Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der B in S, vertreten durch Dr. Stefan Gloß, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner, Dr. Peter Gloß und Mag. Alexander Enzenhofer, Rechtsanwälte in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 3, gegen das am 10. Juni 2024 mündlich verkündete und am selben Tag schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich, LVwG S 285/001 2024, betreffend Übertretungen der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 16. Jänner 2024 wurde der Revisionswerberin mit Spruchpunkt 1. zur Last gelegt, sie sei am 22. Februar 2023 um 12:04 Uhr an einem näher bezeichneten Ort als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten PKW mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten. Mit Spruchpunkt 2. wurde die Revisionswerberin schuldig erkannt, nach diesem Verkehrsunfall nicht an der Sachverhaltsfeststellung mitgewirkt zu haben, weil sie es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht habe, ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallzeitpunkt festzustellen. Mit Spruchpunkt 3. dieses Straferkenntnisses wurde der Revisionswerberin angelastet, sie habe nach diesem Verkehrsunfall mit Sachschaden nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl sie und die Person(en), in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen hätten. Die Revisionswerberin habe dadurch zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO, zu 2. § 4 Abs. 1 lit. c StVO und zu 3. § 4 Abs. 5 StVO verletzt, weshalb über sie zu Spruchpunkt 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 220, (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage), zu Spruchpunkt 2. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 250, (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage und 2 Stunden) und zu Spruchpunkt 3. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 20 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurden.
2 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10. Juni 2024 mündlich verkündeten und über rechtzeitigen Antrag der Revisionswerberin schriftlich ausgefertigten Erkenntnis vom selben Tag wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab, setzte einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens fest und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte zum Schadenseintritt sowie zu dessen Wahrnehmbarkeit fest, die Revisionswerberin habe zur Tatzeit am Tatort beim Ausparken an einem dort geparkten Kfz einen näher definierten Schaden verursacht und den Tatort ohne anzuhalten verlassen. Der Schaden sei von einem Sachverständigen nach einer Stellprobe der beiden Fahrzeuge als wahrscheinlich vom Fahrzeug der Revisionswerberin verursacht festgestellt und von der Haftpflichtversicherung der Revisionswerberin bezahlt worden. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin den Anprall physisch gespürt habe. Der Anprallbereich sei im Sichtfeld der Revisionswerberin gelegen. Sie hätte bei gehöriger Aufmerksamkeit erkennen müssen, dass beim Vorbeifahren am beschädigten Fahrzeug eine Berührung erfolgt sein könnte.
4 Nach Darlegung seiner beweiswürdigenden Erwägungen führte das Verwaltungsgericht in Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes rechtlich aus, die objektive und die subjektive Tatseite seien als verwirklicht zu betrachten. Für den subjektiven Tatbestand genüge Fahrlässigkeit. Das eingeholte Sachverständigengutachten habe der Revisionswerberin aufgrund des Schadensbildes zugestanden, dass sie den Aufprall rein physisch nicht gespürt haben könnte. Im Einklang mit der Aussage der überaus glaubwürdigen Zeugin habe der Gutachter jedoch festgestellt, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalles davon auszugehen sei, dass der Revisionswerberin zumindest hätte bewusst gewesen sein müssen, dass ein Anprall aufgrund der engen Platzverhältnisse möglich gewesen sei. Sie hätte sich daher nicht auf die ausgebliebene physische Wahrnehmung eines Anpralls verlassen dürfen, sondern hätte aussteigen und sich vergewissern müssen, ob es eine allenfalls nicht spürbare Fahrzeugberührung gegeben habe oder nicht. Dieses rechtmäßige Alternativverhalten hätte ihr zweifellos offenbart, dass sie soeben einen Unfall mit Sachschaden verursacht habe. Das Unterlassen dieser Sorgfalt reiche zur Strafbarkeit jedenfalls aus. Anschließend begründete das Verwaltungsgericht die Abweisung eines näher umschriebenen Beweisantrages und erläuterte seine Strafbemessung.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Das von der Revisionswerberin angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, drei verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin drei voneinander unabhängige Spruchpunkte. Mit der Abweisung der Beschwerde der Revisionswerberin übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des mit der Beschwerde bekämpften Straferkenntnisses der belangten Behörde. Durch die Übernahme dieser Spruchpunkte hat auch das Verwaltungsgericht getrennte Absprüche getroffen (vgl. z.B. VwGH 5.10.2023, Ra 2023/02/0172, mwN).
7 Liegen wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/02/0165, mwN).
8 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses richtet, ist auszuführen:
9 Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe von bis zu € 750, und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu € 400, verhängt wurde.
