Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Mag. Dr. Maurer Kober, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision der E, vertreten durch Mag. Kurt Oberleitner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten vom 16. Juli 2025, KLVwG 803 804/7/2025, betreffend Übertretungen der StVO (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Kärnten), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 22. April 2025 wurde der Revisionswerberin mit Spruchpunkt 1. zur Last gelegt, sie sei am Tatort zur Tatzeit als Lenkerin eines dem Kennzeichen nach bestimmten PKW mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und habe ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten. Mit Spruchpunkt 2. dieses Straferkenntnisses wurde der Revisionswerberin angelastet, sie habe nach diesem Verkehrsunfall mit Sachschaden nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl sie und die Person(en), in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen hätten. Die Revisionswerberin habe dadurch zu 1. § 4 Abs. 1 lit. a StVO und zu 2. § 4 Abs. 5 StVO verletzt, weshalb über sie zu Spruchpunkt 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 200, (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage 3 Stunden) und zu Spruchpunkt 2. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe in der Höhe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag 22 Stunden) verhängt sowie ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurden.
2 Mit dem nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten (Verwaltungsgericht) die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab, setzte einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens fest und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.
3 Das Verwaltungsgericht stellte zum Schadenseintritt sowie zu dessen Wahrnehmbarkeit fest, die Revisionswerberin habe zur Tatzeit am Tatort beim Ausparken an einem dort geparkten KFZ einen näher definierten Schaden verursacht und den Tatort ohne anzuhalten verlassen. Zuvor habe es Blickkontakt zum Zeugen des Geschehens gegeben. Der Zeuge habe aus näheren Gründen freie Sicht auf das Geschehen gehabt. Die Schäden seien in der Folge von einer Polizeibeamtin fotografiert worden.
4 Beweiswürdigend erläuterte das Verwaltungsgericht u.a., den Angaben des unbeteiligten Zeugen, der das Anfahrgeräusch wahrgenommen habe, sei aus näheren Gründen zu folgen. Die Revisionswerberin habe an der Verhandlung nicht teilgenommen; ihre Ausführungen, nichts wahrgenommen zu haben, seien als Schutzbehauptungen zu qualifizieren. Rechtlich führte das Verwaltungsgericht nach umfassender Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes aus, die Revisionswerberin habe die objektive und die subjektive Tatseite der angelasteten Delikte verwirklicht; insbesondere liege ein Schaden vor. Für den subjektiven Tatbestand genüge Fahrlässigkeit. Beim Ein- und Ausparken handle es sich nach dieser Judikatur meist um Fahrsituationen, die durch räumliche Beengtheit und damit durch die Unterschreitung des Sicherheitsabstandes gekennzeichnet seien. Die Aufmerksamkeit des Lenkers müsse daher auf das Erkennen leisester Kontaktgeräusche und geringster Erschütterungen ausgerichtet sein, nötigenfalls habe der Lenker sogar auszusteigen und sich durch Nachschau zu überzeugen, dass durch sein Fahrverhalten kein Sachschaden an anderen Fahrzeugen eingetreten sei.
5 Fallbezogen habe die Revisionswerberin die von der Judikatur geforderte Aufmerksamkeit bzw. Sorgfalt beim Ausparken schon deshalb nicht eingehalten, weil sie die ihrer Meinung nach fehlende subjektive Tatseite unter anderem damit begründet habe, dass sie das in Rede stehende Fahrmanöver bei eingeschaltetem Radio durchgeführt und einen Kontakt weder akustisch noch durch das Verspüren eines Aufpralls wahrgenommen habe. Ein KFZ Lenker habe jedoch den Geschehnissen um sein Fahrzeug die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Komme er diesen Anforderungen nicht nach, so könne er sich nicht darauf berufen, dass er den Unfall nicht bemerkt und deshalb der Anhalte- und Meldepflicht nicht nachgekommen sei.
6 Zuletzt erläuterte das Verwaltungsgericht seine Strafbemessung.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8Das von der Revisionswerberin angefochtene Straferkenntnis der belangten Behörde enthielt den Vorwurf, zwei verschiedene Verwaltungsübertretungen begangen zu haben, mithin zwei voneinander unabhängige Spruchpunkte. Mit der Abweisung der Beschwerde der Revisionswerberin übernahm das Verwaltungsgericht den Spruch des mit der Beschwerde bekämpften Straferkenntnisses der belangten Behörde. Durch die Übernahme dieser Spruchpunkte hat auch das Verwaltungsgericht getrennte Absprüche getroffen (vgl. z.B. VwGH 5.10.2023, Ra 2023/02/0172, mwN).
9Liegen - wie hier - trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 10.9.2021, Ra 2021/02/0165, mwN).
10 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses richtet, ist auszuführen:
11Gemäß § 25a Abs. 4 VwGG ist eine Revision wegen Verletzung in Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B VG) nicht zulässig, wenn in einer Verwaltungsstrafsache eine Geldstrafe von bis zu € 750, und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu € 400, verhängt wurde.
