JudikaturVwGH

Ro 2023/05/0008 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revision 1. des S S, 2. der Z S und 3. der U B, alle in W, alle vertreten durch Mag. Oliver Ertl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. Mai 2023, 1. VGW 111/V/069/6198/2022 und VGW 111/V/069/3358/2023, 2. VGW 111/V/069/6199/2022 und VGW 111/V/069/3360/2023, 3. VGW 111/V/069/6200/2022 und VGW 111/069/3435/2022, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (belangte Behörden vor dem Verwaltungsgericht: 1. Magistrat der Stadt Wien, 2. Bauausschuss der Bezirksvertretung für den 7. Bezirk; mitbeteiligte Partei: C M in W, vertreten durch die Jank Weiler Operenyi Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Hohenstaufengasse 9; weitere Partei: Wiener Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben (jeweils zu gleichen Teilen) der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 553,20 und dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.106,40, jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution, zu ersetzen.

1 Der Mitbeteiligte (Bauwerber) ist Eigentümer einer Liegenschaft in 1070 Wien, für die er am 17. Dezember 2019 gemäß § 70 der Bauordnung für Wien (im Folgenden: BO) die Erteilung einer Bewilligung für einen Dachgeschoßzubau beantragte. Die revisionswerbenden Parteien sind Mit- und Wohnungseigentümer einer benachbarten Liegenschaft, die mit ihrem südwestlichen Punkt an den nordöstlichen Punkt des Baugrundstücks grenzt (gemeinsamer Innenhof).Der Bauwerber beantragte weiters gemäß § 69 BO eine Ausnahme von der Festlegung des relevanten Bebauungsplans, Plandokument 7264, Punkt 3.1.3., nach der der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude nicht höher als 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen dürfe, und zwar insoweit, als der höchste Punkt des Daches 5,45 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liege, sohin eine Überschreitung von 0,95 m. Der zuständige Bauausschuss erklärte die beantragte Abweichung mit Bescheid vom 16. Dezember 2021 wie folgt für zulässig: „Durch die Errichtung des Dachgeschoßzubaus des Straßentraktes wird der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude, der nicht höher als 4,5 m über der tatsächlich ausgeführten Gebäudehöhe liegen darf, um 0,95 m überschritten.“ Daraufhin erteilte der Magistrat der Stadt Wien mit Bescheid vom 28. März 2022 die beantragte Baubewilligung.

2 Die dagegen von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerden wurden mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters erklärte das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig (Spruchpunkt II.).

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht soweit zur Behandlung der Revision relevant zusammengefasst aus, die Liegenschaft des Bauwerbers liege in einer Wohnzone, aber nicht in einer Schutzzone, und befinde sich im dicht bebauten Stadtgebiet in U-Bahn-Nähe. Punkt 3.1.3. des anwendbaren Plandokuments 7264 laute: „Der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude darf nicht höher als 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen.“ Mit dem beantragten Dachgeschoßzubau sollten weitere Wohnungen auf der Liegenschaft des Bauwerbers geschaffen werden. Durch eine Überschreitung der im Bebauungsplan vorgesehenen Firsthöhe von 4,5 m um 0,95 m könne in einem zusätzlichen Stockwerk (Raumhöhe 2,51 m) zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden. Die angestrebte Überschreitung der im Bebauungsplan vorgesehenen maximalen Firsthöhe solle beim Straßentrakt des Gebäudes und somit im westlichen Bereich des Baugrundstücks erfolgen; der Straßentrakt sei von dem Punkt, an dem die Liegenschaft der revisionswerbenden Parteien an das Baugrundstück angrenze, etwa 13 m entfernt. Die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen werde durch die beantragte Überschreitung der Firsthöhe nicht vermindert.

4 Die Drittrevisionswerberin habe auf der in ihrem Miteigentum stehenden Liegenschaft im südwestlichen, gärtnerisch auszugestaltenden Bereich („G“) einen Dachgarten mit Obstbäumen angelegt. Angesichts der Lage des Grundstücks der revisionswerbenden Parteien zum Baugrundstück seien die ihrem Grundstück - über den Innenhof - zugekehrten Fronten der Nord- und Westseite (gemeint: Nord- und Ostseite) des projektierten Gebäudes insoweit relevant, als die geltend gemachten Rechte auf Einhaltung der Gebäudehöhe betroffen bzw. beeinträchtigt sein könnten. Die Festlegung im Bebauungsplan, nach der der höchste Punkt des Daches der zur Errichtung gelangenden Gebäude nicht höher als 4,5 m über der tatsächlich errichteten Gebäudehöhe liegen dürfe, diene dem Erhalt des Stadtbildes im Plangebiet. Durch die Überschreitung dieser Grenze um 0,95 m werde das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt und die beantragte Abweichung unterlaufe die Zielrichtung dieser Anordnung im Bebauungsplan nicht. Da die Liegenschaft wie im Flächenwidmungsplan vorgesehen weiterhin einer Wohnnutzung diene, sei an Emissionen nicht mehr zu erwarten, als bei einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzung typischerweise entstünden. Auch die beabsichtigte Flächennutzung und Aufschließung veränderten sich nicht grundlegend.

