JudikaturVwGH

Ra 2025/04/0184 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Gewerberecht
16. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak, die Hofrätin Mag. Hainz Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des M S, vertreten durch Mag. Martin Reichegger, Rechtsanwalt in Göfis, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom 12. Juni 2025, Zl. LVwG 1 7/2025 R1, betreffend eine Übertretung der Gewerbeordnung 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

11. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 22. April 2013 wurde dem Revisionswerber gemäß § 77 iVm §§ 74 und 353 ff GewO 1994 sowie §§ 93 und 99 ASchG die von ihm beantragte gewerberechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines Imbisslokales an einem bestimmten Standort nach Maßgabe des festgestellten Sachverhaltes und der einen Bescheidbestandteil bildenden Plan und Beschreibungsunterlagen unter näher genannten Auflagen erteilt.

2 Der Bescheid lautet soweit für gegenständliches Revisionsverfahren von Bedeutung auszugsweise wie folgt:

„Die Anlieferung der Waren erfolgt zwischen 07.00 Uhr und 18.00 Uhr etwa fünf bis sechsmal pro Woche über die nordostseitige private Zufahrt. Die Waren werden über die hintere Türe ins Lager eingebracht.“

32. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 14. November 2024 wurde über den Revisionswerber wegen einer Verwaltungsübertretung nach § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 eine Geldstrafe in Höhe von € 100,00 (Ersatzfreiheitsstrafe: neun Stunden) verhängt.

4 Dem Revisionswerber wurde zur Last gelegt, er habe „als gewerberechtlicher Geschäftsführer des Unternehmens [M] Restaurant [...]“ folgende Übertretung der Gewerbeordnung zu verantworten:

„Das genannte Unternehmen hat am 03.01.2024 von 20:20 Uhr bis 20:35 Uhr auf dem Standort [...] eine mit Bescheid der [belangten Behörde] vom 22.04.2013 [...] genehmigte Betriebsanlage betrieben, obwohl eine genehmigungspflichtige Änderung gemäß § 81 Abs. 1 GewO 1994 idgF. ohne Genehmigung durchgeführt wurde.“

Die belangte Behörde stellte in der Begründung fest, dass die im Bescheid mit zwischen 07.00 Uhr und 18.00 Uhr vorgeschriebenen Anlieferungszeiten für Waren nicht eingehalten worden seien.

Die Genehmigungspflicht dieser Änderung sei gegeben, weil das Anliefern von Waren zu Nachtzeiten gemäß § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 geeignet sei, die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen.

5 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der gegen dieses Straferkenntnis vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde keine Folge. Unter einem legte das Verwaltungsgericht den vom Revisionswerber für das Beschwerdeverfahren zu entrichtenden Kostenbeitrag mit € 20,00 fest. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

6 Das Verwaltungsgericht ging dabei von dem (hier in Rn. 2 zusammengefasst wiedergegebenen) von der belangten Behörde im Bescheid vom 22. April 2013 festgestellten Sachverhalt aus. Des Weiteren stellte das Verwaltungsgericht wörtlich Folgendes fest:

„Zur Tatzeit wurden Einrichtungsgegenstände für das Lokal angeliefert. Konkret hat es sich um eine Pizzakühltheke gehandelt, welche einen Kühlschrank als Unterbau und oben eine Granitplatte umfasste. Es wurden zur Tatzeit keine Lebensmittel angeliefert. Die Anlieferung der Pizzakühltheke erfolgt aus dem Ausland. Die Ware wurde nicht sofort ins Geschäft gebracht, sondern vor dem Geschäft abgestellt. Ins Geschäft verbracht wurde die Ware erst am nächsten Nachmittag des nächsten Tages.“

7 Der Begründung des Verwaltungsgerichts (genauer: den beweiswürdigenden Ausführungen) ist ferner zu entnehmen, der Revisionswerber habe in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er den Liefertermin nicht habe aussuchen können; er habe laut eigener Angabe circa eine halbe Stunde vor der Anlieferung erfahren, dass diese erfolgen werde.

8In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die Betriebsanlagengenehmigung vom 22. April 2013 unterscheide nicht zwischen der Anlieferung von Frischwaren und der Anlieferung sonstiger Waren. Folglich seien die im Bescheid vom 22. April 2013 festgelegten „Anlieferungszeiten zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr“ für Waren aller Art beachtlich. Im gegenständlichen Fall seien die Waren (Einrichtungsgegenstände) zwischen 20:20 Uhr und 20:35 Uhr, somit außerhalb der festgelegten „Anlieferungszeiten“ angeliefert worden. Die dadurch erfolgte Änderung der Betriebsanlage sei nach allgemeiner Erfahrung grundsätzlich geeignet, die in § 74 Abs. 2 GewO 1994 erwähnten Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteiligen Einwirkungen hervorzurufen, im Speziellen die Nachbarn durch Lärm zu belästigen. Es liege somit eine genehmigungspflichtige Änderung der Betriebsanlage vor. Da der Revisionswerber die entsprechende Änderung der Betriebsanlage jedoch ohne die dafür erforderliche Genehmigung durchgeführt habe, habe er sich strafbar gemacht.

9 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die kostenpflichtige Zurück- in eventu Abweisung der Revision beantragte.

10 5. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 5.1. Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision unter anderem vor, indem das Verwaltungsgericht den im „Betriebsanlagengenehmigungsbescheid“ der belangten Behörde vom 22. April 2013 festgelegten Begriff „Waren“ so umfassend auslege, dass im Ergebnis sämtliche Waren davon umfasst seien, lasse es entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine systematische Interpretation des Bescheides vom 22. April 2013 vermissen. Bei dieser Auslegung wäre etwa auch die Zustellung einer Briefsendung durch die Post von der im Bescheid festgelegten Warenanlieferungszeit umfasst, auf die der Revisionswerber keinen Einfluss üben könne.

