Kernleistungsverordnung
§ 1 Anwendungsbereich
§ 2§ 2 Begriffe
§ 3§ 3*) Grundsätze
§ 4§ 4*) Informationen und Mitteilungen
§ 5§ 5*) Prüfung von Mitteilungen
§ 6§ 6 Gefährdungsabklärung
§ 7§ 7*) Gefährdungserhebung
§ 8§ 8*) Gefährdungseinschätzung
§ 9§ 9*) Hilfeplanung
§ 10§ 10*) Fallsteuerung
§ 11§ 11*) Beendigung einer Hilfe
§ 12§ 12*) Dokumentation
§ 13§ 13*) Inkrafttreten
Vorwort
§ 1 Anwendungsbereich
§ 1
Diese Verordnung regelt die fachlichen Standards für die Erbringung der Kernleistungen der Gefährdungsabklärung, Hilfeplanung und Fallsteuerung durch die Bezirkshauptmannschaft als Einrichtung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe.
§ 2 Begriffe
§ 2
(1) Informationen sind alle Sachverhalte betreffend das Wohl von Kindern und Jugendlichen, von denen die Bezirkshauptmannschaft als Einrichtung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe Kenntnis erhält.
(2) Mitteilungen sind Informationen, die Hinweise auf eine mögliche Gefährdung des Wohls von Kindern und Jugendlichen enthalten.
(3) Kinder und Jugendliche sind Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
(4) Junge Erwachsene sind Personen, die das 18. aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet haben.
(5) Erziehungsberechtigte sind Eltern, Elternteile und andere Personen, sofern ihnen das Recht und die Pflicht für die Pflege und Erziehung zukommen.
(6) Fachkräfte sind fachlich qualifizierte Bedienstete der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft als Einrichtung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, die für die Gefährdungsabklärung, Hilfeplanung und Fallsteuerung zuständig sind.
§ 3*) Grundsätze
§ 3
(1) Die Kinder- und Jugendhilfe arbeitet bei der Gefährdungsabklärung, Hilfeplanung und Fallsteuerung mit Erziehungsberechtigten und anderen Bezugspersonen zusammen bzw. strebt sie die Herbeiführung eines Kooperations- und Veränderungswillens der Beteiligten und die Stärkung ihrer Kooperations- und Veränderungsfähigkeit an. Weiters beteiligt sie die Kinder und Jugendlichen situations- und entwicklungsgerecht bei der Erbringung ihrer Leistungen.
(2) Die Kinder- und Jugendhilfe nutzt die Fähigkeiten und Ressourcen der Beteiligten und deren Umfeld und stärkt sie in der Mobilisierung eigener Möglichkeiten und Kräfte.
(3) In familiäre Rechte und Beziehungen wird nur soweit eingegriffen, als dies zur Gewährleistung des Kindeswohls notwendig und im Bürgerlichen Recht vorgesehen ist.
(4) Die Kinder- und Jugendhilfe gewährt Hilfe, wenn Erziehungsberechtigte von sich aus eine solche Hilfe in Anspruch nehmen wollen, um einer Kindeswohlgefährdung vorzubeugen.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017
§ 4*) Informationen und Mitteilungen
§ 4
(1) Informationen einer Einrichtung oder mitteilungspflichtigen Person (§ 37 B-KJHG 2013) oder einer dritten Person werden dahingehend geprüft, ob sie einen Hinweis auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung enthalten. Dies gilt auch für Informationen, die selbst betroffene Kinder und Jugendliche oder Erziehungsberechtigte an die Kinder- und Jugendhilfe herantragen.
(2) Ergibt eine Information einen Hinweis auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung, so ist diese Information, nunmehr als Mitteilung, gemäß § 12 Abs. 1 zu dokumentieren.
(3) Einrichtungen oder Personen, die ihre Information schriftlich erstatten, erhalten eine schriftliche Bestätigung, dass die Information eingelangt ist und bearbeitet wird. Davon ausgenommen sind Mitteilungspflichtige gemäß § 37 Abs. 1 Z. 1 B-KJHG 2013 und Mitteilungspflichtige, die gemäß § 17 Abs. 5 KJH-G bei der entsprechenden Gefährdungsabklärung mitwirken.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017
§ 5*) Prüfung von Mitteilungen
§ 5
(1) Die gemäß § 4 Abs. 2 dokumentierten Mitteilungen sind von einer Fachkraft auf das Vorliegen eines konkreten Verdachtes einer Gefährdung eines Kindes oder einer jugendlichen Person zu prüfen.
