JudikaturVwGH

Ra 2023/12/0092 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrätin Dr. Holzinger und Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in Wien gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 25. April 2023, LVwG 414093/12/Py/MG, betreffend Übertretungen nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: M D, vertreten durch die Hochstöger Nowotny Wohlmacher Rechtsanwälte OG in Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang der Anfechtung (sohin soweit es das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 13. Jänner 2022 in Bezug auf das Glücksspielgerät „Nr.: FA 4 Gehäusebezeichnung: Seriennummer: 12.2319.19.20.0017“ aufgehoben, in diesem Umfang das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt und ausgesprochen hat, dass kein Kostenbeitrag zu leisten sei) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1 Mit Straferkenntnis vom 13. Jänner 2022 erkannte die belangte Behörde den Mitbeteiligten schuldig, § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz (GSpG) in 17 Fällen übertreten zu haben. Er habe am 6. August 2021 in einem näher bezeichneten Lokal gegen Entgelt die Veranstaltung verbotener Ausspielungen mit 17 näher konkretisierten Glücksspielgeräten geduldet und an der Auszahlung erzielter Spielgewinne sowie an der erneuten Bereitstellung der Geräte für die nächsten Spieler mitgewirkt. Er habe damit selbständig eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen aus der Durchführung von Glücksspielen ausgeübt, weshalb er als Unternehmer iSd § 2 Abs. 2 GSpG zu betrachten sei. Er habe somit Glücksspiele in Form von verbotenen Ausspielungen, an denen vom Inland aus habe teilgenommen werden können, unternehmerisch zugänglich gemacht.

2 Über den Mitbeteiligten wurden 17 Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 4.000, (sowie Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 44 Stunden) verhängt; ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens in der Höhe von € 6.800, wurde auferlegt.

3 In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde brachte der Mitbeteiligte neben der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes erstmals vor, das in Frage stehende Lokal sei untervermietet gewesen, weshalb er keine Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht habe.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde statt, behob das angefochtene Straferkenntnis und stellte das Verwaltungsstrafverfahren ein. Zudem sprach es aus, dass der Mitbeteiligte weder einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens, noch zu jenen des behördlichen Strafverfahrens zu leisten habe. Die Revision gegen diese Entscheidung erklärte es für nicht zulässig.

5 Das Verwaltungsgericht stellte fest, es habe lediglich beim Gerät mit der „FA Nr. 4“ eine Bespielung durchgeführt werden können. Bei den anderen Geräten seien die Bildschirme schwarz gewesen oder es habe sich darauf bloß die Aufforderung befunden, einen Code einzugeben. Ein weiteres Gerät sei mit dem Schild „Defekt“ versehen gewesen. Weiters stellte es fest, es habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können, dass das verfahrensgegenständliche Lokal zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt vom Mitbeteiligten betrieben worden sei.

6 Betreffend letztere Feststellung stützte sich das Verwaltungsgericht beweiswürdigend auf drei in der mündlichen Verhandlung vom Mitbeteiligten vorgelegte Unterlagen. Diesen zufolge sei das Lokal zum Tatzeitpunkt an eine näher genannte Gesellschaft vermietet gewesen. Der Mietvertrag sei auf Grundlage eines Mietanbots abgeschlossen worden, in dem vereinbart worden sei, dass durch Zahlung der ersten Miete das Mietverhältnis ab Zahlungseingang beginne. Dazu seien ein Kassaeingangsbeleg sowie ein Kontoblatt aus der Buchhaltung des Mitbeteiligten über die Verbuchung der Mieterträge vorgelegt worden.

7 In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass lediglich hinsichtlich des Gerätes mit der „FA Nr. 4“ ein ausreichender Tatverdacht vorliege. Es liege jedoch aufgrund der vom Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen nahe, dass das verfahrensgegenständliche Geschäftslokal zum Kontrollzeitpunkt nicht mehr von diesem betrieben worden sei. Der Mitbeteiligte sei daher nicht als „Zugänglichmacher“ iSd § 52 Abs. 1 Z 1 dritter Fall GSpG zu qualifizieren.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, welche das Erkenntnis nur insoweit anficht, als „das LVwG die Bestrafung wegen des Glücksspielautomaten mit der FA Nr. 4 aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt hat, sowie im dazu zu FA Nr. 4 akzessorischen Ausspruch über den Kostenbeitrag zum behördlichen Strafverfahren“. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird unter anderem vorgebracht, das Verwaltungsgericht habe betreffend die Annahme eines Untermietverhältnisses eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen und gegen den Amtswegigkeits und Untersuchungsgrundsatz verstoßen. Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig; sie ist auch berechtigt.

