Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser sowie die Hofrätinnen Mag. a Merl, Mag. Rehak, Mag. Liebhart Mutzl und Mag. Bayer als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache des M P in W, vertreten durch Mag. Martin Paar, Mag. Hermann Zwanzger und Mag. Tobias Praschl Bichler, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Argentinierstraße 21/10, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 20. September 2022, LVwG AV 968/002 2022, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Beschwerde in einer Angelegenheit des NÖ Straßengesetzes 1999 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevorstand der Marktgemeinde Himberg; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), den: Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 10. Juni 2022 wurde die Berufung des J. P. gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde H., mit welchem von Amts wegen gemäß § 7 Abs. 2 iVm Abs. 1 NÖ Straßengesetz 1999 festgestellt worden war, dass dem als Verkehrsfläche gewidmeten Grundstück X, KG V (in Folge: Straßengrundstück) die Merkmale der Öffentlichkeit zukommen und dieses Grundstück gemäß § 4 Z 3 lit. b NÖ Straßengesetz 1999 „zur Gemeindestraße für den gesamten Fahrzeug- und Fußgängerverkehr erklärt“ werde, als unbegründet abgewiesen.
2 Mit dem angefochtenen Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich (Verwaltungsgericht) wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist betreffend diesen Bescheid wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) sowie die gleichzeitig erhobene Beschwerde des Revisionswerbers gegen diesen Bescheid zurückgewiesen (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei (Spruchpunkt III.).
3 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Bescheid der belangten Behörde sei dem vormaligen Straßengrundstückseigentümer J. P. am 21. Juni 2022 zugestellt worden. Seit dem 23. Juni 2022 sei im Grundbuch das alleinige Eigentumsrecht des Revisionswerbers eingetragen. Das Verwaltungsgericht habe die Beschwerde des J. P. vom 20. Juli 2022 gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 10. Juni 2022 mit Erkenntnis vom 25. August 2022 daher mit der Begründung zurückgewiesen, dass er bereits im Zeitpunkt der Einbringung der Beschwerde nicht mehr Eigentümer des Straßengrundstücks gewesen sei. Mit Schriftsatz vom 24. August 2022 habe der Revisionswerber die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend den Bescheid der belangten Behörde vom 10. Juni 2022 begehrt und gleichzeitig die versäumte Verfahrenshandlung durch Einbringung einer Beschwerde gegen den angeführten Berufungsbescheid nachgeholt.
4 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Wiedereinsetzungsantrag des Revisionswerbers sei vor Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht gestellt worden und die belangte Behörde habe auf der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts „beharrt“. Gemäß § 33 Abs. 3 und 4 VwGVG bleibe für einen vor Vorlage der Beschwerde gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die belangte Behörde auch nach Vorlage der Beschwerde an das Verwaltungsgericht weiterhin zuständig. Maßgeblich sei ausschließlich, ob die Beschwerde des Wiedereinsetzungswerbers bereits vorgelegt worden sei. Dies ergebe sich eindeutig aus dem Gesetzeswortlaut, in dem ausdrücklich von „der Beschwerde“ (nicht: „einer Beschwerde“) die Rede sei, und dem Zusammenhang von § 33 Abs. 3 und 4 VwGVG. Ein anderes Verständnis würde bedeuten, dass die Einbringungsstelle (und damit aber auch die Rechtzeitigkeit des Antrages) von Umständen abhinge, die dem Antragsteller von vornherein regelmäßig gar nicht bekannt seien; eine derartig offenkundig verfassungswidrige Regelung beabsichtigt zu haben, könne dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Daher sei der Antrag wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichts zurückzuweisen.
5Das Verwaltungsgericht sei aber für die Beschwerde des Revisionswerbers zuständig geworden. Diese sei zurückzuweisen, weil sie verspätet eingebracht worden sei. Selbst wenn der Revisionswerber die Zustellung des Bescheids vom 10. Juni 2022 nicht gegen sich gelten lassen müsse, sei die Beschwerde verfrüht und daher ebenso zurückzuweisen. Käme man nämlich zum Ergebnis, dass der Bescheid nicht mehr an J. P. zuzustellen gewesen wäre, sondern dem Revisionswerber, weil dieser bereits Eigentümer der strittigen Liegenschaft gewesen und damit auch im anhängigen Verfahren an die Stelle des Rechtsvorgängers getreten sei (die dingliche Wirkung eines Feststellungsbescheides nach § 7 Abs. 2 NÖ Straßengesetz 1999 erscheine nicht zweifelhaft), wäre der Bescheid in Wahrheit noch gar nicht erlassen und die Beschwerdefrist hätte auch noch nicht begonnen. Dem Revisionswerber sei der Bescheid nämlich bislang nicht zugestellt worden. In diesem Fall wäre der Revisionswerber zur Beschwerdeerhebung nicht berechtigt. Da das Verfahren als Einparteienverfahren geführt worden sei, komme auch die Bestimmung des § 7 Abs. 3 VwGVG nicht zum Tragen. Daraus ergebe sich für den gegenständlichen Fall einer derart „verfrühten“ Beschwerde ebenfalls deren Zurückweisung.
