Spruch
L516 2265584-2/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Paul NIEDERSCHICK über die Beschwerde von XXXX , geb XXXX , StA Jordanien, vertreten durch Verein Queer Base, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.10.2024, Zahl 1293911600/240161758, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 13.12.2024 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer stellte am 25.04.2024 den verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen dritten Antrag mit gegenständlich angefochtenem Bescheid vom 01.10.2024 (I.) hinsichtlich des Status des Asylberechtigten sowie (II.) hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, und erteilte (III.) keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Bescheid wird zur Gänze angefochten.
Die Beschwerdevorlage langte am 22.10.2024 beim Bundesverwaltungsgericht ein und das Bundesverwaltungsgericht erkannte der Beschwerde mit Beschluss vom 28.10.2024 die aufschiebende Wirkung gemäß § 17 Abs 1 BFA-VG zu.
Das Bundesverwaltungsgericht führte in der Sache des Beschwerdeführers am 13.12.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer und eine Rechtsvertretung teilnahmen; die belangte Behörde verzichtete auf eine Teilnahme und erschien nicht.
1. Sachverhaltsfeststellungen
[regelmäßige Beweismittel-Abkürzungen: S=Seite; AS=Aktenseite des jeweiligen Verwaltungsaktes des BFA; NS=Niederschrift; EB=Erstbefragung; EV=Einvernahme vor dem BFA; OZ=Ordnungszahl des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes; ZMR=Zentrales Melderegister; IZR=Zentrales Fremdenregister]
1.1 Zum ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 29.01.2022
Der jordanische Beschwerdeführer stellte am 29.01.2022 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Rechtsmittelweg vom Bundesverwaltungsgericht nach einer am 26.09.2023 durchgeführten mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 11.01.2024, L502 2265584-1/17E, zur Gänze abgewiesen sowie gleichzeitig eine Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen erlassen wurde. Jene Entscheidung wurde der damaligen Vertretung im elektronischen Rechtsverkehr am 12.01.2024 übermittelt und damit mit Zustellzeitpunkt 15.01.2024 rechtskräftig (§ 21 Abs 8 BVwGG).
Der Beschwerdeführer begründete seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz vom 20.08.2017 zusammengefasst im Wesentlichen damit, dass er in Jordanien wegen Spionageverdachts und seiner politischen Aktivitäten verfolgt worden sei und bei einer Rückkehr auch wegen seiner kritischen Berichte und Postings über die königliche Familie verfolgt werde.
Das Bundesverwaltungsgericht erachtete in jenem Verfahren das Vorbringen des Beschwerdeführers zu dessen Ausreisegründen und Rückkehrbefürchtung mit näherer Begründung für nicht glaubhaft und führte aus, dass auch kein Sachverhalt im Sinne der Art 2 und 3 EMRK vorliege und eine Rückkehrentscheidung im Falle des Beschwerdeführers keine Verletzung des Art 8 EMRK darstelle. (BVwG 11.01.2024, L502 2265584-1/17E)
1.2. Zum zweiten Antrag auf internationalen Schutz vom 29.01.2024
Am 29.01.2024 stellte der Beschwerdeführer einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. Jener Antrag wurde vom BFA mit Bescheid vom 01.04.2024 wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückgewiesen; gleichzeitig erließ das BFA eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot für die Dauer von 2 Jahren. Jener Bescheid wurde mangels einer dagegen erhobenen Beschwerde am 17.04.2024 rechtskräftig.
