einen zurückweislichen Bescheid der XXXX vom 22.08.2023 in Bezug auf ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Familienangehöriger“. Begründend wurde auf das laufende Asylverfahren ihrer Person verwiesen (§ 1 Abs. 2 NAG).
7. Mit 12.10.2023 wiederrief die bP ihre Bereitschaft zur freiwilligen Rückkehr.
8. Mit 16.10.2023 langte beim BFA eine Vertreterbekanntgabe samt Stellungnahme ein. Darin brachte die bP im Wesentlichen vor, kraft ihrer Angehörigenschaft zur XXXX niederlassungsberechtigt im Sinne der (günstigeren) Bestimmungen des FrG 1997 zu sein. Somit bestehe keine Grundlage für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung. Ihrem Schreiben schloss sie eine Bestätigung des AMS gem. § 3 Abs. 8 AuslBG an.
9. Mit im Spruch ersichtlichem Bescheid des BFA vom 30.10.2023 wurde der Antrag der bP gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die bP eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in die Türkei gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
9.1. Der Bescheid wurde der bP am 12.12.2023 zugestellt.
10. Am 05.11.2023 stellte die bP bei der XXXX neuerlich einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“.
11. Mit Schriftsatz vom 28.12.2023 (Postaufgabe: 09.01.2024) erhob die ausgewiesene Vertreterin gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI. des angefochteten Bescheides Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (i.d.F. „BVwG“), wo sich die bP im Wesentlichen entsprechend ihrem bisherigen Vorbringen äußerte.
12. Mit 26.07.2024 teilte das BFA dem BVwG mit, dass die bP über den Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ verfügt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Identität der bP steht fest. Sie führt den Namen XXXX und wurde am XXXX in XXXX geboren.
Sie ist türkischer Staatsangehöriger kurdischen Hintergrundes.
Die bP reiste am 01.09.2022 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 22.03.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 16.05.2023 ehelichte die bP die österreichische Staatsbürgerin XXXX , geb. XXXX .
Mit angefochtenem Bescheid vom 30.10.2023 wurde eine Rückkehrentscheidung samt Nebenabsprüchen erlassen.
Dagegen erhob die bP rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Die Spruchpunkte I., II. und III. des bekämpften Bescheides blieben hingegen unangefochten.
Die bP erhielt seitens des Magistrats XXXX ( XXXX ) einen Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ mit der Gültigkeitsdauer bis 23.01.2026.
2. Beweiswürdigung:
Der unter Punkt I. dargelegte Verfahrensgang sowie die Feststellungen zur Person der bP, ihrer Einreise und ihres Asylantrages, ihrer Eheschließung mit einer österreichischen Staatsangehörigen und ihres Aufenthaltstitels in Österreich ergeben sich unzweifelhaft aus der Aktenlage.
Die Rechtzeitigkeit der - auf dem Postweg eingebrachten - Beschwerde ergibt sich aus einer Zusammenschau zwischen dem (Bescheid-)Zustellzeitpunkt (12.12.2023) einerseits und der sowohl am Eingangsstempel als auch im Sendungsverlauf zur Nr. XXXX dokumentierten Postaufgabe am 09.01.2024 andererseits.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Behebung der Spruchpunkte IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides
3.1.1. Rechtliche Grundlagen
Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Als Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG gilt ein Fremder, der weder EWR-Bürger noch Schweizer Bürger ist.
Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.
Gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG halten sich Fremde (solange) rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie auf Grund einer Aufenthaltsberechtigung oder einer Dokumentation des Aufenthaltsrechtes nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Niederlassung oder zum Aufenthalt oder auf Grund einer Verordnung für Vertriebene zum Aufenthalt berechtigt sind.
Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt gemäß Abs. 2 leg. cit. insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
3.1.2. Judikatur
Mit dem FNG 2014 wurde mit Wirksamkeit vom 1. Jänner 2014 das System verändert. Seither gibt es Ausweisung und Aufenthaltsverbot (§§ 66 und 67 FrPolG 2005) nur mehr gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige, während gegen alle sonstigen Drittstaatsangehörigen nur mehr eine Rückkehrentscheidung (§ 52 FrPolG 2005; entweder alleine oder in Verbindung mit einem Einreiseverbot nach § 53 FrPolG 2005) in Betracht kommt (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115).
Der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge kann gegen begünstigte Drittstaatsangehörige eine Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG 2005 nicht erlassen werden. Das ordnet das Gesetz zwar ausdrücklich nur für die Konstellation des § 52 Abs. 2 FPG 2005 an, die generelle Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige ergibt sich aber schon daraus, dass die mit § 52 FPG umgesetzte Richtlinie 2008/115/EG vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger auf begünstigte Drittstaatsangehörige nach ihrem Art. 2 Abs. 3 nicht anzuwenden ist (VwGH 15.03.2018, Ra 2018/21/0014 mHa VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0179). Es sind vielmehr die Bestimmungen des 4. Abschnitts des 8. Hauptstücks des FPG, die in § 66 und § 67 aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige, nämlich Ausweisung und Aufenthaltsverbot, regeln, einschlägig (vgl. ua. VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0115 mwN).
3.1.3. Für den konkreten Fall bedeutet dies:
Die bP ist Staatsangehöriger der Türkei und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Durch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin erlangte die bP in Österreich den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG.
Zum relevanten Entscheidungszeitpunkt verfügt die bP über einen Erstaufenthaltstitel „Familienangehöriger“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, welcher dieser vom Magistrat XXXX ( XXXX ) mit der Gültigkeit 23.01.2025 bis 23.01.2026 erteilt wurde.
Der Ausspruch einer auf § 52 FPG 2005 gestützten Rückkehrentscheidung im gegenständlichen Fall erweist sich aufgrund des Bestehens eines unionrechtlichen Aufenthalts(-rechts) bzw. des Vorliegens der Voraussetzungen für die Einordnung der bP als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG als unzulässig.
Da die bP derzeit ein von ihrer Ehegattin abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Angehöriger einer österreichischen Staatsbürgerin genießt und sie begünstigter Drittstaatsangehöriger ist, liegen die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG 2005 nicht vor.
3.1.3.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG 2005 ist gleichzeitig mit der Rückkehrentscheidung festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG zulässig ist.
Die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung der bP beruht auf der - wie zuvor dargelegt - aufzuhebenden Rückkehrentscheidung, weshalb auch der darauf aufbauende Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides, mit welchem die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt wurde, aufzuheben ist. Nichts anderes gilt für die Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides), die gemäß § 55 FPG zugleich mit einer Rückkehrentscheidung festzulegen ist.
3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist.
Im gegenständlichen Fall ist der mit Beschwerde angefochtene Bescheid (im angefochtenen Umfang) aufzuheben, sodass von einer mündlichen Verhandlung nach der zitierten Gesetzesstelle Abstand genommen werden konnte.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.