JudikaturBVwG

W256 2288844-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
23. Dezember 2024

Spruch

W256 2288844-1/18E

SCHRIFTLICHE AUSFERTIGUNG DES AM 17.12.2024 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX StA. Syrien, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10. Jänner 2024, Zl. 1333721408-223628715, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlungzu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass der Beschwerdeführerin damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am 14. November 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) im österreichischen Bundesgebiet. In der Folge wurde sie vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und gab zu ihren Fluchtgründen an, in Syrien herrsche Krieg, es gebe keine Sicherheit. Ihr Mann sei verstorben und sie habe niemanden mehr dort. Ihre Söhne seien vor dem Militärdienst geflüchtet. Sie wolle hier bei ihren Kindern bleiben.

Am 7. Dezember 2023 wurde die Beschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA, belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab sie im Wesentlichen zu ihren Fluchtgründen an, ihr Mann sei 2019 in Syrien verstorben und sie habe ab diesem Zeitpunkt niemanden mehr dort gehabt. Zudem sei einer ihrer Söhne vom Militär desertiert, und die Kurden hätten auch immer wieder nach ihren Söhnen zwecks Rekrutierung gefragt. Sie habe große Angst gehabt, dass ihr etwas passieren könnte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte der Beschwerdeführerin den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs 1 AsylG 2005 zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihr gem. § 8 Abs 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte für 1 Jahr (Spruchpunkt III.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführerin in den Einvernahmen keinerlei persönliche Bedrohung vorgebracht habe. Die Motivation ihrer Ausreise sei gewesen, bei ihren Kindern in Österreich zu leben.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau über kein soziales Netz und keinen männlichen Schutz in Syrien verfüge; sie sei damit einem sehr hohen Risiko sexueller Gewalt ausgesetzt und zähle zu einer vulnerablen Gruppe. Sie befürchte zusätzlich Reflexverfolgung wegen der Wehrdienstverweigerung ihrer Söhne.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurden den Verfahrensparteien folgende Länderinformationen zum Parteiengehör übermittelt:

„1. Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Syrien, Version 11 vom 27.03.2024

2. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Wehrdienstverweigerung und Desertation, 08.09.2022

3. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Voraussetzungen für die Einreise syrischer Staatsangehöriger in Gebiete unter Kontrolle der SDF/YPG in Nordostsyrien; Legale Einreise aus dem Irak bzw. der Türkei; Informationen zum Grenzübergang Semalka – Faysh Khabur; Kontrolle der Grenzübergänge zwischen Nordostsyrien und der Türkei/dem Irak [a-11859-1] 06.05.2022

4. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Reisepässe der syrischen Regierung für Männer im wehrdienstfähigen Alter; mögliches Sicherheitsrisiko für diese Personengruppe, im Ausland (insbesondere in der Türkei) einen Reisepass zu beantragen vom 27.01.2023

5. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Konsequenzen bei Verweigerung des Selbstverteidigungsdiensts vom 06.09.2023

6. ACCORD: Anfragebeantwortung zu Syrien: Aktualität von Dekret Nr. 3 vom 4. September 2021 bezüglich Selbstverteidigungsdienst in der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (AANES); Anwendung des Dekrets in der Stadt Manbidsch; Einberufung älterer Männer zum Selbstverteidigungsdienst; Höchstalter, bis zu dem Wehrdienstverweigerer eingezogen werden können

7. UNHCR Richtlinien

8. UNHCR – Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, 03.2021

9. EUAA (EASO) Leitlinien

10. EUAA – Country Guidance: Syria 2023 – 02.2023“

Am 17. Dezember 2024 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Rechtsvertreterin sowie eines Dolmetschers für die kurdische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch. In dieser gab die Beschwerdeführerin im Wesentlichen an, sie habe nach dem Tod ihres Ehemannes alleine gelebt. Soldaten seien gekommen und hätten sie belästigt und wissen wollen, wo ihre Kinder seien. Sie könnte in Syrien nicht alleine leben, weil sie Angst habe und krank sei.

Am Ende der Verhandlung erfolgte die mündliche Verkündung der gegenständlichen Entscheidung.

Mit Antrag der belangten Behörde vom 18. Dezember 2024 wurde fristgerecht eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses verlangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Syrien, Angehörige der kurdischen Volksgruppe und sunnitische Muslimin (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1 f; Niederschrift des BFA; Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 4).

Sie wurde am XXXX in Syrien in der Provinz Al Hassaka in XXXX bei Qamishli geboren und lebte dort bis zu ihrer Eheschließung, als sie mit ihrem Mann in die Stadt Al Hassaka zog. Die Beschwerdeführerin absolvierte keine Schul- oder Berufsausbildung. Sie ging keiner bezahlten Arbeit nach und war immer Hausfrau (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 2, 3; Niederschrift des BFA; Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 5, 7).

