Vorwort
Artikel 1
Art. 1
Dieses Abkommen ist auf folgende Verfahren anzuwenden:
- die gerichtliche Schuldenbereinigung (reglement judiciaire), die Vermögensliquidation (liquidation des biens), das Verfahren zur vorläufigen Aussetzung der Vollstreckung und Gesamtbereinigung der Passiven für bestimmte Unternehmen (procedure de suspension provisoire de poursuites et d'apurement collectif du passif de certaines entreprises) des französischen Rechtes,
- den Ausgleich, den Konkurs und die Geschäftsaufsicht des österreichischen Rechtes.
Für die Anwendung dieses Abkommens werden diese Verfahren im folgenden als „Insolvenzverfahren“ bezeichnet.
Artikel 2
Art. 2
Die Wirkungen der in diesem Abkommen bezeichneten und in einem der Hohen Vertragschließenden Teile eröffneten Verfahren erstrecken sich auch auf das Gebiet des anderen.
Artikel 3
Art. 3
(1) Zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Staates ausschließlich zuständig, auf dessen Gebiet sich der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung oder der Gesellschaftssitz des Schuldners befindet.
Befinden sich jedoch der Gesellschaftssitz und der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung des Schuldners an verschiedenen Orten und liegt der Gesellschaftssitz auf dem Gebiet des einen der beiden Staaten, während der Mittelpunkt der wirtschaftlichen Betätigung auf dem Gebiet des anderen Staates gelegen ist, so sind die Gerichte des zuletzt genannten Staates ausschließlich zuständig.
(2) Sind die Gerichte der beiden Staaten nicht nach Absatz 1 zuständig, so ist ihre Zuständigkeit dennoch anzuerkennen, wenn über den Schuldner in demjenigen der beiden Staaten, in dem er eine Niederlassung hat, ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die Zuständigkeit des Gerichtes desjenigen der beiden Staaten, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, braucht vom anderen Staat nicht anerkannt werden, wenn dieser einem zwischenstaatlichen Abkommen angehört, das die Zuständigkeit der Gerichte eines dritten Staates vorsieht.
(3) Eröffnen die Gerichte eines Vertragsstaates, die nach den Absätzen 1 oder 2 zuständig wären, auf Grund ihres innerstaatlichen Rechts kein Insolvenzverfahren, so sind die Gerichte des anderen Vertragsstaates zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zuständig. Die Insolvenzverfahrenseröffnungsentscheidung hat nur Wirkung auf dem Gebiet des zuletzt genannten Staates.
Artikel 4
Art. 4
Die Gerichte des Staates, die ein Insolvenzverfahren über eine juristische Person oder eine Gesellschaft eröffnet haben, sind ausschließlich zuständig, ein Insolvenzverfahren auch über Gesellschafter oder Leiter dieser juristischen Person oder dieser Gesellschaft zu eröffnen, wenn das Recht dieses Staates ein solches Verfahren gegen sie zuläßt. Diese Bestimmung ist ohne Rücksicht auf den Ort des Mittelpunktes der wirtschaftlichen Betätigung des Gesellschafters oder Leiters anzuwenden, sofern das Verfahren innerhalb eines Jahres nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die juristische Person oder die Gesellschaft eingeleitet wird.
Artikel 5
Art. 5
Ist in einem der beiden Staaten ein im Artikel 1 bezeichnetes Insolvenzverfahren eröffnet worden, so dürfen die Gerichte des anderen Staates eines dieser Verfahren über denselben Schuldner nicht eröffnen, außer das zuerst befaßte Gericht hat sich für unzuständig erklärt oder das Verfahren beendet.
Artikel 6
Art. 6
(1) Die Gerichte des Staates, in dem ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, sind zuständig, über Ansprüche zu entscheiden, die sich nach der Rechtsordnung dieses Staates unmittelbar aus dem Insolvenzrecht ergeben, mit Ausnahme von Ansprüchen:
a) aus Arbeitsverträgen, wenn die Arbeit auf dem Gebiet des anderen Staates tatsächlich geleistet wird oder geleistet werden sollte,
b) aus der Vermietung unbeweglicher Sachen, die auf dem Gebiet des anderen Staates gelegen sind.
(2) Ist ein nach Absatz 1 zuständiges Gericht des einen der beiden Staaten mit einem im Absatz 1 bezeichneten Anspruch befaßt worden, so hat jedes später mit einer Streitigkeit zwischen denselben Parteien und über denselben Gegenstand befaßte Gericht des anderen Staates das Verfahren einzustellen, außer das zuerst befaßte Gericht hat sich für unzuständig erklärt.