(2) Bei der Prüfung nach Abs. 1 sind insbesondere zu berücksichtigen:
a) der mitgeteilte Sachverhalt (Art, Ausmaß und Aktualität der Gefährdung, Hinweise zu Erziehungsberechtigten),
b) Qualität der Information (Befund, professionelle Einschätzung, eigene Beobachtung, Weitergabe zugetragener Information),
c) Glaubwürdigkeit der Mitteilung,
d) alle in der Bezirkshauptmannschaft als Einrichtung der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe vorliegenden Informationen betreffend des Kindes bzw. der jugendlichen Person und dessen familiären Umfelds,
e) Status des Kindes bzw. der jugendlichen Person (Alter, Entwicklungsstand, Auffälligkeiten, etc.),
f) Beziehung der Mitteilungsperson zum Kind oder zur jugendlichen Person,
g) Ressourcen (familiäre Ressourcen, institutionelle Hilfen).
(3) Ergibt das Ergebnis der Prüfung einen konkreten Verdacht, dass ein bestimmtes Kind oder eine bestimmte jugendliche Person misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht wird oder deren Wohl in anderer Weise gefährdet ist, ist eine Gefährdungsabklärung einzuleiten. Liegt kein Verdacht vor, wird dies von einer weiteren Fachkraft bestätigt. Das Ergebnis der Prüfung wird gemäß § 12 Abs. 1 dokumentiert.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017
§ 6 Gefährdungsabklärung
§ 6
(1) Die Gefährdungsabklärung besteht aus zwei standardisierten Schritten:
a) Erhebung des Sachverhaltes, der zur Beurteilung einer möglichen Kindeswohlgefährdung von Bedeutung ist (Gefährdungserhebung) und
b) Einschätzung, ob eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 8 Abs. 4 vorliegt.
(2) Die Gefährdungsabklärung ist unter Berücksichtigung der Dringlichkeit ohne unnötigen Aufschub von einer Fachkraft einzuleiten. Bei akuter Gefährdung ist mit den Erhebungen am selben oder am darauf folgenden Tag zu beginnen.
(3) Die Gefährdungsabklärung wird spätestens drei Monate nach Einlangen der Mitteilung mit der Gefährdungseinschätzung abgeschlossen.
§ 7*) Gefährdungserhebung
§ 7
(1) Ziel der Gefährdungserhebung ist das Erlangen einer fundierten Entscheidungsgrundlage für die Einschätzung des Risikos einer Kindeswohlgefährdung.
(2) Im Rahmen der Gefährdungserhebung werden, soweit es fachlich insbesondere erforderlich ist, folgende Erkenntnisquellen herangezogen:
a) Mitteilungen,
b) Auskünfte oder Dokumente von Mitteilungspflichtigen gemäß § 17 Abs. 1 KJH-G,
c) Gespräche mit den Erziehungsberechtigten,
d) persönlicher Kontakt mit den betroffenen Kindern und Jugendlichen,
e) Gespräche mit Personen, in deren Betreuung sich die Kinder und Jugendlichen regelmäßig befinden,
f) Besuche am Wohn- und Aufenthaltsort der Kinder und Jugendlichen,
g) Stellungnahmen, Berichte und Gutachten von Fachleuten,
h) Nutzung von Einschaurechten im Sinne des § 41 KJH-G.
(3) Die Erhebung erfolgt nach einer standardisierten Methode, bei welcher insbesondere folgende Gefährdungsfaktoren erhoben werden:
a) körperliche Gewalt,
b) psychische Gewalt,
c) miterlebte familiäre Gewalt,
d) sexualisierte Gewalt,
e) gesundheitliche Gefährdung,
f) Vernachlässigung,
g) Aufsichtspflichtverletzung und
h) Autonomiekonflikt.
(4) Die Gefährdungserhebung wird gemäß § 12 Abs. 2 dokumentiert.
