JudikaturVwGH

Ra 2022/17/0119 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des O S A A (auch O A), vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7B/2. OG, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2022, L531 21423252/3E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Nebenaussprüchen und eines Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 14. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Juni 2020 abgewiesen wurde. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak festgestellt und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen festgelegt. Der Revisionswerber verblieb unrechtmäßig im Bundesgebiet.

2Am 16. August 2021 übermittelte der Revisionswerber dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 sowie einen Antrag auf Heilung der Mängel der Nichtvorlage eines gültigen Reisedokuments und seiner Geburtsurkunde nach § 4 Asylgesetz Durchführungsverordnung 2005 (§ 4 AsylG DV 2005) vorab per Email.

3 Am 17. August 2021 brachte der Revisionswerber diese Anträge beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl persönlich ein und legte ein Konvolut von Beweismitteln vor. Teil dieses Konvoluts war ein abgelaufener irakischer Reisepass, der auf einen anderen Namen als jenen, unter dem der Revisionswerber zuvor aufgetreten war, ausgestellt ist. Zum Antrag auf Heilung der Mängel der fehlenden Vorlage eines gültigen Reisedokuments und einer Geburtsurkunde nach § 4 AsylG DV 2005 führte der Revisionswerber begründend aus, dass die irakische Botschaft in Wien über kein Reisepasssystem verfüge, weshalb die Ausstellung eines irakischen Reisepasses in Österreich nicht möglich sei. Sein darauf gerichteter Antrag sei durch die irakische Botschaft daher nicht einmal angenommen worden. Weiters habe man den Revisionswerber darauf hingewiesen, dass eine Ausstellung einer Geburtsurkunde nur im Irak beantragt werden könne und die irakische Botschaft in Wien dafür nicht zuständig sei. Deswegen sei es ihm nicht möglich, eine Geburtsurkunde und einen gültigen Reisepass vorzulegen.

4 Mit Email vom 7. Februar 2022 legte der Revisionswerber im Wege seiner Rechtsvertretung unter anderem Kopien von zwei Schreiben eines Konsuls der irakischen Botschaft in Wien vom 24. Jänner 2022 vor. Nach dem ersten Schreiben verfüge die irakische Botschaft in Wien über kein ausstellendes Reisepasssystem, weswegen sie den Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung eines Reisepasses nicht annehmen könne. Aus dem zweiten Schreiben geht hervor, dass der in dem durch den Revisionswerber vorgelegten abgelaufenen Reisepass vermerkte Nachname jener seines Großvaters sei und es im Irak nicht unüblich sei, dass in offiziellen Dokumenten der Name des Großvaters als Familienname angeführt werde.

5 Mit Bescheid vom 10. Mai 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylGDV 2005 ab und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Unter einem erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.

6 Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass nicht habe festgestellt werden können, welche Gründe den Revisionswerber an der Beibringung eines gültigen Reisedokuments gehindert hätten. Zwar verfüge die irakische Botschaft in Wien über kein Reisepasssystem, jedoch sei dies nur insofern richtig, als sie Reisepässe nicht selbst ausstelle, sodass dies nicht bedeute, dass für den Revisionswerber kein Reisepass ausgestellt werden könne. Es könne nicht festgestellt werden, welche Gespräche er bei der Botschaft tatsächlich geführt habe, weshalb die von ihm vorgelegte Bestätigung nicht als Nachweis der Unzumutbarkeit oder Unmöglichkeit der Ausstellung eines Reisepasses tauge. Laut Homepage der Botschaft würde diese etwa im Verlustfall Not oder Ersatzreisedokumente ausstellen. Daran würde die nicht einheitliche Namensführung des Revisionswerbers nichts ändern.

7 In der dagegen erhobenen Beschwerde, die mit einem Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung verbunden war, verwies der Revisionswerber auf seine durch die vorgelegte Bestätigung der Botschaft in Wien dokumentierten Bemühungen um die Ausstellung eines irakischen Reisepasses. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gehe davon aus, dass der Revisionswerber ein gültiges Reisedokument erlangen könne, lasse jedoch offen, auf welche Weise, zumal sein Reisepass nicht verloren gegangen, sondern nur abgelaufen sei.

8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit einer hier unwesentlichen Maßgabe ohne Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab. Es sprach weiters aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

9 Begründend ging auch das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Revisionswerber zwar ein Schreiben der irakischen Botschaft vorgelegt habe, in dem festgehalten worden sei, dass die Ausstellung eines Reisepasses nicht möglich sei. Die Erlangung eines gültigen Reisedokumentes, wozu auch ein Notreisepass zähle, hätte jedoch bei ausreichender Mitwirkung des Revisionswerbers möglich sein müssen. Dem Bundesverwaltungsgericht sei bekannt, dass von der irakischen Botschaft in Wien zumindest Notreisepässe ausgestellt würden, „wenn der Bürger seinen Pass verliert und bereit ist, in den Irak zurückzukehren“.

10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit nach § 28 Abs. 3 VwGVG unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt. Insbesondere hätte es mit Blick auf die im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ungeklärt gebliebene Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beschaffung eines Reisedokuments durch den Revisionswerber nicht nach § 21 Abs. 7 BFA VG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

11 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.

12Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13 Die Revision ist wegen Abweichens des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen für die Abstandnahme von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und begründet.

14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 12.11.2024, Ra 2022/17/0132, mwN).

15 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie in weiterer Folge das Bundesverwaltungsgericht begründeten die Abweisung des Antrages auf Mängelheilung im Wesentlichen mit einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Revisionswerber, weil er kein gültiges Reisedokument vorgelegt habe und auch die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Beschaffung eines solchen Dokuments nicht habe nachweisen können. Dazu legte der Revisionswerber jedoch eine Bestätigung eines Konsuls der irakischen Botschaft in Wien vor, demzufolge die Ausstellung eines Reisepasses nicht möglich sei, weswegen sein darauf gerichteter Antrag nicht in Behandlung genommen werde. Schon mit Blick darauf durfte das Bundesverwaltungsgericht nicht von einem im Sinne der vorzitierten Rechtsprechung geklärten Sachverhalt ausgehen, zumal das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch keine Feststellungen dazu getroffen hat, was der Revisionswerber unternommen hat, um ein Reisedokument zu erlangen. Am Umstand, dass daher kein hinreichend geklärter Sachverhalt vorlag, vermag auch die Ausführung des Bundesverwaltungsgerichts, dass die irakische Botschaft in Wien Notreisepässe ausstelle, wenn Bürger ihren Reisepass verlieren würden und bereit seien, in den Irak zurückzukehren, nichts zu ändern, zumal das Bundesverwaltungsgericht selbst davon ausgeht, dass der Revisionswerber seinen Pass nicht verloren hat, sondern dieser bloß abgelaufen ist.

16Da die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich nur dann eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigt, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylGDV 2005 zu kommen hat (vgl. wiederum VwGH 3.6.2024, Ra 2023/17/0022, mwN), hätte das Bundesverwaltungsgericht demnach im Hinblick auf die strittige Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beschaffung eines Reisedokuments jedenfalls die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung abhalten müssen.

17 Das angefochtene Erkenntnis war daher da die übrigen Aussprüche des Bundesverwaltungsgerichts die Versagung der Mängelheilung voraussetzen zur Gänzegemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.

19Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 23. April 2025