Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Andrés, über die Revision der V in S, vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf, Dr. Rainer Michael Kappacher und Dipl. Ing. MMag. Dr. Michael Kössler, Rechtsanwälte in 6500 Landeck, Malserstraße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 5. März 2025, LVwG 2024/20/2899 5, betreffend Übertretungen der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Landeck), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Landeck vom 14. Oktober 2024 wurde die Revisionswerberin schuldig erkannt, zu einer näher bestimmten Tatzeit an einem näher angeführten Tatort mit ihrem dem Kennzeichen nach bestimmten PKW als dessen Lenkerin mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden zu sein und ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten zu haben (Spruchpunkt 1.), an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt zu haben, da sie es durch das Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht habe, ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallzeitpunkt festzustellen (Spruchpunkt 2.) und nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt zu haben, obwohl sie und die Personen, in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen haben (Spruchpunkt 3.). Sie habe dadurch zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO, zu 2. § 4 Abs. 1 lit. c StVO und zu 3. § 4 Abs. 5 StVO übertreten. Über sie wurden zu 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 250, (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage und 2 Stunden) zu 2. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 250, (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage und 2 Stunden) und zu 3. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage und 20 Stunden) verhängt.
2 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol (Verwaltungsgericht) wurde der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge gegeben, als die Geldstrafen bzw. Ersatzfreiheitsstrafen zu Spruchpunkt 1. auf € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag 22 Stunden), zu Spruchpunkt 2. auf € 50, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag) und zu Spruchpunkt 3. auf € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 22 Stunden) herabgesetzt wurden. Ferner wurden Kostenbeiträge festgesetzt und die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.
3 Das Verwaltungsgericht stellte zum Verkehrsunfall sowie zu dessen Wahrnehmbarkeit fest, die Revisionswerberin habe zur Tatzeit am Tatort einen Ausparkvorgang eingeleitet und diesen fortgesetzt, obwohl die sich im Fließverkehr annähernde M, welche angenommen hatte, dass die Revisionswerberin ihren Ausparkvorgang nicht fortsetzen und sie passieren lassen würde, Lichtzeichen abgegeben hatte. Um eine Kollision zu verhindern, habe M eine Vollbremsung vornehmen müssen, wodurch der nachfolgende Lenker auf den PKW der M auffuhr; dadurch sei es zu Beschädigungen dieser beiden Fahrzeuge gekommen. In der Folge habe M ca. 6 bis 7 Mal gehupt, was die Revisionswerberin bei gehöriger Aufmerksamkeit wahrnehmen hätte müssen. Im Rückspiegel habe die Revisionswerberin die Handzeichen der M wahrgenommen, dies aber als Aufforderung zum Weiterfahren verstanden. Den Unfall habe die Revisionswerberin nicht wahrgenommen und ihre Fahrt fortgesetzt.
4 Nach Darlegung seiner beweiswürdigenden Erwägungen führte das Verwaltungsgericht in Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes rechtlich aus, das objektive Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 1 StVO betreffend den ursächlichen Zusammenhang des Verhaltens einer Person am Unfallort mit einem Verkehrsunfall sei verwirklicht, da das Ausparkmanöver der Revisionswerberin am Unfallort kausal für die Vollbremsung der M gewesen sei, welches wiederum der Auslöser für den Auffahrunfall gewesen sei. Dadurch, dass die Revisionswerberin sich vom Unfallort ohne stehenzubleiben und ohne den weiteren Verpflichtungen gemäß § 4 StVO nachzukommen, entfernt habe, seien die objektiven Tatbestände des § 4 Abs. 1 lit. a und c und Abs. 5 StVO erfüllt.
