JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0761 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. I. Zehetner sowie Hofrat Mag. M. Mayr als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revisionen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Oktober 2024, 1. W152 2292865 1/8E, 2. W152 2292863 1/8E, 3. W152 2292868 1/8E, 4. W152 2292869 1/8E und 5. W152 22928661/8E, jeweils betreffend Anerkennung als Flüchtling nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. A A und 5. F K, 2. I A, 3. K A sowie 4. L A, alle in I, alle vertreten durch F K in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden hinsichtlich des Erstmitbeteiligten wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften und hinsichtlich der Zweit bis Fünftmitbeteiligten wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

1Die mitbeteiligten Parteien sind Staatsangehörige Syriens, reisten unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellten am 19. April 2023 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach den Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Als Fluchtgrund gab der Erstmitbeteiligte an, er wolle den Militärdienst nicht ableisten, weil er niemanden töten wolle. Die Zweit bis Fünftmitbeteiligten brachten keine eigenen Fluchtgründe vor.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diese Anträge bezüglich der Begehren auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten mit Bescheiden vom 18. April 2024 ab. Es wurden den mitbeteiligten Parteien jedoch der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen jeweils eine befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte mit der Gültigkeit für ein Jahr erteilt.

3Den gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen Folge. Es erkannte dem Erstmitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 sowie den weiteren mitbeteiligten Parteien gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 4 AsylG 2005 den Status von Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass den mitbeteiligten Parteien kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Unter einem sprach es jeweils aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts sei der Erstmitbeteiligte in Syrien im Distrikt Manbij des Gouvernements Aleppo geboren, wo er sein gesamtes Leben verbracht habe. Er habe das Studium der Rechtswissenschaften absolviert und sei dann als Beamter in einer Gemeindeverwaltung tätig gewesen. Dabei habe er eine Abneigung gegen das syrische Regime und Baschar al Assad entwickelt und sich deshalb im Rahmen seiner Berufstätigkeit an regimekritischen Aktionen beteiligt. So hätten er und seine Kollegen die Bilder von Baschar al Assad aus dem Büro entfernt und auch keine Gebührenmarken verwendet, damit das syrische Regime keine finanziellen Einkünfte erhalte. Der Erstmitbeteiligte sei für den Militärdienst tauglich erklärt worden, habe aber aufgrund seines Studiums mehrere Aufschübe erhalten. Bislang habe er keinen Wehrdienst in Syrien geleistet. Er lehne die Ableistung des Wehrdienstes ab und sei überhaupt gegen das Regime eingestellt.

5 Dem Erstmitbeteiligten drohe bei einer Rückkehr nach Syrien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die unmittelbar bevorstehende Einberufung zum Militärdienst. Es bestehe die reale Gefahr, von Grenzkontrollposten oder im Zuge einer der zahlreichen militärischen Straßenkontrollstellen verhaftet und zum Wehrdienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden. Bei einer Rückkehr in seine Herkunftsregion drohe ihm, dass er aufgegriffen werde. Er lehne auch das „Freikaufen“ vom Wehrdienst entschieden ab. Er wolle nämlich auch keinesfalls das syrische Regime finanziell unterstützen.

6 Im Falle einer Weigerung werde der Erstmitbeteiligte zumindest mit einer Gefängnisstrafe bestraft, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre. Im Hinblick darauf, dass das syrische Regime Wehrdienstverweigerung als Ausdruck von Illoyalität betrachte, werde dem Erstmitbeteiligten wegen seiner Wehrdienstverweigerung eine oppositionelle Gesinnung (zumindest) unterstellt.

7 Es liege daher wohlbegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung somit Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vor. Die bescheidmäßige Zuerkennung subsidiären Schutzes schließe eine innerstaatliche Fluchtalternative als Grundlage der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten aus.

8 Da das Bundesverwaltungsgericht dem Erstmitbeteiligten, der Ehemann der Fünftmitbeteiligten und Vater der Zweitbis Viertmitbeteiligten sei, den Status des Asylberechtigten zuerkannt habe, sei den letztgenannten gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ebenfalls jeweils der Status von Asylberechtigten zuzuerkennen.