11 Der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz ist nach dem Revisionsmodell im Allgemeinen nicht dazu berufen, die verwaltungsgerichtliche Beweiswürdigung zu überprüfen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl VwGH 4.6.2025, Ra 2024/12/0025, mwN).

12 Gemäß § 38 VwGVG gelten in Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gemäß § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom Verwaltungsgericht von Amts wegen unabhängig von Parteienvorbringen und anträgen der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist. Betreffend die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist festzuhalten, dass gemäß § 130 Abs. 4 erster Satz B VG (siehe auch § 50 VwGVG) in Verwaltungsstrafsachen das Verwaltungsgericht immer in der Sache selbst zu entscheiden hat, woraus folgt, dass in Verwaltungsstrafverfahren dem Verwaltungsgericht in jedem Fall auch die Befugnis und Verpflichtung zu allenfalls erforderlichen Sachverhaltsfeststellungen zukommt (vgl etwa VwGH 18.11.2024, Ra 2023/12/0074, mwN).

13 Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeutet dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirklicht das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit, welcher es verbietet, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zu Grunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne sind alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können. Die Sachverhaltsermittlungen sind ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen. Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das Verwaltungsgericht nicht seiner aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst soweit das möglich ist für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen (vgl erneut VwGH 18.11.2024, Ra 2023/12/0074, mwN).

14 Im vorliegenden Fall stützte das Verwaltungsgericht seine Feststellung, es könne nicht zweifelsfrei festgestellt werden, dass das verfahrensgegenständliche Lokal zum vorgeworfenen Tatzeitpunkt vom Mitbeteiligten betrieben worden sei, ausschließlich auf drei vom Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Unterlagen (Mietanbot, Kassabeleg, Kontoblatt).

15 Wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision zutreffend aufgezeigt wird und sich auch aus dem dem Verwaltungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt ergibt war jedoch das Mietanbot weder datiert noch vom Anbotsteller unterschrieben. Der Kassabeleg über den angeblichen Eingang der ersten Miete war handschriftlich ausgefüllt und mit 1. Juli 2021 datiert. Nachweise über Banküberweisungen liegen nicht vor. Das Kontoblatt vermerkt Mieterträge mit einem Belegdatum zwischen 1. Juli 2021 und 12. Dezember 2021, Daten über durchgeführte Buchungen sind darin nicht enthalten. Eine Befragung des Mitbeteiligten in der mündlichen Verhandlung zum Untermietverhältnis fand wie aus dem Verhandlungsprotokoll vom 12. April 2023 ersichtlich nicht statt. Lediglich hinsichtlich des Stromlieferungsvertrags gab der Rechtsvertreter des Mitbeteiligten auf Vorhalt an, dass im Mietanbot ein Pauschalmietzins vereinbart worden sei. Eine zeugenschaftliche Einvernahme des zum Tatzeitpunkt angeblichen Untermieters unterblieb ebenfalls.

16 Gemäß der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hätte sich das Verwaltungsgericht aufgrund des geltenden Unmittelbarkeitsgrundsatzes und des Grundsatzes der materiellen Wahrheitsforschung mit den vorgelegten Beweismitteln inhaltlich näher auseinandersetzen und diese auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen müssen. Indem es jedoch Ermittlungen zu dem vom Mitbeteiligten behaupteten Untermietverhältnis unterließ und die Unterlagen ungeprüft als Beleg für das Vorliegen eines Untermietverhältnisses ansah, zudem im Rahmen der Beweiswürdigung lediglich knapp den Inhalt der Dokumente und das Vorbringen des Mitbeteiligten wiedergab, ohne jedoch nachvollziehbar darzulegen, worum es sich bei den vorgelegten Unterlagen konkret handelt und aus welchen Gründen sie als Beweismittel für das Vorliegen eines Untermietverhältnisses tauglich sind, hat es tragende Verfahrensgrundsätze verkannt.

17 Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Verwaltungsgericht bei Einhaltung der verletzten Verfahrensvorschriften zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, war das Erkenntnis im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

18 Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.

Wien, am 20. Oktober 2025

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