JudikaturVwGH

Ra 2024/20/0672 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer, Hofrat Mag. Eder und Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Stüger, über die Revision des M A, vertreten durch MMag. Jakob Grüner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria Theresien Straße 34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Oktober 2024, W257 22933191/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),

Spruch

I.) den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten sowie eines subsidiär Schutzberechtigten und gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung richtet, als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren in diesem Umfang eingestellt.

II.) zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes zum Gegenstand hat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Der Revisionswerber ist Staatsangehöriger von Syrien und stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 19. Juni 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), den er mit der Furcht vor der Einziehung zum syrischen Militär begründete.

2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. April 2024 wurde dieser Antrag abgewiesen. Weiters wurde dem Revisionswerber kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, ihm gegenüber eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung nach Syrien zulässig sei. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Weiters wurde gegen den Revisionswerber ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Die dagegen erhobene Revision richtet sich gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten und eines subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung und gegen die Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes.

5 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet legte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Ausreisebestätigung der BBU Rückkehrberatung und Services vom 10. Februar 2025 vor, aus der sich ergibt, dass der Revisionswerber am 5. Februar 2025 unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet nach Syrien ausgereist sei.

6 Über Aufforderung des Verwaltungsgerichtshofes nahm der Rechtsvertreter des Revisionswerbers dazu innerhalb der ihm eingeräumten Frist Stellung. Darin führte er aus, mangels Kontakt zum Revisionswerber sei es ihm derzeit nicht möglich, eine Stellungnahme abzugeben, ob nach wie vor ein rechtliches Interesse an einer inhaltlichen Erledigung der eingebrachten Revision bestehe oder nicht. Im Hinblick auf das verhängte und zeitlich unbefristete Einreiseverbot sei jedoch von einem rechtlichen Interesse des Revisionswerbers an einer inhaltlichen Erledigung der vorliegenden Revision auszugehen. Ein unbefristetes Einreiseverbot würde den Revisionswerber in seiner Bewegungsfreiheit auf nicht absehbare Zeit und allenfalls tatsächlich auf unbefristete Dauer erheblich und somit in unverhältnismäßiger und rechtswidriger Weise in seinen Rechten beschränken.

7 Zur Einstellung des Verfahrens:

8Gemäß § 33 Abs. 1 VwGG ist die Revision, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach Anhörung des Revisionswerbers in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Ein Einstellungsfall (wegen Gegenstandslosigkeit) liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Verwaltungsgerichtshofes hat (VwGH 14.12.2023, Ra 2023/20/0375, mwN).

9 Ausgehend von der freiwilligen Ausreise des Revisionswerbers unter Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe (Heimreise in den Herkunftsstaat) und vom Umstand, dass der Rechtsvertreter des Revisionswerbers zur Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz und der Erlassung einer Rückkehrentscheidung keine inhaltliche Stellungnahme abgab, ist nicht zu erkennen, dass seitens des Revisionswerbers an der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über diese Spruchpunkte noch ein rechtliches Interesse bestünde.

10Die Revision war daher in diesem Umfang (Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten, Erlassung einer Rückkehrentscheidung) als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren unter sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.

11 Zur Aufhebung:

12 Hingegen ist dem Revisionswerber hinsichtlich der Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes ein rechtliches Interesse nicht abzusprechen.

13 Der Revisionswerber bringt dazu in der Zulässigkeitsbegründung seiner Revision vor, das Bundesverwaltungsgericht habe entgegen näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bei Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes keine individuelle Gefährdungsprognose vorgenommen.

14 Die Revision erweist sich in diesem Umfang als zulässig und berechtigt.

15Das Bundesverwaltungsgericht stützte die Erlassung des unbefristeten Einreiseverbotes auf § 53 Abs. 3 Z 6 und Z 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG).

16Gemäß § 53 Abs. 1 FPG kann mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen werden, wobei dieses die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen darstellt, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

17Als bestimmte Tatsachen im soeben genannten Sinn haben insbesondere die in den Z 1 bis Z 9 des § 53 Abs. 3 FPG angeführten Tatbestände zu gelten. Als bestimmte Tatsache hat gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG insbesondere zu gelten, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB).

18Die (hier ebenfalls im Blick stehende) Z 9 des § 53 Abs. 3 FPG setzt voraus, dass (erster Tatbestand) der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder (zweiter Tatbestand) auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staats und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung eines solchen Gedankenguts fördert oder gutheißt.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass es zur Beurteilung des öffentlichen Interesses im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFAVG ebenso wie für das verhängte Einreiseverbot nach § 53 Abs. 3 FPG (bei dem auf eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit abzustellen ist) einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung bedarf. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einer solchen Gefährdungsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache einer Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 16.11.2022, Ra 2022/20/0002, mwN).