1.3 Zum gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz vom 25.04.2024
Am 25.04.2024 stellte der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer begründete seinen dritten Antrag zum ersten Mal – zusammengefasst – damit, dass er homosexuell bzw bisexuell sei, er im ersten Verfahren über seine politischen Aktivitäten erzählt habe und das andere für ihn eine private Sache und eine empfindliche Sache in der arabische Gesellschaft sei. Der Beschwerdeführer beantragte dazu bereits im Verfahren vor dem BFA unter Anführung eines Namens und einer ladungsfähigen Adresse die Zeugeneinvernahme einer Person, mit der er laut seinen Angaben in Österreich eine romantische Beziehung führe bzw intim geworden sei. Der beantragte Zeuge erklärte auch schriflich gegenüber dem BFA, dass dieser die Bisexualität des Beschwerdeführers bestätigen könne, da dieser mit dem Beschwerdeführer bereits intim gewesen sei. (Schriftsatz 27.06.2024 (AS 125, 128); Schreiben Zeuge (AS 137))
Das BFA erachtete die vom Beschwerdeführer erstmals vorgebrachte Homosexualität bzw Bisexualität für unglaubhaft und unterließ es dabei, den beantragten Zeugen einzuvernehmen und begründete dies folgendermaßen (BFA Bescheid 01.10.2024 S 54 [Name des Zeugen anonymisiert vom Bundesverwaltungsgericht]):
„Da für die Behörde zweifelsfrei feststeht, dass Ihre im gegenständlichen Verfahren vorgebrachte sexuelle Neigung nicht den Tatsachen entspricht und zu erwarten ist, dass Hr. [Name anonymisiert] bereit ist für Sie als reine Gefälligkeit auch tatsachenwidrige Angaben zu machen, wurde trotz Beweisantrag Ihrer rechtlichen Vertretung von einer zeugenschaftlichen Einvernahme Abstand genommen.“
1.4 Zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens zum gegenständlichen dritten Antrag
Es ist glaubhaft, dass der Beschwerdeführer in Österreich zumindest mit einem Mann sexuell intim geworden ist und noch immer gelegentlich mit diesem sexuell verkehrt. (Zeugenbefragung in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 13.12.2024 (OZ 10Z); Schreiben desselben Zeugen (AS 137))
1.5 Zur Lage sexueller Minderheiten in Jordanien
Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Jordanien, 26.01.2024
Obwohl einvernehmliche gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen unter Erwachsenen nicht kriminalisiert werden (USDOS 20.3.2023), ist die Diskriminierung von LGBTQI+ Personen weit verbreitet und schließt die Androhung von Gewalt ein (FH 2023). Von staatlicher Seite war diese Personengruppe im beobachteten Zeitraum von willkürlichen Verhaftungen, Schikanen in Form von informellen oder formellen Verhören, ökonomischen und rechtlichen Drohungen und Überwachung betroffen (USDOS 20.3.2023). Im jordanischen Recht fehlt ein Verbot von Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität (HRW 11.1.2024; vgl. USDOS 20.3.2023).
Aus Angst vor gesellschaftlicher oder staatlicher Diskriminierung halten daher viele Personen ihre sexuelle Orientierung geheim. LGBTQI+ Personen sind häufig Ziel von Gewalt und Missbrauch, einschließlich Vergewaltigung, und hatten kaum rechtliche Möglichkeiten, gegen die Täter vorzugehen. Transgender-Personen laufen dabei besonders in Gefahr, Opfer von Gewalttaten und sexuellen Übergriffen zu werden, und die Behörden boten ihnen keinen rechtlichen Schutz (USDOS 20.3.2023).
Behörden können LGBTQI+ Personen wegen angeblicher Verletzung der öffentlichen Ordnung oder des öffentlichen Anstandes verhaften. Mitglieder der LGBTQI+-Community bestätigen, dass es ihnen im Allgemeinen an sicheren Räumen fehlt, und berichten, dass sie von der Polizei ins Visier genommen werden, wenn sie eine der wenigen mit der Gemeinschaft verbundenen Einrichtungen verlassen. Die staatlichen Vorschriften über die Registrierung von NGOs, sowie die Finanzierung aus dem Ausland hindern zivilgesellschaftliche Gruppen weitgehend daran, an Aktivitäten mit vermeintlichen Verbindungen zur LGBTQI+-Community zu arbeiten (USDOS 20.3.2023) Die Behörden haben NGOs, die sich für die Gleichberechtigung von LGBTI Menschen einsetzen, die Registrierung verweigert (FH 2023).