5 Zur Frage des Verschuldens hielt das Verwaltungsgericht nach Darstellung der maßgeblichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes fest, dass die subjektive Tatseite der § 4 Abs. 1 lit. a und c StVO schon dann erfüllt seien, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Dabei sei der Maßstab der an das Verhalten des Täters zu legenden Sorgfaltspflicht umso höher, je riskanter das Fahrmanöver gewesen sei, welches letztlich zu dem zugrundeliegenden Unfall geführt habe. Im gegenständlichen Fall habe die Revisionswerberin ein Ausparkmanöver gesetzt, bei welchem ihr offenbar ein Aufmerksamkeitsfehler unterlaufen sei und das die im Fließverkehr befindliche M zu einer Vollbremsung genötigt habe. Bei einem Ausparken ohne Beachtung des Fließverkehrs bestehe hohes Unfallrisiko, damit habe die Revisionswerberin ein im Sinne der angeführten Rechtsprechung riskantes Fahrmanöver gesetzt, und daher habe für sie die Verpflichtung bestanden, den Geschehnissen um ihr Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Bei ausreichender Aufmerksamkeit hätte sie angesichts der abgegebenen Warnzeichen (Lichtzeichen, mehrmaliges Hupen), der Ausparkposition und der Handzeichen der M erkennen müssen, dass die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls bestanden habe, somit sei auch die subjektive Tatseite erfüllt. Ferner bejahte das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 lit. c StVO unter Hinweis auf VwGH 16.10.2024, Ra 2024/02/0212, damit, dass die Meldeverpflichtung gemäß § 4 Abs. 5 StVO verletzt worden sei und daher auch eine Aufnahme des Tatbestands durch die Polizei erforderlich gewesen sei. Anschließend begründete das Verwaltungsgericht seine Strafbemessung.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Das von der Revisionswerberin angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, drei verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin drei voneinander unabhängige Spruchpunkte. Liegen wie hier trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/02/0165, mwN).
8 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses richtet, ist auszuführen:
9 Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe von bis zu € 750, und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu € 400, verhängt wurde.
10 Diese Voraussetzungen treffen für den Abspruch des Verwaltungsgerichtes zu Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses zu. Über die Revisionswerberin wurde wegen Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 22 Stunden) verhängt, wobei der Strafrahmen der anzuwendenden Strafnorm bis zu € 726, beträgt.
11 Bei der im Sinne des § 25a Abs. 4 Z 1 VwGG in der Strafdrohung vorgesehenen „Freiheitsstrafe“ muss es sich um eine primäre Freiheitsstrafe handeln (vgl. z.B. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, mwN). Eine solche ist hinsichtlich der vorgenannten Übertretung der StVO jedoch nicht vorgesehen.
12 Die Revision erweist sich daher, soweit das Verwaltungsgericht über Spruchpunkt 3. des Straferkenntnisses entschieden hat, gemäß § 25a Abs. 4 VwGG als absolut unzulässig.
13 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 1. und 2. des Straferkenntnisses (somit die Übertretungen der § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO) richtet, ist auszuführen:
14 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
16 In der demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebenden Zulässigkeitsbegründung (vgl. z.B. VwGH 19.6.2024, Ra 2024/02/0132, mwN) wird unter Aufzählung dreier Fallkonstellationen aus der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht und in Abweichung von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes angenommen, dass die Revisionswerberin ein riskantes Fahrmanöver gesetzt habe. Ein aus einer Parklücke hinausfahrendes Fahrzeug begründe per se kein riskantes Fahrmanöver; dass das Herausfahren in Vorwärtsfahrt aus der Parklücke derart knapp erfolgt sei, dass ein im Fließverkehr befindliches Fahrzeug eine Kollision mit dem herausfahrenden Fahrzeug nicht oder kaum verhindern haben könne, sei nicht festgestellt worden. Die Revisionswerberin sei deshalb auch nicht zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet gewesen.