10 Diese Voraussetzungen treffen für den Abspruch des Verwaltungsgerichtes zu Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses zu. Über die Revisionswerberin wurde wegen Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 20 Stunden) verhängt, wobei der Strafrahmen der anzuwendenden Strafnorm € 726, beträgt.
11 Bei der im Sinne des § 25a Abs. 4 Z 1 VwGG in der Strafdrohung vorgesehenen „Freiheitsstrafe“ muss es sich um eine primäre Freiheitsstrafe handeln (vgl. z.B. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, mwN). Eine solche ist hinsichtlich der vorgenannten Übertretung der StVO jedoch nicht vorgesehen.
12 Die Revision erweist sich daher, soweit das Verwaltungsgericht über Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses entschieden hat, gemäß § 25a Abs. 4 VwGG als absolut unzulässig.
13 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 1. und 2. des Straferkenntnisses richtet, ist auszuführen:
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
17 In der demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebenden Zulässigkeitsbegründung (vgl. z.B. VwGH 19.6.2024, Ra 2024/02/0132, mwN) wird geltend gemacht, das Verwaltungsgericht habe die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen. Die diesbezügliche Beurteilung sei grob fehlerhaft erfolgt bzw. habe zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt. Die Revisionswerberin habe in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie ihr Fahrzeug im Schritttempo ausgeparkt, Kontrollblicke gesetzt und mittig geparkt habe. Das Verhalten der Revisionswerberin sei „StVO konform“ erfolgt; sie habe jegliche Aufmerksamkeit eingehalten.
18 Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass für die Annahme der fahrlässigen Begehung einer Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO nicht die fahrlässige Herbeiführung des Verkehrsunfalles, sondern ein fahrlässiges Verhalten, das verhindert, dass dem Täter der Eintritt des Verkehrsunfalles zum Bewusstsein gekommen ist, entscheidend ist (vgl. VwGH 5.10.1994, 94/03/0099; sowie z.B. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, jeweils mwN).
19 Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu bereits ausgesprochen, dass die Tatbestände des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO in subjektiver Hinsicht schon dann erfüllt sind, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (vgl. VwGH 20.3.2002, 99/03/0316, mwN).
20 Der Maßstab der an das Verhalten des Täters zu legenden Sorgfaltspflicht ist hierbei umso höher, je riskanter das Fahrmanöver war, das letztlich zu dem zugrundeliegenden Verkehrsunfall geführt hat (vgl. erneut VwGH 5.10.1994, 94/03/0099, mwN). So hat der Lenker eines Fahrzeuges bei und nach riskanten Fahrmanövern, bei welchen die dringende Gefahr einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug besteht, den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und sich zu vergewissern, ob sein Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Unterlässt er dies, so ist sein Nichtwissen von einem von ihm derart verursachten Unfall verschuldet (vgl. VwGH 2.7.2018, Ra 2018/02/0203; vgl. zu einem riskanten Fahrmanöver beim Ausparken aus einer engen Parklücke VwGH 30.3.2001, 2000/02/0169; sowie zu einer unterlassenen Nachschau VwGH 17.4.1991, 90/02/0206).
21 Das Verwaltungsgericht erblickte insbesondere gestützt auf das von ihm eingeholte Gutachten vom 21. Mai 2024, in welchem der Sachverständige unter Berücksichtigung der konkreten Umstände und der Fahrzeugeigenschaften u.a. ausführte, die Revisionswerberin hätte die Nähe zum Fahrzeug der Unfallgegnerin während ihres Fahrmanövers infolge der engen Platzverhältnisse bei ausreichender Aufmerksamkeit erkennen müssen und somit die Möglichkeit einer Kontaktierung nicht ausschließen können die Unterlassung der gebotenen Sorgfalt darin, dass bereits die beengten räumlichen Verhältnisse die Revisionswerberin dazu hätten veranlassen müssen, die Möglichkeit eines Kontaktes mit dem beschädigten Fahrzeug in Betracht zu ziehen und sich infolgedessen zu vergewissern, ob ihr das Fahrmanöver ohne Verursachung eines Schadens gelungen sei.
22 Eine grob fehlerhafte Beweiswürdigung wird vor diesem Hintergrund in der Zulässigkeitsbegründung nicht dargetan, sodass es der Revision nicht gelingt, die von ihr behauptete Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes aufzuzeigen.
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
24 Bei diesem Ergebnis erübrigte sich die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens im Hinblick auf das Fehlen eines Revisionspunktes (vgl. VwGH 4.5.2022, Ra 2022/02/0062).
Wien, am 2. September 2024