20In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der Gefährdungsprognose herangezogen werden kann, wenn dieses nicht zu einer gerichtlichen oder verwaltungsgerichtlichen Bestrafung führt. Ebenso steht einer solchen Beurteilung der Umstand nicht entgegen, dass strafgerichtliche Ermittlungen gegen den Fremden bisher zu keiner Anklage geführt haben (vgl. etwa VwGH 14.11.2023, Ra 2023/18/0308, mwN).

21Im vorliegenden Fall hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass der Revisionswerber in Österreich strafgerichtlich unbescholten sei. Es stehe außer Streit, dass dieser bei einer terroristischen Vereinigung (HTS) gewesen sei, wodurch auf jeden Fall der Tatbestand der Z 6 des § 53 Abs. 3 FPG erfüllt sei. Bezüglich der Z 9 leg. cit. sei auszuführen, dass auch dieser Tatbestand erfüllt sei, weil der Revisionswerber jedenfalls ein Naheverhältnis zur dieser terroristischen Vereinigung gehabt habe. Daher sei es auch nicht ausgeschlossen, dass der Revisionswerber in Zukunft extremistische oder terroristische Taten „durchführen könnte“. Er habe sich einer islamistischen Terrororganisation angeschlossen, die die grundlegenden Werte der österreichischen Gesellschaft nicht nur ablehne, sondern diese durch Terrorakte mit möglichst vielen Todesopfern sogar offen bekämpfe. Das Bundesverwaltungsgericht habe dabei keinen Zweifel, dass eine solche Handlungsweise eines Drittstaatsangehörigen auch die Ausschöpfung des gesetzlich möglichen Höchstmaßes der Einreiseverbotsfrist indiziere. Die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung müsse als besonders gefährliche Form der Kriminalität gelten. Sohin sei die Erlassung eines Einreiseverbotes gegen den Revisionswerber dringend geboten, um ihn von der Begehung „weiterer“ Straftaten in Österreich abzuhalten und insbesondere um die Bevölkerung zu schützen.

22In Verkennung der Rechtslage hat das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots allein in der tatbestandsmäßigen Erfüllung der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation (§ 53 Abs. 3 Z 6 FPG) und der Annahme eines Naheverhältnisses zu einer terroristischen Gruppierung (§ 53 Abs. 3 Z 9 FPG) angesehen, ohne auch nur ansatzweise Feststellungen zu Qualität, Art und Umfang der angenommenen Angehörigkeit zu einer solchen Organisation und allfälligen Tätigkeiten des Revisionswerbers in oder für die Gruppierung zu treffen. Vielmehr legt das Verwaltungsgericht seiner Gefährdungsprognose nur Mutmaßungen zugrunde, wenn es davon ausgeht, dass die Tatsache, dass der Revisionswerber freiwillig vor fünf Jahren für drei Monate bei der HTS gewesen sei, ein von ihm ausgehendes Gefährdungspotential bewirke. Dies begründete das Bundesverwaltungsgericht im Kern damit, dass Personen sowohl aus ideologischen als auch wirtschaftlichen Gründen „dorthin“ (zur HTS) gingen. Hinsichtlich des Gesamtverhaltens des Revisionswerbers sei festzustellen, dass er im Verfahren mehrfach nachweislich die Unwahrheit gesagt habe, keine schlüssigen Angaben zu den Gründen und den Zeitpunkten des Aufenthalts in Syrien und der Ausreise aus der Türkei habe machen können, weshalb davon auszugehen sei, dass er die Gesinnung seines radikal islamistischen Gedankenguts nicht grundlegend geändert habe. Es lägen stichhaltige Gründe vor, dass der Revisionswerber eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle.

23 Mit diesen Ausführungen, die lediglich allgemein gehalten und spekulativ sind, legt das Verwaltungsgericht nicht dar, aufgrund welchen konkreten Verhaltens des Revisionswerbers ein entscheidungswesentliches Gefährdungspotential von ihm ausgehen sollte.

24 Das Unterbleiben näherer Feststellungen zum Gesamtverhalten des Revisionswerbers steht somit einer tauglichen Gefährdungsprognose entgegen.

25In Bezug auf die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes war das angefochtene Erkenntnis daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

26Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 10. April 2025