LGBTQI+ Personen berichteten außerdem über Diskriminierung in den Bereichen Wohnen, Beschäftigung, Bildung und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen. Einzelpersonen berichten, dass ihnen aufgrund ihrer LGBTI-Identität gekündigt oder berufliche Chancen verweigert wurden. Einige waren mit Erpressung und der Drohung konfrontiert, dass sie entlassen, enterbt, verleugnet, verhaftet oder strafrechtlich verfolgt würden. Mehrere LGBTQI+-Personen fanden es aufgrund ihrer LGBTQI+-Identität unmöglich, im Land zu leben, und verließen daher Jordanien oder sind dabei, dies zu tun. Viele fürchteten um ihr Leben oder Missbrauch durch Familienmitglieder oder Behörden (USDOS 20.3.2023).
Eltern können bei den Sicherheitsdiensten informelle „Haftbefehle“ für Kinder, einschließlich erwachsener Kinder, beantragen, um ihre Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes auszusetzen, Reisen ins Ausland zu verhindern oder um von den Behörden zu verlangen, dass sie zwangsweise in Gewahrsam der Familie zurückgebracht werden, selbst wenn Familienmitglieder zuvor das Leben der Person bedroht haben (USDOS 20.3.2023).
ACCORD – Anfragebeantwortung zu Jordanien: Familiäre und gesellschaftliche Lage von LGBTIQ+ Personen [a- 12014-1] 27.10.2022
In der Anfragebeantwortung werden die unterschiedlichen Bezeichnungen für Mitglieder der LGBTIQ+-Gemeinschaft von den Ursprungsquellen übernommen und können daher variieren.
Eine Umfrage des Forschungsnetzwerks Arab Barometer für BBC News Arabic aus dem Jahr 2019 ergab, dass nur sieben Prozent der Befragte in Jordanien homosexuelle Beziehungen akzeptieren (Arab Barometer, 24. Juni 2019).
Laut dem Jahresbericht 2022 von Freedom House sei Diskriminierung gegen LGBT+-Personen in Jordanien weit verbreitet und schließe mögliche Gewalt mit ein (Freedom House, 24. Februar 2022, F4).
Auch das US Department of State (USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht 2021, dass die gesellschaftliche Diskriminierung von LGBTQI+-Personen in Jordanien weit verbreitet sei. Laut einem Sicherheitsbeamten würden homosexuelle Beziehungen von der konservativen Gesellschaft Jordaniens weitgehend als inakzeptabel angesehen. Transgender-Personen seien besonders anfällig für Gewalttaten und sexuelle Übergriffe und die Behörden würden ihnen keinen Rechtsschutz gewähren.
Das Gesetz verbiete die Diskriminierung von LGBTQI+-Personen nicht. Vertreter·innen der LGBTQI+-Gemeinschaft hätten berichtet, dass die meisten LGBTQI+-Personen ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität aus Angst vor gesellschaftlicher oder staatlicher Diskriminierung geheim halten würden. LGBTQI+-Personen hätten erklärt, dass sie sich ungern an das Rechtssystem wenden würden, weil sie befürchteten, dass ihre sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität feindselige Reaktionen der Polizei hervorrufen, sie vor Gericht benachteiligen oder dazu benutzt werden könnte, sie oder ihre Familien öffentlich zu demütigen. Es habe jedoch auch Fälle gegeben, in denen Behörden angemessen auf Berichte über Straftaten reagierten hätten.