9 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Amtsrevisionen, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Zurückweisung der Revisionen beantragten.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revisionen erwogen:

11 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht zur Zulässigkeit seiner Amtsrevision geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe die es nach näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes treffende Pflicht zur ordnungsgemäßen Begründung seiner Entscheidungen verletzt. So habe es festgestellt, dass die Herkunftsregion der Mitbeteiligten unter kurdischer Kontrolle stehe, gehe aber davon aus, dass das syrische Regime in dieser Region präsent sei und Zugriffs und Rekrutierungsmöglichkeiten habe, ohne die sich aus den Länderinformationen gegenteiligen Angaben zu berücksichtigen. Hätte es das getan so das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit näherer Begründung , wäre es zum Ergebnis gekommen, dass den Mitbeteiligten der Status von Asylberechtigten nicht zuzuerkennen gewesen wäre. Im Besonderen ergebe sich aus den auch vom Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidungsbegründung herangezogenen Berichten, dass der Erstmitbeteiligte seine Herkunftsregion, in der er jedenfalls keine asylrechtlich relevante Verfolgung zu befürchten habe, erreichen könne, ohne in Kontakt mit syrischen Behörden zu treten.

12 Weil den Zweit bis Fünftmitbeteiligten der Status der Asylberechtigten abgeleitet vom Erstmitbeteiligten gemäß § 34 Abs. 4 AsylG zuerkannt worden sei, schlage das Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch auf diese durch.

13 Die Revisionen sind zulässig. Sie sind auch berechtigt.

14 Festzuhalten ist, dass mit Blick auf den Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Erkenntnisse Ende Oktober 2024 die danach im Besonderen ab Dezember 2024eingetretenen Änderungen in der Situation in Syrien hier außer Betracht zu bleiben haben (vgl. etwa VwGH 14.1.2025, Ra 2024/14/0860, mwN). Vom Verwaltungsgerichtshof wurde mehrfach festgehalten, dass sich aus den hier maßgeblichen Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht abgeleitet werden kann, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage sei gerade kein Automatismus dahin als gegeben anzunehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohe. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. etwa VwGH 11.10.2024, Ra 2024/20/0580; sowie ausführlich VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, jeweils mwN).

15 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt in diesem Zusammenhang vor, das Bundesverwaltungsgericht habe aus der von ihm zur Begründung seiner Entscheidung insbesondere herangezogenen ACCORD Anfragebeantwortung näher dargestellte Informationen über die „syrische Präsenz“ im kurdischen Selbstverwaltungsgebiet zur Gänze unberücksichtigt gelassen. Aus diesen Informationen ergebe sich, dass die syrische Regierung in der Heimatregion des Erstmitbeteiligten keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst einberufen könne.

16 Das Bundesverwaltungsgericht lässt wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht vorbringt eine für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbare Begründung vermissen, warum im Revisionsfall der Erstmitbeteiligte, dessen Herkunftsort sich nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts in einem von den Syrian Democratic Forces (SDF) kontrollierten Gebiet befinde, eine asylrelevante Verfolgung durch das syrische Regime zu gewärtigen habe. Der bloße Hinweis des Bundesverwaltungsgerichts, dass seit Juli 2022 eine verstärkte Präsenz der syrischen Armee um die Stadt Manbij zu verzeichnen sei, vermag eine beweiswürdigende Auseinandersetzung (auch) mit den genannten Berichten, denen zufolge die syrische Regierung in der Heimatregion des Erstmitbeteiligten keine Wehrpflichtigen für den Militärdienst einberufen könne, nicht zu ersetzen.

17 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zudem wie in der Revision vorgebrachtnicht beweiswürdigend mit der Erreichbarkeit der Herkunftsregion der Mitbeteiligten auseinandergesetzt. Es bestehe nach den Feststellungen die reale Gefahr, von Grenzkontrollposten oder im Zuge einer der zahlreichen militärischen Straßenkontrollstellen verhaftet und zum Wehrdienst in der syrischen Armee eingezogen zu werden. Eine für den Verwaltungsgerichtshof nachvollziehbare Beweiswürdigung dieser Feststellung enthält das angefochtene Erkenntnis jedoch nicht (siehe dazu VwGH 11.11.2024, Ra 2024/20/0474, mwN).

18 Diesen Begründungsmängeln kann wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dargetan hat die Relevanz für den Verfahrensausgang nicht abgesprochen werden.

19Das angefochtene Erkenntnis betreffend den Erstmitbeteiligten leidet somit an Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Es war daher gemäß §§ 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben, ohne, dass auf die weiteren in der Revision vorgebrachten Verfahrensmängel einzugehen war.

20Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen durch den Verwaltungsgerichtshof aufgehoben wird, schlägt auf die im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 getroffene Entscheidung auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH 23.12.2024, Ra 2022/20/0335, mwN), weshalb auch die Erkenntnisse über die Beschwerden des Zweitbis Fünfmitbeteiligten gegen die Abweisung von deren Anträgen auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben waren.

Wien, am 24. März 2025