Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. September 2024, Zl. W131 2261282 1/19E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M R in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Bescheid vom 15. September 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten, eines syrischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom 2. Oktober 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Mitbeteiligten jedoch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).
2 Der gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 2. Februar 2024, Zl. W131 2261282 1/9E, statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu, stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
3 Das Verwaltungsgericht führte im Wesentlichen aus, der Mitbeteiligte, der den Grundwehrdienst „für die syrische Regierung“ bereits geleistet habe, lehne die Ableistung des Reservemilitärdienstes aus Gewissensgründen ab. Der Mitbeteiligte stehe der syrischen Regierung und insbesondere auch dem syrischen Präsidenten ablehnend gegenüber und bezeichne diese als Verbrecher. Für ihn bestehe daher im Fall seiner Rückkehr die reale Gefahr, wegen seiner auch durch die Verweigerung des Reservemilitärdienstes verstärkt zum Ausdruck kommenden oppositionellen politischen Gesinnung getötet bzw. inhaftiert, gefoltert oder sonst menschenrechtswidrig behandelt zu werden.
4 Infolge der dagegen vom BFA (Amtsrevisionswerberin) erhobenen außerordentlichen Revision hob der Verwaltungsgerichtshof dieses Erkenntnis mit Erkenntnis vom 6. Juni 2024, Ra 2024/01/0075, (Vorerkenntnis) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.
5 Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht das lediglich allgemeine Feststellungen zur Lage von Reservemilitärdienstpflichtigen in Syrien getroffen hat habe nicht näher begründet, dass der Mitbeteiligte überhaupt zum Reservedienst herangezogen wurde. Es habe sich insbesondere mit den diesbezüglich (ausführlichen) beweiswürdigenden Argumenten im erstinstanzlichen Bescheid, wonach von einer Einberufung des Mitbeteiligten nicht auszugehen sei, nicht auseinandersetzt. Es habe zudem für den Fall, dass der Mitbeteiligte überhaupt aufgrund konkret darzulegender Umstände von der Einberufung zum Reservemilitärdienst betroffen sein sollte Ausführungen zum Vorliegen der dem Mitbeteiligten (im Falle der Verweigerung der Ableistung des Dienstes) mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit konkret drohenden asylrelevanten Verfolgung unterlassen; insoweit das Verwaltungsgericht dazu darauf verweise, dass die Angaben des Mitbeteiligten bezüglich seiner der syrischen Regierung ablehnend gegenüberstehenden Haltung der „festgestellten Länderberichtslage betreffend die Qualifizierung von Oppositionellen“ entspreche, greife diese Begründung zu kurz.
6 Das Verwaltungsgericht habe dadurch gegen die Grundsätze der ihm nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliegenden Begründungspflicht verstoßen; es sei insbesondere auch von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach es auf die beweiswürdigenden Argumente des BFA einzugehen und nachvollziehbar zu begründen habe, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt.
7 Im fortgesetzten Verfahren gab das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des BFA vom 15. September 2022 (neuerlich) statt, erkannte dem Mitbeteiligten abermals gemäß § 3 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu, stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt, und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
8 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass es die ablehnende Haltung des Mitbeteiligten gegenüber dem syrischen Regime bzw. dessen pazifistische Grundeinstellung für glaubwürdig erachte. Die Angaben des Mitbeteiligten bezüglich seiner der syrischen Regierung ablehnenden politischen Haltung würden auch der festgestellten Länderberichtslage betreffend die Klassifizierung von Oppositionellen entsprechen. Vor diesem Hintergrund würden sich die Rückkehrbefürchtungen des Mitbeteiligten als plausibel erweisen.
9 Den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht (neuerlich) pauschal mit dem mangelnden Vorliegen einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG.
10 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem der Mitbeteiligte unvertreten eine Revisionsbeantwortung erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
11 Die Amtsrevision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht habe (neuerlich) der ihm obliegenden Begründungspflicht nicht entsprochen, ua. dadurch, dass es sich mit den beweiswürdigenden Argumenten im erstinstanzlichen Bescheid nicht auseinandergesetzt habe. Es sei hiedurch von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.