LGBTQI+-Personen hätten weiters von Diskriminierung in den Bereichen Wohnen, Beschäftigung, Bildung und Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen berichtet. Einzelpersonen seien aufgrund ihrer LGBTQI+-Identität entlassen oder es seien ihnen berufliche Möglichkeiten verweigert worden. Einige seien Opfer von Erpressung geworden oder es sei ihnen angedroht worden, entlassen, enterbt, verstoßen, verhaftet oder strafrechtlich verfolgt zu werden. Mehrere LGBTQI+-Personen hätten sich gezwungen gesehen, aufgrund ihrer LGBTQI+-Identität das Land zu verlassen. Viele hätten Angst um ihr Leben oder würden Misshandlungen durch Familienmitglieder oder Behörden befürchten. Eltern sei es üblicherweise gestattet, informelle „Haftbefehle“ von Sicherheitsdiensten für Kinder, einschließlich erwachsener Kinder, zu beantragen, um deren Bewegung innerhalb des Landes und Reisen ins Ausland zu verhindern oder von den Behörden zu verlangen, Kinder unter Zwang zu ihren Familien zurückzubringen, selbst wenn Familienmitglieder in der Vergangenheit das Leben der jeweiligen Person bedroht hätten.
In weltoffenen Kreisen der Bevölkerung sei es LGBTQI+-Individuen möglich, sich diskret mit anderen LGBTQI+-Personen zu treffen.
Es gebe relativ wenig Unterkünfte, die LGBTQI+-Personen aufnehmen würden, und den Einrichtungen und NGOs, die es täten, würden ausreichende Mittel fehlen.
Eine offene Diskussion über LGBTQI+- Themen sei aufgrund der allgemein traditionellen Kultur unter allen Bürger·innen, unabhängig von ihrem Glauben, umstritten (USDOS, 12. April 2022, Abschnitt 6).
Barbara Foresti, Mission Chief für Jordanien von INTERSOS, erklärt, dass Menschen der LGBT+-Gemeinschaft im gesamten Land stigmatisiert würden, vor allem in abgelegenen Gebieten. LGBT+-Personen würden ausgegrenzt. Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung hätten eine starke Auswirkung auf den Zugang zu Grundrechten wie Wohnen oder Arbeit. Außerhalb der Hauptstadt seien die Lebensbedingungen für Mitglieder der LGBT+-Gemeinschaft noch schwieriger als in Amman. Sie nennt als Beispiel den Süden des Landes, wo die soziale Struktur hauptsächlich eine Stammesstruktur sei. Innerhalb einer solchen rigiden Struktur hätten LGBT+-Personen es schwer, um Hilfe von außen zu bitten und würden es häufig vorziehen, ihr Leben lang zu schweigen.
LGBT+-Personen hätten gegenüber INTERSOS ausgesagt, dass sie, aus Angst in eine Falle zu geraten, nie die Polizei aufsuchen würden. Die Polizei belästige und verhafte sie ohne Grund, um sie in Folge anzuzeigen und von der Regierung eine finanzielle Belohnung zu erhalten.
Transsexuelle Menschen seien der schwersten Art von Diskriminierung, Misshandlung und Verfolgung ausgesetzt. Ihre Identität werde so stark abgelehnt, dass nicht einmal eine Anzeige wegen physischer oder psychischer Gewalt von den Behörden aufgegriffen werde.
Während viele homosexuelle Menschen ein Doppelleben führen würden, um ihre Homosexualität zu verbergen, würden Transmenschen überhaupt nicht versuchen, ihre Rechte geltend zu machen, da sie einem sehr hohen Risiko von Übergriffen und sozialer Ausgrenzung ausgesetzt seien (INTERSOS, 17. Mai 2022).
Die Taskforce für das Informationsmanagementsystem für geschlechtsspezifische Gewalt (Gender Based Violence Information Management System, GBV IMS) in Jordanien schreibt in ihrem Jahresbericht 2021, dass Transgenderpersonen als Teil einer Fokusgruppendiskussion im Jänner 2022 erklärt hätten, dass sie aufgrund ihrer Geschlechtsidentität von Mitgliedern der Gemeinschaft und sowie in ihrem Zuhause Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt seien. Ihr Zugang zu Dienstleistungen sei aufgrund von Stigmatisierung und Fehlen von einem sicheren und respektvollen Umfeld, insbesondere im Bereich Bildung, öffentliche Dienstleistungen und Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Einkommensmöglichkeiten, äußerst eingeschränkt, sodass Prostitution die einzige Möglichkeit für sie sei, Geld zu verdienen. Personen, die sich als homosexuell identifizieren, hätten berichtet, dass sie gezwungen seien, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen und ein Doppelleben zu führen. Es sei ihnen nur innerhalb der LGBTQIA+-Gemeinschaft möglich, sich offen zu zeigen (Jordan GBV IMS Task Force, 30. August 2022, S. 16).