6 Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der er eine Verletzung seines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art. 83 Abs. 2 B VG geltend machte und den Antrag auf Entscheidung eines verneinenden Kompetenzkonfliktes zwischen dem Verwaltungsgericht und der belangten Behörde stellte. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 13. Juni 2023, E 2991/2022 10, KI 5/2022 9, die Behandlung der Beschwerde ab und wies den Antrag zurück.
7 Begründend führte der Verfassungsgerichtshof insbesondere aus, zur Frage, ob der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie die Beschwerde des Revisionswerbers zu Recht zurückgewiesen worden seien, seien spezifische verfassungsrechtliche Überlegungen nicht anzustellen.
8 Über nachträglichen Antrag des Revisionswerbers wurde die Beschwerde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juli 2023, E 2991/2022 12, KI 5/2022 11, gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
Die in Folge erhobene außerordentliche Revision erweist sich aus nachfolgenden Gründen als unzulässig:
9 Zu den Prozessvoraussetzungen für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gehörtwie insbesondere aus § 58 Abs. 2 VwGG abzuleiten ist das Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers. Es besteht bei Revisionen nach Art. 133 Abs. 1 Z 1 BVG im objektiven Interesse des Revisionswerbers an einer Beseitigung der angefochtenen, ihn beschwerenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes. Dieses Interesse ist daher immer dann zu verneinen, wenn es für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Revisionswerber keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen also nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen. Fehlt es schon im Zeitpunkt der Revisionserhebung am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, führt dies gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zu einer Zurückweisung der Revision (vgl. VwGH 16.12.2024, Ro 2023/06/0008, mwN).
10 Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie sich aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses und auch aus den Ausführungen in der Revision ergibt, erwarb der Revisionswerber das Straßengrundstück von J. P., wobei das Grundbuchsgesuch zur Eintragung des Eigentumsrechts des Revisionswerbers am 20. Juni 2022 beim Grundbuchgericht einlangte. Der Bescheid vom 10. Juni 2022 wurde J. P. sodann am 21. Juni 2022 zugestellt. Am 23. Juni 2022 wurde das Eigentumsrecht des Revisionswerbers am Straßengrundstück im Grundbuch eingetragen. J. P. verblieb die Berechtigung am Straßengrundstück aus der Dienstbarkeit des Gehens und des Fahrens.
11 Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes geht das Eigentum an einer veräußerten Liegenschaft grundsätzlich schon im Zeitpunkt des Einlangens des (vom Grundbuchsgericht erst später bewilligten und vollzogenen) Grundbuchsgesuches auf den Erwerber über (vgl. RISJustiz RS0011256). Fallbezogen erwarb der Revisionswerber daher am 20. Juni 2022 Eigentum am Straßengrundstück. J. P. war im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 10. Juni 2022, nämlich am 21. Juni 2022, somit nicht mehr Grundstückseigentümer.
12Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 1. Februar 2023, Ra 2022/06/0309, im Hinblick auf die Dienstbarkeit des J. P. (dem dortigen Revisionswerber) bereits festgehalten, dass in die dingliche Berechtigung der Dienstbarkeit des Fahrens und Gehens durch die Feststellung, dass dem Grundstück die Merkmale der Öffentlichkeit (gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 NÖ Straßengesetz 1999) zukommen, nicht eingegriffen wird.
13 Entgegen dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision hatte daher J. P. im Zeitpunkt der Zustellung des Bescheides vom 10. Juni 2022 keine Parteistellung im vorliegenden Verfahren.
14 Die „Erlassung“ eines Bescheides bedeutet die Erzeugung einer Rechtsnorm bestimmter Art; als Norm rechtlich existent wird ein intendierter Bescheid daher nur und erst dann, wenn das Erzeugungsverfahren abgeschlossen, das heißt, wenn das zeitlich letzte Erzeugungstatbestandsmerkmal das ist in der Regel die Mitteilung des behördlichen Willensaktes nach außen verwirklicht worden ist. Ein (schriftlicher) Bescheid ist erst mit der Zustellung bzw. Ausfolgung seiner schriftlichen Ausfertigung an eine Partei als erlassen anzusehen; nur ein erlassener Bescheid kann Rechtswirkungen erzeugen (vgl. VwGH 26.6.2013, 2011/05/0121, mwN).
15 Fallbezogen wurde der Bescheid vom 10. Juni 2022 mangels Zustellung an eine Partei nicht erlassen, konnte daher keine Rechtswirkungen erzeugen und den Lauf der Beschwerdefrist nicht auslösen. Die Erreichung der im Revisionsfall angestrebten Verfahrensziele, nämlich die Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid, hat für den Revisionswerber somit keinen objektiven Nutzen, weil im vorliegenden Fall keine Frist versäumt werden konnte. Zudem kommt dem Revisionswerber entgegen seinem Vorbringennach § 7 Abs. 3 VwGVG keine Beschwerdelegitimation zu.
16Im Hinblick darauf ist nicht ersichtlich, dass einer meritorischen Entscheidung im vorliegenden Fall noch praktische Bedeutung zukäme. Zur Klärung von bloß theoretischen Rechtsfragen ist der Verwaltungsgerichtshof nicht berufen, auch dann nicht, wenn die einem Revisionsfall zugrunde liegende Rechtsfrage für künftige Verwaltungsverfahren bzw. verwaltungsgerichtliche Verfahren von Interesse ist (vgl. neuerlich VwGH 16.12.2024, Ro 2023/06/0008, mwN).
17Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.
Wien, am 30. April 2025