JudikaturVwGH

Ra 2024/14/0218 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
25. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober sowie die Hofrätin Dr. in Sembacher und den Hofrat Mag. Marzi als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Hahn, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. März 2024, I412 22832501/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M R), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 9. September 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er im Wesentlichen damit begründete, dass er Syrien wegen des Krieges und der bevorstehenden Einberufung zum Wehrdienst bei der syrischen Armee verlassen habe.

2 Mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 14. November 2023 wurde dieser Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Mitbeteiligten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

3 Der gegen Spruchpunkt I. erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.

4 Begründend führte das BVwG aus, dass Wehrdienstverweigerung von der syrischen Regierung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung betrachtet werde, sondern auch als Ausdruck politischen Dissenses und mangelnder Bereitschaft, sein Land gegen „terroristische“ Bedrohungen zu verteidigen. Durch die Ausreise habe sich der Mitbeteiligte de facto der Pflicht zum Ableisten des Wehrdienstes entzogen und es werde derartiges Verhalten vom syrischen Regime als illoyal sowie als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung angesehen. Bei einer Rückkehr in sein Herkunftsgebiet in Syrien bestehe für den Mitbeteiligten mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, gegen seinen Willen zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen zu werden. Aufgrund seiner Weigerung, den Wehrdienst abzuleisten, würde er mit einer Gefängnisstrafe bestraft werden, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision, die vom BVwG samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Es wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

6Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

7 Die Amtsrevision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend, es fehle der angefochtenen Entscheidung entgegen näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Hinblick auf die vom BVwG zugrunde gelegte Wehrdienstverweigerung an nachvollziehbaren und damit überprüfbaren Feststellungen zum Vorliegen eines Konnexes der vorgebrachten Verfolgungshandlung zu einem der Verfolgungsgründe im Sinne der GFK. Eine konkrete Verfolgung des Mitbeteiligten sei vom BVwG nicht festgestellt worden. Aus den in der Revision ins Treffen geführten Länderberichten ergebe sich ein differenziertes Bild im Hinblick auf die Unterstellung einer oppositionellen Gesinnung im Falle einer Wehrdienstverweigerung durch die syrische Regierung.

8 Die Amtsrevision ist zulässig, sie ist auch begründet.

9Vorab wird darauf hingewiesen, dass die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG vom Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN). Dementsprechend entziehen sich Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren.

10 Im vorliegenden Fall ging das BVwG davon aus, dem Mitbeteiligten werde vom syrischen Regime bereits wegen der Wehrdienstverweigerung und der Ausreise aus Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt. Die ihm drohende Inhaftierung und Folter aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes stellten daher eine Verfolgung im Sinne der GFK dar.

11Vom Verwaltungsgerichtshof wurde bereits mehrfach festgehalten, dass sich aus den auch hier maßgeblichen Länderberichten ein differenziertes Bild der Haltung des syrischen Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und aus dieser Berichtslage nicht abgeleitet werden kann, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit jedem den Militärdienst verweigernden Syrer eine oppositionelle Haltung unterstellt werde. Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner bereits ausgeführt, nach dieser Berichtslage sei gerade kein Automatismus dahin als gegeben anzunehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde und ihm deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohe. Nichts anderes gilt für die Frage, ob ein den Militärdienst ableistender syrischer Staatsangehöriger sich dazu gezwungen sähe, zu Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beizutragen (vgl. etwa VwGH 24.3.2025, Ra 2024/20/0761, sowie ausführlich VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, jeweils mwN).

12 Die Revision zeigt zur Begründung des von ihr in diesem Zusammenhang gerügten und relevanten Verfahrensmangels zutreffend auf, dass die vom BVwG vertretene Ansicht mit den im angefochtenen Erkenntnis verwerteten Länderberichten nicht in Einklang zu bringen ist, weil sich aus den Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Mitbeteiligten eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde.

13Der Revision gelingt es somit, relevante Begründungsmängel darzulegen, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Wien, am 25. August 2025