JudikaturVwGH

Ra 2024/11/0055 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
07. Januar 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm und den Hofrat Dr. Faber sowie die Hofrätin Dr. in Oswald als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Kreil, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 22. Jänner 2024, Zl. LVwG652983/7/WP, betreffend Entziehung einer Lenkberechtigung nach dem FSG (mitbeteiligte Partei: E P, vertreten durch die K M R Rechtsanwaltssocietät Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier in 4722 Peuerbach, Steegenstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 1. Mit Bescheid vom 3. Oktober 2023 entzog die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde dem Mitbeteiligten die Lenkberechtigung für alle Klassen für die Dauer von zwölf Monaten und sprach aus, dass während der Entziehungsdauer auch das Lenken von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen unzulässig sei und eine allfällige ausländische Nicht-EWR-Lenkberechtigung sowie ein allfälliger ausländischer EWR-Führerschein für dieselbe Dauer entzogen werden.

2 Die belangte Behörde führte in der Bescheidbegründung aus, laut einer Meldung des Landeskriminalamtes Oberösterreich stünden der Mitbeteiligte und eine weitere Person im dringenden Tatverdacht, mehrere Schleppungen von Personen von Wien nach Deutschland durchgeführt zu haben, wobei der Mitbeteiligte als „Vorausfahrer“ fungiert habe. Aus einem von der belangten Behörde bei der Bundespolizeiinspektion Passau angeforderten Ermittlungsbericht ergebe sich, dass der Mitbeteiligte an mindestens sieben „Schleusungsfahrten“ in einem näher genannten Zeitraum als „Schleusungsfahrer“ bzw. „Scoutfahrer“ beteiligt gewesen sei und mindestens ca. 11.600,-- Euro für die Einschleusung von 29 ausweislosen Drittstaatsangehörigen nach Deutschland erhalten habe. Dieser Verdacht stütze sich auf die Zeugenvernehmungen der Geschleusten und die Auswertung von Handydaten, insbesondere deliktischer Chats. Die Mobilfunkdaten zeigten auf, dass der Mitbeteiligte sich zum Tatzeitpunkt in der Funkzelle des Tatortes befunden habe. Auf dem Mobiltelefon des Mitbeteiligten seien zudem mehrere Bestätigungsvideos der durchgeführten Schleusungen gefunden worden. Der Mitbeteiligte habe bei einer im Zuge der Ermittlungen der Bundespolizeiinspektion Passau durchgeführten Vernehmung zwei der Schleusungsfahrten zugegeben. Ausgehend davon, dass der Mitbeteiligte wiederkehrend und gewerbsmäßig Schlepperei begangen habe, wobei bis zu sieben Personen auf einmal transportiert worden seien und sich bei einer Fahrt eine Person im Kofferraum des Tatfahrzeuges befunden habe, verneinte die belangte Behörde die Verkehrszuverlässigkeit des Mitbeteiligten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 und Abs. 3 des FührerscheingesetzesFSG.

3 2. In Stattgabe der gegen diesen Bescheid gerichteten Beschwerde des Mitbeteiligten wies das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit dem angefochtenen Beschluss unter Aufhebung des Bescheides der belangten Behörde die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurück. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die belangte Behörde habe ihre Feststellungen ausschließlich auf die Meldung der Landespolizeidirektion Oberösterreich sowie den vorläufigen Ermittlungsbericht der Bundespolizeiinspektion Passau gestützt. Eigene Ermittlungen, etwa in Form der Einvernahme des laut Anklageschrift teilweise geständigen Mitbeteiligten oder eines namentlich genannten, laut Anklageschrift umfassend geständigen Zeugen, habe die belangte Behörde gänzlich unterlassen. Wenngleich das Verwaltungsgericht nicht verkenne, dass eigene Ermittlungen im Hinblick auf einen Sachverhalt im Ausland mit besonderen Schwierigkeiten verbunden seien, wären die genannten Ermittlungsschritte möglich und geeignet gewesen, um sich ein „zumindest vorläufiges“ Bild hinsichtlich der Verkehrszuverlässigkeit des Mitbeteiligten zu machen. Indem die belangte Behörde keine Ermittlungsschritte gesetzt habe, sei der Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen gewesen.

5 3. Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision der belangten Behörde. Im vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung.

64. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

74.1. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG abgewichen. Die belangte Behörde habe sehr wohl Ermittlungsschritte gesetzt. Die Begründung des angefochtenen Beschlusses lasse zudem nicht erkennen, weshalb die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens durch das Verwaltungsgericht selbst nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden gewesen wäre.

8 Die Revision ist aus den dargelegten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.

94.2. Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Zurückverweisung einer Rechtssache an die Verwaltungsbehörde eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte darstellt. Nach dem damit gebotenen Verständnis steht diese Möglichkeit nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das in § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden. Selbst Bescheide, die in der Begründung dürftig sind, rechtfertigen keine Zurückverweisung der Sache, wenn brauchbare Ermittlungsergebnisse vorliegen, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden Verhandlung (§ 24 VwGVG) zu vervollständigen sind (siehe etwa VwGH 5.9.2023, Ra 2022/11/0204, mwN).

10 4.3. Gegenständlich legt der angefochtene Beschluss nicht dar, dass im Sinn der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung eine Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde gerechtfertigt gewesen wäre. Bei den vom Verwaltungsgericht angenommenen Mängeln handelt es sich nicht um krasse bzw. besonders gravierende Ermittlungslücken im oben dargestellten Sinn. Weder hat die belangte Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, noch ist davon auszugehen, dass die Klärung von vom Verwaltungsgericht allenfalls als offen angesehenen Fragen besonders schwierige und umfangreiche Ermittlungen erforderte, welche die belangte Behörde unterließ, damit diese dann vom Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

11Dass allenfalls noch ergänzende Ermittlungen oder Einvernahmen, gegebenenfalls im Rahmen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht notwendig gewesen wären, stellt für sich genommen keinen Grund für eine Aufhebung und Zurückverweisung dar (siehe etwa VwGH 29.8.2023, Ra 2023/08/0044, mwN). Somit lagen die Voraussetzungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG nicht vor.

124.4. Der angefochtene Beschluss erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 7. Jänner 2025