Artikel 7
Art. 7
(1) Die in einem Staat von einem im Sinn des Artikels 3 Absätze 1 und 2 und des Artikels 4 dieses Abkommens zuständigen Gericht in Insolvenzverfahren gefällten Entscheidungen werden im anderen Staat ohne weitere Förmlichkeit anerkannt, es sei denn, daß sie der öffentlichen Ordnung dieses Staates widersprechen oder die Rechte der Verteidigung nicht gewahrt worden sind.
(2) Gleiches gilt für Entscheidungen über sich unmittelbar aus dem Insolvenzrecht ergebende Ansprüche, die von einem im Sinn des Artikels 6 zuständigen Gericht gefällt worden sind.
Artikel 8
Art. 8
(1) Die Befugnisse, die das Recht des Staates, auf dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, dem Masse- oder Ausgleichsverwalter oder der Aufsichtsperson einräumt, erstrecken sich auf das Gebiet des anderen Staates.
(2) Im Rahmen dieser Befugnisse können die im Absatz 1 genannten Personen ohne das Erfordernis irgendeiner Vollstreckbarerklärung alle Maßnahmen zur Sicherung und Verwaltung des Vermögens des Schuldners treffen, alle Ansprüche betreffend das Vermögen des Schuldners in dessen Namen oder im Namen der Masse der Gläubiger vor Gericht geltend machen und das bewegliche Vermögen des Schuldners veräußern.
(3) Die Veräußerung des unbeweglichen Vermögens unterliegt den Bestimmungen des Artikels 10.
(4) Das Gericht, das ein Insolvenzverfahren eröffnet hat, kann einen oder mehrere besondere Verwalter bestellen, die die in diesem Artikel genannten Befugnisse auf dem Gebiet des anderen Staates ausüben.
Artikel 9
Art. 9
(1) Das Gericht, das ein Insolvenzverfahren eröffnet hat, kann das zuständige Gericht des anderen Staates im Rechtshilfeweg um die Veranlassung der Bekanntmachung des Beschlusses über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sowie jeder anderen, das Insolvenzverfahren betreffenden Entscheidung ersuchen, wenn anzunehmen ist, daß sich Gläubiger oder Vermögenswerte des Schuldners in diesem Staat befinden.
(2) Das ersuchende Gericht hat eine Übersetzung der an das zuständige ersuchte Gericht übersandten Entscheidungen zu veranlassen. Das ersuchte Gericht hat die Bekanntmachung der Entscheidungen sowie ihre Eintragung in die öffentlichen Register nach Maßgabe seines Rechtes zu veranlassen; die ersuchte Behörde ist berechtigt, vom ersuchenden Gericht die Erstattung der Bekanntmachungs- und Eintragungskosten zu verlangen.
Artikel 10
Art. 10
(1) Sollen auf Grund einer Entscheidung eines Gerichtes des einen der beiden Staaten, die nach diesem Abkommen im anderen Staat anzuerkennen ist, auf dem Gebiet dieses Staates Vollstreckungshandlungen gesetzt werden, so bedarf sie in Frankreich der Vollstreckbarerklärung, in Österreich der Exekutionsbewilligung.
(2) Die Verfahren zur Exekutionsbewilligung in Österreich oder zur Vollstreckbarerklärung in Frankreich sowie die Vollstreckung selbst richten sich nach dem Recht des Staates, in dem diese Maßnahmen stattzufinden haben.
Artikel 11
Art. 11
(1) Die Partei, die eine Entscheidung im anderen Staat geltend machen will, hat eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen.
Im Fall einer Versäumungsentscheidung hat sie außerdem eine mit der Bestätigung der Richtigkeit versehene Abschrift der Ladung oder ein anderes zur Feststellung der ordnungsgemäßen Ladung des Beklagten geeignetes Schriftstück vorzulegen.
(2) Wird die Vollstreckung einer Entscheidung beantragt, so muß die Ausfertigung der Entscheidung mit der Bestätigung der Vollstreckbarkeit versehen sein.
(3) Die in diesem Artikel angeführten Urkunden sind mit Übersetzungen zu versehen, deren Richtigkeit von einem beeideten Übersetzer eines der beiden Staaten bestätigt sein muß.
(4) Die vorzulegenden Urkunden bedürfen weder einer Beglaubigung noch sonst einer gleichartigen Förmlichkeit.
Artikel 12
Art. 12
(1) Die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens und besonders seiner Eröffnung, Aufhebung oder jeder anderen Art der Beendigung treten im anderen Staat zu dem Zeitpunkt ein, den das Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, bestimmt.
(2) Die Schuldner werden gegenüber der Masse frei, wenn sie ihre Zahlungen vor den im Artikel 9 vorgesehenen Bekanntmachungen geleistet haben, es sei denn, daß ein Schuldner von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Kenntnis hatte oder Kenntnis haben mußte. In allen Fällen werden die Schuldner frei, wenn ihre Zahlungen der Masse zugute kommen.
