Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner, als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des G C, vertreten durch Dr. Christian Falkner, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Marchetstraße 6, gegen das am 2. August 2023 mündlich verkündete und mit 6. September 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L518 2275550 1/8E, betreffend Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Das Revisionsverfahren wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union in der Rechtssache C 446/24 über die mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes der Freien Hansestadt Bremen vom 17. Juni 2024, 2 LC 25/24, vorgelegten Fragen ausgesetzt.
1Der Revisionswerber, ein georgischer Staatsangehöriger, der erst seit 27. April 2022 eine Hauptwohnsitzmeldung in Österreich aufwies, wurde nach seiner Festnahme am 28. April 2022 mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. August 2022 wegen (teilweise versuchten) schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5, 129 Abs. 2 Z 1, 130 Abs. 3; 15 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von viereinhalb Jahren verurteilt.
2Mit Bescheid vom 22. Juni 2023 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) aus, dass dem Revisionswerber (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde (Spruchpunkt I.), es erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte das BFA gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte somit nach § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte V. und VI.). Mit Bezug auf die genannte Verurteilung des Revisionswerbers verhängte das BFA gegen ihn außerdem gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.).
3Die nur gegen Spruchpunkt IV. dieses Bescheides gerichtete Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen, am Ende der mündlichen Verhandlung am 2. August 2023 verkündeten und über rechtzeitigen Antrag mit 6. September 2023 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision. Im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
5 Die Revision wendet sich unter anderem mit näherer Begründung gegen die unbefristete Dauer des verhängten Einreiseverbotes und bringt insoweit zusammenfassend vor, dass über den Revisionswerber lediglich ein Einreiseverbot „in angemessenem zeitlichen Ausmaß“ zu verhängen gewesen wäre.
6§ 53 FPG, der in Umsetzung der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) ergangen ist (so ausdrücklich die ErläutRV zum FrÄG 2011: 1078 BlgNR 24. GP 29 f), lautet auszugsweise:
„Einreiseverbot
§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.
(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat das Bundesamt das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige
(...)
(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn
1. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;
2. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;
3. ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;
4. ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;
5. ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;
6.auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);
7. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet;
8. ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt oder
9. der Drittstaatsangehörige ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können, oder auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass er durch Verbreitung in Wort, Bild oder Schrift andere Personen oder Organisationen von seiner gegen die Wertvorstellungen eines europäischen demokratischen Staates und seiner Gesellschaft gerichteten Einstellung zu überzeugen versucht oder versucht hat oder auf andere Weise eine Person oder Organisation unterstützt, die die Verbreitung solchen Gedankengutes fördert oder gutheißt.
(...)“
7 Mit Beschluss vom 17. Juni 2024 hat das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
„Sind Art. 3 Nr. 6 und Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger dahingehend auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der gegen eine Person, deren Aufenthaltsrecht beendet und gegen die eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, weil sie eine terroristische Gefahr darstellt, in der Regel ein unbefristetes Einreiseverbot zu erlassen ist?“
8 Zur Begründung dieses Beschlusses führte das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen unter anderem aus, Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie definiere „Einreiseverbot“ als Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt „für einen bestimmten Zeitraum untersagt“ werde; nach Art. 11 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sei für das Einreiseverbot eine „Dauer“ festzusetzen. Es stelle sich die Frage, ob diese Bestimmungen dahingehend auszulegen seien, dass sie der Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots entgegenstehen, wie es die deutsche Rechtslage bei Ausländern, deren Aufenthalt zur Abwehr einer terroristischen Gefahr beendet wurde, als Regelfall vorsehe.
9 In der deutschen Literatur und Judikatur werde die Zulässigkeit der Verhängung unbefristeter Einreiseverbote im Hinblick auf die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unterschiedlich beantwortet.
10 Einerseits bestehe die Auffassung, aus Art. 11 Abs. 2 und Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie folge, dass eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten bestehe, alle Einreiseverbote zu befristen, unabhängig von einem hierauf gerichteten Antrag des betroffenen Drittstaatsangehörigen. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe sich in seinem Urteil EuGH 19.9.2013, C 297/12, Filev und Osmani , dafür ausgesprochen, Art. 11 Abs. 2 iVm Art. 3 Nr. 6 der Rückführungsrichtlinie im Sinne eines Verbots unbefristeter Einreiseverbote zu verstehen.
11 Andererseits so fasste das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen dann den gegenteiligen Meinungsstand zusammen werde vertreten, dass bloß die systematische Verhängung lebenslanger Einreiseverbote, ohne dabei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, nicht mit der Rückführungsrichtlinie vereinbar sei und dass demgegenüber unbefristete Einreiseverbote, die die Einzelfallumstände berücksichtigten, von der Richtlinie gedeckt seien. Die Rückführungsrichtlinie sei dieser Auffassung zufolge nicht auf die Harmonisierung der nationalen Vorschriften über die Abwehr von Gefahren für die innere Sicherheit ausgerichtet; nichts deute darauf hin, dass die Richtlinie unbefristete Einreiseverbote generell verbiete. Die Aussage des Gerichtshofs der Europäischen Union in Rn. 27 des schon erwähnten Urteils EuGH 19.9.2013, C 297/12, Filev und Osmani , wonach eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten bestehe, alle Einreiseverbote, unabhängig von einem Antrag des Betroffenen, zu befristen, müsse nach dieser Rechtsmeinung im Kontext der damals gestellten Vorlagefrage betrachtet werden. Es sei dort nur um die Frage gegangen, ob es unionrechtskonform sei, wenn Einreiseverbote zunächst unbefristet ausgesprochen und nur auf Antrag befristet werden. Damit sei nichts darüber ausgesagt, ob ausnahmsweise aus überragenden Gründen der Gefahrenabwehr ein unbefristetes Verbot ausgesprochen werden dürfe.
12Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bildet die Frage, wie Unionsrecht auszulegen ist, einschließlich der Frage, ob es unmittelbar anwendbar ist und eine Regelung des innerstaatlichen Rechts verdrängt, eine Vorfrage im Sinn des § 38 AVG, weil sie zufolge des Auslegungsmonopols des EuGH in Angelegenheiten des Unionsrechts von diesem Gericht zu entscheiden ist. Auf der Grundlage desgemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden§ 38 AVG können daher Verfahren bis zur in einem anderen Verfahren durch ein Gericht im Sinn des Art. 267 AEUV sei es ein österreichisches oder das eines anderen Mitgliedstaatesin einem gleich gelagerten Fall über eine (jeweils) präjudizielle Frage beim EuGH beantragten Vorabentscheidung ausgesetzt werden (vgl. VwGH 27.11.2023. Ra 2023/04/0221, Rn. 11/12, mwN; siehe auch VwGH 24.2.2022, Ra 2020/04/0187, Punkt 6. der Begründung, mwN).
13Der Beantwortung der vom Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen vorgelegten Frage durch den EuGH kommt für die Behandlung der vorliegenden Revision ebenfalls maßgebliche Bedeutung zu, zumal gegen den Revisionswerber in Ansehung seiner besonders gravierenden strafrechtlichen Delinquenz gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein Einreiseverbot mit unbefristeter Dauer verhängt wurde und sich auch für die österreichische Rechtslage die Frage nach der unionsrechtlichen Zulässigkeit von auf die Rückführungsrichtlinie gestützten, nicht befristeten Einreiseverboten stellt.
14 Das Revisionsverfahren war daher bis zur Vorabentscheidung des EuGH in der anhängigen Rechtssache C 446/24 mit Beschluss auszusetzen.
Wien, am 29. Jänner 2025