Die Unterarbeitsgruppe für geschlechtsspezifische Gewalt (Gender-based Violence (GBV) sub working group) unter dem Vorsitz des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) und des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) schreibt in einer Beurteilung des geschlechtsspezifischen Gewaltrisikos für Ost-Amman vom Oktober 2021, dass Personen mit unterschiedlichen sexuellen Identitäten und Orientierungen in Jordanien erhöhten Risiken ausgesetzt seien. Gesprächen mit Mitgliedern der LGBTQI+-Gemeinschaft sowie Dienstleistungerbringern zufolge seien insbesondere weiblich aussehende und sich weiblich verhaltende Männer sowie transsexuelle Personen weit verbreiteter Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Ein Interviewpartner erklärt, dass er aufgrund seiner weiblichen Art vielen Arten von Missbrauch ausgesetzt sei, von emotionalem und psychischem Missbrauch über Belästigung bis hin zu körperlicher Misshandlung und Vergewaltigungen.
Die Unterarbeitsgruppe listet folgende Arten von Missbrauch auf, denen die LGBTQI+-Gemeinschaft ausgesetzt sei:
· Emotionale und psychische Misshandlung auf der Straße sowie mangelnde Akzeptanz in der eigenen Familie. Es sei nicht ungewöhnlich, dass LGBTQI+-Personen von Familien- oder Gemeindemitgliedern bedroht oder sogar aus dem Haus der Familie hinausgeworfen würden.
· Verweigerung von und Diskriminierung beim Zugang zu Dienstleistungen, wie Gesundheitsdiensten oder Schutz, wenn die Dienstanbieter vermuten, dass die Person eine diverse sexuelle Orientierung oder Identität habe.
· Körperliche Misshandlung auf der Straße durch Fremde oder durch Mitglieder der Gemeinschaft sowie durch Familienmitglieder.
· Online-Gewalt einschließlich Mobbing, Beschimpfungen und Aufstachelung zu Gewalt und Mord an Personen, die als LGBTQI+-Personen erkennbar seien. Darüber hinaus hätten konservative Einzelpersonen und die Polizei manchmal das Internet verwendet oder Handy-Apps infiltriert, um die Identität von Mitgliedern der LGBTQI+-aufzudecken und sie bloßzustellen.
· Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, einschließlich Vergewaltigungen durch Fremde, Gemeinschafts- und Familienmitglieder mit dem Ziel, die sexuelle Orientierung zu ändern („corrective rape“).
· Tötungsdelikte durch extrem konservative Familien und Gemeinschaften.
Ein Mitglied der LGBTQI+-Gemeinschaft erklärt, dass er/sie vorsichtig sein müsse, wohin er/sie gehe und wem er/sie seine/ihre Identität anvertraue, aus Angst von sehr konservativen Personen getötet zu werden (GBV Sub Working Group-Jordanien, Oktober 2021, S. 49-50).
Berichten zufolge würden Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft, die Diskriminierung, Gewalt oder Missbrauch ausgesetzt gewesen seien, diese Vorfälle selten melden, da sie befürchten würden, von Dienstleistern oder der Polizei erneut schikaniert zu werden. Darüber hinaus fehle es in Ost-Amman und in Jordanien insgesamt an Diensten, die LGBTQI+-Personen Schutz bieten würden. Befragte Mitglieder der LGBTQI+-Gemeinschaft hätten angegeben, dass sie Angst hätten, geoutet zu werden, wenn sie sich an verfügbare Schutzdienste wenden würden. Eine Person habe auch ein erhöhtes Risiko der sexuellen Ausbeutung oder des Missbrauchs bei Inanspruchnahme von Dienstleistungen erwähnt (GBV Sub Working Group-Jordanien, Oktober 2021, S. 50).