5 Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob eine Ermöglichung der zusätzlichen Schaffung einer der Flächenwidmung entsprechenden Nutzfläche nach den Umständen des Einzelfalls im Sinn des § 69 Abs. 2 Z l BO eine zweckmäßigere Flächennutzung bewirken kann, dies insbesondere unter Berücksichtigung des Ausmaßes der beantragten Abweichung von den Vorschriften des Bebauungsplans.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung jener des Verwaltungsgerichts anschließt. Ergänzend macht sie ein Abweichen von näher angeführter Rechtsprechung geltend, weil die bewilligte Abweichung vom Bebauungsplan dessen Zielrichtung unterlaufe, die Bebaubarkeit der Nachbargrundflächen vermindert werde, und durch eine zusätzliche Nutzungsebene auch mehr Emissionen entstünden.

7 Der Mitbeteiligte und der Magistrat erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision als unzulässig zurück-, in eventu abzuweisen (Mitbeteiligter) bzw. die Revision als unbegründet abzuweisen (Magistrat). Beide Parteien beantragten die Zuerkennung von Schriftsatzaufwand im gesetzlichen Ausmaß. In beiden Revisionsbeantwortungen wird vorgebracht, dass der Schutzbereich der revisionswerbenden Parteien durch die Situierung ihrer Liegenschaft vom gegenständlichen Bauvorhaben nicht betroffen sein könne.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision aufzuzeigen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Das gilt auch dann, wenn sich die Revision zwar auf die Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, beruft, diese aber fallbezogen keine Rolle (mehr) spielen oder zur Begründung der Zulässigkeit der konkret erhobenen Revision nicht ausreichen (vgl. VwGH 12.9.2024, Ro 2023/08/0020, mwN).

11Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen, und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat. Die genannten Nachbarrechte werden durch die Tatbestandsvoraussetzung „sofern sie ihrem“ (gemeint: der Nachbarn) „Schutze dienen“ in § 134a Abs. 1 BO eingeschränkt. Dies bedeutet, dass selbst trotz eines allfälligen objektiven Verstoßes gegen eine unter § 134a BO subsumierbare baurechtliche Vorschrift die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes eines Nachbarn dann nicht vorliegt, wenn nach der Situierung des bewilligten Bauvorhabens schon der Lage nach in subjektive Rechte des Nachbarn nicht eingegriffen werden kann (vgl. für viele etwa VwGH 19.4.2021, Ra 2021/05/0002, mwN).

12Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang bereits vielfach ausgesprochen hat, kann der Nachbar hinsichtlich der Bestimmungen über die Gebäudehöhe deren Einhaltung daher nur an der seiner Liegenschaft zugekehrten Front geltend machen. Wenn sich ein Bauteil nicht an der der Nachbarliegenschaft zugewandten Front des Gebäudes befindet, steht dem Nachbarn ein Mitspracherecht diesbezüglich nicht zu. Durch die bloße Möglichkeit der Einsichtnahme auf eine Front von der Nachbarliegenschaft aus wird diese nicht zu einer der Nachbarliegenschaft zugewandten Front. Auch ein „Punktnachbar“ kann seine Nachbarrechte (nur) geltend machen, soweit diese nach Lage des Nachbargrundstückes betroffen sein können (vgl. zu allem wiederum VwGH 19.4.2021, Ra 2021/05/0002, mwN).

13 Nach den unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist der Straßentrakt, für dessen Dachgeschoßzubau die Ausnahme im Zuge der Baubewilligung gewährt worden war, von dem Punkt, an dem die Liegenschaft der revisionswerbenden Parteien an das Baugrundstück angrenzt, etwa 13 m entfernt und die Bepflanzung auf dem Dachgarten der Drittrevisionswerberin würde durch das Bauvorhaben wenige Minuten pro Tag mehr beschattet werden. Angesichts dessen vermag die Revision vor dem Hintergrund des § 134a Abs. 1 BO („sofern sie ihrem Schutze dienen“) und der soeben dargestellten Rechtsprechung, nach der die Verletzung eines subjektiv öffentlichen Nachbarrechts dann nicht vorliegt, wenn nach der Situierung des bewilligten Bauvorhabens schon der Lage nach in subjektive Rechte des Nachbarn nicht eingegriffen werden kann, ihre Zulässigkeit hinsichtlich einer potentiellen Verletzung subjektiv öffentlicher Rechte der revisionswerbenden Parteien nicht darzutun.

14 Mangels der Darlegung eines möglichen Eingriffs in die subjektivöffentlichen Nachbarrechte der revisionswerbenden Parteien stellt sich die vom Verwaltungsgericht herangezogene und von der Revision übernommene Rechtsfrage zur Zulässigkeit der Revision nicht, weil das Schicksal der Revision von der Beantwortung dieser Rechtsfrage nicht abhängt (vgl. zu diesem Zulässigkeitserfordernis etwa VwGH 8.8.2023, Ra 2023/05/0185, Rn. 9). Auch auf die übrigen von der Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebrachten Abweichungen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes durch das angefochtene Erkenntnis ist aus diesem Grund nicht einzugehen.

15 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gem. § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

16Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere auf § 53 Abs. 1 letzter Satz VwGG, iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. Dezember 2024