12 Die Amtsrevision ist zulässig; sie ist auch berechtigt.
13 Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtzustand herzustellen. Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung sind die Verwaltungsbehörden bzw. Verwaltungsgerichte somit an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Im fortgesetzten Verfahren ist auch der Verwaltungsgerichtshof selbst gemäß § 63 Abs. 1 VwGG an die im aufhebenden Erkenntnis geäußerten Rechtsansichten gebunden (vgl. etwa VwGH 25.4.2017, Ra 2017/01/0091, mwN).
14 Vorauszuschicken ist, dass sich der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses eine (seit der Erlassung des erwähnten ersten Erkenntnisses vom 2. Februar 2024) eingetretene „wesentliche“ Änderung der Sach und Rechtslage nicht entnehmen lässt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Rechtmäßigkeit des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen (vgl. etwa VwGH 24.3.2025, Ra 2024/14/0464, mwN).
15 Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht seiner Verpflichtung zur Beachtung der Bindungswirkung des erwähnten Vorerkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes nicht entsprochen.
16 Das Verwaltungsgericht hat es nämlich (neuerlich) unterlassen darzulegen, weshalb der Mitbeteiligte überhaupt von der Einberufung zum Reservemilitärdienst betroffen sein sollte. Es hat sich diesbezüglich insbesondere abermals nicht mit den beweiswürdigenden Argumenten des BFA, wonach von einer Einberufung des Mitbeteiligten zum Reservemilitärdienst (und demnach auch vor der vom Mitbeteiligten vorgebrachten asylrelevanten Verfolgungsgefahr durch das syrische Regime) nicht auszugehen sei, nicht auseinandergesetzt.
17 Indem sich das Verwaltungsgericht nunmehr vielmehr darauf beschränkt, allgemein und unabhängig von einer Einberufung aufgrund einer angenommenen oppositionellen Gesinnung des Mitbeteiligten (vor dem Hintergrund der Länderberichte) eine asylrelevante Verfolgung des Mitbeteiligten durch das syrische Regime anzunehmen, hat es auch die ihm vom Verwaltungsgerichtshof weiters überbundene Rechtsauffassung, dass eine derartige Begründung zu kurz greift, nicht beachtet.
18 Das Verwaltungsgericht ist sohin von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beachtung der sich aus § 63 Abs. 1 VwGG ergebenden Bindungswirkung abgewichen und hat das angefochtene Erkenntnis deshalb mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
19 Im Übrigen sei angemerkt, dass sich das Verwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis nicht ansatzweise mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob bzw. in welcher Weise sich die angenommene „oppositionelle Gesinnung“ des Mitbeteiligten in einer für die syrische Regierung [Anm: damals „Assad“ Regierung] wahrnehmbaren Weise manifestiert und sich daraus eine konkrete Verfolgungsgefahr für den Mitbeteiligten ergeben hätte. Dies wäre aber gerade auf der Grundlage der vom Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf die „Country Guidance Syria“ der EUAA aus April 2024 getroffenen Feststellungen, wonach für„Personen, die von der Regierung als regierungsfeindlich angesehen werden, wie politische Aktivisten, Mitglieder von Oppositionsparteien, Personen, die an Protesten teilgenommen haben und Personen, die Kritik am Regime geäußert haben, die begründete Furcht vor Verfolgung im Allgemeinen begründet wäre“, erforderlich gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat insofern (abermals) nicht nachvollziehbar begründet, dass dem Mitbeteiligten eine Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohte und deswegen eine wohlbegründete Furcht des Mitbeteiligten vor Verfolgung zu bejahen wäre (vgl. zu diesen zentralen Aspekten einer Verfolgung im Sinne der GFK etwa VwGH 9.11.2022, Ra 2022/01/0152, mwN).
20 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21 Für das fortgesetzte Verfahren ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach (sofern sich aus dem Gesetz nichts Anderes ergibt) das Verwaltungsgericht seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach und Rechtslage auszurichten hat (vgl. etwa VwGH 12.12.2024, Ra 2024/19/0239, mwN).
Wien, am 19. Mai 2025