Die Beschwerdeführerin ist seit dem Tod ihres Ehemannes 2019 verwitwet und hat fünf Kinder. Zwei davon (ein Sohn und eine Tochter) leben in Österreich, die restlichen drei Söhne leben im Irak, in den Vereinigten Arabischen Emiraten bzw. in Schweden. In Syrien (Qamishli) leben noch zwei Brüder und eine Schwester der Beschwerdeführerin, die jeweils eine eigene Familie haben. Weitere Familienangehörige der Beschwerdeführerin in Syrien können nicht festgestellt werden. Rund ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes reiste die Beschwerdeführerin gemeinsam mit dem Sohn eines Nachbarn über den Libanon nach Dubai aus, wo sie für ca. ein Jahr und vier Monate blieb. Dann flog sie gemeinsam mit ihrem Sohn XXXX nach Luxemburg, und reiste nach etwa einem halben Jahr gemeinsam mit diesem nach Österreich weiter (Niederschrift der Erstbefragung, S. 1, 3, 4; Niederschrift des BFA; Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 5, 6, 7).

Die Beschwerdeführerin leidet an Diabetes und Bluthochdruck und ist zudem herzkrank; sie muss regelmäßig Medikamente nehmen (Niederschrift der Erstbefragung, S. 4; Niederschrift des BFA; Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 5). Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (eingeholter Strafregisterauszug).

Die Beschwerdeführerin ist Witwe und hat seit dem Tod ihres Mannes nicht erneut geheiratet. Ihr kommt im Fall der Rückkehr nach Syrien keine Unterstützung von (männlichen) Familienmitgliedern zu.

Als Frau, die über keine männliche Unterstützung verfügt, wäre sie in Syrien dem realen Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt. Konkret läuft sie Gefahr, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Der syrische Staat ist weder willens noch in der Lage sie vor einer derartigen Gefährdung zu schützen.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Frauen

Allgemeine Informationen

Syrien ist eine patriarchalische Gesellschaft, aber je nach sozialer Schicht, Bildungsniveau, Geschlecht, städtischer oder ländlicher Lage, Region, Religion und ethnischer Zugehörigkeit gibt es erhebliche Unterschiede in Bezug auf Rollenverteilung, Sexualität sowie Bildungs- und Berufschancen von Frauen. Der anhaltende Konflikt und seine sozialen Folgen sowie die Verschiebung der de-facto-Kontrolle durch bewaffnete Gruppen über Teile Syriens haben ebenfalls weitreichende Auswirkungen auf die Situation der Frauen. Mehr als ein Jahrzehnt des Konflikts hat ein Klima geschaffen, das der Gewalt gegen Frauen und Mädchen zuträglich ist, besonders angesichts der sich verfestigenden patriarchalischen Gesellschaftsformen, und Fortschritte bei den Frauenrechten zunichtemachte. Diese Risiken steigen unvermeidlicherweise angesichts von mehr als 15 Millionen Menschen in Syrien, die im Jahr 2023 humanitäre Hilfe benötigen. Gleichzeitig gibt es einen Anstieg an Selbstmorden unter Frauen und Mädchen, was laut ExpertInnen auf den fehlenden Zugang von Heranwachsenden zu Möglichkeiten und entsprechenden Hilfsleistungen liegt (LIB S. 189).

Offizielle Mechanismen, welche die Rechte von Frauen sicherstellen sollen, funktionieren Berichten zufolge nicht mehr, und zusammen mit dem generellen Niedergang von Recht und Ordnung sind Frauen einer Bandbreite von Misshandlungen besonders durch extremistische Gruppen ausgesetzt, die ihre eigenen Interpretationen von Religionsgesetzen durchsetzen. Die persönliche gesellschaftliche Freiheit von Frauen variiert je Gebiet außerhalb der Regierungskontrolle und reicht von schwerwiegenden Kleidungs- und Verhaltensvorschriften in Gebieten extremistischer Gruppen bis hin zu formaler Gleichheit im Selbstverwaltungsgebiet der Partiya Yekîtiya Demokrat (PYD). Durch die Niederlage des sogenannten Islamischen Staats (IS) und dem Zurückgehen der Kampfhandlungen im Lauf der Zeit ist die Bevölkerung in geringerem Ausmaß den extremsten Verletzungen persönlicher gesellschaftlicher Freiheiten ausgesetzt. Gleichwohl haben verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufgrund der Pandemie und der Bewegungseinschränkungen zugenommen, welche auch zur ökonomischen Ausbeutung von Frauen beitragen (LIB S. 189).

