Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Dr. in Sembacher und Mag. Bayer als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Zeitfogel, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2024, W187 22878951/7E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
1Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger Syriens, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sunnitischen Glaubens, und stellte am 3. November 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Diesen begründete er damit, dass er ein Jahr zuvor zum Militärdienst hätte einrücken müssen und dass auch die kurdischen Milizen versucht hätten, ihn zu rekrutieren.
2 Mit Bescheid des Amtsrevisionswerbers vom 26. Jänner 2024 wurde dieser Antrag hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem Mitbeteiligten der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine auf die Dauer eines Jahres befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).
3 Der gegen Spruchpunkt I. erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukomme (Spruchpunkt A.). Die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte es für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).
4 Im Wesentlichen legte das Bundesverwaltungsgericht der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an den Mitbeteiligten zugrunde, dass dieser aus der Stadt Al Hol im Verwaltungsbezirk Al Hasaka stamme, die sich im Entscheidungszeitpunkt unter kurdischer Kontrolle befände. Wenige Kilometer davon entfernt liege eine näher genannte Stadt unter Kontrolle des syrischen Regimes. In Al Hasaka habe das syrische Regime Sicherheitsquadrate mit Rekrutierungskompetenz unterhalten. Der Mitbeteiligte sei im wehrdienstfähigen Alter, er habe im Jahr 2019 das Militärbuch und einen Einberufungsbefehl bekommen. Weiters sei er Rekrutierungsversuchen kurdischer Milizen ausgesetzt gewesen. Er lehne die politische Haltung des syrischen Regimes und anderer militärischer Gruppierungen ab, verabscheue kriegerische Auseinandersetzungen und lehne die Freikaufsmöglichkeit ab. Im Falle der Rückkehr bestehe daher für den Mitbeteiligten die reale Gefahr, erstmals zum (syrischen) Militär eingezogen zu werden. Die syrische Regierung würde ihm eine oppositionelle Gesinnung zumindest unterstellen und der Mitbeteiligte laufe daher Gefahr, unmittelbar, konkret und persönlich verfolgt zu werden. Es könne nicht festgestellt werden, ob bzw. welche nordostsyrischen Grenzübergänge aktuell ausreichend sicher wären. Der Grenzübertritt in Semalka stehe unter kurdischer Kontrolle und stelle keine legale und sichere Einreisemöglichkeit dar. Die Einreise und die Weiterreise in den Heimatort würden die Gefahr bergen an einem Checkpoint verhaftet zu werden. Eine sichere, zumutbare und legale Rückkehr sei zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich, weil Semalka kein offizieller Grenzübergang sei und es sich damit um eine unter Strafe gestellte illegale Einreise handeln würde.
5 Daraus folgerte das Bundesverwaltungsgericht rechtlich, dass mit entsprechend hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen sei, dass der Mitbeteiligte bereits unmittelbar bei Passieren von Checkpoints auf der Heimreise oder in seiner Heimatregion selbst vom syrischen Regime zum Militärdienst eingezogen werde. Dabei bestehe das reale Risiko, dass er zu völkerrechts und menschenrechtswidrigen Handlungen gezwungen und ihm im Falle einer Weigerung Haft bzw. asylrelevante Verfolgung drohen werde. Nach nicht näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liege eine dem Mitbeteiligten „objektiv drohende asylrelevante Verfolgung“ vor. Der syrische Staat könne ihn auch nicht schützen, weil von ihm die Verfolgung ausgehe. Auch liege keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative vor.
6Dagegen richtete sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, deren Zulässigkeit zunächst damit begründet wird, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Erreichbarkeit der Herkunftsregion (Verweis auf VwGH 29.2.2024, Ra 2024/18/0043, mwN) abgewichen; insbesondere sei vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen nicht nachvollziehbar, warum das Bundesverwaltungsgericht die Einreise über den Grenzübergang Semalka für „unzumutbar“ halte und davon ausgehe, dass der Mitbeteiligte vom syrischen Regime an Checkpoints aufgegriffen werde. Weiters sei das Bundesverwaltungsgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewichen.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der verwaltungsbehördlichen und verwaltungsgerichtlichen Akten ein Vorverfahren durchgeführt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hatin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Amtsrevision erweist sich im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsfrage als zulässig; sie ist auch begründet:
9Vorauszuschicken ist, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtmäßigkeit des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sachund Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen ist (vgl. etwa VwGH 27.6.2017, Ra 2017/18/0005, mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis davon aus, dass der Mitbeteiligte bei Rückkehr nach Syrien auf dem Weg in seine von Kurden beherrschte Heimatregion vom syrischen Regime schon an der Grenze oder bei Checkpoints aufgegriffen würde. Einen Grenzübertritt am Grenzübergang Semalka, der unter kurdischer Kontrolle stehe, erachtet das Bundesverwaltungsgericht als keine legale und sichere Einreisemöglichkeit.
11Dem hält die Revision zu Recht entgegen, dass das Bundesverwaltungsgericht damit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Aus asylrechtlicher Sicht kommt es nicht darauf an, ob die Einreise in einen verfolgungssicheren Landesteil aus der Sicht des potentiellen Verfolgers (hier: des syrischen Regimes) legal stattfindet, sondern nur, ob die den Grenzübergang beherrschenden Autoritäten eine Einreise in das sichere Gebiet zulassen (vgl. grundlegend VwGH 29.2.2024, Ra 2024/18/0043).
12Hinzu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht, wie die Revision zutreffend geltend macht, seine Annahme, der Mitbeteiligte werde mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit an einem Checkpoint aufgegriffen, nicht hinreichend begründet und sich mit den dazu vorliegenden Länderberichten nur unzureichend auseinandergesetzt hat, indem es ohne beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den uneinheitlichen Länderberichten (vgl. Erkenntnis Seite 51) die Auffassung vertrat, der Mitbeteiligte unterliege einer Rekrutierungsgefahr durch das syrische Regime (vgl. zur Begründungspflicht grundlegend VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).
13 Das angefochtene Erkenntnis ist bereits deshalb wegen prävalierend wahrzunehmenderRechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen eingegangen werden musste.
Wien, am 24. März 2025