12 5.2. Die Revision erweist sich bereits angesichts dieses Vorbringens als zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch als begründet.

135.3. Nach § 366 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 begeht eine Verwaltungsübertretung, wer „eine genehmigte Betriebsanlage ohne die erforderliche Genehmigung ändert oder nach der Änderung betreibt“. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter „Änderung“ einer genehmigten Betriebsanlage im Sinn des § 81 Abs. 1 GewO 1994 jede durch die erteilte Genehmigung nicht gedeckte, bauliche oder sonstige, die Anlage betreffende Maßnahme des Inhabers der Betriebsanlage zu verstehen, durch die sich die im § 74 Abs. 2 Z 1 bis Z 5 GewO 1994 bezeichneten Gefährdungen, Beeinträchtigungen oder sonstigen Auswirkungen ergeben können. Jeder Betrieb einer Betriebsanlage, der in seiner Gestaltung von dem im Genehmigungsbescheid (Betriebsbeschreibung) umschriebenen Projekt abweicht, bedeutet eine Änderung der genehmigten Betriebsanlage und bedarf unter den Voraussetzungen des § 81 GewO 1994 einer gewerbebehördlichen Genehmigung (vgl. VwGH 3.9.2024, Ra 2021/04/0132, Rn. 8, mwN).

14 Der Verwaltungsgerichtshof geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass jeder Bescheid rein objektiv seinem Wortlaut nachinsoweit also gleich einem Gesetz nach den §§ 6 und 7 ABGBauszulegen ist. Eine subjektive Interpretation nach dem Willen der Behörde ist ebenso wie eine Auslegung nach der subjektiven Erwartungshaltung des Bescheidadressaten schon im Ansatz verfehlt (vgl. VwGH 19.12.2024, Ra 2024/07/0144, Rn. 11, mwN). Ein Bescheid einer Verwaltungsbehörde ist als Ganzes zu beurteilen (vgl. erneut VwGH Ra 2024/07/0144, Rn. 12, mwN).

15 Die Auslegung eines konkreten Bescheides betrifft grundsätzlich nur den Einzelfall, und es stellt diese nur dann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG dar, wenn vom Verwaltungsgericht diesbezüglich ein unvertretbares und die Rechtssicherheit beeinträchtigendes Auslegungsergebnis erzielt wurde (vgl. VwGH 12.3.2024, Ra 2022/10/0045; 2.8.2017, Ra 2017/05/0202, jeweils mwN).

16 5.4. Der Revisionswerber zeigt eine relevante Fehlbeurteilung des Verwaltungsgerichtes im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung auf: Das Verwaltungsgericht legte den (hier in Rn. 2 wiedergegebenen) relevanten Inhalt des Genehmigungsbescheides der belangten Behörde betreffend die Anlieferungszeiten für Waren dahingehend aus, dass nicht bloß die für die Aufrechterhaltung des laufenden Betriebes erforderliche Frischware, sondern jegliche Waren, sohin auch (einmalig) anzuliefernde Einrichtungsgegenstände davon umfasst seien. Indem das Verwaltungsgericht begründend vermeint, im Genehmigungsbescheid werde keine (ausdrückliche) Differenzierung zwischen Frischwaren und sonstigen Waren getroffen, stützt es seine Auslegung vorrangig auf die Bedeutung des Wortes „Waren“ unter Außerachtlassung einer systematischen bzw. teleologischen Betrachtungsweise des gesamten Inhaltes des Genehmigungsbescheides.

17Der Begriff „Waren“ kann isoliert betrachtet zwar ohne Zweifel auch Waren in Form von Einrichtungsgegenständen erfassen, deren Anlieferung nach allgemeiner Erfahrung auch geeignet ist, die in § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebene Interessen zu beeinträchtigen. Bei gesamtheitlicher Betrachtung des relevanten festgestellten Inhalts des Genehmigungsbescheides zu den vorgeschriebenen Anlieferungszeiten ist es fallbezogen offensichtlich, dass der Bescheid im Zusammenhang mit der Regelung dieser Anlieferungszeiten diejenigen Waren vor Augen hat, die für den dort genehmigten Gastronomiebetrieb regelmäßig und in relativ kurzen Zeitabständen wiederkehrend angeliefert werden müssen. Die Anlieferung dieser Waren zur Aufrechterhaltung des tagtäglichen Betriebes ist nämlich erwartbar mit einer potenziellen Beeinträchtigung der in § 74 Abs. 2 GewO 1994 umschriebenen Interessen verknüpft. Indem das Verwaltungsgericht die Regelung betreffend die Anlieferungszeiten auch als Genehmigungstatbestand für die Lieferung eines Einrichtungsgegenstandes heranzieht, die nicht Teil der in entsprechenden Intervallen wiederkehrenden Warenlieferungen sondern ein einmaliges Ereignis darstellt, lässt es eine entsprechend systematische bzw. teleologische Interpretation des betriebsanlagenrechtlichen Genehmigungsbescheides vermissen. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Auslegungsergebnis des Verwaltungsgerichtes als unvertretbar.

185.5. Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19Die Vollziehung der Gewerbeordnung 1994 erfolgt in mittelbarer Bundesverwaltung. Kostenpflichtiger Rechtsträger iSd § 47 Abs. 5 VwGG wäre daher der Bund (vgl. VwGH 8.8.2018, Ra 2018/04/0006, mwN). Der ausdrücklich und insofern keiner Umdeutung zugänglichegegen das Land Vorarlberg gerichtete Antrag auf Aufwandersatz war daher abzuweisen (vgl. VwGH 30.10.2023, Ra 2023/09/0084, Rn. 23, mwN).

Wien, am 16. September 2025