Auch geschiedene oder verwitwete Frauen gelten als vulnerabel, denn sie können Druck zur Wiederverheiratung ausgesetzt sein. Im Allgemeinen ist eine von fünf Frauen in Syrien heutzutage von sexueller Gewalt betroffen (LIB S. 190).

Die Weltbank sieht die steigende Zahl an Vulnerablen am Arbeitsmarkt als einen Indikator für die Notlage der Betroffenen, die darauf angewiesen sind, jedwede Einkommensmöglichkeit unabhängig von den Bedingungen anzunehmen: Geschlechtsbasierte Gewalt hat zugenommen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht einschließlich Ausbeutung bei der Arbeit wie auch Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit. ’Finanzielle Gewalt’ in der Terminologie von UNFPA hat zugenommen, darunter die Vorenthaltung finanzieller Mittel, Bildung, Arbeitsmöglichkeiten und von Gehältern. Wenn Frauen das Nachgehen einer Erwerbsarbeit erlaubt wird, kann es zum Beispiel vorkommen, dass ihr Einkommen von männlichen Familienangehörigen an sich genommen wird. Umgekehrt gibt es nun Frauen, die mehr an den finanziellen Entscheidungen ihrer Familie beteiligt sind (LIB S. 191 f).

Öffentliche Räume wie besonders Kontrollpunkte, aber auch Märkte, Schulen oder Straßen stellen potenzielle Risiken dar, wo Frauen und Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt sind (LIB S. 192).

Alleinstehende Frauen

Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konflikts einem besonderen Risiko von Gewalt oder Belästigung ausgesetzt. Das Ausmaß des Risikos hängt vom sozialen Status und der Stellung der Frau oder ihrer Familie ab. Die gesellschaftliche Akzeptanz alleinstehender Frauen ist jedoch nicht mit europäischen Standards zu vergleichen. Armut, Vertreibung, das Führen eines Haushalts oder ein junges Alter ohne elterliche Aufsicht bringen Frauen und Mädchen in eine Position geringerer Macht und erhöhen daher das Risiko der sexuellen Ausbeutung. Mädchen, Witwen und Geschiedene werden als besonders gefährdet eingestuft. Auch Überlebende sexueller Gewalt sind besonders vulnerabel. Vor 2011 war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich, allein zu leben, z. B. für Frauen mit Arbeit in städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konflikts ist es fast undenkbar geworden, als Frau allein zu leben, weil eine Frau ohne Familie keinen sozialen Schutz hat. In den meisten Fällen würde eine Frau nach einer Scheidung zu ihrer Familie zurückkehren. Der Zugang alleinstehender Frauen zu Dokumenten hängt von ihrem Bildungsgrad, ihrer individuellen Situation und ihren bisherigen Erfahrungen ab. Für ältere Frauen, die immer zu Hause waren, ist es beispielsweise schwierig, Zugang zu Dokumenten zu erhalten, wenn sie nicht von jemandem begleitet werden, der mehr Erfahrung mit Behördengängen hat. Die Wahrnehmung alleinstehender Frauen durch die Gesellschaft variiert von Gebiet zu Gebiet, in Damaskus-Stadt gibt es mehr gesellschaftliche Akzeptanz als in konservativeren Gebieten (LIB S. 192 f).

In Haushalten mit weiblichem Haushaltsvorstand besteht ein höheres Risiko, sexueller Gewalt ausgesetzt zu sein, insbesondere für die Mädchen in diesen Familien. Witwen und geschiedene Frauen sind in der Gesellschaft mit einem sozialen Stigma konfrontiert (LIB S. 193).

Ausmaß und Berichtslage zu sexueller Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (CoI) hat in ihren Berichten wiederholt festgestellt, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen. Der UN Population Fund (UNFPA) und weitere UN-Organisationen, NGOs und Medien stufen das Ausmaß an Vergewaltigungen und sexueller Gewalt als ’endemisch, zu wenig berichtet und unkontrolliert’ ein. Allgemein ist eine von fünf Frauen in Syrien heute von sexueller Gewalt betroffen, wobei eine Zunahme von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt infolge der allgemeinen Unsicherheit und Perspektivlosigkeit der Menschen und der verloren gegangenen Rolle des Mannes als ’Ernährer der Familie’ auch innerhalb der gebildeten städtischen Bevölkerung und auch in Damaskus zu verzeichnen ist. ’Ehrverbrechen’ in der Familie - meist gegen Frauen - kommen in ländlichen Gegenden bei fast allen Glaubensgemeinschaften vor (LIB S. 195).

Sexuelle Gewalt ebenso wie Ausbeutung und Hürden beim Zugang zu Hilfsleistungen betreffen besonders oft geschiedene Frauen, Witwen und Mädchen (LIB S. 197).