(5) Die Fachkraft kann bei einzelnen Gefährdungserhebungen eine weitere Fachkraft zur Situationseinschätzung beiziehen.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017, 51/2017, 25/2025
§ 8*) Gefährdungseinschätzung
§ 8
(1) Ziel der Gefährdungseinschätzung ist eine fachliche Bewertung der Lebensumstände hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit:
a) einer Gefährdung des Kindes oder der jugendlichen Person sowie
b) der Bereitschaft und Fähigkeit der Erziehungsberechtigten, die Gefahr abzuwenden bzw. die dazu erforderlichen Hilfen anzunehmen.
(2) Die abschließende Gefährdungseinschätzung muss im Zusammenwirken von zumindest zwei Fachkräften durchgeführt werden. Dies kann in Form von Besprechungen im Team, im Austausch mit einer zweiten Fachkraft oder der fachlichen Leitung oder der Abteilungsleitung erfolgen.
(3) Bei Vorliegen folgender Umstände ist in die Gefährdungseinschätzung die Abteilungsleitung oder die fachliche Leitung einzubinden:
a) Maßnahmen bei Gefahr im Verzug,
b) Verdacht einer gegen ein Kind bzw. eine jugendliche Person gerichteten strafbaren Handlung,
c) volle Erziehung,
d) keine übereinstimmende Einschätzung der Fachkräfte,
e) fehlende Kooperationsbereitschaft der Erziehungsberechtigten.
(4) Als Ergebnis der Gefährdungseinschätzung erfolgt die fachlich fundierte Zuordnung des Einzelfalls in einen der folgenden Bereiche:
a) Unterstützungsbereich; dieser umfasst die Vorbeugung einer Gefährdung,
b) Kinderschutz Risikobereich; dieser umfasst die Klärung, ob eine Gefährdung vorliegt,
c) Kinderschutz Gefährdungsbereich; dieser umfasst die Abwendung einer Gefährdung.
(5) Das Ergebnis der Gefährdungseinschätzung ist gemäß § 12 Abs. 2 zu dokumentieren und von den Fachkräften zu unterfertigen.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017, 25/2025
§ 9*) Hilfeplanung
§ 9
(1) Ziel der Hilfeplanung ist es, ausgehend vom Ergebnis der Gefährdungseinschätzung, unter Mitwirkung der Kinder, Jugendlichen und der Erziehungsberechtigten, möglichst effektive und angemessene Hilfen zur Erziehung zu entwickeln. Die Hilfeplanung nützt die Ressourcen der Beteiligten und des Umfelds.
(2) Im Unterstützungsbereich sind die von der Fachkraft mit den Beteiligten, insbesondere den Erziehungsberechtigten und den Kindern und Jugendlichen, gemeinsam erarbeiteten und vereinbarten Ziele handlungsleitend.
(3) Im Kinderschutz Risikobereich wird von der Fachkraft mit den Erziehungsberechtigten vereinbart, welche Aufgaben diese zu erbringen haben, um zu klären, ob eine Kindeswohlgefährdung vorliegt.
(4) Im Kinderschutz Gefährdungsbereich wird von der Fachkraft mit den Erziehungsberechtigten vereinbart, welche Aufgaben diese zu erbringen haben, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden und den Schutz des Kindes oder der jugendlichen Person zu sichern. Dies erfolgt im Zusammenwirken von mindestens zwei Fachkräften.
(5) Die vereinbarten Ziele und Aufgaben sind gemäß § 12 Abs. 3 zu dokumentieren.
(6) Wird eine volle Erziehung angestrebt oder müssen Anträge an das Pflegschaftsgericht gestellt werden, ist die fachliche Leitung bzw. die Abteilungsleitung in die Hilfeplanung miteinzubeziehen.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017, 25/2025
§ 10*) Fallsteuerung
§ 10
(1) Ziel der Fallsteuerung ist die regelmäßige Überprüfung der im Zuge der Hilfeplanung vereinbarten Hilfen und deren Wirkung im Hinblick auf die vereinbarten Ziele oder zu erbringenden Aufgaben; erforderlichenfalls sind die vereinbarten Ziele, zu erbringenden Aufgaben und Hilfen zu ändern oder die Hilfen zu beenden.