12 Diese Voraussetzungen treffen für den Abspruch des Verwaltungsgerichtes zu Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses zu. Über die Revisionswerberin wurde wegen der Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe von € 100, (Ersatzfreiheitsstrafe 1 Tag und 22 Stunden) verhängt, wobei der Strafrahmen der anzuwendenden Strafnorm € 726, beträgt.
13Bei der im Sinne des § 25a Abs. 4 Z 1 VwGG in der Strafdrohung vorgesehenen „Freiheitsstrafe“ muss es sich um eine primäre Freiheitsstrafe handeln (vgl. z.B. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, mwN). Eine solche ist hinsichtlich der vorgenannten Übertretung der StVO jedoch nicht vorgesehen.
14Die Revision erweist sich daher, soweit das Verwaltungsgericht über Spruchpunkt 2. des Straferkenntnisses entschieden hat, gemäß § 25a Abs. 4 VwGG als absolut unzulässig.
15 Soweit sich die Revision gegen das angefochtene Erkenntnis betreffend Spruchpunkt 1. des Straferkenntnisses richtet, ist Folgendes auszuführen:
16 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
17Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
18Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
19In der demnach für die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgebenden Zulässigkeitsbegründung (vgl. z.B. VwGH 19.6.2024, Ra 2024/02/0132, mwN) wird geltend gemacht, das Verwaltungsgericht gehe in seiner rechtlichen Argumentation davon aus, ein Ein- bzw. Ausparkmanöver stelle grundsätzlich ein riskantes Fahrmanöver dar. Damit werde ein außerordentlich hoher Sorgfaltsmaßstab normiert, zumal im Ergebnis diese Betrachtungsweise dazu führe, dass selbst dann, wenn ein Fahrzeuglenker einen Verkehrsunfall nicht wahrgenommen habe und ihm insofern auch kein fahrlässiges Verhalten zur Last gelegt werden könne, er doch für eine Übertretung der Bestimmungen des § 4 Abs. 1 lit. a und Abs. 5 StVO herangezogen werden könne, wenn er dieser Überzeugungspflicht nicht entsprochen habe. Genau dies werde der Revisionswerberin zur Last gelegt, weshalb sich das Verwaltungsgericht mit der Frage der Erkennbarkeit des erfolgten Verkehrsunfalles gar nicht auseinandersetze. Eine derartige außerordentlich strenge Beurteilung der Tatbestandselemente sei dem Gesetz überhaupt nicht zu entnehmen. Es sei zwar zutreffend, dass die Rechtsprechung eine derartige Verpflichtung nach „riskanten Fahrmanövern“ tatsächlich bejahe; dies gelte aber keineswegs bei allen Ein- oder Ausparkmanövern, wie dies das Verwaltungsgericht annehme. Indem dieses den Anwendungsbereich der Rechtsprechung erweitere, weiche es von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Diese Ausweitung des Sorgfaltsmaßstabes sei durch die Rechtsprechung nicht gedeckt.
20Dazu ist Folgendes auszuführen: Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht des § 4 Abs. 1 lit. a StVO und des § 4 Abs. 5 leg. cit. ist als objektives Tatbildmerkmal der Eintritt wenigstens eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermochte (vgl. VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, mwN).
21Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, können die Delikte des § 4 StVO auch fahrlässig begangen werden (vgl. z.B. VwGH 2.9.2024, Ra 2024/02/0169, mwN).
22Für die Annahme der fahrlässigen Begehung einer Übertretung des § 4 Abs. 1 lit. a StVO ist dabei nicht die fahrlässige Herbeiführung des Verkehrsunfalles, sondern ein fahrlässiges Verhalten, das verhindert, dass dem Täter der Eintritt des Verkehrsunfalles zum Bewusstsein gekommen ist, entscheidend (vgl. VwGH 5.10.1994, 94/03/0099; sowie z.B. erneut VwGH 7.11.2022, Ra 2022/02/0195, jeweils mwN).
23 Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 lit. a StVO ist in subjektiver Hinsicht schon dann erfüllt, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (vgl. VwGH 20.3.2002, 99/03/0316, mwN).
24 Der Maßstab der an das Verhalten des Täters zu legenden Sorgfaltspflicht ist hierbei umso höher, je riskanter das Fahrmanöver war, das letztlich zu dem zugrundeliegenden Verkehrsunfall geführt hat (vgl. erneut VwGH 5.10.1994, 94/03/0099, mwN).
25 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht fallbezogen angesichts des von der Revisionswerberin durchgeführten Fahrmanövers zu Recht von fahrlässigem Verhalten ausgegangen ist, ist grundsätzlich keine Rechtsfrage, der über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG zukommt. Eine solche Rechtsfrage läge nur dann vor, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen worden wäre (vgl. etwa VwGH 22.11.2024, Ra 2024/02/0208, mwN).
26 Dies ist im Revisionsfall nicht ersichtlich, hat doch das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Revisionswerberin bei dem von ihr durchgeführten Fahrmanöver den Geschehnissen aufgrund des eingeschalteten Radios nicht ihre volle Aufmerksamkeit gewidmet habe und darin ihr fahrlässiges Verhalten liege (vgl. zur Berücksichtigung dieses Umstands: VwGH 30.3.2001, 2000/02/0169).
27 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 18. September 2025