Darüber hinaus stellt die Angst vor sozialer Stigmatisierung oder vor der Polizei ein Hindernis für die Anzeige von sexueller Gewalt dar. Einflussreiche Beziehungen der Frau oder des Täters spielen eine große Rolle bezüglich der Wirksamkeit einer solchen Anzeige. Es besteht die

Gefahr, dass die Frau beschuldigt wird. Wenn sie einen Vorfall anzeigt - in der Regel gegen ihren Ehemann - ist der soziale Druck, die Anzeige zurückzuziehen, enorm. Es heißt daher, dass Frauen versuchen, häusliche Gewalt innerhalb der Familie zu klären. Welche Hilfe tatsächlich geleistet wird, hängt jedoch von ihrer Familie ab (LIB S. 198).

Eine Frau in Furcht vor einem ’Ehrverbrechen’ kann keinen Schutz von den Behörden wie etwa in Form eines Frauenhauses erwarten. Ihre Optionen für eventuellen Schutz hängen gänzlich von ihren persönlichen und gesellschaftlichen Umständen ab (NMFA 5.2022), denn offizielle Mechanismen zum Schutz von Frauenrechten funktionieren Berichten zufolge nicht (LIB S. 199).

Kurdische Frauen erleben liberalere kulturelle Normen in den kurdischen Gemeinschaften, was durch die politischen Parteien gefördert wird. Die Partizipation von Frauen an traditionell männlichen Aktivitäten ist in vielen Fällen weniger restriktiv. Allerdings ist die jeweilige Lage der Frauen großteils von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig, sodass in religiöseren oder traditionelleren kurdischen Gemeinschaften auch mehr traditionelle gesellschaftliche Normen gelten. Diese Aspekte gelten jedoch nur für kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, nicht für arabische Frauen in den kurdischen Gebieten oder für kurdische Frauen im Rest Syriens. Beispiele für vulnerable Frauen wären z. B. kurdische Frauen in den kurdischen Gebieten, die gegen die kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) eingestellt sind (LIB S. 201).

Generell wurde geschlechtsspezifische Gewalt, wie sexuelle Gewalt, häusliche und familiäre Gewalt, Kinderehen und Ehrenmorde, aus allen Teilen Syriens gemeldet, auch aus den von den SDF kontrollierten Regionen (LIB S. 201).

The most prominent types of sexual violence among the SDF included harassment during searches and verbal sexual violence. (EUAA „Country Guidance: Syria“ vom April 2024 in Bezug auf die kurdischen Milizen, S. 88).

Auszüge aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, in der 6. aktualisierten Fassung, vom März 2021:

Frauen und Mädchen mit bestimmten Profilen oder in speziellen Situationen

Während des gesamten Konflikts sind Frauen Opfer einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen geworden. Frauen wurden gezielt Opfer von Übergriffen in Form von willkürlichen Festnahmen, Entführungen, Verschwindenlassen, Folter, Vergewaltigung und anderen Formen sexueller Gewalt sowie außergerichtlicher Hinrichtung aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung von oder Verbindung zu einer Kriegspartei, einschließlich aufgrund ihrer eigenen politischen Meinungen oder Aktivitäten, familiären Verbindungen, ihres Wohn- oder Heimatorts oder ihrer religiösen oder ethnischen Identität. Laut Meldungen haben die Konfliktparteien Frauen auch als Faustpfand für den Austausch von Geiseln benutzt. Frauen und Mädchen werden außerdem gesellschaftlich und gesetzlich diskriminiert, u. a. in Bezug auf Bürgerrechte und familienrechtliche Angele-genheiten, wie beispielsweise Erbfolge, Heirat, Scheidung und Sorgerecht für Kinder. Darüber hinaus sind Frauen geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt, einschließlich Vergewaltigung und anderer Formen sexueller Gewalt, Zwangs- und Kinderehe, häuslicher Gewalt, Gewalt in Form von „Ehrendelikten“, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung und Zwangsprostitution sowie Strafen für vermeintliche Verstöße gegen die strenge Auslegung des Islam und islamischen Rechts durch Hardliner-Gruppen.