(2) Die Überprüfung erfolgt erstmals drei Monate nach Beginn der Hilfe durch die Fachkraft. Sie findet in der Regel im direkten Kontakt mit den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, den Erziehungsberechtigten und einer Vertreterin bzw. eines Vertreters der privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung statt.
(3) Das Ergebnis der Überprüfung, einschließlich allfälliger Änderungen der Hilfen, ist gemäß § 12 Abs. 3 zu dokumentieren.
(4) Eine weitere Überprüfung der Hilfen erfolgt nach maximal zwölf Monaten ab Beginn der Hilfe und in weiterer Folge ein Mal jährlich, im Abstand von maximal zwölf Monaten.
(5) Bei voller Erziehung erfolgt die Überprüfung mindestens zwei Mal jährlich, im Abstand von maximal sechs Monaten, im persönlichen Kontakt mit den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor Ort. Sofern sichergestellt ist, dass eine Pflegefamilie von einer privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung betreut wird, gilt Abs. 4 sinngemäß mit der Maßgabe, dass die Überprüfung mindestens ein Mal jährlich im persönlichen Kontakt mit den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vor Ort stattfindet.
(6) Eine Evaluation über den Verlauf der Hilfe – insbesondere hinsichtlich der Zielerreichung, der Ressourcenaktivierung und Ressourcennutzung – erfolgt im Rahmen eines Hilfeplangesprächs, dem ein schriftlicher Bericht der beauftragten privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung zu Grunde liegt.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017
§ 11*) Beendigung einer Hilfe
§ 11
(1) Vor Beendigung einer Hilfe wird in der Regel ein Abschlussgespräch mit den Kindern und Jugendlichen, den Erziehungsberechtigten und einer Vertreterin bzw. einem Vertreter der beauftragten privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung geführt. Das Abschlussgespräch dient der Auswertung der Hilfe und des Verlaufs im Hinblick auf die mit den Zielsetzungen verfolgten Wirkungen.
(2) Das Ergebnis der Auswertung ist gemäß § 12 Abs. 3 zu dokumentieren.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017
§ 12*) Dokumentation
§ 12
(1) Die Dokumentation von Mitteilungen und deren Bewertung enthält zumindest die personenbezogenen Daten des Kindes oder der jugendlichen Person, den Inhalt der Mitteilung, die mitteilende Person bzw. Stelle, die Ersteinschätzung der Mitteilung und die Bewertung der Mitteilung.
(2) Die Dokumentation von Gefährdungsabklärungen enthält neben den personenbezogenen Daten des Kindes oder der jugendlichen Person zumindest Angaben zu den getroffenen Gefährdungserhebungen, den Gefährdungsfaktoren, den Ressourcen im familiären Umfeld, dem Kooperationswillen und der Kooperationsfähigkeit, die Gefährdungseinschätzung und deren Ergebnis sowie die Form des Zusammenwirkens von mindestens zwei Fachkräften.
(3) Die Dokumentation von Hilfeplanung und Fallsteuerung enthält neben den personenbezogenen Daten des Kindes oder der jugendlichen Person zumindest Angaben über die Ausgangssituation, die vorgegebenen bzw. vereinbarten Ziele, Hilfen und Handlungsschritte sowie die schriftliche Vereinbarung der Hilfen zwischen den Eltern bzw. Erziehungsberechtigten, dem Kind oder der jugendlichen Person, die Namen der zuständigen Fachkräfte der Bezirkshauptmannschaft sowie den Namen einer Vertreterin bzw. eines Vertreters der beauftragten privaten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017, 51/2017
§ 13*) Inkrafttreten
§ 13
(1) Diese Verordnung tritt am 1. Oktober 2013 in Kraft.
(2) Die Verordnung über eine Änderung der Kernleistungsverordnung, LGBl.Nr. 34/2017, tritt am 01.06.2017 in Kraft.
(3) Die Verordnung über eine Änderung der Kernleistungsverordnung, LGBl.Nr. 25/2025, tritt am 1. Juni 2025 in Kraft.
*) Fassung LGBl.Nr. 34/2017, 25/2025