JudikaturVwGH

Ra 2024/11/0064 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Öffentliches Recht
09. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofrätinnen MMag. Ginthör und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des H W in N, vertreten durch Dr. Georg Ganner, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm Greil Straße 14/2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 26. Februar 2024, Zl. LVwG 2023/14/1836 8, betreffend Maßnahmenbeschwerde nach § 9 Unterbringungsgesetz iVm. § 46 Sicherheitspolizeigesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol die Maßnahmenbeschwerde des Revisionswerbers betreffend soweit vorliegend relevant die am 12. Juni 2023 zu einer näher genannten Uhrzeit durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zwangsweise durchgesetzte Vorführung des Revisionswerbers in die psychiatrische Abteilung des Landeskrankenhauses H unter der Verwendung einer Dienstwaffe („Taser“) ab. Der Revisionswerber wurde zum Aufwandersatz verpflichtet. Die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.

2 Dagegen („soweit die Beschwerde des Revisionswerbers im Punkt ‚Einsatz eines Tasers zur Durchsetzung der Vorführung in eine Krankenanstalt wegen Fremdgefährdung‘ als unbegründet abgewiesen wurde“) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist:

3 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

4Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

5Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen (siehe VwGH 1.10.2024, Ra 2024/11/0046).

6 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht sei von im Übrigen nicht näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es den Einsatz eines „Tasers“ fallbezogen als verhältnismäßig beurteilt habe, zeigt sie eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht auf.

7Die Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Verbringung des Revisionswerbers in die psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses gemäß § 9 Abs. 2 Unterbringungsgesetz (UbG) iVm. § 46 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), in der bis 30. Juni 2023 in Geltung gestandenen und im Revisionsfall maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 147/2022, wird in der allein maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung nicht substantiiert in Zweifel gezogen.

8 Auf Basis der insbesondere im Rahmen zweier Verhandlungstermine gewonnenen, umfangreichen Ermittlungsergebnisse und der dazu getroffenen Sachverhaltsfeststellungen setzte sich das Verwaltungsgericht auch eingehend und nachvollziehbar mit der Frage der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes eines „Tasers“ sowie etwaiger alternativer Vorgangsweisen im Revisionsfall auseinander. Es gelangte dabei nicht unvertretbar zur Auffassung, dass sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes in der gegenständlichen Situation ungeachtet der altersbedingten Gebrechlichkeit des Revisionswerbers aufgrund der Bewaffnung desselben mit einem Beil und nach diversen, allesamt erfolglos gebliebenen Versuchen, den an „Wahnstörungen“ leidenden Revisionswerber dazu zu bewegen, das von ihm als Drohung mit erhobener Hand in Kopfhöhe gehaltene Beil mit einer ca. 15 cm langen Klinge fallen zu lassen, keine adäquaten, gelinderen Handlungsalternativen geboten hätten.

9Hinsichtlich der verwaltungsgerichtlichen Beurteilung, fallbezogen sei dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprochen worden, gelingt es der Revision folglich nicht, eine Abweichung von der hg. Rechtsprechung darzulegen (zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie zu § 9 Abs. 3 UbG siehe etwa VwGH 21.6.2022, Ra 2021/11/0084; vgl. in diesem Zusammenhang auch VwGH 21.11.2023, Ro 2023/01/0012).

10 Der Revisionswerber führt ferner soweit die Revision dies erkennen lässt, unter dem Aspekt des Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ins Treffen, es stelle sich die Frage, ob das Ziel einer Amtshandlung jedenfalls über dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Waffen stehe, sowie die Frage, ob eine Interessenabwägung zwischen „Rückzug/Abbruch“ einer den Einsatz einer Dienstwaffe erfordernden Amtshandlung (durch Verlassen der Wohnung des Revisionswerbers) unter Schonung und Achtung der Menschenwürde des Betroffenen einerseits und dem lebensgefährlichen Einsatz einer Dienstwaffe zwecks Durchsetzung einer Amtshandlung zum Nachteil des Betroffenen andererseits anzustellen sei und ob diese Abwägung zugunsten des Betroffenen auszufallen habe.

11Diesbezüglich ist nochmals auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur erforderlichen Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu verweisen (siehe VwGH 21.6.2022, Ra 2021/11/0084, mwN). Dass es aus Anlass des Revisionsfalls weiterer Leitlinien des Verwaltungsgerichtshofes bedürfte, ist nicht ersichtlich.

12 Zu den soeben dargestellten Ausführungen des Revisionswerbers ist zudem Folgendes festzuhalten:

13Vorliegend ist, da die Rechtmäßigkeit der zwangsweisen Verbringung des Revisionswerbers gemäß § 9 Abs. 2 UbG iVm. § 46 Abs. 2 SPG in der Zulässigkeitsbegründung nicht substantiiert in Frage gestellt wird, auch die Erfüllung des nach diesen Bestimmungen erforderlichen Tatbestandsmerkmals des Bestehens von „Gefahr im Verzug“ vorauszusetzen (vgl. dazu VwGH 17.3.2016, Ra 2016/11/0014; VwGH 26.7.2005, 2004/11/0070 [VwSlg. 16.688/A], mwN). Im Übrigen wurden die im gegenständlichen Zusammenhang relevanten Umstände durch das Verwaltungsgericht siehe dazu auch obenumfassend und im Ergebnis vertretbar gewürdigt, woraus sich auch ergibt, dass die in Rede stehende Amtshandlung am 12. Juni 2023 nicht schlicht durch Verlassen der Wohnung abzubrechen war (siehe zudem erneut VwGH 21.11.2023, Ro 2023/01/0012; mit diesem Beschluss wurde die Revision des Revisionswerbers betreffend das am 1. Februar 2023 erfolgte Betreten seiner Wohnung [§ 39 Abs. 1 SPG] zwecks Abwehr eines gefährlichen Angriffs im Sinn von § 16 Abs. 1 Z 1 iVm. Abs. 2 Z 1 SPG [Schädigung eines anderen an der Gesundheit; § 83 Abs. 1 StGB], den das Verwaltungsgericht in vergleichbarer Weise auch vorliegend als Anlass für das [aufgrund des eingeschränkten Anfechtungsumfangs der Revision hier nicht gegenständliche] Betreten der Wohnung des Revisionswerbers am 12. Juni 2023 annahm, zurückgewiesen).

14 Da somit die Voraussetzungen nach Art. 133 Abs. 4 BVG nicht gegeben sind, war die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 9. Jänner 2025