Berichten zufolge haben alle Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt seit 2011 zugenommen; dennoch werden in ganz Syrien Fälle nicht gemeldet, und Frauen suchen oft keinen Rechtsschutz, u. a. weil sie den Rechtsdiensten misstrauen und Angst vor Stigmatisierung und Vergeltungsmaßnahmen haben, weil sie in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind und durch gesetzliche und finanzielle Hürden ausgeschlossen werden, weil es an polizeilichem und gerichtlichem Personal fehlt, das für den Umgang mit Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt geschult ist, und weil spezialisierte Dienste nur beschränkt verfügbar sind. Frauen und Mädchen mit bestimmten Profilen oder in bestimmten Situationen haben ein erhöhtes Risiko, Gewalt zu erfahren, wie in den folgenden Unterkapiteln näher beschrieben:

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Gewalt, die durch staatliche und nichtstaatliche Akteure ausgeübt wird, ist Berichten zufolge weitverbreitet und ereignet sich in den unterschiedlichsten Situationen, einschließlich an Kontrollstellen und bei Entführungen und Festnahmen, in Vertriebenenlagern, Zwangs- und Kinderehen sowie in Situationen, in denen Frauen zur Prostitution gezwungen werden und Opfer von Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung werden. Der Einsatz sexueller Gewalt bei Festnahmen und in Haftanstalten der Regierung ist laut Berichten so weitverbreitet und systematisch, dass weibliche Gefangene nach ihrer Freilassung häufig von ihrer Gemeinschaft und Familie stigmatisiert werden, da unabhängig vom tatsächlichen Geschehen angenommen wird, dass sie Opfer von sexueller Gewalt wurden. Ehemalige Gefangene sind oft traumatisiert, und Meldungen zufolge haben einige deshalb Suizid begangen.

Berichten zufolge hat ISIS schwere Menschenrechtsverletzungen sowie Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und – im Fall der Jesiden – Völkermord begangen, und Frauen und Mädchen wurden gezielt Opfer von Vergewaltigungen, Zwangsheirat, sexueller Versklavung und anderer Formen sexueller Gewalt. Frauen und Mädchen, die aufgrund einer Vergewaltigung ein Kind zur Welt gebracht haben, sind besonders gefährdet, diskriminiert und marginalisiert zu werden, und unterliegen dem Risiko, einem „Ehrenmord“ zum Opfer zu fallen.

Zwar stellt das Strafgesetzbuch sowohl Vergewaltigung als auch sexuelle Nötigung außerhalb der Ehe unter Strafe, doch in der Praxis werden die Strafen für außereheliche Vergewaltigung und sexuelle Nötigung nicht effektiv durchgesetzt. Die Strafe für außereheliche Vergewaltigung kann herabgesetzt werden, wenn sich der Täter bereit erklärt, das Opfer zu heiraten. Obwohl sexuelle Gewalt weitverbreitet ist, sind Programme zur Bekämpfung sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt nur eingeschränkt möglich. Weibliche Überlebende von sexueller Gewalt und Vergewaltigung werden stigmatisiert und diskriminiert. Scham und Traumatisierung infolge von Vergewaltigung und sexueller Gewalt haben einige Überlebende in den Suizid getrieben. Das Risiko bzw. vermutete Risiko sexueller Gewalt führt zu einer höheren Anzahl von Zwangs- und Kinderehen, beschränkt die Bewegungsfreiheit von Frauen und Mädchen und ist ein treibender Faktor für Flucht und Migration.

[…]

Häusliche Gewalt

Häusliche Gewalt, die u. a. durch Ehemänner, Väter, Brüder und Schwäger ausgeübt wird, hat laut Meldungen durch den Bürgerkrieg, Vertreibungen und wirtschaftliche Unsicherheit zugenommen und wird in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch akzeptiert. Es gibt keinen geeigneten gesetzlichen Rahmen, der die Opfer vor häuslicher Gewalt schützt. Überlebende häuslicher Gewalt werden oft stigmatisiert und leiden unter schweren psychischen Traumata. Insbesondere im Nordwesten lässt sich eine neue Entwicklung beobachten, bei der Frauen in einigen Fällen gezwungen werden, geschlechtsspezifische Abtreibungen vorzunehmen, um die Geburt eines Jungen sicherzustellen. Diskriminierende kulturelle und gesetzliche Praktiken, die dazu führen, dass geschiedenen Frauen das Sorgerecht, Unterhaltszahlungen, Zugang zur ehelichen Wohnung und Erbschaftsansprüche vorenthalten werden, sowie die mit einer Scheidung verbundene Stigmatisierung hindern Frauen Berichten zufolge daran, missbräuchliche Beziehungen zu verlassen.

[…]

Situation von Frauen ohne männliche Unterstützung

Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, werden oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert und sind Berichten zufolge besonders gefährdet, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden.