17 Eingangs ist darauf hinzuweisen, dass für die Annahme der fahrlässigen Begehung einer Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO nicht die fahrlässige Herbeiführung des Verkehrsunfalles, sondern ein fahrlässiges Verhalten, das verhindert, dass dem Täter der Eintritt des Verkehrsunfalles zum Bewusstsein gekommen ist, entscheidend ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat hierzu bereits ausgesprochen, dass die Tatbestände des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO in subjektiver Hinsicht schon dann erfüllt sind, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte. Der Maßstab der an das Verhalten des Täters zu legenden Sorgfaltspflicht ist hierbei umso höher, je riskanter das Fahrmanöver war, das letztlich zu dem zugrundeliegenden Verkehrsunfall geführt hat. So hat der Lenker eines Fahrzeuges bei und nach riskanten Fahrmanövern, bei welchen die dringende Gefahr einer Kollision mit einem anderen Fahrzeug besteht, den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und sich zu vergewissern, ob sein Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Unterlässt er dies, so ist sein Nichtwissen von einem von ihm derart verursachten Unfall verschuldet (vgl. zum Ganzen und unter Anführung von Fallkonstellationen erneut VwGH 2.9.2024, Ra 2024/02/0169, mwN).
18 Das Verwaltungsgericht ist im vorliegenden Einzelfall unter Beachtung der dargestellten Leitlinien der Judikatur in einer jedenfalls vertretbaren Beweiswürdigung unter Zugrundelegung der als glaubwürdig erachteten Zeugenaussagen zum Ergebnis gekommen, dass die Revisionswerberin durch das Herausfahren aus der Parklücke unter Außerachtlassung des Fließverkehrs ein riskantes Fahrmanöver gesetzt hat, aufgrund dessen M eine Vollbremsung durchführen musste, wodurch es zu einem Auffahrunfall mit dem nachfahrenden PKW kam, sowie, dass die Revisionswerberin im Bewusstsein ihres riskanten Fahrmanövers zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet war und sich folglich hätte vergewissern müssen, dass sie durch ihr Fahrmanöver keinen Verkehrsunfall bzw. keinen Schaden verursacht habe. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Revisionswerberin nach dem festgestellten Sachverhalt aufgrund der mehrmaligen Warnzeichen (Lichtzeichen, Hupen, Gesten) und der Position der Autos (ihres und jenes der M) „Stoßstange an Stoßstange“ der Unfallsituation gewahr werden und sich demnach entsprechend vergewissern hätte müssen, ob ihr Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen sei. Dem Verwaltungsgericht kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn es im Einklang mit der hg. Judikatur auch die subjektive Tatseite als erfüllt ansah (vgl. dazu VwGH 7.3.2016, Ra 2016/02/0020, mwN). Die Revision hält dem in der Zulässigkeitsbegründung nichts Stichhaltiges entgegen.
19 Soweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung ferner behauptet, es sei in den Feststellungen offen geblieben, ob die von M durchgeführte Vollbremsung auf ein zu knappes Herausfahren der Revisionswerberin oder auf eine Unaufmerksamkeit der M zurückzuführen sei, entfernt sich die Revision vom festgestellten Sachverhalt, welcher gemäß § 41 VwGG den Ausgangspunkt für die Prüfung darstellt, ob eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt (vgl. etwa VwGH 22.10.2024, Ra 2024/02/0178, mwN). Angesichts der unbestrittenen Feststellungen, wonach M nach Einleitung des Ausparkmanövers durch die Revisionswerberin angenommen habe, dass diese sie wahrnehmen, den Ausparkvorgang nicht fortsetzen und sie passieren lassen würde, während die Revisionswerberin offenbar das Herannahen des PKW der M nicht bemerkt habe, kann von „ungeklärten Fragen auf Tatsachenebene“ nicht die Rede sein.
20 Soweit die Revision in der Zulässigkeitsbegründung schließlich die Begründung der Strafbemessung beanstandet, zeigt sie dadurch schon deshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung auf, weil auf dieses Vorbringen in den Revisionsgründen nicht mehr Bezug genommen wird (vgl. dazu etwa VwGH 28.11.2022, Ra 2022/12/0122, mwN). Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht entgegen der Behauptung in der Zulässigkeitsbegründung eine eingehende Begründung für die Herabsetzung der Strafen wie auch für die differenzierte Herabsetzung betreffend die Strafen für die Spruchpunkte 1 und 3 des Straferkenntnisses der belangten Behörde vorgenommen, der die Revision in der Zulässigkeitsbegründung nichts entgegenhält.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 27. Mai 2025