Dieselbe Unterarbeitsgruppe schreibt in einer Bewertung des geschlechtsspezifischen Gewaltrisikos für Irbid und Ramtha (Städte im Norden von Jordanien, Anmerkung ACCORD) vom Juni 2021, dass sie sich gegen eine direkte Befragung von Mitgliedern der LGBTQI+-Gemeinschaft entschieden habe, da LGBTQI+-Personen durch die Durchführung einer Fokusgruppendiskussion dem Risiko ausgesetzt seien, dass ihre Geschlechtsidentität und/oder sexuelle Orientierung offengelegt würde. Dieses Risiko sei auf die Wahrnehmungen und bestehenden Tabus in Bezug auf die Vielfalt der Geschlechtsidentität und der sexuellen Orientierung in den Zielgemeinschaften zurückzuführen (GBV Sub Working Group-Jordan, Juni 2021, S. 15).
In Fokusgruppendiskussionen mit Frauen, Mädchen und Männern, die sich nicht als Teil der LGBTQI+-Gemeinschaft identifizieren, sei danach gefragt worden, die am stärksten von geschlechtsspezifischer Gewalt gefährdeten Gruppen aufzulisten. Die Teilnehmer·innen hätten gesagt, dass Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität einem erhöhten Risiko von geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV) ausgesetzt seien. Sie hätten jedoch gleichzeitig negative Ansichten und Verachtung gegenüber der LGBTQI+-Gemeinschaft ausgedrückt. Einige Teilnehmer·innen hätten extreme und aggressive homophobe Ansichten geäußert. In einer Fokusgruppendiskussion habe sich auch ein Moderator am Austausch homophober Ansichten gegenüber LGBTQI+-Personen beteiligt. Antworten hätten sich immer um homosexuelle Männer, Männer, die als weiblich wahrgenommen werden, oder transsexuelle Männer-zu-Frauen-Personen gedreht. Dienstanbieter von Serviceleistungen für Personen, die geschlechtsspezifische Gewalt erfahren haben, hätten angegeben, dass LGBTQI+-Personen keinen Zugang zu diesen Serviceleistungen hätten (GBV Sub Working Group-Jordanien, Juni 2021, S. 34-35).
2. Beweiswürdigung:
Die Sachverhaltsfeststellungen stützen sich auf den vorgelegten Verwaltungsverfahrensakt des BFA, den Gerichtsakten des Bundesverwaltungsgerichtes und auf das Ergebnis der durchgeführten Beschwerdeverhandlung. Die konkreten Beweismittel sind bei den Sachverhaltsfeststellungen bzw in der Beweiswürdigung jeweils in Klammer angeführt.
2.1 Zum ersten und zweiten Antrag auf internationalen Schutz (oben 1.1 und 1.2)
Die Feststellungen zu den ersten zwei Anträgen auf internationalen Schutz ergeben sich aus dem dazu geführten Verwaltungsakten des BFA und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, welche die dazu geführten Niederschriften und Entscheidungen beinhalten.
2.2 Zum gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz (oben 1.3)
Die Feststellungen zum Inhalt des vom Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren vor dem BFA erstatteten Vorbringens und der Beurteilung des BFA beruhen auf den dazu geführten Befragungen, Stellungnahmen und Einvernahmen des Beschwerdeführers vor dem BFA und dem angefochtenen Bescheid, welche im vorgelegten Verwaltungsakt des BFA enthalten sind.