UNHCR ist der Auffassung, dass Frauen, die unter die nachstehenden Kategorien fallen, wahrscheinlich internationalen Schutz benötigen, je nach den Umständen des Einzelfalls aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen politischen Meinung und/oder ihrer Religion:

a) Frauen und Mädchen, die sexuelle Gewalt, häusliche Gewalt oder Gewalt im Rahmen von „Ehrendelikten“ überlebt haben oder gefährdet sind, derartiger Gewalt zum Opfer zu fallen;

b) Frauen und Mädchen, die Zwangs- und/oder Kinderehen überlebt haben oder gefährdet sind, eine Zwangs- und/oder Kinderehe eingehen zu müssen;

c) Frauen und Mädchen, die Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung und Zwangsprostitution überlebt haben oder bei denen ein entsprechendes Risiko besteht;

d) Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen.

Grundsätzlich bietet der Staat keinen Schutz vor diesen Arten der Verfolgung, wenn die Verfolger nichtstaatliche Akteure sind.

[…]

2. Beweiswürdigung:

Die einzelnen Feststellungen zur Person beruhen jeweils auf den in der Klammer angeführten Beweismitteln sowie aus den in dieser Hinsicht jeweils glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin. Das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen – Angaben zu zweifeln.

Dass der Beschwerdeführerin im Fall der Rückkehr nach Syrien keine Unterstützung von (männlichen) Familienmitgliedern zukommt, ergibt sich aus den glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin, insbesondere im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Darin führte diese zwar aus, dass sie über zwei Brüder in Syrien verfüge, diese sich aber im 80 km entfernten Quamishli gemeinsam mit ihrer eigenen Familie aufhalten und sie insofern nicht unterstützen könnten und auch würden. Dies steht in Einklang mit ihren sonstigen glaubhaften Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach sie nach dem Tod ihres Ehemannes 2019 bis zu ihrer Ausreise aus Syrien alleine und ohne jegliche Unterstützung leben habe müssen und sogar bei ihrer Ausreise auf fremde Hilfe angewiesen war (Verhandlungsschrift, Seite 10). Dass ihre Kinder sie allenfalls finanziell in Syrien unterstützen könnten, ändert nichts daran, dass sie vor Ort auf sich alleine gestellt wäre.

Was die der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Syrien drohende Verfolgung als alleinstehende Frau betrifft, ist Folgendes auszuführen:

Die Feststellung zur gesetzlichen und faktischen Stellung von Frauen in der syrischen Gesellschaft beruht auf den diesbezüglichen Angaben in den oben angeführten Länderinformationen. Den dort angeführten Quellen kann entnommen werden, dass in allen Teilen Syriens Frauen, die in ihrer Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, oft von ihren Familien und Gemeinschaften nicht nur stigmatisiert, sondern Berichten zufolge besonders gefährdet sind, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden.

Dies deckt sich auch mit den Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Die Beschwerdeführerin hat in der Verhandlung glaubhaft ausgesagt, dass sie im rund einjährigen Zeitraum nach dem Tod ihres Mannes bis zu ihrer Ausreise aus Syrien alleine und in Angst gelebt sowie kaum das Haus verlassen habe (Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 7). Es seien immer wieder Soldaten gekommen und sei sie von diesen belästigt worden. Sie habe in Angst gelebt und den Soldaten einfach nicht mehr die Türe geöffnet (Verhandlungsschrift vom 17. Dezember 2024, S. 7). Dass es zu (auch sexuellen) Belästigungen durch kurdische Milizen kommen kann, steht in Einklang mit den wiedergegebenen Länderberichten. Insbesondere kann den Länderinformationen entnommen werden, dass praktisch alle Konfliktparteien in Syrien geschlechtsbezogene und/oder sexualisierte Gewalt anwenden, wenngleich in unterschiedlichen Formen und Ausmaßen (vgl. zur Herkunft aus einem kurdisch kontrolliertem Gebiet ausdrücklich auch VwGH, 11.12.2023, Ra 2022/19/0269).

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ergibt sich für die – in Syrien als alleinstehend anzusehende – Beschwerdeführerin auch unter Berücksichtigung ihrer Herkunft aus einem kurdisch kontrollierten Gebiet in Syrien ein reales Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt. Konkret läuft sie Gefahr, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Die jeweilige Lage der Frauen in kurdisch kontrollierten Gebieten ist Großteils von ihren Familien und deren Einstellungen abhängig. Wie festgestellt wurde, verfügt die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall aber über keine familiäre Struktur, in die sie sich eingliedern könnte und könnte sie dementsprechend auch nicht den sozialen Schutz ihrer Familie in Anspruch nehmen. Dabei darf zusätzlich nicht außer Acht gelassen werden, dass die Beschwerdeführerin als 65-jährige, kranke Witwe in dieser Hinsicht als besonders gefährdet anzusehen ist.