Artikel 13
Art. 13
(1) Für die Gläubiger, die sich in dem Staat aufhalten, in dem das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden ist, werden die Fristen für die Anmeldung der Forderungen zwar durch das Recht des Staates bestimmt, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, sie beginnen aber von dem Tag an zu laufen, an dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dem anderen Staat nach Artikel 9 bekanntgemacht worden ist. Ist als Endzeit für die Anmeldung von Forderungen ein bestimmter Tag festgesetzt worden, so wird dieser Tag für die Gläubiger, die sich in dem Staat aufhalten, in dem das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden ist, um einen Zeitraum hinausgeschoben, der dem Zeitraum zwischen der Bekanntmachung in dem Staat, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und der Bekanntmachung in dem anderen Staat nach Artikel 9 entspricht.
(2) Dies gilt auch für Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegen Handlungen und Entscheidungen, die Dritten in der im Artikel 9 vorgesehenen Form zur Kenntnis gebracht worden sind.
Artikel 14
Art. 14
(1) Die Wirkungen von Insolvenzverfahren auf laufende Arbeitsverträge richten sich nach dem Recht des Staates, in dem die Arbeit tatsächlich geleistet wird oder geleistet werden sollte.
(2) Die Wirkungen von Insolvenzverfahren auf Pacht oder Miete von Liegenschaften richten sich nach dem Recht des Staates, in dem sich diese Liegenschaften befinden.
Artikel 15
Art. 15
(1) Die allgemeinen Vorrechte an beweglichen Vermögensgegenständen und ihre Rangordnung richten sich nach dem Recht des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Die besonderen Vorrechte an beweglichen Vermögensgegenständen, vor allem der Eigentumsvorbehalt, und ihre Rangordnung richten sich nach dem Recht des Staates, auf dessen Gebiet sich diese Vermögensgegenstände zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens befinden.
(2) Die Hypotheken und Vorrechte an Liegenschaften richten sich nach dem Recht des Staates, in dem sich dieses Vermögen befindet.
(3) Dieser Artikel ist nicht auf Hypotheken und Vorrechte an Seeschiffen, Binnenschiffen und Luftfahrzeugen anzuwenden.
Artikel 16
Art. 16
Die Arbeitnehmer können sich für das auf dem Gebiet jedes der beiden Staaten gelegene Vermögen auf die nach dem Recht dieses Staates zugunsten ihrer Forderungen bestehenden Vorrechte berufen.
Artikel 17
Art. 17
Die Abgaben- und Sozialversicherungsforderungen der beiden Staaten werden zur Befriedigung aus der Masse zugelassen. Die Rechte auf vorzugsweise Befriedigung dieser Forderungen können nur hinsichtlich des Vermögens geltend gemacht werden, das sich auf dem Gebiet des Staates befindet, in dem diese Forderungen entstanden sind; sie richten sich dort nach dem Recht dieses Staates.
Artikel 18
Art. 18
Die vom Gericht den Gläubigern nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens ausgestellten Exekutionstitel werden wie Entscheidungen im Insolvenzverfahren anerkannt und vollstreckt.
Artikel 19
Art. 19
Das Recht jedes der beiden Staaten bestimmt, ob und inwieweit ein im anderen Staat eröffnetes Insolvenzverfahren die Unfähigkeit zur Bekleidung eines Amtes sowie den Verlust oder die Beschränkung von persönlichen Rechten nach sich zieht.
Artikel 20
Art. 20
Dieses Abkommen ist nur auf die nach dem Tag seines Inkrafttretens eröffneten Insolvenzverfahren anzuwenden.
Artikel 21
Art. 21
Die Bestimmungen dieses Abkommens berühren nicht Bestimmungen in mehrseitigen Abkommen, denen einer der beiden Staaten angehört oder angehören wird.
Artikel 22
Art. 22
Jede Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Auslegung und Anwendung dieses Abkommens, die zwischen den Hohen Vertragschließenden Teilen entstehen könnte, ist auf diplomatischem Weg beizulegen.
Artikel 23
Art. 23
(1) Dieses Abkommen ist zu ratifizieren. Die Ratifikationsurkunden sind in Paris auszutauschen.
(2) Das Abkommen wird am sechzigsten Tag nach dem Tag, an dem der Austausch der Ratifikationsurkunden stattfinden wird, in Kraft treten.
(3) Das Abkommen wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Jeder der Hohen Vertragschließenden Teile kann es jederzeit durch eine auf diplomatischem Weg zu übermittelnde schriftliche Notifikation kündigen. Die Kündigung wird sechs Monate nach dem Zeitpunkt wirksam, an dem sie dem anderen Staat notifiziert werden wird.
Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten dieses Abkommen unterschrieben.
Geschehen zu Wien, am 27. Feber 1979, in zweifacher Ausfertigung in deutscher und französischer Sprache, wobei beide Texte gleichermaßen verbindlich sind.