2.3 Zur Glaubhaftigkeit des Vorbringens zum gegenständlichen dritten Antrag (oben 1.4)
Im vorliegenden Fall hat das BFA eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung vorgenommen, indem das BFA es unterlassen hat, den beantragten Zeugen einzuvernehmen. (für viele zB VwGH Fe 2022/09/0001 RS 10; Ra 2021/18/0204 RS 1)
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Bundesverwaltungsgericht die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens selbst vorzunehmen, wenn es die Ermittlungsmängel rasch und ohne größeren Aufwand selbst beseitigen kann. Dabei hat es sich bei der Beurteilung gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG im Rahmen der Ermessensübung, ob eine Verhandlung durchzuführen ist, auch davon leiten zu lassen, ob die vorhandenen Ermittlungsmängel zweckmäßigerweise durch im Rahmen der Verhandlung vorzunehmende Beweisaufnahmen beseitigt werden können (etwa wenn es gilt, allein die Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers einer näheren Beurteilung zu unterwerfen) (VwGH 14.01.2020, Ra 2019/18/0311; zum Fall einer erforderlichen zeugenschaftlichen Einvernahme siehe auch VwGH 28.03.2022, Ra 2021/18/0347)
Das Bundesverwaltungsgericht hat daher im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 13.12.2024 die beantragte Zeugenbefragung nachgeholt.
Der Zeuge bestätigte in der mündlichen Verhandlung die Authentizität des im Verfahren vor dem BFA vorgelegten Schreibens und auch die Richtigkeit dessen Inhaltes. Der Beschwerdeführer sprach auch über die Beziehung zum Beschwerdeführer, die er als „Freundschaft plus“ bezeichnete und diese dahingehend beschrieb, dass sie keine feste Beziehung führen würden, jedoch manchmal intimer werden würden. Mit Intimität meine er die sexuelle Befriedigung, Sex. Er erklärte auch, dass er sich trotz des zwischenzeitlichen Umzugs des Beschwerdeführers in ein entfernt liegendes Bundesland mit dem Beschwerdeführer regelmäßig über Whatsapp unterhalte und der Beschwerdeführer kürzlich wieder bei ihm gewesen sei. Der Zeuge gab des Weiteren an, die Bisexualität des Beschwerdeführers deshalb bestätigen zu können, da er nicht glaube, dass der Beschwerdeführer mit ihm intim werden würde und dabei auch Spaß haben würde, wenn jener nur auf Frauen stehen würde. (VS 13.12.2024 S 4, 5)
Der Beschwerdeführer sprach in der Verhandlung offen, frei, spontan und ungezwungen über diese Beziehung und Sexualität. Seine Angaben waren auch widerspruchsfrei und schlüssig. Schließlich erfolgte seine Aussage unter Wahrheitspflicht nach Wahrheitserinnerung an die gerichtliche Strafbarkeit vorsätzlich falscher Aussagen. Zu keinem Zeitpunkt kamen Anhaltspunkte in der Verhandlung hervor, die Anlass für Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen des Zeugen geboten hätten, sodass die bloße Mutmaßung des BFA, dass der Zeuge, der auch in gesicherter Stellung im Erwerbsleben steht, aus reiner Gefälligkeit tatsachenwidrige Angaben machen würde (und sich damit strafbar machen), zu Unrecht erfolgte.
Die Angaben des Zeugen, die auch im Wesentlichen Kern mit den Angaben des Beschwerdeführers beim BFA in Einklang gebracht werden können, erweisen sich damit als glaubhaft. Damit erweist sich auch das diesbezügliche Vorbringen des Beschwerdeführers für glaubhaft.
2.4 Zur Lage in Jordanien (oben 1.5)
Die Feststellungen zur Lage in Jordanien ergeben sich aus dem aktuellsten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom Jänner 2024, sowie der ACCORD – Anfragebeantwortung zu Jordanien: Familiäre und gesellschaftliche Lage von LGBTIQ+ Personen [a- 12014-1] 27.10.2022, auf die in der Beschwerde verwiesen wurde. Angesichts der Ausgewogenheit und Seriosität der genannten Quellen sowie der Schlüssigkeit der weitestgehend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Zur Stattgabe der Beschwerde und ersatzlosen Behebung des bekämpften Bescheides § 28 Abs 2 iVm § 68 Abs 1 AVG)
3.1 Das gegenständlich zu beurteilende Verfahren ist als Verfahren über einen Folgeantrag zu qualifizieren, da ihm ein Antrag zugrunde liegt, der nach einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag gestellt wurde (§ 2 Abs 1 Z 23 AsylG). Das Bundesverwaltungsgericht hat gegenständlich ausschließlich zu prüfen, ob der Folgeantrag vom BFA zu Recht als unzulässig zurückgewiesen wurde. Sache des Beschwerdeverfahrens ist damit lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung.