Nach den Erwägungen von UNHCR werden Frauen, die in ihrer (erweiterten) Familie keine männliche Unterstützung erhalten, einschließlich alleinstehender Frauen, Witwen und geschiedener Frauen, oft von ihren Familien und Gemeinschaften stigmatisiert und sind Berichten zufolge besonders gefährdet, Opfer von Missbrauch, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Die Beschwerdeführerin ist im gegenständlichen Fall eine solche Witwe ohne familiäre Unterstützung.

Auch in der EUAA Country Guidance zu Syrien wird die individuelle Beurteilung der Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung für alleinstehende Frauen von dem Umstand abhängig gemacht, ob diese Frauen einen männlichen Verwandten haben, der in der Lage und bereit ist, Unterstützung zu leisten. Alleinstehende Frauen würden einem erhöhten Risiko für sexuelle Gewalt und Zwangsheiraten unterliegen.

Auch vor diesem Hintergrund ist sohin davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien als verwitwete Frau, welche über keine männliche Unterstützung verfügt, dem realen Risiko ausgesetzt wäre, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Die Feststellungen zur allgemeinen Situation in Syrien erlauben es, gegenständlich auch eine entsprechend hohe und aktuelle Verfolgungsgefahr anzunehmen.

Aus den Länderinformationen ergibt sich in einer Gesamtschau schließlich auch, dass der syrische Staat nicht schutzfähig oder –willig gegenüber alleinstehenden Frauen ist. Offizielle Mechanismen wie etwa Frauenhäuser oder die Anzeige eines Übergriffs bei der Polizei funktionieren nicht oder hängen von der gesellschaftlichen Stellung der Frau ab; Strafen gegen Gewalttäter werden nicht oder nicht effektiv verhängt. Dass sich die Lage dazu derzeit geändert habe, kann der aktuellen Berichts- und Medienlage nicht entnommen werden.

Die Beschwerdeführerin hätte mangels entsprechender Beziehungen daher auch keinen wirksamen staatlichen Schutz gegen Übergriffe zu erwarten, zumal sie schon angesichts ihrer mangelnden Schulbildung, aber auch aufgrund ihres Alters und ihrer Krankheit mit Behördengängen überfordert wäre. Sie würde von ihrer Umgebung als alleinstehende Witwe wahrgenommen und unter Ausnützung der damit verbundenen Schwäche und niedrigen gesellschaftlichen Stellung ausgebeutet werden.

Eine nähere Auseinandersetzung mit dem weiteren Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerin kann unterbleiben, da die soeben dargelegte Gefährdung für sich alleine ausreicht, die Flüchtlingseigenschaft der Beschwerdeführerin zu begründen.

Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten – dem Beschwerdeführer übermittelten – Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der Länderfeststellungen zu zweifeln, zumal der Beschwerdeführer dazu auch nichts substantiiert Gegenteiliges vorgebracht hat.

Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Gemäß § 3 Abs 1 Asylgesetz 2005 BGBl I 2005/100 idF BGBl I 2021/234 (im Folgenden: AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1955/55 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl 1974/78 (im Folgenden: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art 9 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl L 2011/337, 9 [im Folgenden: Statusrichtlinie] verweist).

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass die Schutzfähigkeit und -willigkeit der staatlichen Behörden grundsätzlich daran zu messen ist, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 14.04.2021, Ra 2020/18/0126, mwN).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass ein Asylwerber bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Selbst wenn der Asylwerber daher im Herkunftsstaat bereits asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt war, ist entscheidend, ob er im Zeitpunkt der Entscheidung (der Behörde bzw. – des Verwaltungsgerichts) weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108, mwN).

Bei dem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Asylgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des VwGH (s. zuletzt Ra 2023/14/0182) um einen Auffangtatbestand, der sich in weiten Bereichen mit den Gründen „Rasse, Religion und Nationalität“ überschneidet, jedoch weiter gefasst ist als diese. Unter Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe wird eine - nicht sachlich gerechtfertigte - Repression verstanden, die nur Personen trifft, die sich durch ein gemeinsames soziales Merkmal auszeichnen, die also nicht verfolgt würden, wenn sie dieses Merkmal nicht hätten (vgl. VwGH 20.10.1999, 99/01/0197; 26.6.2007, 2007/01/0479). Nach herrschender Auffassung kann eine soziale Gruppe aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479, mit Hinweisen u.a. auf die UNHCR-Richtlinie zum Internationalen Schutz: „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ vom 7. Mai 2002; 29.6.2015, Ra 2015/01/0067).

Nach der Definition des Art. 10 Abs. 1 lit. d der Statusrichtlinie gilt eine Gruppe insbesondere als eine „bestimmte soziale Gruppe“, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Zum einen müssen die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (vgl. das Urteil des EuGH vom 7. November 2013 in den verbundenen Rechtssachen C-199/12 bis C-201/12; VwGH Ra 2020/01/0025).

Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung (vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350). Dabei ist zu beachten, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 Status-RL). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0295).

Zur ersten Voraussetzung für die Identifizierung einer „bestimmten sozialen Gruppe“ stellte der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.01.2024, C-621/21, Rn 49 ff, zuletzt fest, dass die Tatsache, weiblichen Geschlechts zu sein, ein angeborenes Merkmal darstelle und daher ausreiche, um diese Voraussetzung zu erfüllen. Dies schließe es nicht aus, dass Frauen, die ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilen, wie z. B. einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden könne (beispielsweise kann der Umstand, dass Frauen sich einer Zwangsehe entzogen oder die eheliche Wohnung verlassen haben, als nicht veränderbarer gemeinsamer Hintergrund angesehen werden), ebenfalls zu einer solchen Gruppe im Sinne dieser Bestimmung gehören können.

Was die zweite Voraussetzung für die Identifizierung einer „bestimmten sozialen Gruppe“ angeht, stellte der Gerichtshof fest, dass Frauen, ob sie nun ein zusätzliches gemeinsames Merkmal teilten oder nicht, von der sie umgebenden Gesellschaft anders wahrgenommen werden können und in dieser Gesellschaft eine deutlich abgegrenzte Identität insbesondere aufgrund in ihrem Herkunftsland geltender sozialer, moralischer oder rechtlicher Normen zuerkannt bekommen können.

Vor dem Hintergrund der getroffenen Feststellungen ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer (hypothetischen) Rückkehr nach Syrien als verwitwete, alleinstehende Frau, welche keine (männlichen) familiären Anknüpfungspunkte hat, über ein Merkmal verfügt, welches für ihre Identität so bedeutend ist, dass sie nicht gezwungen werden kann, darauf zu verzichten (z.B. durch die [Zwangs-]Heirat einer im Herkunftsgebiet aufhältigen Person).

Aus den Länderberichten ergibt sich überdies, dass Frauen ohne männliche Unterstützung in der (erweiterten) Familie eine abgegrenzte Identität aufweisen, zumal es aufgrund traditioneller moralischer Normen generell nur eine geringe Akzeptanz alleinstehender Frauen gibt, was – neben der rechtlichen Schlechterstellung in verschiedenen Bereichen – auch dadurch verdeutlicht wird, dass Haushalte mit weiblichem Haushaltsvorstand einem höheren Risiko ausgesetzt sind, Opfer von Gewalt zu werden, und es in Syrien – wie oben ausgeführt – seit Beginn des Konflikts beinahe undenkbar geworden ist, als Frau alleine zu leben.

Die Beschwerdeführerin gehört damit der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne männlichen Schutz an und wäre bei einer Rückkehr als Angehörige dieser Gruppe dem realen Risiko ausgesetzt, Opfer von sexueller Gewalt und Ausbeutung, also einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte zu werden. Zudem ist auch an der notwendigen Kausalität zwischen Verfolgungshandlung und Konventionsgrund nicht zu zweifeln, zumal Repressionen gegen die Beschwerdeführerin gerade wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nach den Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft schwachen und „ehrlosen“ Gruppe erfolgen würden und der syrische Staat der Beschwerdeführerin keinen verlässlichen und adäquaten Schutz vor Verfolgung bietet.

Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass auch UNHCR Frauen (insbesondere Frauen und Mädchen ohne echte familiäre Unterstützung, einschließlich Witwen und geschiedener Frauen) als eine schützenswerte Risikogruppe ansieht (vgl. zur „Indizwirkung“ von UNHCR-Positionen etwa VwGH 11.12.2023, Ra 2022/19/0269). Auch der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngsten Rechtsprechung das Risikoprofil alleinstehender Frauen mit Blick auf die UNHCR Erwägungen betont (vgl. VfGH vom 11.06.2024, E 3551-3554/2023).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus den oben angeführten Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Beschwerdeführerin als alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz sowie ohne sonstige familiäre Unterstützung bei einer Rückkehr nach Syrien bzw. in ihre Heimatregion die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aufgrund ihrer der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen droht.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative besteht nicht; die Annahme ebendieser würde im Widerspruch zum aufgrund der derzeitigen Situation in Syrien bereits gewährten subsidiären Schutz stehen (vgl. etwa VwGH 25.03.2015, Ra 2014/18/0168; 29.06.2015, Ra 2014/18/0070).

Aus diesen Erwägungen ist der Beschwerdeführerin der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die Entscheidung beruht im Wesentlichen auf Erwägungen des Einzelfalls und hält sich dabei an die zitierte höchstgerichtliche Rechtsprechung.