Maßstab der Rechtskraftwirkung bildet die Entscheidung, mit der zuletzt – in der Sache –entschieden wurde (VwGH 06.11.2009, 2008/19/0783), im vorliegenden Fall ist dies das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.01.2024, L502 2265584-1/17E, welches der damaligen Vertretung im elektronischen Rechtsverkehr am 12.01.2024 übermittelt und damit mit Zustellzeitpunkt 15.01.2024 rechtskräftig wurde (§ 21 Abs 8 BVwGG).
Zum gegenständlichen Verfahren
3.2 Ausgehend von den Sachverhaltsfeststellungen ist der Beschwerdeführer in Österreich zumindest mit einem Mann sexuell intim geworden, mit dem er noch immer gelegentlich sexuell verkehrt.
Laut den Länderfeststellungen sind in Jordanien LGBTQI+ Personen unter anderem häufig Ziel von Gewalt und Missbrauch, einschließlich Vergewaltigung, und sie hatten kaum rechtliche Möglichkeiten, gegen die Täter vorzugehen. (im Detail zur Lage sexueller Minderheiten siehe oben 1.5)
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Verfolgung von Homosexuellen, aber auch von Bisexuellen Asyl rechtfertigen kann. (vgl VwGH 25.03.2024, Ra 2024/20/0090)
Davon ausgehend enthält das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner homosexuellen bzw bisexuellen Neigung jedenfalls einen „glaubhaften Kern“, der eine wesentliche Sachverhaltsänderung darstellt und dem für die Entscheidung Relevanz zukommt.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine Änderung dann wesentlich, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zu Grunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheides zumindest möglich ist (VwGH 24.03.2011, 2007/07/0155; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 68, Rz 26 mit Judikaturnachweisen; vlg iZm auch VwGH 05.05.2015, Ra 2014/22/0115: „Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht erst dann vor, wenn der vorgebrachte Sachverhalt auch konkret dazu führt, dass nunmehr der begehrte Aufenthaltstitel erteilt werden müsste“; oder etwa in Bezug auf die Änderung der allgemeinen Lage VwGH 12.10.2016, Ra 2015/18/0221).
Unter der Zugrundelegung dieser Judikatur ist daher im vorliegenden Fall des Beschwerdeführers eine die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides ermöglichende Änderung eingetreten.
3.3 Der Beschwerde wird daher stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird spruchgemäß ersatzlos aufgehoben.
Eine erstmalige inhaltliche Entscheidung über den zugrunde liegenden Antrag hätte demgegenüber den Gegenstand des Beschwerdeverfahrens überschritten (VwGH 12.10.2015, Ra 2015/22/0115).
3.4 Für das vom BFA in weiterer Folge fortzusetzende Verfahren ergibt sich, dass durch die im vorliegenden Fall gebotene Aufhebung des angefochtenen Bescheides in der Sache der verfahrensgegenständliche Antrag des Beschwerdeführers wieder unerledigt ist und über diesen von der Behörde – unter Beachtung der höchstgerichtlichen Judikatur neuerlich, nämlich meritorisch – in der Sache – abzusprechen ist. Das BFA wird im fortzusetzenden Verfahren das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete Parteivorbringen und Beweisergebnis – im gegenständlichen Fall somit die Beschwerdeausführungen, die Zeugenaussage und die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung – zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass getätigte Angaben ergänzt bzw vervollständigt werden.
3.5 Eine zurückweisende Entscheidung wegen entschiedener Sache kommt im vorliegenden Fall nicht mehr in Betracht.
Zu B)
Revision
3.6 Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da die für den vorliegenden Fall relevante Rechtslage durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt ist.
3.7 Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.